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"Wir brauchen eine Finanztransaktionssteuer"

Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament, hat von den Staats- und Regierungschefs der EU die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und einer Bankenabgabe gefordert. Die 27 EU-Staaten seien volkswirtschaftlich stark genug, um dabei auch im Alleingang mit gutem Beispiel voranzugehen.

Martin Schulz im Gespräch mit Jochen Spengler | 17.06.2010
    Jochen Spengler: EU-Gipfel heute in Brüssel - ein Treffen, in dessen Mittelpunkt die Finanz- und Schuldenkrise steht. Es geht um strengere Regeln für die Eurozone und um die Vorbereitung auf das Treffen der weltweit wichtigsten Staaten der G20 Ende Juni in Toronto. Dort soll dann eine bessere Kontrolle der internationalen Finanzmärkte beschlossen werden.

    Am Telefon um 7:19 Uhr Martin Schulz, der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Schulz.

    Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Vorgestern gab es wie angesprochen seltene Einigkeit im EU-Parlament. Konservative, Christdemokraten, Liberale, Grüne und Sozialisten fordern gemeinsam eine echte mutige Wirtschaftsregierung für Europa. Warum?

    Schulz: Weil wir eine handlungsfähige Institution in Europa haben, die Kommission, die in der Lage ist, das, was in den EU-Verträgen, also im Lissabon-Vertrag, niedergelegt ist, auch durchzusetzen, wenn die Regierungen ihr erlauben, die Maßnahmen durchzusetzen. Übrigens: Die gleichen Regierungen, die diese Maßnahmen fordern, verhindern von Zeit zu Zeit sehr drastisch, dass die Kommission die selbst beschlossenen Aufgaben erfüllen kann.

    Spengler: Was genau verhindern die denn?

    Schulz: Ich gebe Ihnen mal ein praktisches Beispiel. Als im Jahr 2004 und 2005 Eurostat, also die Statistikbehörde der EU, angemahnt hat, dass die Zahlen aus Griechenland falsch seien - ich sage die Jahreszahlen noch mal: 2004 und 2005 -, haben die Kommissionsbeamten bereits gesagt: Die Griechen liefern falsche Zahlen, wir müssen da stärkere Instrumente zur Kontrolle haben. Da haben die beiden größten Mitgliedsländer der EU, Deutschland und Frankreich, in fröhlicher Eintracht gesagt, kommt überhaupt nicht infrage, hinterher kontrolliert ihr uns noch und das wollen wir nicht. Als wenn man, statt immer große neue Institutionen erfinden zu wollen, sagt, die Kommission soll ihre Aufgaben erfüllen, oder wenn man verschärfte Kontrollmechanismen will, sie durch die Kommission durchsetzen zu lassen, dann wäre das ein kluger Schritt.

    Spengler: Nun haben Angela Merkel und Nikolas Sarkozy am Montag betont, es gibt doch bereits die Wirtschaftsregierung der 27 EU-Staats- und -Regierungschefs. Demnach hätten wir ja heute auf dem Gipfel es mit einer Regierungssitzung zu tun. Was wollen Sie denn dann noch?

    Schulz: Das ist ja ein kaum noch nachzuvollziehender Vorgang. Europa wird nicht von 27 Staats- und Regierungschefs regiert, die alle drei Monate in Brüssel zusammenkommen und übrigens zur Einstimmigkeit verpflichtet sind. Die können nämlich nicht per Mehrheit entscheiden, die müssen sich einigen, einstimmig. So kann man Europa nicht regieren, das ist ein Witz. Und im Übrigen: Wir sind ja kein permanenter Wiener Kongress, wo die Mächtigen Europas mal alle drei Monate zusammenkommen, hinter verschlossenen Türen tagen und ihren erstaunten Untertanen anschließend mitteilen, worüber sie sich nicht geeinigt haben. Das ist ja eine Vorstellung aus dem 19. oder noch vorherigen Jahrhundert. Was man in Europa braucht, ist erstens: kein Einstimmigkeitsprinzip, sondern Durchsetzung von notwendigen Strategien, zweitens das vor einer demokratisch legitimierten Instanz, das heißt den nationalen Parlamenten und dem Europaparlament. Also diese Vorstellung einer Direktorialregierung Europas - übrigens dann unter deutsch-französischer Führung -, dem sich alle 25 anderen anzuschließen haben, das wird nicht laufen. Und das Schlimme daran ist: diese Debatten werden geführt in einer Zeit, wo wir eigentlich über anderes reden müssten, nämlich über die Finanztransaktionssteuer oder über eine europäische Ratingagentur oder über die Kontrolle der Finanzmärkte durch das Verbot bestimmter Spekulationsarten. Also das ärgert einen schon, dass die da über Institutionen reden in einem Moment, wo die Hütte brennt.

    Spengler: Haben Sie denn als Deutscher gar keine Angst, dass die Kommission, wenn sie denn dann die Regierung der Staaten wäre, von Deutschland als stärkstem Land überdurchschnittlich hohe Beiträge fordern würde oder gar verlangen würde, die Exporte zurückzufahren - diese Forderung gab es ja zum Beispiel aus Frankreich - und die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verschlechtern?

    Schulz: Das kann die Kommission ja nicht fordern, sondern das ist ja etwas, was zwischen den Staaten vereinbart werden müsste. Die Kommission soll stärkere Kontrollrechte bekommen und die Bundesrepublik muss akzeptieren, wenn sie nicht auf Dauer ständig so argumentiert, wir wollen, dass stärker kontrolliert wird, damit Griechenland zum Beispiel keine Regierung hat, die die Bilanzen fälschen kann. Das finde ich absolut richtig. Die Bundesrepublik trägt das größte Risiko, dass wir Deutschen dann sagen, nein, Moment mal, dann wollen wir auch wissen, wie da gewirtschaftet wird, das ist richtig. Man kann nur nicht in einer Gemeinschaft von Staaten hingehen und sagen, alle müssen kontrolliert werden, nur wir dürfen nicht kontrolliert werden. Das werden die anderen nicht mitmachen. Das heißt, dann muss sich auch Deutschland bestimmten internationalen Standards im Fall der Fälle unterwerfen. Das ist die Logik dieser Angelegenheit.

    Und was die Wirtschaftspolitik angeht: Ich finde es sehr richtig, die Bundesrepublik ist eines der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt, hat daran viel getan in den letzten Jahren. Da sind übrigens Regierungen in Deutschland für abgewählt worden, die für diese Wettbewerbsfähigkeit gekämpft haben. Aber gut, das ist so. Andere Staaten haben das nicht gemacht, aber wir Deutschen leben vom Export und der größte Teil unseres Exports geht in die Staaten der EU. Wenn die Staaten der EU ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessern, wenn die ihre wirtschaftspolitische Entwicklung nicht verbessern, leidet auf Dauer darunter auch der deutsche Export. Das heißt, ein Aufmöbeln der Eurozone, ein Aufwerten der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der EU-Staaten ist im besten deutschen Interesse.

    Spengler: Wir sprechen mit Martin Schulz, dem Sozialistenchef im Europaparlament. - Herr Schulz, Sie werden nicht erwarten, dass die Regierungschefs heute ihrer eigenen Entmachtung zugunsten der Kommission zustimmen werden. Wann wäre denn aus Ihrer Sicht der EU-Gipfel dennoch ein Erfolg?

    Schulz: Wenn er sich mit Inhalten befasst. Wir haben Institutionen, die Institutionen sind in ausreichendem Maße ausgestattet mit Beamten und mit Regeln, die könnten sofort arbeiten. Deshalb soll sich der Rat konzentrieren auf Maßnahmen. Erstens: Wir brauchen eine Finanztransaktionssteuer. Der wirtschaftliche Sektor, der am meisten zur Krise beigetragen hat, die Finanzindustrie, muss zur Lösung der Krise herangezogen werden. Es kann doch nicht sein, dass immer nur die kleinen Steuerzahler die Risiken eingehen müssen. Die, die am meisten verdienen, nämlich die Zocker und die großen Spekulanten und die großen Banken, die sollen endlich an der Krise beteiligt werden.

    Spengler: Herr Schulz, wenn Sie zweitens sagen. Da heißt es, man hört aus Brüssel, aus Straßburg, es gibt in Europa keine Mehrheit für eine Finanztransaktionssteuer.

    Schulz: Das wage ich zu bezweifeln. Nein, nein, die Europäer sind da schon für. Es wird ja anders argumentiert. Die werden ja sagen, ja, wir Europäer sind uns ja eigentlich einig, aber es hat ja keinen Zweck, wenn wir das im Rahmen der G20-Staaten nicht durchsetzen können, was ja bedeutet, wenn Australien nicht mitmacht, wenn Kanada nicht mitmacht, wenn die USA nicht mitmacht, dann erheben wir keine Finanztransaktionssteuer. Da bin ich anderer Meinung. Wenn die nicht mitmachen, können wir sie im Euroraum, in der EU bereits erheben. Wenn wir anfangen, bin ich ziemlich sicher, dass der Druck auf Obama und andere wachsen wird, dass das dort auch geschieht, denn auch der amerikanische Staat ist enorme Risiken zur Rettung seines Bankensektors eingegangen. Die Forderung wird auch dort kommen. Insofern sollten wir Europäer mit gutem Beispiel vorangehen.

    Dass ungedeckte Leerverkäufe verboten werden, dass der Handel mit Kreditausfallversicherungen verboten wird - in meinen Augen übrigens eine ganz unmoralische Sache -, das sind Maßnahmen, die man jetzt beschließen kann. Wir stehen im Europaparlament bereit, wir stehen sofort bereit, in schnellsten Verfahren die notwendigen Gesetze dafür durchzudrücken. Es haben vier große Fraktionen, die sich ansonsten im Europaparlament ja doch sehr skeptisch gegenüberstehen, die Grünen, wir als Sozialisten, die Liberalen und die Christdemokraten - Sie haben das ja in Ihrer Anmoderation erwähnt -, wir haben uns deshalb zusammengeschlossen, um zu sagen, über alle inhaltlichen Differenzen hinweg sind wir bereit, in schnellsten Verfahren für die Regelungen an den Finanzmärkten zu sorgen. Ich hoffe, die Staats- und Regierungschefs wollen das ihrerseits auch. Denn von einem haben die Leute in Europa die Nase voll: dass es da in Brüssel alle drei Monate große Lippenbekenntnisse gibt und anschließend nichts läuft.

    Spengler: Was genau glauben Sie denn, Ende des Monats in Toronto beschließen zu können, oder was beschlossen werden kann, was man den Amerikanern und den Kanadiern zumuten kann?

    Schulz: Ich glaube, die Grundvoraussetzung ist, dass man überhaupt erst mal etwas beschließt, um damit nach Toronto zu gehen. Ich wiederhole noch mal, Herr Spengler: wenn wir jetzt die Finanztransaktionssteuer in Europa erheben und beschließen und wir gehen damit nach Toronto und sagen, wir machen das in Europa, dann will ich erst mal sehen, wie sich eine amerikanische Regierung dem entziehen kann. Ich glaube, das kann sie nicht. Das Argument, die machen ja eh nicht mit, deshalb machen wir es nicht, heißt im Klartext: Es gibt keine Finanztransaktionssteuer und die Zocker können weiter unbesteuert ihre Riesengewinne einstreichen. Das darf ja wohl nicht wahr sein! Wenn die nicht mitmachen, machen wir es in Europa. Europa ist als 27er-Block, die EU, volkswirtschaftlich größer als die Vereinigten Staaten von Amerika. Da kann man ja schon mal da anfangen. Insofern ist dieses Argument nicht stichhaltig und ist am Ende eine Kapitulationserklärung gegenüber den Spekulanten, die ja - sehen Sie das Beispiel Spanien - nicht aufhören, gegen den Euro und sein Auseinanderbrechen zu wetten. Ich finde, man muss diesen Leuten entgegenhalten, so wie das beim Rettungsschirm geschehen ist, wir sind bereit, wenn ihr an unser Leder wollt, dann seid vorsichtig, wir sind bereit zu kämpfen und unsere wirtschaftlichen Interessen gegen diesen Kasino-Kapitalismus zu verteidigen.

    Spengler: ..., sagt Martin Schulz, der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament. Danke, Herr Schulz, für das Gespräch.

    Schulz: Danke Ihnen, Herr Spengler.