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"Wir brauchen eigentlich keine FIFA und auch keine UEFA"

Seit fast einem Jahrzehnt ist Karl-Heinz Rummenigge nun Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG. Der einstige Spitzenspieler hält auch als Funktionär mit Kritik nicht hinter dem Berg und fordert mehr Transparenz und Demokratie bei FIFA und teilweise auch UEFA.

Karl-Heinz Rummenigge im Gespräch mit Moritz Küpper und Taufig Khalil | 25.09.2011
    Moritz Küpper: Herr Rummenigge, wie ist Uli Hoeneß eigentlich als Sitznachbar im Stadion?

    Karl-Heinz Rummenigge: Eigentlich sehr angenehm, muss ich sagen. Am Anfang, als er noch Manager war und dann ja von unten nach oben kam, als er zum Präsidenten gewählt wurde, war er etwas nervös in den ersten Spielen, aber mittlerweile spielen natürlich Emotionen auch noch eine Rolle, aber das hat sich ganz gut eingependelt.

    Küpper: Und wer ist der Emotionalere von ihnen beiden?

    Rummenigge: Ich würde sagen, ich ärgere mich immer mehr, wenn wir verlieren. Emotional ist er natürlich sehr. Also da kann ich mich manchmal etwas unterdrücken, weil ich immer den Eindruck habe, durch den Fakt, dass die Kameras immer auf uns gerichtet sind, muss man nicht immer der Öffentlichkeit zeigen, was man denkt.

    Taufig Khalil: Das hat man schon bewusst drin, dass man weiß, dass man sozusagen fortlaufend beobachtet wird?

    Rummenigge: Ja. Ich bedauere das fast, muss ich sagen, weil man sich da schon ein bisschen unterdrücken muss hin und wieder und eben die Emotionen dann auch versucht zu kontrollieren.

    Küpper: Im Moment haben Sie allerdings mehr Grund zur Freude, als sich zu ärgern. Hätten Sie das für möglich gehalten im April, dass das so ein entspannter Spätsommer und Frühherbst werden kann für den FC Bayern?

    Rummenigge: Na ja, ich meine, wir haben eine Saison hinter uns im letzten Jahr, die ich als sehr stressig bezeichnen würde und sportlich vom Ergebnis her auch nicht befriedigend mit dem dritten Platz. Aber ich glaube, wir haben versucht, die richtigen Lehren daraus zu ziehen, wir haben den Kader, denke ich, ganz gut verstärken können und haben mit Jupp Heynckes einen Trainer gefunden, der sehr gut zum Club passt, nicht nur zur Mannschaft, sondern zum Club passt, und wir haben gehofft, dass damit Ruhe einkehrt und am Ende des Tages dann auch die Qualität, die individuelle Qualität der einzelnen Spieler dann zu einer guten Mannschaft führt, und das ist jetzt der Fall, wobei ich immer vorsichtig bin mit solchen Aussagen, weil Fußball ist immer mehr ein Momentum. Also man muss sich am Momentum orientieren. Im Moment wie gesagt ist das Momentum gut, aber die Erfahrung zeigt uns auch, dass es ganz schnell auch in die andere Richtung gehen kann.

    Küpper: Ist der FC Bayern konservativ? Hält er gerne an Traditionen fest? Hat man vielleicht dann auch aus dem "Klinsmann-Debakel" gelernt, als einer kam, der alles anders machen wollte, der aufgebrochen hat mit diesen Traditionen, das was vielleicht nicht das richtige ist für diesen Verein?

    Rummenigge: Ja grundsätzlich muss ich eins sagen: Natürlich ist der FC Bayern ein Verein mit großer Tradition, auch Historie. Aber ich muss sagen, manche Dinge, die Jürgen hier eingeführt hat, die waren gar nicht so schlecht. Wir haben auch heute einen Trainerkader, der wesentlich größer ist, als das vor Jürgen der Fall war oder zur Zeit von Jürgen der Fall ist, auch dieses Profihaus da drüben, wobei er einen großen Anteil daran trägt, es ist alles extrem modernisiert worden, auf den letzten Stand der Technik gebracht worden, und das hilft natürlich heute auch Jupp Heynckes. Aber ich glaube, wichtig ist, dass ein Trainer beim FC Bayern die Dinge in Ruhe und unaufgeregt macht und dabei natürlich auch gute Qualität hat, und das ist bei Jupp Heynckes ohne Frage jetzt der Fall.

    Küpper: Wird das jetzt eine Ära? Wird diese Saison nur erst mal eine Momentaufnahme? Denn der FC Bayern tut sich immer ein bisschen schwer, eben aufgrund seiner großen Anzahl an Nationalspielern, wenn dann große internationale Wettbewerbe kommen. Im nächsten Jahr steht jetzt eine Europameisterschaft an, das ist dann wieder so ein Jahr, wo der FC Bayern, wo die Spieler des FC Bayern eine sehr, sehr starke Belastung haben.

    Rummenigge: Wir wissen heute schon, dass das nächste Jahr sicherlich wieder ein Jahr mit gewissem Stress sein wird, eben durch den Fakt, dass wir viele Spieler haben, die an der Europameisterschaft teilnehmen. Ich glaube, das entscheidende Kriterium ist, wir wissen das heute schon eigentlich. Also können wir versuchen, heute schon vielleicht uns andere Maßnahmen auszudenken, als es in der Vergangenheit stattgefunden hat. Wir haben vor kurzem mal mit dem Jupp Heynckes gesprochen, ob es nicht sinnvoll ist, den Spielern trotzdem drei Wochen Urlaub zu geben und sie vielleicht in den ersten zwei, drei Bundesligaspielen nicht so zum Einsatz zu bringen, weil sie ganz einfach dann natürlich naturgemäß noch nicht richtig fit sind. Also wir diskutieren das intern, was kann man am Ende des Tages tun und bewerkstelligen, um zu verhindern, dass wir nach einer Europameisterschaft, wie sie ja im nächsten Jahr stattfindet, in ein sportliches Problem reinkommen.

    Khalil: In den vergangenen Monaten haben Sie die FIFA und teilweise auch die UEFA, die Fußballfunktionäre, scharf kritisiert. Das hat sich in den letzten Wochen etwas gelegt. Haben Sie den Eindruck, dass sich dort etwas bewegt, etwas tut?

    Rummenigge: Ja erst mal muss man sagen, wir haben sie kritisiert, weil wir der Meinung sind, dass dringender Reformbedarf da ist. Ich hatte in der Zwischenzeit mit beiden Präsidenten, mit Sepp Blatter und Michel Platini, Gespräche. In beiden Gesprächen haben sie mir eigentlich bestätigt, dass dieser Reformbedarf auch aus ihrer Sicht da ist. Die große Frage ist jetzt, inwieweit eben beide in der Lage sind, in einem relativ verkrusteten System dieses System dann so aufzubrechen, dass es am Ende des Tages demokratisiert wird und reformiert wird, und das muss man jetzt mal abwarten. Ich bin da auch sehr neugierig und auch am Ende des Tages noch nicht hundert Prozent überzeugt, dass ihnen das gelingen wird, weil die Herrschaften alleine qua Alter und auch qua Sitz, würde ich sagen, natürlich versuchen werden, ihren Stellenwert dort zu behalten und nicht unbedingt daran groß interessiert sind, dass diese Fußballwelt demokratisiert wird.

    Khalil: Was muss denn passieren? Ich meine, die Durchhalteparolen von Sepp Blatter, die sind ja bekannt und dass er Leute vertröstet und somit sich ja mittlerweile seit über einem Jahrzehnt dauerhaft auf dem FIFA-Thron hält.

    Rummenigge: Ja ich glaube, grundsätzlich muss man mal eins sagen, dass die Wurzel des Fußballs immer der Fußballclub ist, weil der Fußballclub ganz einfach die Spieler hat und die Spieler unter Vertrag hat und die Spieler damit bezahlt, und damit ergibt sich ja auch ein juristisches Verhältnis. Also ich glaube, ich habe beiden gesagt, etwas spitzfindig ausgedrückt, wir brauchen eigentlich keine FIFA und auch keine UEFA, aber die FIFA und die UEFA brauchen die Clubs. Also wir haben keine gegenseitige Abhängigkeit, sondern lediglich die FIFA und die UEFA muss ein Interesse daran haben, harmonisch und demokratisch mit den Clubs zusammenzuleben, und das ist etwas, was ich jetzt erwarte. Ob es am Ende des Tages möglich ist, das werden Platini und Blatter auch unter Beweis stellen müssen.

    Khalil: Wie lange haben sie denn sozusagen Zeit?

    Rummenigge: Ja ich habe natürlich nicht unendlich Geduld. Ich spreche ja nicht nur für mich alleine, sondern für die ganze Clubszene in Europa, die extrem unzufrieden ist mit dem Status quo. Und es wird jetzt an diesen beiden Präsidenten liegen, ob man bereit ist, das was man eben kundgetan hat am Ende des Tages auch durchbringt, nämlich Transparenz, Demokratie und good and fair governance, wie es so neudeutsch heißt, einzuführen. Ob ihnen das gelingt, wird man abwarten müssen. Also ich bin da auch ein sehr großes Stück neugierig.

    Khalil: Es fällt auf, dass Sie von beiden sprechen und auch beide in die Pflicht nehmen. In der Öffentlichkeit könnte man den Eindruck bekommen, dass Sie zu Michel Platini ein engeres Verhältnis, fast schon ein freundschaftliches Verhältnis pflegen. Stimmt das?

    Rummenigge: Na ja, ich meine, wir sind aus fast einem gleichen Jahrgang, wir haben viele Schlachten auf dem Platz geschlagen, er für Frankreich, ich für Deutschland. Glücklicherweise sind sie immer ganz gut für Deutschland ausgegangen. Und wir haben grundsätzlich kein schlechtes Verhältnis. Aber ich bin der Meinung, da es sich ja hier in erster Linie um die europäische Clubszene handelt, die ich als Vorsitzender der ECA vertrete, ist die UEFA auch hier extrem in der Pflicht, und da er das Oberhaupt der UEFA ist, liegt es natürlich an ihm, auch diese Dinge dann dementsprechend durchzubringen.

    Khalil: Wie schätzen Sie das ein? Es hält sich ja hartnäckig das Gerücht, dass Sepp Blatter irgendwann das Zepter sozusagen an Michel Platini weitergeben möchte und ihn auf dem FIFA-Thron etablieren möchte, vielleicht sogar noch in dieser Amtszeit. Halten Sie das für realistisch?

    Rummenigge: Ja ich habe auch von diesem Gerücht gehört. Ob es stimmt, weiß ich nicht. Beide verneinen. Ich habe sie auch schon gefragt, aber das muss in dem Geschäft nicht unbedingt dann das letzte Wort gewesen sein.

    Küpper: Wie groß ist der Image-Schaden, den der Fußball erlitten hat durch diese ominöse WM-Vergabe nach Katar? Sie haben mächtige Werbepartner, Adidas, Audi, das sind große Weltkonzerne. Denen darf das doch auch nicht gefallen, dass in der Sportart, in die sie so viel Geld investieren, dass es da solche Ungereimtheiten gibt.

    Rummenigge: Ja, das sind natürlich Entscheidungen, die große Diskussionen ausgelöst haben, großes Erstaunen auch ausgelöst haben, weil es ist bekannt, dass im Sommer dort - ich glaube, ich habe gerade auf der Landkarte gesehen, dass da bis zu 45 Grad gerade herrschen. Also ich wünsche den Spielern viel Glück, dass sie das ohne Sonnenstich dann überstehen, wenn am Ende des Tages die Weltmeisterschaft dort stattfindet. Schaden? Ich würde sagen, grundsätzlich ist jede politische Entscheidung, egal ob sie sportpolitisch oder exklusivpolitisch ist, ob wir über den Euro sprechen oder über eine WM-Vergabe, sie muss transparent sein und sie muss verständlich sein. Und bei der Entscheidung Katar ist sie natürlich weder transparent noch sehr verständlich auch rübergebracht worden, und deshalb ist das eben so, dass die Fußballwelt sehr irritiert war und wahrscheinlich auch nach wie vor ist, und ich glaube, dass die FIFA auch in dieser Richtung die Dinge verändern muss, und ich hatte vor kurzem ein Gespräch mit Dr. Zwanziger, dem Präsidenten des DFB, der auch sehr daran interessiert ist, dass sich hier die Dinge so verändern, dass sie am Ende des Tages auch von dem Fußball-Fan verstanden und auch hoffentlich dann akzeptiert werden.

    Khalil: Der Fußballfan fragt sich oder sagt sich, also realistisch ist es ja nicht, im Sommer dort zu spielen. Dann bleiben ja nur im Grunde genommen zwei Szenarien: Entweder man ändert den Spielplan, das heißt, man spielt die WM im Winter, passt den Fußballspielplan dem Kalenderjahr an, oder man revidiert die Entscheidung mit Katar und vergibt das Tournier in ein anderes Land, wo vielleicht im Sommer andere Temperaturen, angenehmere Temperaturen herrschen. Für welches Szenario plädieren Sie?

    Rummenigge: Ja ich plädiere auf keinen Fall für ein Szenarium, das wir den Fußballkalender, wenn ich ihn als solchen mal bezeichnen darf, wegen einer Weltmeisterschaft dramatisch und radikal umändern. Wir sprechen ja auch hier über Historie, die gelebt worden ist jetzt über Jahrzehnte, und jetzt wegen einer Weltmeisterschaftsentscheidung so was dramatisch über den Haufen zu schmeißen, da bin ich kein Freund davon. Ich glaube, das muss man mit großer Sensibilität angehen, und dann muss man schauen, ob es eine Lösung gibt. Ich weiß auch nicht, ob es eine Lösung gibt. Ich glaube nur, dort im Sommer zu spielen am Ende des Tages wird nicht die Lösung sein. Davon bin ich überzeugt.

    Khalil: Das heißt, Sie sind auf Linie von Theo Zwanziger, der gesagt hat, man muss die Vergabe des Tourniers noch mal überprüfen und gegebenenfalls auch das Tournier in ein anderes Land vergeben?

    Rummenigge: Ich interpretiere die FIFA-Statuten so, dass das juristisch gesehen nicht möglich sein wird, außer man würde eben dort nachweisen können, dass die Vergabe mit was weiß ich, Geldern oder dergleichen, bewerkstelligt worden ist.

    Khalil: Aber das heißt, man sagt jetzt nicht einfach, das ist noch so weit weg, lassen wir's mal laufen?

    Rummenigge: Ja. 2022 ist sicherlich noch weit weg. Das sind ja noch fast elf Jahre bis dahin. Aber ich meine, man darf eines nicht vergessen: Eine WM muss vorbereitet werden, durch Stadionbauten, die bewerkstelligt werden müssen, und alles, und ich glaube grundsätzlich, dass Katar dazu auch in der Lage ist. Aber ich glaube ganz einfach, dass das, was man dort bei der FIFA-Exekutive entschieden hat, dass das im Sommer 2022 dort stattfinden soll, schlicht und ergreifend eine Fehlentscheidung war.

    Khalil: Und gerade haben Sie gesagt, es ist nicht möglich. Aber auch juristisch wäre es nicht möglich, das zurückzuholen. Was muss man denn dann machen?

    Rummenigge: Ja man wird wahrscheinlich dort spielen. Die Frage ist jetzt wann, ob es eine Lösung gibt, dass man vielleicht im März oder Oktober 2022 dort spielt, was wahrscheinlich am Ende des Tages die ganze Diskussion auch entschärfen würde.

    Küpper: Der DFB, der Deutsche Fußballbund, ist einer der mächtigsten Sportverbände auf der ganzen Welt, ein Verband, dessen Wort sicherlich Gewicht hat. Hat Theo Zwanziger versäumt, sich klar und deutlich zu positionieren in dieser ganzen FIFA-Problematik?

    Rummenigge: Im juristischen Sinne hat er nicht die Macht. Er hat genauso eine Stimme nur, wie eben die Fidschi-Inseln eine Stimme haben, und zwischen Fidschi-Inseln und Deutschem Fußballbund herrscht ja ein, denke ich mal, dramatischer Unterschied. Aber das ist nun mal eben so gemacht und so gewollt. Es gibt die moralische Diskussion. Die hätte man vielleicht etwas anders führen können. Und das wollte er nicht, weil für ihn war natürlich auch eine Problematik in dem Fakt, dass er ja Franz Beckenbauer als Exekutivmitglied abgelöst hat, und man kann sich natürlich auch vorstellen, wenn da ein neues Exekutivmitglied kommt und gleich lospoltert, mit wie viel Sympathie der dann in diesem Gremium empfangen wird.

    Khalil: Aber wäre das nicht gerade angebracht, gerade vor dem Hintergrund, was wir über dieses Gremium eben wissen und gehört haben?

    Rummenigge: Ich hatte mit ihm wie gesagt vor kurzem ein Gespräch und er hat mir den Eindruck vermittelt, dass er extrem reformwillig ist, und er hat wunderbare Ansätze mir da kundgetan und ich bin überzeugt, dass er diese Reformen auch jetzt mit Volldampf angehen wird. Ich hoffe und wünsche ihm, dass er von seinen Kollegen in der Exekutive nicht ausgebremst wird am Ende des Tages.

    Khalil: Die englischen Clubs fühlten sich von ihrem Verband, so habe ich es zumindest gehört, gut repräsentiert auf diesem FIFA-Kongress. Der englische Verband hat sich ja klar dagegen positioniert, mag auch historisch vielleicht zu sehen sein vor der WM-Vergabe, die eben nicht nach England gegangen ist. Wie fühlte sich denn der FC Bayern da präsentiert, oder bekommt man dann als deutscher Club von den englischen Clubs nicht auch gesagt, euer Verband hat sich dort vielleicht sogar etwas feige präsentiert?

    Rummenigge: Also ich würde das, was die Engländer dort gemacht haben, oder der englische Verband dort gemacht hat, ein bisschen vergleichen mit dem, was unser Außenminister damals in Libyen entschieden hat, da nicht mitzumachen. Am Ende des Tages wäre es wahrscheinlich besser gewesen, Deutschland hätte in Libyen so mitgemacht wie die Franzosen, die Engländer und die Engländer hätten sich auch in Zürich etwas klüger verhalten, weil ich festgestellt habe, die Engländer sind im Moment ziemlich, trotz dem Fakt, dass sie ja das Mutterland des Fußballs sind, ein totaler Außenseiter durch diese ganzen Dinge, die sie da damals kundgetan haben, und auch diese Entscheidung. Also das war auch ein Teil dessen, was man als Selbsttor bezeichnen könnte.
    Auf der anderen Seite: sie haben ihren Unmut kundgetan, haben damit natürlich auch in den Medien großes Interesse hervorgerufen. Aber ich habe den Eindruck wie gesagt, dass sie damit am Ende des Tages sich eher geschadet als genützt haben.

    Khalil: Ist das denn nicht ein wenig verwunderlich? Fußball ist im Grunde genommen ja der Weltsport, und jetzt reden wir darüber, wir haben gerade darüber gesprochen, die Briten, die Engländer sind ja momentan immer noch die Regelhüter des Fußballs, entscheiden sozusagen über die Regeln, haben dort eine hohe Anzahl an Stimmen in diesem Regel-Board. Auf der anderen Seite sind sie jetzt verkracht mit dem Fußballweltverband, die Vereine hängen auch noch ein bisschen dazwischen. Besteht bei dem Fußball, bei dieser Weltsportart Fußball nicht ein dringender Reformbedarf auf allen Ebenen?

    Rummenigge: Ja natürlich! Habe ich ja eben gesagt, dass der auf allen Ebenen besteht. In der Exekutive der FIFA sind 24, in der der UEFA 22 Mitglieder. Das sind exklusive Verbandsrepräsentanten. Dort sitzt kein Spielervertreter, dort sitzt kein Vertreter des Frauenfußballs oder eines Clubs oder auch Schiedsrichter. Ich sage, die Fußballwelt besteht ja aus verschiedenen Mitgliedern und in dieser Fußballfamilie muss dem Rechnung getragen werden, alleine aus demokratischen Gründen schon, und das ist das, was wir einfordern. Also ich fordere nicht mehr Rechte für die Clubs, sondern ich fordere ganz einfach eine Demokratisierung der gesamten Fußballfamilie, dass alle, die dort ihren Platz haben oder zu dem Spiel beitragen, am Ende des Tages auch bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielen müssen.

    Khalil: Aber woher kommt geschichtlich, historisch diese Diskrepanz? Wir haben Vereine, weltweit, hier in Deutschland, die professionell sind, die so viel Geld generieren, Marketing, die Vorreiter sind für alle anderen Sportarten, und auf der anderen Seite auf Verbandsebene, auf Weltverbandsebene und Sie haben es gerade auch gesagt, teilweise ja auch im Regelwerk dann teilweise wirklich, ich nenne es jetzt einfach mal, amateurhaftes skurriles Verhalten. Woher kommt diese Diskrepanz?

    Rummenigge: Sie haben das eben eigentlich schon richtig gesagt: historisch gesehen. Das ist historisch entstanden. Irgendwann hat man eben so ein Gremium installiert und was weiß ich, wahrscheinlich hat man eben vier Briten - das sind ja immerhin 50 Prozent der Mitglieder dieses Boards -, hat man eben vier Briten bestimmt, weil damals das Mutterland des Fußballs offensichtlich politisch sehr stark war, und dann hat man das eben jahrzehntelang weiter so geführt, und vielleicht ist jetzt eben ein guter Zeitpunkt, weil ich den Eindruck habe, die Welt ist in so einem Demokratisierungsprozess, wenn ich so an die nordafrikanischen Staaten da verweisen darf, die ja auch da eben ausgebrochen sind aus ihrer starren Diktatur und eben auch Demokratisierungsprozesse eingeleitet haben. Es ist, ich glaube, ein guter Moment, auch im Fußball eben Demokratie und Reformen nicht nur zu fordern, sondern auch einzuführen.

    Khalil: In diesem Demokratisierungsprozess wurden viele Diktatoren auch ausgetauscht. Uli Hoeneß hat, glaube ich, auch diesen Vergleich mit Sepp Blatter angestrengt. Das heißt ja, wenn das so weiterläuft, dann ist der Fußball bald ohne Sepp Blatter?

    Rummenigge: Das würde ich nicht unbedingt sagen. Bei dem Gespräch hat er mir eigentlich den Eindruck vermittelt, dass er sehr daran interessiert ist, sein ohne Frage nicht sehr gutes Image dahingehend zu verändern, dass er nicht durch den Hinterausgang, sondern durch den Vorderausgang am Ende des Tages seine Amtszeit die Tür verlassen kann der FIFA.

    Küpper: Jetzt hört man von den anderen Clubs in Deutschland relativ wenig Themen, die gesetzt werden. Ist der FC Bayern ein Nörgelclub, oder ganz im Gegenteil: sagt der FC Bayern, wir sind der Marktführer in Deutschland, wir müssen vorangehen, wir können uns das leisten'

    Rummenigge: Ja es fällt schon auf, dass wir ziemlich da alleine im Regen stehen, wenn der Regen manchmal da runterprasselt, und Uli Hoeneß ist ein Mensch, den ich als sehr demokratisch bezeichnen würde und der sehr fair ist, und wenn ihm irgendwas auffällt, was einfach nicht akzeptabel ist, dann tut er das auch kund. Und ich habe manchmal den Eindruck, die anderen haben entweder keinen Mut, oder sie wollen einfach ihre Ruhe haben. Wir sagen immer, wer wegschaut, macht sich auch mit schuldig am Ende des Tages, und wir sind nicht mehr bereit wegzuschauen.

    Küpper: Eines der wichtigsten Themen in dieser Zeit ist das Financial Fairplay der UEFA. Wie viel Karl-Heinz Rummenigge steckt da drin'

    Rummenigge: Grundsätzlich muss ich sagen, es war die Grundidee von Michel Platini, als er damals Präsident der UEFA wurde, ein Financial Fairplay-System einzuführen, weil in diesem Wort Financial Fairplay steckt ja eigentlich schon die Wahrheit. Es scheint ja offensichtlich im Moment ein Financial Unfairplay zu geben. Und es ist völlig klar: wir hatten oder wir haben eine Welt, in der ja Araber, russen, Italiener eine dramatische Rolle spielen, da sie qua ihrem Reichtum Transfer machen und dementsprechend natürlich auch die Qualität ihrer Mannschaft aufmergeln können, und ich glaube, das kann nicht der Weg der Zukunft sein. Weil man darf ja eins nicht vergessen: Wenn ein Manchester City, wenn ein Chelsea oder wie sie alle heißen, oder Inter Mailand, AC Mailand, große Transfer machen, die sehr stolze Summen kosten, schlägt das ja am Ende des Tages in der Kette bis in die zweite Liga in Deutschland durch. Also es wird damit alles teurer: die Transfersummen, die Gehälter et cetera. Und das hat am Ende des Tages dazu geführt, dass die UEFA eine Analyse gemacht hat, bei der sie festgestellt hat, dass über 60 Prozent aller Proficlubs in Europa Verluste machen.

    Khalil: Die Grundidee von Financial Fairplay ist ja, dass große Mäzen, große Investoren, seien es Scheiche, Oligarchen, nicht mehr den Verlust des Vereins ausgleichen können und somit teure Transfers finanzieren können. Jetzt kommt in dieser Woche mit Manchester City, ihr Champions-League-Gegner, ein Verein, der dies eigentlich im Grunde genommen immer noch praktiziert, vielleicht ein wenig über die Hintertür, und das als Sponsoring dann verschleiert. Sie haben gesagt, das ist die Nagelprobe für dieses neue System, für Financial Fairplay, dass man das kontrolliert und eben auch ahndet. Wie zuversichtlich sind Sie, dass so was geahndet wird?

    Rummenigge: Der Scheich, dem dieser Club ja gehört, hat Michel Platini in der Hand versprochen, er wird dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Wir sind jetzt - das muss man vielleicht auch noch sagen - in einer Testphase. In dieser Testphase müssen sich die Clubs ja umstellen auch, ganz speziell die Clubs, die vorher eben hohe Verluste jedes Jahr bewerkstelligt haben. Und es gibt Kandidaten, da hat man den Eindruck, die sind bereit. Zum Beispiel Inter Mailand, AC Mailand hält sich sehr zurück, was das Geldausgeben betrifft. Da, kann ich mir vorstellen, sind die auf einem guten Weg, diese Kriterien zu erfüllen. Bei anderen Clubs fehlt mir etwas der Glaube.

    Küpper: Wird der FC Bayern dann international, also in Europa, konkurrenzfähiger, wenn die UEFA das dann wirklich mal durchsetzt, oder muss man da auch beim Thema Fernsehgelder ein bisschen was ändern? Wir haben jetzt gerade gehört, die Italiener haben einen neuen Deal, der weit über dem doppelten liegt von dem, was in Deutschland ist. Ich glaube, in Deutschland sind es ein bisschen über 400 Millionen, in Italien sind es jetzt fast 900 Millionen. Da sind Sie, glaube ich, einer der Forderer dessen, dass sich gerade beim Thema Fernsehgeld was ändern muss.

    Rummenigge: Ja es muss sich dramatisch was ändern. Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen beziehungsweise auch - wir sind ja jetzt, die Bundesliga ist ja im UEFA-Ranking die Nummer drei, hat die Italiener gerade überholt - wenn wir auf Sicht zumindest dritter bleiben wollen, weil das ja auch gleichbedeutend ist mit einem Starterplatz mehr in der Champions League, dann muss hier mehr Geld fließen, weil wir kriegen im Moment 420 Millionen für zwei Ligen. Italien kriegt im Moment, hat gerade die Milliardenhürde gebrochen. Ein Land, das in der Eurozone total am Arsch ist, das von der Wirtschaftskraft her überhaupt keinem Vergleich mit Deutschland standhält, das von der Population her viel kleiner ist, kriegt dreimal so viel wie Deutschland. Das muss mir einer irgendwie verständlich erklären, weil bisher habe ich es noch nicht ganz verstanden. Also wir werden uns da mächtig steigern müssen, um am Ende des Tages auch wettbewerbsfähig bleiben zu können.

    Khalil: Ist das auch gleichbedeutend, dass man dem Fußballfan sagen muss, dass dann die Sportschau im Grunde genommen nicht mehr realistisch ist, sprich FreeTV 18 Uhr?

    Rummenigge: Ich meine, ich bin ein bisschen da in meinem Herzen zwiespältig, weil ich bin auch irgendwo ein Nostalgiker und habe als Kind, oder seitdem ich Kind bin, diese Sportschau immer genossen auch, muss ich sagen. Ich glaube nur, was uns einfach nicht gelungen ist, ist das PayTV zu etablieren, ohne am Ende des Tages das FreeTV abzuschaffen. Also grundsätzlich bin ich kein Freund davon, erst mal die Sportschau abzuschaffen, nicht jetzt aus populistischen Gründen, sondern einfach, weil ich der Meinung bin, das ist gelebte Tradition, auch gelebte Historie in unserem Land. Das als Fakt eins.

    Und zweitens bin ich überhaupt kein Freund davon, dass man versucht, den Fan praktisch zu erpressen, indem er sich genötigt sehen würde, ein PayTV-Abonnement zu kaufen, weil er dann eben die Highlights erst nach 20 Uhr sehen kann. Das hatten wir ja schon mal vor ich weiß jetzt nicht, wie lange das her ist, ist ja einige Jahre her, mit Sat1, die das gemacht haben, mit dem bekannten Ergebnis, dass es sehr schnell auch wieder eingestellt wurde, und ich glaube, aus Erfahrung sollte man auch lernen. Ich glaube, man muss den Fan oder den Fußballinteressierten überzeugen, dass PayTV etwas Wunderbares ist, ein wunderbares Programm, das am Ende des Tages auch durchaus harmonisch mit dem FreeTV, also mit der Sportschau, zusammenleben kann.

    Khalil: Und dann halten Sie es für realistisch, in ähnliche Größenordnungen wie beispielsweise Italien oder vielleicht sogar England vorzustoßen an den TV-Geldererlösen für die Vereine?

    Rummenigge: Ja wir müssen natürlich, man darf nicht naiv sein, die PayTV-Kanäle müssen am Ende des Tages natürlich auch Geld verdienen, und wenn sie Geld verdienen, haben sie natürlich eine relativ hohe Abhängigkeit vom Fußball, weil der Fußball ja ihr wichtigstes und exklusivstes Gut ist. Da muss der Fußball auch besser werden, ganz einfach, dass er da auch diese PayTV-Kanäle unterstützt, dass mehr Abos am Ende des Tages generiert werden.

    Khalil: Aber besser werden nicht in der Form von weiteren Zerstückelungen des Spieltages, oder wie haben Sie das gedacht?

    Rummenigge: Ich glaube nicht, dass es ein Kriterium ist, das man wie in Spanien oder England um die Mittagszeit spielt. Das mag zwar für den asiatischen Markt dann sehr attraktiv sein, aber ich glaube nicht für den Deutschen, dass er deshalb sein Mittagessen um 11 Uhr schon beginnen muss, oder erst um 14 Uhr, weil das Spiel in der Zwischenzeit läuft.

    Küpper: Herr Rummenigge, ich nehme an, dass Sie am 19. Mai 2012 um 20:45 Uhr schon was Konkretes vor haben. Was glauben Sie, wen werden Sie da sehen?

    Rummenigge: Was ist das für ein Datum? Das weiß ich jetzt nicht. So weit denke ich in die Zukunft noch nicht.

    Küpper: Champions-League-Finale im eigenen Stadion in München.

    Rummenigge: Ja ich werde auf jeden Fall da sein, weil wir ja Gastgeber sind. Wir haben glücklicherweise diesen Zuschlag vor ein paar Jahren bekommen, darüber sind wir sehr stolz. Ich weiß auch, dass das ein großer Traum für unsere Fans ist, oder wahrscheinlich für viele Fußballfans in unserem Lande. Aber ich weiß auch, dass das eine lange Etappe und ein langer Weg sein wird bis dahin, und ob wir am Ende des Tages das große Glück haben, mit unserer Mannschaft da auf dem Platz zu stehen, das möchte ich und kann ich heute gar nicht beantworten.

    Das Gespräch führten Moritz Küpper und Taufig Khalil.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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