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"Wir brauchen noch viel mehr Pauschalen"

Der Koalitionsausschuss kommt heute zusammen und berät über Änderungen im Steuerrecht und über die Zuwanderung von Fachkräften. Christian Lindner verspricht den Steuerzahlern eine "Entlastung von ärgerlicher Bürokratie".

Christian Lindner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.12.2010
    Angela Merkel:

    "Wir sagen, dies ist der Herbst der Entscheidungen für wichtige Weichenstellungen in Deutschland für das neue Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020."

    Jasper Barenberg: Folgt nun auf den Herbst der Entscheidungen der Winter des Stillstandes? Mehr Harmonie hat Kanzlerin Angela Merkel versprochen. Stattdessen zanken CDU/CSU und FDP fast schon wieder wie früher über die Arbeitsmöglichkeiten für Fachkräfte aus dem Ausland und über die Maßnahmen zur Steuervereinfachung. Wenig Einigung in Sicht vor dem Treffen der Koalitionsspitzen heute Abend. Notizen wird sich heute Abend gewiss auch Christian Lindner machen, gemäß seiner Stellenbeschreibung als Generalsekretär der FDP versteht sich. Festhalten kann er dann zum Beispiel, warum CSU-Chef Horst Seehofer gar keinen Anlass sieht, die Regeln für ausländische Fachleute zu lockern, oder warum sich Finanzminister Schäuble nach wie vor hartnäckig gegen weitere Steuervereinfachungsmaßnahmen sträubt. Bleibt also am Ende alles beim alten? Das habe ich Christian Lindner bei einem Gespräch gestern Nachmittag gefragt.

    Christian Lindner: Nein. Wir haben Erwartungen an den Koalitionsausschuss. Insbesondere im Bereich der Steuervereinfachungen werden wir ein Paket beschließen. Das muss die Koalition auch leisten. Wir haben das beim letzten Mal deshalb vertagt, weil wir noch unzufrieden waren mit dem, was auf Arbeitsebene dort erreicht worden ist. Es war eine Reihe von Vorschlägen, die der Finanzminister gemacht hat, die aber vor allen Dingen der Vereinfachung für die Finanzämter gedient haben. Wir wollen aber die Steuerzahler entlasten und mit über 30 Vorschlägen gelingt das jetzt, von höheren Werbungskostenpauschalen über eine Vereinfachung der Steuerbescheide für Rentner bis hin zu Erleichterungen beim elektronischen Geschäftsverkehr mit dem Finanzamt, eine echte Erleichterung. Dafür planen wir 590 Millionen Euro ein, das ist ein großer Erfolg der FDP, ein großer Erfolg für die Koalition insgesamt, ist ein wichtiger Schritt hin zu einem einfacheren Steuerrecht, nicht der letzte Schritt, den wir gehen, aber ein wichtiger Schritt. Wenn das ein Ergebnis ist, dann ist der Koalitionsausschuss schon ein Erfolg gewesen.

    Barenberg: Darauf kommen wir vielleicht gleich noch mal zurück. Zunächst würde ich gerne bei diesen Regeln für die Zuwanderung ausländischer Fachleute bleiben. CSU-Chef Seehofer argumentiert ja, es gibt einfach keinen Grund, die Regeln zu ändern. Sie haben ganz andere Vorstellungen und fordern die CSU jetzt auf, ihre Verweigerungshaltung aufzugeben. Sind wir also zurück bei dem alten Streit zwischen den Partnern, den es zu Beginn dieser Regierungszeit ja auch immer gegeben hat?

    Lindner: Dass es in einer Koalition unterschiedliche Bewertungen gibt, ist ja eine Normalität. Entscheidend ist, dass man sich auch annähert. Das haben wir geschafft. Die CSU hat im Sommer noch die Aufhebung der Wehrpflicht abgelehnt, dann gab es eine Phase der Beratung und jetzt marschieren wir Richtung Freiwilligenarmee. Ich setze darauf, dass das auch mit Blick auf die Zuwanderungsdiskussion gelingen wird. Da gibt es manche Befürchtung bei der CSU, die wir nicht teilen. Wir sehen, dass wir auf Sicht der nächsten schon ein, zwei, aber vor allen Dingen zehn, 20 Jahre einen erheblichen Bedarf an Fachkräften haben, den wir mit inländischen Bewerbern nicht decken können, auch nicht bei noch so guter Weiterqualifikation und Verbesserung des Bildungssystems. Deshalb muss das Land sich nüchtern öffnen für eine Diskussion über die Zuwanderung von hoch und höchst qualifizierten Kräften aus dem Ausland, und da gilt es, noch manches an Bürokratie abzubauen. Darauf verweisen regelmäßig die Praktiker, und ich finde, die Stimmen aus der Praxis müssen wir ernst nehmen.

    Barenberg: 66.000 Euro muss jemand derzeit verdienen, der sich hier um eine längerfristige Stelle bemüht. Sie wollen das ja deutlich absenken auf um die 40.000 Euro, das ist Ihre politische Vorstellung. Es war auch die der Bundesarbeitsministerin. Warum rudert sie jetzt zurück? Beziehungsweise anders gefragt: Warum dringen Ihre Argumente nicht durch?

    Lindner: Bei der Bundesarbeitsministerin sind die Argumente ja durchgedrungen. Das tragen ja auch nicht wir vor, sondern auch die Wirtschaftsverbände argumentieren so. Auch der Chef übrigens des gewerkschaftsnahen DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, trägt ja dieselbe Befürchtung vor, dass wenn wir hier nicht attraktiver werden und weniger bürokratisch den Zuzug ermöglichen, dass Deutschland dann erhebliche wirtschaftliche Nachteile hat, weil nicht produziert und entwickelt werden kann in Bereichen, wo es einfach qualifizierte Ingenieure gegenwärtig nicht gibt. Selbst im Jahr 2008, einem Krisenjahr, waren 34.000 Ingenieurs-Stellen in Deutschland unbesetzt, und wir werden nicht jeden Langzeitarbeitslosen zu einem hoch qualifizierten Ingenieur weiterqualifizieren können.

    Barenberg: Die Frage ist ja, warum die CSU das nicht einsieht, insbesondere in Person von Horst Seehofer, dem Parteivorsitzenden?

    Lindner: Da mag ich über Motive nicht spekulieren. Er hat ja vor Zuzug aus fremden Kulturkreisen gewarnt und anderes mehr. Das steht mit Sicherheit in einem Zusammenhang auch mit Befürchtungen mangelhafter Integration. Die Befürchtungen, dass wir in Deutschland große Integrationsprobleme haben, die teilen wir als FDP ja auch. Nur das ist eine ganz andere Debatte. Hier geht es um die Zuwanderung von Höchstqualifizierten, die in der Regel, wenn sie mit ihren Familien kommen, sich bestens integrieren und eine Bereicherung für unser Land sind, nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in kultureller Hinsicht. Es geht nicht darum, dass wir neue Zuwanderung in unsere Sozialsysteme wollen, sondern wir wollen hoch produktive Arbeitnehmer nach Deutschland einladen, die unseren Sozialstaat finanzierbar halten, weil sie hohe Steuern zahlen.

    Barenberg: Sie werden aber - das ist jedenfalls im Moment Stand der Dinge - weit weg, weit entfernt bleiben von dem angestrebten Punktesystem, das Ihnen vorschwebt beim Thema Zuwanderung. Auch in anderer Hinsicht an Sie die Frage, ob aus dem Herbst der Entscheidungen jetzt ein Winter des Stillstands erfolgt. Sie haben gesprochen von den Maßnahmen zur Steuervereinfachung. Aber noch mal auf den Punkt: Ein paar Zettel weniger und maximal 40 Euro mehr in der Kasse des Arbeitnehmers, ist das tatsächlich ein Durchbruch, ein großer Wurf für die FDP?

    Lindner: Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir sind noch nicht am Ende dessen, was wir uns vorgenommen haben in der Vereinfachung des Steuerrechts. Insbesondere was den Tarifverlauf angeht, gibt es noch eine ganze Menge Verbesserungsbedarf. Insbesondere die kleinen und mittleren Einkommen haben doch eine sehr hohe Progressionswirkung, da steigt die Kurve sehr schnell an. Da geht es nicht um die Spitzenverdiener, sondern um kleinere und mittlere Einkommen. Also da ist noch viel zu tun. Auch bei der Mehrwertsteuer können wir und müssen wir das System einfacher machen. Aber ...

    Barenberg: Das haben Sie aber auf die lange Bank geschoben?

    Lindner: Das haben wir nicht auf die lange Bank geschoben, sondern da haben wir eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die hochrangig mit den zuständigen Ministern und auch mit den Parteispitzen besetzt ist. Also das Thema bleibt auf der Tagesordnung. Aber morgen ist ein Meilenstein. Meilenstein heißt ja nicht, dass man schon am Ziel ist, er markiert nur einen Punkt einer Debatte. Nachdem wir in diesem Jahr ja schon eine Erleichterung, eine Entlastung organisiert haben, etwa durch die Erhöhung des Kindergeldes, gibt es jetzt den zweiten Meilenstein. Der zweite Meilenstein heißt Vereinfachung im Steuerrecht. Und bis zum Ziel eines einfacheren, niedrigeren und gerechteren Steuersystems müssen wir noch einige Meilensteine passieren, zweifelsohne, aber jetzt haben wir erst einmal einen Schritt getan, der für 22 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine echte Entlastung von ärgerlicher Bürokratie bedeutet.

    Barenberg: Sie haben davon gesprochen, dass die Vorschläge des Finanzministers Ihnen nicht ausgereicht haben im ersten Versuch. Wie viele der 90 Vorschläge der FDP werden jetzt mit aufgenommen in das Paket?

    Lindner: Wir haben insgesamt jetzt über 30 Vorschläge. Die erste Liste von Herrn Schäuble hatte 18 Vorschläge. Also insofern haben wir hier das Paket doch noch größer schnüren können. Das verdankt sich auch der guten Zusammenarbeit der Fachpolitiker, das war vorher ja überwiegend von Beamten vorbereitet worden. Ich nenne als eine wesentliche Maßnahme die Erhöhung des Arbeitnehmer-Pauschbetrages auf 1.000 Euro.

    Barenberg: Das sind die 40 Euro!

    Lindner: Das ist eine Bewegung in Richtung auf mehr Pauschalierung. Wir brauchen noch viel mehr Pauschalen. Eine allgemeine Arbeitnehmerpauschale wäre gut, wenn man alles in eine Pauschale bündeln könnte. Da sind wir noch nicht, aber verglichen mit dem Status quo, mit dem, was wir an Steuerrecht von Rot-Grün und der Großen Koalition geerbt haben, sind wir ein Stück besser.

    Barenberg: Freibeträge für Menschen mit Behinderungen war ursprünglich auf der Agenda, fällt jetzt weg. Warum?

    Lindner: Das ist eine Frage der Finanzierung, ist auch eine sozialpolitische Frage, über die tatsächlich diskutiert werden muss, in anderem Zusammenhang dann aber. Hier ging es zunächst einmal um eine Vereinfachung des Steuerrechts. Die Entlastungswirkung stand hier nicht im Vordergrund.

    Barenberg: Der Deutschlandfunk, die "Informationen am Morgen" im Gespräch mit dem Generalsekretär der FDP. Seit Tagen, Herr Lindner, beschäftigt die Öffentlichkeit der FDP-Zuträger der amerikanischen Botschaft im Büro von Parteichef Westerwelle. Die FDP ist in Umfragen gerade auf ihr Jahrestief wieder abgerutscht, unter die Fünf-Prozent-Marke. Verstehen Sie das auch als Quittung vielleicht für den Umgang der Partei mit diesem Ereignis?

    Lindner: Über Umfragen kann man immer spekulieren, was der Ausschlag dafür war. Für uns entscheidend ist, dass wir jetzt nicht zu sehr in der Öffentlichkeit über die Probleme der FDP sprechen, sondern entscheidend sind doch die Probleme dieses Landes. Wir haben nach wie vor eine schwierige Situation unserer Währung, müssen den Euro stabilisieren, wir haben erheblichen Aufholbedarf im Bildungswesen, müssen unsere sozialen Sicherungssysteme stabilisieren, eine Politik für Wachstum und Beschäftigung machen. Das sind doch wesentliche Fragen und insoweit die FDP in der Bundesregierung dafür Lösungen anbietet und mitwirkt daran, dass Deutschland die Krisen gut bewältigt, und auf dem Wachstumspfad, den wir haben, mit einer beneidenswert guten Arbeitslosenquote im europäischen Vergleich und exzellenten Wachstumszahlen, wir müssen daran mitwirken, dass wir auf diesem Erfolgskurs bleiben, und dann wächst auch das Vertrauen und die Zustimmung zur FDP. Wenn also sichtbar wird, es macht einen Unterschied, dass die FDP regiert, und Deutschland fährt gut mit der Regierung.

    Barenberg: Christian Lindner, der Generalsekretär der FDP. Danke schön für das Gespräch.

    Lindner: Danke Ihnen.