Donnerstag, 28. März 2024

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"Wir brauchen eine euroatlantische Sicherheitsgemeinschaft"

Wolfgang Ischinger warnt vor einem Flächenbrand im Syrienkonflikt. Der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz fordert die USA und Russland in der Syrienfrage zum Dialog auf, um die Blockade im UNO-Sicherheitsrat zu überwinden.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 01.02.2013
    Christoph Heinemann: Bisher galt für die Energieversorgung ex oriente lux, die Energie kam aus dem Osten, aus Russland oder vom Golf. Der kommende Energieproduzent könnten die Vereinigten Staaten von Amerika werden, die auf gewaltigen Gas- und Ölvorkommen sitzen, die sie inzwischen auch fördern können mit der von Umweltschützern kritisierten Methode des Frackings. Die US-Regierung beziffert allein die Ölvorkommen im Bundesstaat Utah auf 1,5 Billionen Barrel. Das ist, wie der "Spiegel" in dieser Woche schreibt, so viel wie die gesamten bislang nachgewiesenen Ölreserven der Welt. Schön für die USA, einige werden allerdings in die Röhre schauen, und dieses Auf und Ab nennt man Geopolitik oder Geostrategie, und um beides wird es auch bei der Sicherheitskonferenz gehen, die heute in München eröffnet wird.
    Wolfgang Ischinger ist ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt, deutscher Botschafter in den USA, er leitet die Sicherheitskonferenz. Guten Morgen!

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen nach Köln.

    Heinemann: Herr Ischinger, steht geostrategisch eine Revolution vor der Tür?

    Ischinger: Revolution ist ja ein großes Wort. Aber große Veränderungen sehe ich in der Tat durch diese zunehmende amerikanische Unabhängigkeit im Bereich von Gas und Öl. Das hat Auswirkungen auf die amerikanische Wettbewerbssituation. Wettbewerb ist ja das neue große Schlagwort auch für uns hier in Europa. Das hat Auswirkungen auf die amerikanische Notwendigkeit, sich um Stabilität und Sicherheit am Golf, am Persischen Golf täglich zu kümmern. Und das hat vermutlich auch Auswirkungen auf den Öl- und Gaspreis. Der wird möglicherweise sinken, jedenfalls nicht mehr weiter ansteigen. Das wird beispielsweise in Moskau keine Freude auslösen, denn die ganze russische Wirtschaft, der russische Wohlstand hängt ganz entscheidend von dem hohen Energiepreis ab. Wenn der sinkt, sinkt auch die russische Zukunftsaussicht.

    Heinemann: Nehmen wir uns einen Punkt heraus. Könnten die USA das Interesse an der Golf-Region verlieren?

    Ischinger: Also sie werden es sicherlich nicht ganz verlieren. Wie gesagt, alles mit Maßen. Natürlich werden die USA sich nicht aus dieser Region völlig zurückziehen. Aber wie gesagt, in der Prioritätenliste der amerikanischen strategischen Notwendigkeiten wird diese Region, will ich mal sagen, ein, zwei Klicks nach unten gehen. Deswegen werden andere gefragt sein, sich etwas stärker engagieren zu müssen, und damit landet die Frage auch direkt vor der Haustür Europas.

    Heinemann: Und vielleicht auch Chinas! Die Abhängigkeit vom Golf-Öl wird da ja auch zunehmen. Wird die chinesische Wirtschaft verwundbar, wenn die Amerikaner zwei Klicks runtergehen?

    Ischinger: Es würde mich nicht wundern, wenn in den nächsten Jahren China irgendwann auch mit seiner Flagge, also strategisch, militärisch, sich engagiert – nicht nur, um die See- und Zugangswege durch den Indischen Ozean und so weiter noch stärker zu sichern, sondern auch, um sicher zu sein, dass es die richtigen Beziehungen und dass es die nötige Stabilität in dieser Region gibt. Das ist in der Tat für China möglicherweise in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch wichtiger, als es in den letzten 50 Jahren für die USA war.

    Heinemann: Und Sie hatten Europa angesprochen. Mit welchen Folgen rechnen Sie?

    Ischinger: Ich denke, das gehört in die Liste, die sozusagen jedes Jahr länger wird, von Themen, bei denen wir nicht mehr davon ausgehen können, dass wir quasi als Trittbrettfahrer der USA immer jemanden haben, der sich um unsere Interessen kümmert. Die USA sagen ja jetzt schon und werden uns immer stärker zurufen, engagiert euch selber stärker, kümmert euch mal selbst darum, wir helfen dann, wenn es gar nicht anders geht. Das haben wir in Libyen erlebt, das erleben wir jetzt in diesen Tagen in Mali und ich denke, das wird auch ein Rezept sein können für die künftige Gestaltung der relativen Einflusssphären am Persischen Golf.

    Heinemann: Konkret: In der Straße von Hormus werden künftig europäische Flugzeugträger – die wenigen, die es gibt – herumfahren?

    Ischinger: Na ja, die wenigen, die es gibt, die reichen sicherlich nicht aus, um hier einen entscheidenden Einfluss zu haben. Aber dass wir dort in der Region mehr gefordert sein werden, dass wir mehr Präsenz als Europäer zeigen müssen, ich glaube, das ist in der Tat richtig.

    Heinemann: Herr Ischinger, wird Russland erpressbar - Sie haben es eben angedeutet -, wenn die Amerikaner sagen, wir können ja in Zukunft den Markt mit Gas fluten?

    Ischinger: Wie gesagt, ich denke, wir sollten es nicht übertreiben. Ich habe, weil Sie natürlich eine richtige Frage stellen, nach München den russischen Energieminister genauso wie den für diese energiepolitischen Fragen zuständigen Fachmann aus der amerikanischen Regierung gemeinsam mit einigen Unternehmerpersönlichkeiten eingeladen, weil wir genau über diese Frage diskutieren wollen: Ist das wirklich eine realistische Annahme, dass der Ölpreis so dramatisch sinken könnte durch diese amerikanische Unabhängigkeitsentwicklung, dass das, sagen wir mal, fast dramatische Auswirkungen haben könnte. Ich persönlich kann das nicht beurteilen, aber ich bin sehr gespannt auf die Debatte schon heute Nachmittag in München genau über dieses Thema.

    Heinemann: Schön wär’s, wenn dann die sinkenden Preise irgendwann auch beim Verbraucher mal ankämen. – Herr Ischinger, wir wollen noch sprechen über den möglicherweise, nicht bestätigten, auch nicht dementierten israelischen Luftschlag in Syrien. Die syrische Regierung hat Vergeltung angekündigt, der Iran schreit Zeter und Mordio. Hat der Konflikt damit jetzt eine neue Qualität bekommen?

    Ischinger: Es ist das eingetreten, Herr Heinemann, was viele seit Langem prophezeien oder befürchten, nämlich dass aus einem anscheinend auf Syrien beschränkten bürgerkriegsartigen Vorgang plötzlich ein regionaler Brand entstehen könnte. Diese Gefahr gibt es seit längerem. Sie ist durch diesen Vorgang der letzten Tage dramatisch sichtbar geworden. Umso größer ist die Notwendigkeit, dass man sich jetzt – und damit komme ich wieder auf unser Geschehen in München zurück – einigt, endlich auf ein gemeinsames Vorgehen. Wir brauchen eine Verständigung zwischen Washington und Moskau, auf die wir seit Langem, seit über einem Jahr warten. Im letzten Jahr gab es in München, wie Rolf Clement vorhin schon sagte, intensivste Debatten ohne jedes tragfähige Ergebnis. Jetzt ist die Lage ja etwas anders. Russland hat sich ein bisschen zu distanzieren begonnen von dem Assad-Regime. Präsident Obama hat eine neu gewonnene Handlungsfreiheit. Vielleicht wird das Gespräch zwischen Joe Biden und Außenminister Lawrow an diesem Wochenende in München Ansätze erbringen, die es dann doch ermöglichen könnten, die Blockade im Sicherheitsrat zu überwinden und endlich gemeinsam dieses schreckliche Problem in Syrien zu lösen.

    Heinemann: Ohne Vertrauensbildung im Streit um die Raketenabwehr – das haben Sie gestern in der "Süddeutschen Zeitung" geschrieben – wird das nicht klappen. Welche Stolpersteine müssen da noch aus dem Weg geräumt werden?

    Ischinger: Es ist leider so, dass bei Lichte betrachtet die Beziehungen zwischen den USA und Russland, die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland, obwohl wir uns seit 20 Jahren gegenseitig zurufen, dass wir uns nicht mehr als Gegner betrachten, diese Beziehungen werden immer noch durch militärische Kategorien und durch ein großes, tief sitzendes Misstrauen geprägt. Noch immer haben wir in Washington und haben wir in Moskau eine Unzahl von interkontinentalstrategischen Nuklearwaffen, taktische Nuklearwaffen sind in Europa gelagert. Wir haben die Restbestände des Kalten Krieges immer noch nicht überwunden. Und das schlimmste ist: Wir haben sie noch nicht aus den Köpfen vertrieben. Das Grundvertrauen zwischen beiden Seiten, um zu verhindern, dass man immer nur ein Nullsummenspiel befürchtet, also die Herstellung einer Win-Win-Situation, das ist immer noch nicht richtig gelungen. Das ist einer der Gründe, warum wir solche Projekte, gemeinsame Projekte wie ein gemeinsames Raketenabwehrsystem brauchen. Wir brauchen eine euroatlantische Sicherheitsgemeinschaft, die Russland einbezieht und nicht Russland die Tür zuschlägt. Allerdings, ich gebe zu: Russland muss auch bereit sein, durch diese Tür durchzugehen. Darüber ist zu reden.

    Heinemann: Für Iran und andere Themen. – Joe Biden, der US-Vizepräsident, sagt jetzt, das Fenster der Diplomatie, mit Blick auf Iran, sei noch offen, aber das wäre wohl ewig nicht mehr der Fall. Mit welcher Iran-Politik der zweiten Obama-Regierung rechnen Sie?

    Ischinger: Was bisher nicht stattgefunden hat in all diesen Jahren der zunächst Versuche der drei Europäer einschließlich Deutschlands, dann des Drei-plus-Drei-Prozesses, sind tatsächliche ernsthafte Gespräche zwischen Washington und Teheran. Die fehlen bisher in dem Szenario der Sondierungen und Verhandlungen. Ich würde mir persönlich wünschen, dass es jetzt – und dazu hat es ja auch entsprechende Töne der Bereitschaft aus USA gegeben, auch jetzt durch Vizepräsident Biden -, ich würde mir wünschen, dass es zu einem richtigen amerikanisch-iranischen Gespräch kommt. Denn die Eckdaten einer Lösung, um Vertrauen in die angeblich ja nur zivile iranische Nuklearindustrie wiederherzustellen, die Eckdaten sind bekannt. Es muss aber auf beiden Seiten etwas nachgegeben werden. Beide Seiten wollen ihr Gesicht wahren können. Dazu bedarf es des Gesprächs zwischen Washington und Teheran.

    Heinemann: Und vielleicht wird das ja in München angebahnt, dieses Gespräch. Wir sind gespannt. – Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Ischinger: Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.