Donnerstag, 28. März 2024

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"Wir brauchen endlich eine Absicherung nach unten"

Mit dem Mindestlohn müsse ein Signal gegen Hunger- und Niedriglöhne gesetzt werden, sagt Franz-Josef Möllenberg. Der Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten fordert von der Großen Koalition auch Regelungen zur Leiharbeit, Werkverträgen und die Überprüfung von befristeten Arbeitsverhältnissen.

Franz-Josef Möllenberg im Gespräch mit Dirk Müller | 11.11.2013
    Dirk Müller: Was heißt hier "lange dauert das Ganze"? Das ist eben so, tönt es aus den Kreisen der Verhandlungspartner in Berlin. Konzentration und taktisches Geschick, das wird heute verlangt von Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel, wenn die große Runde erste Entscheidungen treffen will in der Energiepolitik, bei den Strompreisen beispielsweise, bei den Mietpreisen. Vielleicht gelingt das ja auch den drei Parteichefs. Aber die großen Brocken, die sind immer noch auf der Strecke: wie viel Geld für Kinder, wie viel Geld für Bildung, was ist mit dem Mindestlohn, was ist mit Steuererhöhungen?

    Ganz gleich, welche großen Themen bleiben, einiges Sichtbares davon muss für die Sozialdemokraten dabei herausspringen, denn die SPD-Führung braucht die Zustimmung ihrer Mitglieder. – Franz-Josef Möllenberg ist nun am Telefon, der Noch-Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten (NGG). Guten Morgen!

    Franz-Josef Möllenberg: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Möllenberg, sind Sie in der SPD?

    Möllenberg: Ich bin SPD-Mitglied, ja.

    Müller: Dann stimmen Sie ja auch mit?

    Möllenberg: Ja, ich werde natürlich mitstimmen. Ich werde mir das Ergebnis, was bei den Koalitionsverhandlungen herauskommt, sehr genau ansehen. Wissen Sie, ich bin seit 1970 SPD-Mitglied und ich werde natürlich meine Stimme abgeben.

    Müller: Aber Sie wissen jetzt wirklich noch nicht, ob Sie ja oder nein votieren?

    Möllenberg: Nein, kann ich wirklich noch nicht sagen, wobei ich tendiere dahin, der SPD zu sagen, sie zu ermuntern, eine Große Koalition zu ermöglichen, weil wir brauchen eine Politik in diesem Land, eine handlungsfähige Politik, und wie soll das weitergehen, wenn die SPD nicht mit der CDU/CSU koaliert. Aber ich sage auch: nicht um jeden Preis.

    Müller: Sie sind aber niemand, der dann Sigmar Gabriel im Stich lassen würde?

    Möllenberg: Ich bin SPD-Mitglied und bleibe auch SPD-Mitglied.

    Müller: Die Frage war ja Sigmar Gabriel?

    Möllenberg: Sigmar Gabriel werde ich nicht im Regen stehen lassen.

    Müller: Das heißt, Sie stimmen dann doch vielleicht irgendwie zu, auch wenn es nicht ganz so klappt, wie Sie sich das vorstellen?

    Möllenberg: Herr Müller, es wird auf das Ergebnis ankommen und es geht um eine wirklich neue Ordnung der Arbeit, die wir brauchen, eine neue Ordnung des Arbeitsmarktes. Es fängt beim Mindestlohn an und geht bis hin über Regelung Leiharbeit, Regelung Werkverträge, sachgrundlose Befristungen müssen weg. Dafür gibt es keinen Sachgrund mehr. Das ganze Paket muss stimmen bis hin zur Rentenpolitik. Wir werden uns das, ich werde mir das sehr genau ansehen.

    Müller: Aber das ist ja fast noch mehr, als die SPD will?

    Möllenberg: Nein. Ich bin zunächst einmal Gewerkschafter und dann noch mal Gewerkschafter und noch mal Gewerkschafter, Einheitsgewerkschafter, und dann bin ich erst Parteimitglied. Aber letztendlich kommt es darauf an, wie der Inhalt aussieht und nicht die Verpackung.

    Müller: Herr Möllenberg, lassen Sie uns ein bisschen noch mal spekulieren. Wenn das mit dem Mindestlohn, mit dem gesetzlich fixierten, allgemein gültigen, flächendeckenden Mindestlohn nicht funktioniert, dann würden Sie mit Nein stimmen?

    Möllenberg: Dann würde ich mit Nein stimmen. Dann würde ich auch meine Kolleginnen und Kollegen in der Gewerkschaft NGG und darüber hinaus motivieren, sofern sie SPD-Mitglied sind, nicht dafür zu stimmen. Ich sage das auch warum: Die Menschen in Deutschland, unsere Gesellschaft brauchen einen Mindestlohn. Wir brauchen endlich die Absicherung nach unten. Wir brauchen einen Schutz vor Hungerlöhnen, vor Niedriglöhnen, und da muss jetzt endlich ein Signal gesetzt werden. Ich sage allerdings auch: Mein Eindruck ist, das hat Frau Merkel begriffen, das hat Frau von der Leyen begriffen. Die haben sich bisher hinter der FDP immer versteckt und jetzt können sie sich nicht mehr verstecken, und die SPD hat sich im Wahlkampf sehr eindeutig positioniert. Von daher wird es einen Mindestlohn geben.

    Müller: Sie haben ja häufig Kontakt zur SPD-Führung, auch zum Parteichef. Das heißt, die Signale, die von dort kommen, stimmen Sie optimistisch?

    Möllenberg: Nicht nur das. Auch das, was ich aus der CDU höre, stimmt mich optimistisch. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft war ja nun auch nicht gerade untätig, dafür bin ich dankbar, weil, es geht hier nicht um Parteipolitik. Es geht darum letztendlich, dass wir die Menschen schützen. Es macht keinen Sinn, Herr Müller, wenn wir Arbeits-, Geschäftsmodelle bezuschussen, finanzieren mit Steuergeldern, die letztendlich dazu führen, dass vernünftige, regulär bezahlte Beschäftigung vernichtet wird. Deshalb muss dieser Teufelskreis endlich durchbrochen werden.

    Müller: Reden wir, Herr Möllenberg, über das nächste Thema. Mindestlohn, das geht auf das Konto der SPD. Das haben auch alle Wähler und vor allem die vielen Nichtwähler der SPD begriffen. Ein zweites Thema war ja Steuererhöhungen. Auch das war ganz klar verbunden nicht nur mit den Grünen, auch mit den Sozialdemokraten. Gehen Sie jetzt in dieser Situation davon aus, dass diese Sache längst kassiert ist, keine Rede mehr von Steuererhöhungen?

    Möllenberg: Lassen wir es doch mal anders herum formulieren. Weshalb denn Steuererhöhungen? Wir brauchen endlich Geld, um Bildung zu finanzieren, die Infrastruktur in Deutschland, die Verkehrswege etc. wieder in Ordnung zu bringen. Mir wird von Fachleuten gesagt – ich bin kein Fachmann, was die Verkehrsinfrastruktur angeht -, mir wird gesagt, dass in absehbarer Zeit, wenn wir nichts tun, jede zweite Rheinbrücke von der Schweiz bis zur holländischen Grenze gesperrt werden muss, weil das also nicht mehr stimmt. Wenn ich mir die Sauerlandlinie als Beispiel ansehe, dann stimmt das alles nicht mehr. Dafür brauchen wir Geld, das muss finanziert werden, dafür brauchen wir Steuererhöhungen.

    Müller: Ist ja unstrittig bei allen. Aber woher nehmen? Von den Besserverdienenden?

    Möllenberg: Zum Beispiel. Wir erleben eine Polarisierung in der Gesellschaft nach wie vor. Es gibt nach wie vor eine offene Rechnung, die ich auch beklage. Vor vier Jahren hat die schwarz-gelbe Regierung mit dem sogenannten Wirtschaftswachstums-Beschleunigungsgesetz ein großes Steuergeschenk an das Beherbergungsgewerbe gegeben, eine Milliarde Euro jedes Jahr durch Absenkung des Mehrwertsteuersatzes. Das könnte man wieder zurückführen.

    Viele Kommunen haben ja den Weg beschritten und haben gesagt, wir nehmen eine Kulturabgabe. Von daher, ich sage mal: Der Ideenreichtum ist da. Man muss es nur machen und man muss den Mut haben, letztendlich auch Maßnahmen zu machen, Steuererhöhungen zu machen und letztendlich dann auch den Menschen zu erklären.

    Müller: Die Mehrwertsteuer, das hat Sie gestochen. Haben Sie noch eine Einstichwunde von der rot-grünen Minderung des Spitzensteuersatzes?

    Möllenberg: Nein. Ich bin sehr dafür, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, da mache ich keinen Hehl raus.

    Müller: Also Rot-Grün hat damals falsch gehandelt?

    Möllenberg: Natürlich haben die falsch gehandelt. Sie haben auch Fehler gemacht in ihrer rot-grünen Zeit von 1998 bis 2005, und zu den Fehlern gehört nicht nur die Steuerpolitik damals, sondern auch zum Beispiel diese Verniedlichung der sogenannten Minijobs, 400 Euro beziehungsweise 450 Euro. Da gibt es Handlungsbedarf, weil, man kann heute nicht Altersarmut beklagen, die kommt, wenn man nicht die Ursachen heute bekämpft.

    Müller: Und dann auch noch die Rente. Ich habe eben in der Anmoderation gesagt, Sie sind ein scheidender Vorsitzender nach vielen, vielen Jahren, nach über 20 Jahren, am längsten einer Gewerkschaft vorgestanden in den letzten Jahrzehnten. Jetzt sind Sie, wenn wir richtig gerechnet haben, 60 Jahre alt und jetzt hören Sie auf. Wollen Sie nicht bis 67?

    Möllenberg: Bis 67 auf keinen Fall. Ich bin gerne bereit, bis 65 zu arbeiten. Ich werde ja auch weiter arbeiten, aber nicht mehr in der Funktion als Vorsitzender. Ich habe noch ein paar Funktionen auf europäischer Ebene, auf internationaler Ebene und ich werde natürlich auch mich in meiner Organisation einmischen und weiter arbeiten.

    Aber man muss nicht immer in der ersten Reihe stehen. Das mag ungewöhnlich scheinen auf den ersten Blick, aber mir ist es doch lieber, ich sage meinen Kolleginnen und Kollegen – das habe ich vor acht Monaten getan - Leute, lasst uns hier jetzt einen Übergang gestalten, ich möchte lieber selber entscheiden, wann ich nicht mehr zur Verfügung stehe, als wenn mir in zwei oder fünf Jahren gesagt würde, es wird Zeit, dass er geht.

    Müller: Aber Sie bleiben Gewerkschaftsprofi?

    Möllenberg: Ja! Ich wechsele nicht. Wenn Sie das mit der Frage meinen, ich wechsele nicht in die Politik. Letzte Woche, als einer Ihrer Kollegen danach fragte, ob ich nicht in die Politik gehen wolle, da habe ich gesagt, nein, dazu bin ich zu sensibel, und das ist auch so.

    Müller: Manche gehen ja auch in die Wirtschaft.

    Möllenberg: In die Wirtschaft gehe ich nicht. Ich bin zwar der Wirtschaft verbunden, ich setze mich dafür ein, dass die Wirtschaft floriert. Ich sage allerdings auch, die Ökonomie muss stimmen, aber im Gleichklang gehört das Soziale dazu, natürlich auch das Ökologische. Nur dieser Dreiklang führt zu einer tatsächlichen Nachhaltigkeit. Aber ich wechsele nicht in die Wirtschaft.

    Müller: Ganz kurz noch eine Frage zum Schluss, weil wir über die Altersruhezeit beziehungsweise über die Rente gesprochen haben. Kriegen diejenigen, die das wollen, die 67 noch weg?

    Möllenberg: Ich habe das jetzt nicht verstanden, Herr Müller.

    Müller: Die Rente mit 67, Entschuldigung. Kriegen diejenigen, die das wollen, die nicht so lange arbeiten wollen, kriegen die das noch weg?

    Möllenberg: Ja ich gehe davon aus, dass wir das wegkriegen. Ich bin davon überzeugt, dass die Politik begreift, und insbesondere die Arbeitgeber werden begreifen müssen, die Menschen können nicht so lange arbeiten. Wer in einem Produktionsbetrieb beschäftigt ist, Umgebungseinflüssen ausgesetzt ist wie Wasser, Hitze, Lärm, Nässe, Kälte, Kunstlicht statt Tageslicht, der hält das einfach nicht aus. Wollen Sie demnächst eine Servicekraft im Gastgewerbe am Rollator sehen, die dann die Getränke und Essen mit dem Rollator durch die Gänge fährt? Nein, das funktioniert nicht!

    Müller: Franz-Josef Möllenberg bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk, Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten (NGG), Chef bis morgen Mittag ungefähr, habe ich gelesen. Ihnen alles Gute, danke für das Gespräch.

    Möllenberg: Ich danke auch! Tschüss, Herr Müller!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.