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"Wir brauchen diese Netze"

Im Zuge der Energiewende müsse man zusätzlich zu den 4600 Kilometern Höchstspannungsleitungen auch 198.000 Kilometer Verteilnetz neu bauen, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. Er fordert eine stärkere Einbindung der Kommunen beim Netzausbau.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Friedbert Meurer | 29.05.2012
    Friedbert Meurer: In zehn Jahren sollen die letzten Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden. Dafür soll der Ökostrom massiv ausgebaut sein. Das ist ein Kraftakt und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihrem Umweltminister Norbert Röttgen diesen Kraftakt nicht mehr zugetraut. In Begleitung des Nachfolgers Peter Altmaier und von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler wird die Kanzlerin heute unter anderem die Bundesnetzagentur in Bonn besuchen. Letzten Studien zufolge müssen über 4000 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen gebaut werden. Das kostet Geld und Nerven. Sobald auch nur ein neuer Strommast errichtet werden soll, gehen die Bürger auf die Barrikaden.
    Also für Ökostrom sind alle, aber neue Stromnetze stoßen dann vor Ort doch auf erheblichen Widerstand. – Gerd Landsberg ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Guten Morgen, Herr Landsberg.

    Gerd Landsberg: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Sind die Bürger schizophren?

    Landsberg: Ich glaube nicht, dass die Bürger schizophren sind, aber die Bürger haben sich daran gewöhnt – und das finde ich eigentlich gar nicht schlecht -, dass sie mitreden wollen, dass sie mitstreiten wollen, und ich denke, es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass es dafür auch die geeigneten Regeln gibt, bei denen man mitmachen kann, aber wo es dann auch irgendwann mal zu Ende ist. Wir haben das bei Stuttgart 21 gesehen, da ist ja jahrelang diskutiert worden und plötzlich rollte die Protestwelle. Das muss man anders aufziehen, wir brauchen viel mehr frühe Informationen, also gerade was den Netzausbau – Sie haben es ja anmoderiert – angeht. Die Masse der Menschen versteht das nicht, weil es nicht vermittelt wird. Sie kriegen keinen Kinospot gezeigt, wofür brauchen wir diese 4600 Kilometer Hochspannungsleitungen, und wir brauchen noch mehr.

    Meurer: Meinen Sie, ein Anwohner lässt sich von einem Kinospot davon überzeugen, dass 50 Meter neben seinem Grundstück ein Hochspannungsmast gebaut wird?

    Landsberg: Also 50 Meter sind es nicht. Es sind in der Regel 300 Meter. Aber wir müssen die Menschen da abholen, wo sie stehen, und die Mehrheit in diesem Land hat gesagt, wir wollen keine Atomkraft mehr. Und dann gibt es keine Alternative: Wir brauchen diese Netze. Also so den Kopf in den Sand stecken und sagen, das wird alles von alleine gehen und der Strom kommt aus der Steckdose, das funktioniert nicht. Ich gebe zu, dass das ein ganz schwieriger Prozess ist, aber den müssen wir gehen und den müssen wir weitergehen, übrigens nicht nur bei Stromleitungen, auch bei anderen Großprojekten.

    Meurer: Wie sehr, Herr Landsberg, gilt das Sankt-Florians-Prinzip, baut bitte die Stromtrasse einen Ort weiter?

    Landsberg: Das gilt sicherlich, aber das kennen wir auch von anderen Projekten, ob es die Umgehungsstraße ist, ob es der große Bahnhof ist. Jeder will die Vorteile, aber nicht die Nachteile. Das setzt Überzeugungsarbeit voraus, aber die können wir leisten. Und ich denke auch, man muss den Bürgern eins klar machen: Das ist ein Jahrhundertwerk. Wenn das klappt mit der Energiewende, wird Deutschland Tausende von Arbeitsplätzen haben, es wird Innovationsexplosionen geben. Aber wenn es schief geht, dann werden wir Wohlstand verlieren, Konkurrenzfähigkeit verlieren und Arbeitsplätze verlieren. Ich denke, das sind schon Argumente, die auch derjenige gewichten kann, der möglicherweise demnächst in 300 Meter Entfernung auf eine Stromleitung schauen muss.

    Meurer: Wieso soll jemand dem Verlauf einer Höchstspannungsleitung zustimmen, wenn dadurch sein Haus und sein Grundstück dramatisch an Wert verliert?

    Landsberg: Also natürlich muss er einen Wertausgleich für so etwas bekommen. Das gilt übrigens ja nicht nur für den privaten; auch die Kommunen sagen mit Recht, wir wollen eine Konzessionsabgabe, wenn diese Trasse über unser Gemeindegebiet läuft. Und wir machen die Erfahrung, das gilt übrigens auch für Windräder. Wenn sie ein Windrad aufbauen, sind viele sofort eigentlich dagegen. Aber machen sie es als Bürgerwindpark, als Genossenschaft und sagen, du verdienst mit daran, und der Kindergarten, den die Stadt aufbauen will, der wird dann schneller aufgebaut, dann haben sie sehr schnell einen Konsens. Das heißt, man muss an der Wertschöpfung auch die Kommunen und die Bürger beteiligen und eben immer wieder dafür werben. Sie werden nicht alle überzeugen können, das ist klar, aber das ist in einer Demokratie immer so.

    Meurer: Bisher gab es als Wertausgleich eher Peanuts. Was stellen Sie sich vor?

    Landsberg: Also wir glauben schon, dass man sich auf eine Konzessionsabgabe pro Kilometer von einigen tausend Euro pro Jahr festlegen sollte. Wir glauben auch, dass man – das, was ich angesprochen habe – den Kommunen noch in größerem Umfang die Möglichkeit geben sollte, selbst mit dabei zu sein bei der Energieerzeugung, und auch den Bürgern. Das würde die Konflikte minimieren. Wir sind übrigens auch mit den Stadtwerken natürlich bereit, die notwendigen zusätzlichen Kraftwerke zu bauen, die Gaskraftwerke, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das gehört übrigens auch zum Netzausbau dazu.

    Meurer: Was haben die Kommunen davon?

    Landsberg: Die Kommunen sind im Prinzip einer der wichtigsten Akteure. Die alternative Energie wird in unseren Städten und Gemeinden im Land aufgestellt, gebaut, produziert. Der Bürger erwartet natürlich auch eine vernünftige dauerhafte Stromversorgung, auch die Wirtschaft. Auch da vielleicht noch mal eine Zahl. Wenn der Strom in Deutschland auch nur eine Stunde ausfällt, haben wir Verluste von einer Milliarde. Das muss man auch klar sehen. Also die Kommunen sind da schon ein wichtiger Player, sowohl die Kommune als einzelne, aber auch über die Stadtwerke.

    Meurer: Sie plädieren also für mehr Überzeugungsarbeit, die Bürger aufklären. Was ist denn, Herr Landsberg, Ihrer Ansicht nach der zentrale Grund dafür, dass die Stromnetze bei Weitem nicht so schnell ausgebaut werden, wie man sich das vorgenommen hat?

    Landsberg: Zunächst mal hat man natürlich jahrelang schon immer geplant und ist trotzdem immer auf Widerstand gestoßen. Das ist in der Deutlichkeit meiner Ansicht nach in der Öffentlichkeit zu wenig kommuniziert worden. Man hat immer das Gefühl, das ist ja auch logisch, da entstehen doch überall Windräder, es entstehen überall Dächer mit Solarkollektoren, das ist doch die alternative Energie. Der nächste Schritt, dass wir für diese alternative Energie Netze brauchen, und zwar ganz andere, als wir sie bisher haben, das ist jedenfalls in die Masse der Köpfe noch nicht gelangt. Deswegen glaube ich, dass neben anderen Beteiligungsverfahren wir eine nachhaltige Kommunikationskampagne genau zu diesem Thema brauchen. ich glaube auch, dass wir über Straffung von Gerichtsverfahren nachdenken müssen, können wir nicht vielleicht eine Instanz streichen, können wir nicht Spezialkammern für den Trassenbau schaffen. Über so was muss man nachdenken. Es gibt, wenn Sie zum Beispiel mal die Offshore-Anlagen sich vorstellen, über 40 verschiedene Einzelgenehmigungen, die von unterschiedlichen Behörden eingeholt werden müssen, um eine solche Anlage zu bauen und ans Netz zu bringen. Also da ist noch einiges Holz zu hacken.

    Meurer: Wer bezahlt die neuen Stromleitungen, die Netzbetreiber, der Bund, die Länder?

    Landsberg: Also offene Antwort: letztlich der Verbraucher. Das wissen wir. Also es gibt eine Schätzung der KfW, die sagt, die ganze Energiewende kostet pro Jahr 25 Milliarden. Ob das die exakte Zahl ist, das weiß ich nicht. Aber wir müssen auch sehen – auch das wird unscharf berichtet aus meiner Sicht -, es wird ja immer so getan, als ginge es nur um den berühmten Vierpersonenhaushalt. Es ist aber nur mit 26 Prozent der private Haushalt am Energieverbrauch beteiligt. Die Masse ist Industrie und Verkehr, und das ist natürlich ein ganz entscheidender Wettbewerbsnach- oder –vorteil, wie hoch der Strompreis ist. Das darf man nicht außer Acht lassen.

    Meurer: Also die Ökowende wird teuer und belastet unsere Industrie?

    Landsberg: Die Ökowende wird teuer. Ob sie sie am Ende belastet, ist die Frage, ob es klappt. Es sind eben ja auch technische Neuerungen, die Steuerung solcher Netze, das ist weltweit einmalig. Alle Länder in Europa und darüber hinaus in der Welt schauen, na, schaffen die Deutschen das. Und wenn die Deutschen das schaffen, dann werden wir im Energiebereich ganz weit vorne sein. Insofern ist es nicht nur ein Risiko, aber auch eine Chance. Aber ich sage ganz deutlich: Es ist noch nicht gelungen. Also dieses Gefühl, da hat einer den Schalter umgelegt und jetzt läuft das von alleine, das funktioniert so nicht. Es ist ein nachhaltiger Prozess und wir werden dieses politische Thema sicherlich noch jahrelang bearbeiten.

    Meurer: Das Ganze ist eine Riesenaufgabe. 4000 Kilometer Höchstspannungsleitungen – was ist denn eigentlich mit den vielen zusätzlichen Tausenden Kilometern an kleineren Leitungen?

    Landsberg: Die kommen auch hinzu. Also das ist praktisch so: Die Höchstspannungsleitungen sind die Autobahnen, aber eine Autobahn alleine bringt nichts, sie müssen hinkommen, sie müssen abfahren können, und da gehen wir von etwa 198.000 Kilometern Verteilnetz aus. Die müssen gebaut werden.

    Meurer: Zusätzlich?

    Landsberg: Zusätzlich! – Zusätzlich. – Das ist überwiegend natürlich eine Aufgabe auch der Kommunen und ihrer Stadtwerke. Das können wir, das werden wir auch tun. Aber wieder: Es muss Investitionssicherheit sein. Das heißt, sie bauen ja so ein Netz nicht, wenn sie nicht auch eine gewisse Renditeerwartung haben. Das ist nun mal so in der Marktwirtschaft und das ist auch gut so.

    Meurer: Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, zum Ziel, die Stromnetze in Deutschland auszubauen. Herr Landsberg, schönen Dank und auf Wiederhören.

    Landsberg: Bitte schön! Auf Wiederhören.

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