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"Wir brauchen wieder Abrüstung und Rüstungskontrolle"

Nach einer Studie der US-Luftwaffe über Sicherheitsrisiken in Atomwaffenlagern hat der SPD-Abrüstungsexperte Rolf Mützenich einen vollständigen Abzug der in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen gefordert. Die Debatte dürfe aber nicht auf die Bundesrepublik beschränkt bleiben. Große Sorge etwa bereite ihm die Situation in Russland, wo es schätzungsweise 2000 Atomwaffen gebe.

Moderation: Silvia Engels | 24.06.2008
    Silvia Engels: Eine interne Studie der US-Armee wirbelt zurzeit viel Staub in Europa auf, denn sie kommt zu dem Ergebnis, dass US-Atomwaffen außerhalb der Vereinigten Staaten oft nicht nach dem Standard gelagert werden, der für die USA gelten würde. In Deutschland hat der Bericht zur Forderung von Opposition und Teilen der SPD geführt, sofort alle Atomwaffen aus dem Land zu schaffen.

    Der US-Bericht hat hier in Deutschland Forderungen von FDP, Grünen und Linken nach sich gezogen. Parteisprecher verlangten, alle noch in Deutschland lagernden Atomwaffen abzuziehen. Aufhorchen ließ jedoch, dass diese Forderung auch aus Teilen der Regierungspartei SPD kam. - Am Telefon ist nun der abrüstungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich. Guten Morgen!

    Rolf Mützenich: Guten Morgen Frau Engels.

    Engels: Was sagen Sie, was fordern Sie?

    Mützenich: Wir fordern auch den Abzug. Insbesondere wir hatten nichts dagegen, als die Amerikaner die Atomraketen aus Ramstein auch abgezogen haben. Und wir fordern eigentlich seit mehreren Jahren hier im Deutschen Bundestag die Vernichtung aller substrategischen Waffen. So werden sie im Militärjargon genannt. Dass das damals niemand aufgefallen ist, das finde ich schade, und dass wir jetzt erst darüber diskutieren, ist dennoch gut, weil ich glaube, genau wie Christensen sagt, diese Waffen sind vollkommen überflüssig. Aus meiner Sicht waren sie auch im Ost-West-Konflikt gefährlich, aber heute haben sie überhaupt gar keine Funktion mehr.

    Engels: Die CDU lehnt diesen Vorstoß ab. Haben Sie denn eine Mehrheit innerhalb der SPD-Fraktion?

    Mützenich: Ich glaube schon. In der SPD-Fraktion gibt es ja seit Jahren eine Diskussion darüber und selbst die Mitglieder aus dem Verteidigungsausschuss haben gesagt, dass insbesondere dieses Trägermaterial, was die Deutschen in Form der Tornados zur Verfügung stellen, wenn das ausläuft, nicht ersetzt wird. Ich glaube genau das ist der Punkt.

    Wir sollten aber nicht nur Deutschland in den Fokus nehmen. Ich glaube, wir sollten uns viel mehr Sorgen darüber machen, was in Russland passiert. Dort glaube ich sind rund 2000 dieser Waffen noch vorhanden und die Sicherheitsmängel sind dort riesengroß.

    Engels: Aber gerade das kann doch auch wieder eine gewisse Bedrohung für Deutschland zumindest mittelfristig darstellen. Gibt man damit nicht die Möglichkeit einer glaubwürdigen Abschreckung generell auf?

    Mützenich: Ich glaube es ist nicht die Bedrohung, sondern es ist die Frage des politischen Willens, hierüber zu sprechen. Und wir haben ja immer wieder versucht, sowohl die russische Regierung, aber insbesondere auch die jetzige US-Administration zu überzeugen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle ein wichtiger Schritt für Kooperation ist. Darauf ist Präsident Bush leider nicht eingegangen. Wir müssen auf die neue Administration hoffen. In Ihrem Bericht ist ja angesprochen worden, dass McCain jemand ist, der mit Sicherheit hier versucht, dann etwas zu unternehmen. Aber ich glaube vielmehr wird Obama auch die Fragen der strategischen Waffen, also kurzum ob möglicherweise zwischen Russland und den USA sehr stark abgerüstet werden kann, in den Fokus nehmen. Da kann Europa nur mit dazu beitragen, dass diese Kooperation stattfindet.

    Engels: Beitragen sagen Sie. Das heißt wenn diese Kooperation stattfindet, dann sollen die Waffen abgezogen werden, oder fordern Sie diesen Abzug unabhängig von dem, was zwischen Russen und Amerikanern verhandelt wird?

    Mützenich: Wenn das jetzt abgezogen wird, kann ich überhaupt nichts dagegen haben. In Ramstein ist es wie gesagt genauso passiert. Der entscheidende Punkt ist nur: wir müssen insgesamt alle diese taktischen Atomwaffen abrüsten, verlässlich abrüsten. Sie müssen dann auch vernichtet werden und nicht sozusagen zwischengelagert werden. Es kommt also wieder darauf an, dass wir eine Abrüstungskultur, wie wir sie in den 70er und 80er Jahren hatten, jetzt wieder neu initiieren. Wir hatten damals eine Null-Lösung bei den Mittelstreckenwaffen. Das hat zu der Entspannungspolitik beigetragen und das könnten wir bei den taktischen Atomwaffen genauso erreichen. Deswegen haben wir uns das auf die Tagesordnung gesetzt und Frank-Walter Steinmeier hat mit seinem norwegischen Kollegen es geschafft, in das Dokument der NATO in Bukarest auch wieder die Frage von Abrüstung und Rüstungskontrolle unterzubringen, also genau das, was in den 60er Jahren der Harmel-Bericht gesagt hat und eigentlich auch Europa sicherer gemacht hat.

    Engels: Die Bundesregierung ließ gestern durch ihren Sprecher Wilhelm allerdings erklären, für die überschaubare Zukunft gehörten Atomwaffen zu einer glaubhaften Abschreckungsfähigkeit der NATO. Damit ist die Debatte doch erst einmal beendet oder?

    Mützenich: Nein. Die Debatte ist eigentlich jetzt eröffnet, weil wir gehen ja auch davon aus, dass möglicherweise eine neue NATO-Strategie genau über diese Fragen nachdenkt. Wir müssen die Konferenz über den Atomwaffensperrvertrag in New York in zwei Jahren sehr gut vorbereiten. Da spielt das auch eine Rolle. Wir haben zum Beispiel im Koalitionsvertrag die nuklearwaffenfreie Welt und uns für Abrüstung und Rüstungskontrolle eingesetzt. Das widerspricht dem überhaupt nicht. Die rheinland-pfälzische Landesregierung mit Kurt Beck an der Spitze hat auch hierauf hingewiesen, dass diese Waffen aus dem Land gehen sollen, und ich glaube das ist überhaupt nicht widersprüchlich, sondern wir müssen an verschiedenen Punkten für diese Forderungen kämpfen.

    Engels: Aber die CDU sagt, es soll bleiben. Also ein neuer Koalitionskrach?

    Mützenich: Nein. Ich glaube nicht, dass das ein Koalitionskrach ist. Wir sind ja auch relativ einig, wenn wir zum Beispiel im Auswärtigen Ausschuss oder im Unterausschuss für Abrüstung darüber diskutieren, dass diese Waffen vollkommen überflüssig sind. Möglicherweise wird man sich über den Weg dorthin nicht einig werden, aber der entscheidende Punkt ist doch schon: Wir brauchen wieder Abrüstung und Rüstungskontrolle und ich glaube da sind alle im Bundestag vertretenen Parteien einer Meinung.

    Engels: Völlig überflüssig sagen Sie. Es ist also auszuschließen, dass irgendwann einmal ein Staat Deutschland noch mit Atomwaffen bedrohen wird?

    Mützenich: Da gehe ich fest von aus. Wir haben innerhalb der Europäischen Union eine verlässliche Sicherheitsarchitektur geschaffen. Der neue russische Präsident hat angeboten, die KSZE beziehungsweise die OSZE wieder zu einem Sicherheitsgremium zu machen. Ich finde das sind kluge Vorschläge. Darauf sollte man eingehen. Wir müssen jetzt uns auf eine neue US-amerikanische Administration vorbereiten und da wird Abrüstung und Rüstungskontrolle ein wichtiges Element auch der Vertrauensbildung sein. Das wird nicht alleine die Probleme lösen. Wir haben ja zum Beispiel die Diskussion über die Raketenabwehr. Aber wenn es uns wieder gelingt, wie in der Vergangenheit Abrüstungsverträge verlässlich zu verabreden und dann auch zu überprüfen, dann glaube ich sind wir auf einem guten Weg.

    Engels: Herr Mützenich, wenn in Deutschland keine Atomwaffen mehr stationiert sind, dann warnen Experten davor, dass die Bundesregierung dann innerhalb der NATO auch nicht mehr über Atomstrategien mitentscheiden kann. Ist das denn in Ihrem Sinne?

    Mützenich: Nein. Das sehe ich überhaupt nicht so, weil innerhalb der NATO kann man natürlich auch darüber reden und die Länder, die wahrscheinlich in ihren Ländern keine Atomwaffen mehr stationiert haben, tun das ja genauso. Wir bereiten auch im Hinblick auf 60 Jahre NATO diese NATO-Dokumente mit vor und ich glaube wir können nicht die Frage der technischen Beteiligung an eine politische Beteiligung knüpfen. Man kann uns ja auch nicht den Mund verbieten, mit darüber zu diskutieren. Deutschland ist ein wichtiger Partner innerhalb der NATO, aber ist genauso ein wichtiger Partner in den Vereinten Nationen und es war Deutschland gewesen, was eine gemeinsame Position der Europäische Union zur Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag mit eingebracht hat. Ich glaube das sind wichtige Bereiche, wo gerade Abrüstung und Rüstungskontrolle aus deutscher Sicht ein Sicherheitsgewinn für Europa bedeuten.

    Engels: Gegen Unionswiderstand werden Sie Ihre Forderung nicht umsetzen können. Hängen Sie sich an eine populäre Forderung heran, ohne die Umsetzung umsetzen zu können?

    Mützenich: Nein. Wir machen ja keine populäre Politik in dem Sinne, sondern wir fordern das ja seit mehreren Jahren. Wenn Sie sich noch mal die Anträge anschauen, die die SPD mit ihren jeweiligen Koalitionspartnern in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, so haben wir uns dort immer für Abrüstung und Rüstungskontrolle ausgesprochen. Wir haben uns für die Null-Lösung bei den taktischen Atomwaffen, kurzum auch die, die in Büchel lagern, ausgesprochen. Ich will einfach nur deutlich machen: wir können nicht immer nur sozusagen eine Vogel-Strauß-Politik machen, indem wir auf unser Land schauen, und bei Nachbarn liegen diese Atomwaffen möglicherweise auch. Wir brauchen eine verlässliche Politik insgesamt der Abrüstung und Rüstungskontrolle und das tut die Bundesregierung. Insbesondere Frank-Walter Steinmeier hat das auf die Tagesordnung gesetzt.

    Engels: Rolf Mützenich, der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Abrüstungsfragen. Vielen Dank für das Gespräch!