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"Wir brauchen vorübergehend diese Quote"

Große Konzerne leisten mit gemischten Teams gute Ergebnisse, sagt Ursula von der Leyen (CDU). Es werde ein Gesetz benötigt, dass das Ziel "30 Prozent Frauen in Aufsichtsratspositionen im Jahr 2020" beinhalte. Eine Quote werde sich, sobald es eine Normalverteilung gebe, von selber erledigen.

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Friedbert Meurer | 05.12.2012
    Friedbert Meurer: Die CDU hat wichtige Landtagswahlen verloren, in Baden-Württemberg, ihrem Stammland zum Beispiel, oder in Nordrhein-Westfalen. 2005 in vergleichbarer Situation haben solche Niederlagen Gerhard Schröder letztlich um die Macht gebracht. Nicht so bei der CDU. Mehr denn je ist Angela Merkel trotz aller Niederlagen in den Ländern oder auch Kommunen die unangefochtene Nummer eins der CDU. Auf dem Parteitag in Hannover wurde sie mit Rekordergebnis wie gehört wiedergewählt. Inhaltlich diskutiert wurde dann auch, zum Beispiel über das Ehegattensplitting für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften; das wurde aber abgelehnt.
    In Hannover habe ich vor der Sendung gesprochen mit der stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden und Bundesarbeitsministerin, mit Ursula von der Leyen. Guten Morgen!

    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: 98 Prozent für Angela Merkel, für die Parteivorsitzende, die Kanzlerin am gestrigen Nachmittag. Ist der Parteitag doch die erwartete Huldigungsmesse für die Kanzlerin geworden?

    von der Leyen: Also dass wir unglaublich stolz sind auf unsere Kanzlerin, unsere Bundesvorsitzende, und dass sie auch symbolisiert die erfolgreiche Politik der Union, das ist doch klar. Und insofern ist dieses Ergebnis auch eindeutig: Es soll Rückenwind geben. Und ich freue mich einfach darüber, dass es heute so gelaufen ist, das war einfach Klasse.

    Meurer: Darüber können Sie sich vielleicht freuen, Frau von der Leyen. Im Kabinett gelten Sie als ein Star, aber als Vizevorsitzende sind Sie gestern von der Partei abgestraft worden, haben nur 69 Prozent bekommen, es waren mal 85. Warum behandelt Ihre Partei Sie so schlecht im Gegensatz zur Kanzlerin?

    von der Leyen: Also ich hätte mir natürlich mehr gewünscht, aber ich will es mal so sagen: Ich weiß genau, für welche Themen ich stehe, und klar: Ein Drittel des Parteitages hat damit eindeutig gefremdelt, gar keine Frage. Aber zwei Drittel des Parteitages haben mir auch ihr Vertrauen ausgesprochen, und denen möchte ich einfach nur zurufen, dass sie sich darauf verlassen können, dass ich mich nicht verbiege, sondern dass ich ganz konsequent diesen Modernisierungskurs auch weiter vertrete. Ich glaube, der ist wichtig in unserer Partei, und das mache ich auch aus vollem Herzen und mit Überzeugung.

    Meurer: Mit was fremdelt das eine Drittel, dass Sie den Betriebsfrieden stören?

    von der Leyen: Ach ich glaube, es sind einfach die Themen, für die ich aufstehe. Das sind gerade die Themen, die soziale Themen sind, und ich finde, in unserer Union ist ganz wichtig, dass wir ja ganz klar für wirtschaftliche Vernunft stehen müssen, aber wir müssen genauso für soziale Verantwortung stehen, und das sind Stichworte wie Mindestlohn, das ist natürlich auch ein Stichwort wie die Lebensleistungsrente, also dass Menschen am Ende des langen Arbeitslebens oder Frauen, die Kinder erzogen haben, am Ende des Tages eine eigene Rente haben und nicht zum Sozialamt geschickt werden. Das sind Themen, die provozieren und die polarisieren, das weiß ich, aber genau dafür will ich auch aufstehen.

    Meurer: Nimmt ein Teil der Partei Ihnen übel, dass Sie beispielsweise nach der letzten Koalitionsrunde im Koalitionsausschuss sehr schnell gesagt haben, die Lebensleistungsrente soll bei 850 Euro liegen. Da sagen die anderen: Halt, halt, haben wir ja gar nicht beschlossen!

    von der Leyen: Das mag sein, aber das ist meine feste Überzeugung, denn wenn wir sagen zurecht, diese Menschen sollen nicht auf Grundsicherung angewiesen sein, wenn sie 40 Jahre lang Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben, das heißt wirklich fleißig gewesen sind, wenn sie Kinder erzogen haben für die nächste Generation, dass sie dann eine Lebensleistungsrente bekommen, aufgewertet, oberhalb vom Grundsicherungsniveau. Das bedeutet, das sind im Äquivalent, wenn ich das jetzt mal übersetze, 30 Rentenentgeltpunkte, und die liegen im Augenblick bei 850 Euro. Ich bin der festen Überzeugung, dass es auch eine Frage der Würde des Alters ist, dass eine solche Lebensleistung dann auch in der Rentenversicherung gewährt wird.

    Meurer: Wird die CDU auch die Lebensleistung von älteren Müttern honorieren?

    von der Leyen: Wir haben hier eine ausführliche Debatte, und das finde ich gut so, denn wir haben ja diese eigenwillige Situation, dass einerseits Mütter, die Kinder vor 1992 geboren haben, weniger Rentenpunkte kriegen als diejenigen, die nach 1992 Kinder geboren haben. Ich selber habe zwei Kinder, die sind vor 92 geboren, und fünf Kinder, die sind nach 92 geboren, aber sie werden unterschiedlich in der Rentenbiografie behandelt. Ich weiß aber auch eben ein zweites: Wenn wir mal alt sind, dann müssen unsere Kinder unsere Rente erarbeiten. Da ist niemand anderes als unsere Kinder. Und deshalb wollen wir das mit Maß und Mitte machen. Wir wollen schrittweise wirklich diese Gerechtigkeitslücke ausgleichen für die älteren Mütter. Andererseits: Wir dürfen die junge Generation auch nicht überfordern. Und deshalb: mit Maß und Mitte schrittweise und nicht alles auf einen Schlag.

    Meurer: Nur die höhere Rente für ältere Mütter oder für Mütter von älteren Kindern, die haben Sie ja schon mehrfach auf Parteitagen beschlossen. Warum soll das jetzt mehr als ein weiteres Versprechen werden?

    von der Leyen: Nun, da waren in der Vergangenheit Prüfaufträge, und wer sich im Parteijargon auskennt, der weiß: Prüfaufträge, na ja, das ist dann schwierig, da auch dann tatsächlich Taten folgen zu sehen. Das ist jetzt schon sehr viel konkreter: Es ist ein Auftrag da. Und mir ist klar, dass wir in ganz, ganz engem finanziellen Rahmen uns bewegen, nämlich unter dem Signum der Schuldenbremse. Das ist auch richtig so, denn wir wollen unseren Kindern keine Schuldenberge hinterlassen. Aber es ist immer eine Frage, wo man politische Prioritäten setzt, und ich finde, dieses Ansinnen, auf beiden Seiten zu sagen, lasst uns schrittweise da rangehen, also nicht alles auf einen Schlag, sondern wirklich mit Augenmaß, das ist richtig.

    Meurer: Welcher erste Schritt für die Rente für Mütter wird noch in dieser Legislaturperiode kommen?

    von der Leyen: Na ja, es ist jetzt viel von mir verlangt, dass ich sozusagen zwölf Stunden, nachdem wir im Parteitag darüber diskutiert haben, schon eine fertige Berechnung vorlege. Das muss mein Haus in Ruhe berechnen. Aber ich will auch noch auf etwas hinweisen: Wir tun nicht nur das, sondern auch in der Lebensleistungsrente sagen wir ganz bewusst, diejenigen, die Kinder erzogen haben - und alle älteren Mütter wissen, wie das früher gewesen ist: Das heißt nämlich, dass man Halbtagsschulen hat, dass man keine Kindergartenplätze hat, Krippenplätze waren ein Schimpfwort, dass es nicht einfach war, erwerbstätig zu sein, und man war nachmittags wirklich mit den Kindern auch im Fulltime-Job dann beschäftigt -, dass diese Mütter am Ende des Tages, wenn sie eine ganz kleine Rente haben, die höher aufgewertet kriegen als Geringverdiener, denn sie haben eine doppelte Leistung gebracht. Sie haben fleißig gearbeitet, aber sie haben eben auch die nächste Generation gesichert. Also wir tun an zwei Stellen was: in der Lebensleistungsrente eine deutlich höhere Bewertung und die Frage der Mütter, die Kinder vor 92 haben, schrittweise lösen. Das ist meines Erachtens wirklich auch ein klares Signal.

    Meurer: Ein wichtiges Thema für die Frauen ist auch die Quote. Ihre Partei stimmt heute über die Frage ab: Flexiquote oder feste Frauenquote in Aufsichtsräten. Eine Niederlage für Ihre Position gilt eigentlich als ziemlich sicher. Das wird hier nicht so richtig Ihr Parteitag in Hannover, oder?

    von der Leyen: Na ja, erst mal will ich mit einer Mär aufräumen, dass es ein "entweder oder" ist, denn der Leitantrag, der immerhin vom Bundesvorstand auch dem Parteitag sozusagen empfohlen wird, der beinhaltet eine ganz klare Aussage: ja, die Flexiquote, gegen die man gar nichts haben muss. Aber uns war wichtig – und das ist wirklich die Quintessens für diejenigen, die konkrete Ergebnisse sehen wollen, zu denen ich gehöre -, dass wir erstens ein Gesetz brauchen, das klar macht, es gibt eine Zeitleiste, und es gibt ein Ziel, das die großen Konzerne erreichen müssen, nämlich 30 Prozent Frauen in Aufsichtsratspositionen im Jahr 2020. Das ist da sehr klar festgehalten. Auf dem Weg dorthin, da kann man flexibel sein. Nur wir alle wissen: In der Vergangenheit hat sich in den Großkonzernen nichts bewegt. Die Frauen sind weit unterrepräsentiert. Der Mittelstand übrigens hat gezeigt, dass es funktioniert, da hat sich viel getan. Aber in den großen Konzernen nicht, und deshalb wollen wir jetzt ganz klare Zeitleisten haben – nicht nur aus frauenpolitischer Argumentation. Mir ist fast noch wichtiger das Gesicht, das Deutschland gibt, die Visitenkarte, die Deutschland international gibt, und da sind wir im Hintertreffen. Wir wissen einfach, dass die großen Konzerne gute Ergebnisse leisten, wenn sie gemischte Teams haben, und deshalb bin ich der festen Überzeugung, wir brauchen vorübergehend diese Quote. Das wird sich dann, sowie wir eine Normalverteilung haben in den großen Konzernen, auch von selber erledigen. Dann brauchen wir sie eines Tages nicht mehr.

    Meurer: Sie stehen für die Modernisierung der CDU, Frau von der Leyen. Warum haben Sie sich eigentlich nicht dafür eingesetzt, dass homosexuelle Lebenspartnerschaften auch vom Ehegattensplitting profitieren sollen?

    von der Leyen: Weil ich da auch eine ganz feste Überzeugung habe. Ich bin der Meinung, dass es einen hohen Respekt uns abwürdigt, wenn wir Menschen haben, die füreinander Verantwortung übernehmen, also in der Ehe, ich finde auch in der Familie und genauso selbstverständlich in den gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Das ist beeindruckend und das ist unterstützenswert.

    Eine zweite Frage ist – und das ist meine Position -, wo investiert der Staat aktiv Geld. Das bedeutet ja Splitting. Und da bin ich der Meinung, das Splitting der Zukunft muss erweitert werden in ein Familiensplitting. Wenn wir Geld investieren, dann bitte dort, wo Kinder erzogen werden und auf dem Weg ins Leben begleitet werden. Dort sollten wir das Geld investieren, denn Kinder kosten Liebe und Kraft, aber sie kosten eben auch Geld. Und deshalb bin ich der Meinung, …

    Meurer: … liegt nur auch schon ewig in den Schubladen, das Familiensplitting, ist auch auf Parteitagen schon diskutiert worden.

    von der Leyen: Das ist im Grundsatzprogramm festgelegt worden. Aber ich bin der festen Überzeugung, das ist das nächste große gesellschaftspolitische Thema für die Union, das Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting zu erweitern, dass nämlich tatsächlich diejenigen, die Kinder haben, davon steuerlich profitieren. Das muss das Entscheidende sein.

    Meurer: Die Kanzlerin hat in Ihrer Rede einen kleinen satirischen Seitenhieb gegen die FDP, ihren Koalitionspartner, platziert: Gott hat die FDP vielleicht nur erschaffen, um uns zu prüfen. Hat sie Ihnen da aus der Seele gesprochen?

    von der Leyen: Ach, ich erlebe jetzt seit dreieinhalb Jahren die Koalition, ich habe davor eine andere Koalition erlebt. Wissen Sie, es gibt immer Punkte, wo wir gut miteinander arbeiten, also zum Beispiel das ganze Thema qualifizierte Zuwanderung. Da war die FDP eine große Hilfe, da habe ich sehr drum geworben, dass wir die Tore öffnen auch zu einem globalisierten Arbeitsmarkt. Es gibt andere Punkte, da gibt es Fingerhakeln zwischen mir und der FDP, zum Beispiel bei der Frage Mindestlohn. Ich finde, da kann die FDP jetzt auch sich weiter bewegen, denn wir haben immerhin zusammen fünf Branchenmindestlöhne in dieser Zeit eingeführt. Also man hat nie die Idealform. Ich finde wichtig jetzt, dass die Union sich positioniert in den Dingen, von denen sie überzeugt ist. Am Wahltag wählen die Menschen Parteien, sie wählen keine Koalitionen.

    Meurer: Die stellvertretende CDU-Vorsitzende, Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, bei unserem Deutschlandfunk-Ü-Wagen in Hannover beim Bundesparteitag. Das Gespräch habe ich vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.