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"Wir dürfen als Kirche nicht müde werden, hier wachsam zu bleiben"

Nach den in diesem Jahr bekannt gewordenen Missbrauchsfällen in kirchlichen Einrichtungen setzt sich Franz-Peter Tebartz van Elst Bischof von Limburg für Präventionsinitiativen ein. Sein Dienstverständnis als Bischof sieht er darin, "vor Ort zu sein".

Franz-Peter Tebartz van Elst im Gespräch mit Jürgen Liminski | 19.12.2010
    Jürgen Liminski: Exzellenz, ein Streifzug durch die Supermärkte in diesen Tagen bringt, volkswirtschaftlich gesehen, eine erfreuliche Erkenntnis: Es wird heftig konsumiert. Wenn man dann aber vor den Regalen der Glückwunschkarten steht und unter den hundert Angeboten für Weihnachten kein einziges mit christlichem Motiv entdeckt - das Höchste der Bezüge ist ein Wunschzettel an das Christkind -, dann fragt man sich: Ist Weihnachten in Deutschland noch ein christliches Fest?

    Franz-Peter Tebartz van Elst: Ich bin dankbar für die Initiative der Jugendlichen in unserem Bistum Limburg, die eine große Aktion gestartet haben: "Advent ist im Dezember, und Weihnachten ist an Weihnachten, das Fest der Geburt Christi". Das hat große Aufmerksamkeit gefunden in die Öffentlichkeit hinein. Es ist wichtig und gut, dass wir Christen uns bemerkbar machen mit unserer Botschaft, ich glaube, dann werden wir auch wahrgenommen. Es ist doch bei vielen Menschen eine Sehnsucht da, die gerade an Weihnachten aufbricht, dass es im Leben mehr Frieden geben möge. Viele Menschen fragen sich: Was ist eigentlich der Sinn dessen, was ich das Jahr über gemacht habe? Viele rackern sich ab. Weihnachten liegen solche tieferen Fragen auf dem Herzen, und deswegen hat die Botschaft von Weihnachten auch für viele Menschen eine kraftvolle Orientierung in sich, wir müssen als Christen mehr den Mut haben, sie anzusprechen. Und ich setze sehr darauf und freue mich, wenn viele Christen an Weihnachten in unsere Gottesdienste kommen, dass da die Möglichkeit ist, Neues deutlich kraftvoll zu sagen, dass die Menschwerdung Gottes unserem Leben Sinn gibt, Liebe gibt, Richtung gibt.

    Liminski: Der Glaube an den Weihnachtsmann aber scheint in Deutschland stärker zu sein als der Glaube an das Kind in der Krippe und an die Menschwerdung Gottes. Was tun Sie denn als Bischof in Ihrer Diözese, um dem Verdunsten des christlichen Glaubens in eine Atmosphäre ehrenamtlichen Wohlgefallens vorzubeugen?

    Tebartz van Elst: Da sprechen Sie eine ganz wichtige Herausforderung für uns als Kirche in dieser Zeit an, und wir als Bistum Limburg wollen im kommenden Jahr eine Initiative starten, eine Schule des Glaubens, des Gebetes in der Gemeinschaft. Es wird immer wichtiger, dass wir zu einer inhaltlichen Vertiefung unseres Glaubens kommen in dem Sinne, dass Menschen zu einer Erfahrung vordringen, die ihnen innerlich auch stärker hilft, sich zu vergewissern: Was ist eigentlich mein Christsein, oder warum bin ich Christ? Der Heilige Augustinus spricht davon, dass es darauf ankommt, Christ zu werden, Christ zu sein, Christ zu bleiben aus Einsicht und Entscheidung. Und wir merken, dass in unserer Gesellschaft eine Auskunftsfähigkeit im Glauben immer notwendiger wird, eine Sprachfähigkeit. Das heißt, dass ich sagen kann: Warum ist Gott eine Antwort auf die Fragen meines Lebens, was finde ich in der Gemeinschaft mit ihm an Halt, an Zuversicht? Und deswegen möchte ich gerne, dass wir im Bistum Limburg mit vielen Haupt- und Ehrenamtlichen im kommenden Jahr uns auf diesen Weg begeben. Wir haben einen pastoralen Prozess seit drei Jahren hinter uns, der gezeigt hat, wie notwendig eine Initiative in diesem Bereich ist. Ich bin den vielen, die da mitgearbeitet haben in unserem Bistum Limburg, sehr dankbar, dass die Bereitschaft auch da ist, jetzt einmal so etwas Neues zu wagen. Man konnte verschiedentlich davon hören, so etwas braucht es. Wir im Bistum Limburg wollen es im kommenden Jahr probieren.

    Liminski: Ist es eine Frage der Wissensvermittlung oder eine Frage der Strukturen?

    Tebartz van Elst: Wir wollen gerade über die Strukturen hinauskommen, wir wollen versuchen, dass die Inhalte des Glaubensbekenntnisses in der Feier des Glaubens, in der Katechese, der Vermittlung des Glaubens, in der Spiritualität, das heißt der geistlichen Vertiefung des Lebens, angesprochen werden. Das muss zusammenkommen, es geht um mehr als eine kognitive Information, die nur den Verstand betrifft. Es geht darum, dass der Glaube in die Mitte des Herzens rückt. Das kann man schon in der Apostelgeschichte lesen: Da, wo der Glaube bei den Menschen der Zeit am Anfang der Kirche mitten ins Herz trifft, da gehen sie los und da verkündigen sie den Glauben. Und darauf setze ich sehr, dass wir in dieser Ausrichtung auch zu einer Vertiefung finden. Es geht darum, das Wissen unseres Glaubens zu vergewissern - in dem Sinne, dass ich entdecke, welches Bekenntnis trägt mich, dass Gott Mensch geworden ist, was wir jetzt an Weihnachten ja in besonderer Weise als Geschenk begreifen, dass ich in eine Beziehung gerufen bin, eine Freundschaft mit Jesus Christus. Gott ist kein "Es", und der Glaube ist keine Idee. Gott ist ein "Du", und unser Glaube stiftet eine tragfähige Beziehung. Und da liegt mir so sehr daran, weil das ja auch mein Dienst ist als Priester, als Bischof, das zu verkünden, dass ich das mit Menschen gemeinsam weiter entdecken kann, so wie die drei Jahre es jetzt auch in verschiedenen Gruppen schon gezeigt haben.

    Liminski: Auch der Papst mahnt in seinem Interview "Licht der Welt" eine verstärkte Wissensvermittlung an. Ist denn der Religionsunterricht an den Schulen in öffentlicher und auch in kirchlicher Trägerschaft nicht mehr der richtige Ort für diese Vermittlung, vielleicht weil man die vielen Konfessionen und Glaubensrichtungen in einer Klasse nicht mehr auf einen Nenner bringt?

    Tebartz van Elst: Der Religionsunterricht ist wichtiger denn je. Er hat mit der Schwierigkeit zu tun, dass er in gewisser Weise etwas nachholen muss, was oft in der Familie an Glaubenseinführung so nicht mehr in der Selbstverständlichkeit, wie es früher mal war, mitgegeben worden ist. Deswegen kann er sich schnell überfordert fühlen. Andererseits sind es doch die Fragen der jungen Menschen, auf die Antworten gegeben werden wollen, wofür ein Religionslehrer, eine Religionslehrerin eigentlich dankbar sein müsste. Ich staune immer wieder und das beglückt mich auch, zu sehen, welche hohe Akzeptanz der Religionsunterricht bei Kindern, bei Jugendlichen in der Auswertung hat. Studien zeigen das ja. Deswegen verlangt er eigentlich mehr Aufmerksamkeit im Lehrplan der Schulen, auch in der Anlage der Stundentafel - dass er nicht in der letzten Stunde ist, sondern da, wo Schüler auch noch lebendiger am Morgen sich einbringen können oder am Nachmittag. Wenn ich zu Besuch bin in unserem Bistum Limburg in den Gemeinden, liegt mir immer daran, auch an den Schulen präsent zu sein, mit den Lehrerinnen und Lehrern und den Schülerinnen und Schülern das Gespräch zu suchen. Und das sind jedes Mal erfrischende Begegnungen, denn die Jugendlichen heute stellen die Fragen sehr direkt. Und für mich ist das ein Glück, eine Freude, als Bischof mal so unmittelbar auch aus dem Glauben heraus antworten zu dürfen.

    Neulich noch bei berufsbildenden Schülern, die unmittelbar die Frage hatten: Wo ist Gott im Leid? Wir waren mitten im Thema unseres Glaubens. Und da wurde mir bewusst: Die Schülerinnen und Schüler - sie fragen nach dem Zeugen, sie suchen Gesprächspartner, die sagen können, wo der Glaube sie in schwierigen Zeiten getragen hat. Und das, was sie dann an Zeugnis hören, das gehen sie gedanklich durch, das wird für sie - hoffentlich, nicht selten, Gott sei Dank - zu einer Orientierung, doch noch mal weiter nachzufragen, mehr zu suchen. Es ist die Zeugin, der Zeuge des Glaubens, den die jungen Menschen mit an die Hand nehmen müssen.

    Liminski: Das Zeugnis führt zur Frage nach der Glaubwürdigkeit eben dieser Zeugen, und die Glaubwürdigkeit der Kirchen in Deutschland hat in diesem Jahr doch stark gelitten - Stichwort "Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen". Hier und da werden nun von externen Gremien sämtliche Akten durchsucht, um alte und nicht aufgedeckte Fälle ans Tageslicht zu bringen. Ist die Kirche selbst dazu nicht mehr in der Lage?

    Tebartz van Elst: Wir haben ja als Bischofskonferenz die Leitlinien, die wir schon seit vielen Jahren haben, noch mal überarbeitet, noch mal auf den Hintergrund der Herausforderungen dieses Jahres spezifiziert. Und ich merke als Bischof im Dienst an der Kirche von Limburg, dass uns diese Leitlinien eine gute Hilfe waren, mit dieser schrecklichen Problematik umzugehen. Ich habe sie konsequent bei uns im Bistum angewandt, und wir haben ja auch in weiteren Sitzungen der Bischofskonferenz darüber gesprochen, dass das Thema nicht vorbei ist. Wir müssen wachsam sein, was an Prävention geschieht. Ich habe einen Missbrauchsbeauftragten in unserem Bistum ernannt, der die Arbeit, die Herausforderung hier in einer sehr wachen Weise angeht. Ich habe mit den Opfern Gespräche geführt, was mir sehr wichtig war als Bischof, um sie um Vergebung zu bitten im Namen der Kirche. Wir können nicht ungeschehen machen, was Menschen an Schrecklichem dort und Leidvollem erlebt haben, aber ich wollte ihnen doch die Nähe der Kirche und die Bereitschaft, auch ihren Weg mitzutragen, deutlich von meiner Seite aus auch vermitteln. Es waren sehr hilfreiche Gespräche, und ich habe erlebt, wie gerade in den kleineren Gesprächsrunden es gut möglich war, hier in ein Gespräch miteinander zu kommen, das auch in dem Sinne noch mal die Augen dafür öffnet, wie wichtig Prävention ist auf Zukunft hin. Ich habe einen Präventionsbeauftragten für unser Bistum ernannt, der die Arbeit begonnen hat. Wir haben in diesen Tagen auf der Homepage eine eigene Seite freigeschaltet, wo die Initiativen vorgestellt werden. Wir haben vor den Sommerferien - das war mir als Bischof ein ganz wichtiges Anliegen - Präventionsinitiative dadurch gestartet, dass wir gerade zur Vorbereitung der Ferienlager die Verantwortlichen informiert haben, dass wir es zum Thema gemacht haben. Und ich glaube, das ist die beste Maßnahme, um hier auch einen Schutzschirm, wenn ich das so sagen darf, aufzubauen. Wir dürfen als Kirche nicht müde werden, hier wachsam zu bleiben.

    Liminski: Herr Bischof, angesichts des Glaubwürdigkeitsverlustes - von Kirchen und Bischöfen allgemein - sind auch Sie heftig angegriffen worden. Was ist eigentlich Ihr Dienstverständnis als Bischof?

    Tebartz van Elst: Mein Dienstverständnis als Bischof hat mit dem Urauftrag zu tun, den Glauben zu verkünden und deswegen viel in der Begegnung mit Menschen zu sein. Das ist mir ganz wichtig. Die Besuche in den Gemeinden das gesamte Jahr über sind mir ein ganz zentrales Anliegen. Dort komme ich mit vielen ins Gespräch, ich höre die Sorgen der Menschen, die Bedenken auch angesichts der pastoralen Entwicklung, die wir vor uns haben - auch im Bistum Limburg, wo mehrere bisherige Gemeinden eine neue größere Pfarrei bilden müssen.
    Ich merke, wie wichtig es ist, Kommunikation zu suchen, sie zu pflegen. Deswegen bin ich viel im Bistum unterwegs, deswegen brauche ich auch ein Auto, das mich hinfährt an die verschiedenen Orte, um da präsent sein zu können. Vor Ort zu sein, das ist mir als Bischof wichtig, den Glauben zu verkünden in einer Situation des Umbruchs, die so viele Menschen irritiert - Veränderung schafft immer auch ein Stück Verwirrung -, da aufzuzeigen, was uns denn trägt im allem Wandel. Ich merke, dass die Menschen dankbar sind, wo das persönliche Gespräch mit ihnen gesucht wird, wo sie die Möglichkeit haben, nachzufragen, warum wir als Bistum Limburg diesen und jenen Schritt tun, dass sie es auch sehr ehrlich empfinden, wenn die Herausforderungen, die wir haben, auf den Tisch kommen. Ein weiteres Anliegen meines Dienstes als Bischof sehe ich darin, auch Menschen zu mir einladen zu können. Deswegen haben wir im Moment im Bistum Limburg die Diskussion um das Haus der Bischöfe - es geht ja nicht um das Haus für mich alleine, sondern auch um die, die nach mir kommen werden - angestoßen. Deswegen ist die Diskussion da, sie ist wichtig. Ich selber habe einen umrissenen kleineren Wohnteil, aber es geht um Räume, dass Gastfreundschaft gewährt werden kann, dass Begegnung möglich ist. Wenn ein Haus gebaut wird, dann hat es den Sinn, Begegnung zu ermöglichen. So wie ein Pfarrhaus, wie ein Pfarrheim in den Gemeinden, so geht es auch hier darum, ein Forum zu schaffen, wo Begegnung mit Jugendlichen, mit Erwachsenen, mit Vertretern aus Politik, aus Wirtschaft, aus Gesellschaft, aus der Arbeitswelt möglich ist. Und ich freue mich sehr darauf, wenn ich diese Kontakte intensivieren kann. Dafür braucht es Voraussetzungen, und das ist im Bistum Limburg schon vor meiner Zeit entschieden worden, dass dafür auch Möglichkeiten auf den Weg gebracht werden sollen. Ich glaube, das gehört alles dazu, dass Glaubwürdigkeit in der Kirche auch vermittelt wird. Sie ist immer auch das Ergebnis persönlicher Begegnung.

    Liminski: Bei einem Thema hat die Kirche, von der Selbstdarstellung abgesehen, in den Medien ziemlich schlechte Karten. Das ist der Themenkreis Ehe und Familie. Hier stehen Einzelfälle und Konflikte im Vordergrund. Worauf führen Sie das zurück?

    Tebartz van Elst: Man muss zunächst einmal sehen, dass Ehe und Familie nach wie vor einen hohen Stellenwert auch in unserer Gesellschaft haben, auch wenn in der Art und Weise, wie manchmal über sie geredet wird, das nicht ganz zum tragen kommt, nicht immer ganz durchscheint. Wenn ich mal bedenke, dass bei der jüngsten Shell-Studie doch ein so hoher Prozentsatz von Jugendlichen sagt, dass Ehe und Familie für sie eine erstrebenswerte Lebensperspektive ist, dann macht mir das doch mal deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns gerade als Kirche für die Bedeutung von Ehe und Familie einsetzen. Und da, wo eine Gesellschaft in Ehe und Familie stabil ist, ist sie auch in anderen Bereichen belastbar. Das merken wir an vielen Orten. Wir hatten in unserem Bistum Limburg im vergangenen Jahr den Abschluss einer Kampagne, die ich ein Jahr zuvor eröffnet habe gegen die Kinderarmut. Es war eine Empfehlung des Diözesansynodalrates, die ich mir gerne zu eigen gemacht habe. Wir haben verschiedene Veranstaltungen in den Bezirken gehabt, eine große Schlussveranstaltung, und es zeigte sich immer wieder, auch bei den Einzelerhebungen vor Ort, dass die Probleme, die es gibt im Bereich der Bildung, im Bereich der Erziehung, eigentlich damit zu tun haben, dass Ehe und Familie oft zu wenig Schutz erfahren. Ich habe diese Kampagne gerne genutzt um auch zu sagen: Die Sorge für Ehe und Familie ist der beste Schutz für Kinder in unserer Gesellschaft. Und ich sehe meine Aufgabe als Bischof auch darin, mit dafür zu sorgen. Ich spreche dieses Thema immer wieder an, weil es eine Überlebensfrage unserer Gesellschaft ist, dass es vitale, gesunde, gestützte, gestärkte Ehen und Familien gibt.

    Liminski: Kann es nicht auch sein, dass dieses unterschiedliche Bild zwischen Medien und Kirche in Sachen Ehe und Familie daher rührt, dass die meisten Medien, übrigens auch die Politik, sich dem positivistischem Recht, die Kirche aber dem Naturrecht verpflichtet fühlt? Im Katechismus steht zum Beispiel der schlichte Satz, ein Mann und eine Frau, die miteinander verheiratet sind, bilden mit ihren Kindern eine Familie. Das ist der Punkt 2202. Darüber schmunzeln manche Kollegen in Medien und in der Politik. Ist das Naturrecht überholt?

    Tebartz van Elst: Nein, das glaube ich nicht. Das Naturrecht zeigt uns, wie groß Gott von Menschen denkt. Und das dürfen wir nicht vernachlässigen. Die Sorge für Ehe und Familie ist eine ganz zentrale Überlebensfrage, wie ich gerade schon sagte, für unsere Gesellschaft. Die Tatsache, dass es Probleme gibt in manchen Familien, darf uns nicht dazu verleiten, Ehe und Familie klein zu reden oder ihr nicht zuzutrauen, dass sie das für einen Menschen bedeuten kann, was so viele Menschen auch dankbar im Blick auf ihre eigenen Eltern, auf die erlebte Familie als ein ganz wichtiges Geländer, als ein Fundament ihres Lebens immer wieder auch herausheben. Ich glaube, wir müssen als Kirche auch einen Blick für die haben, die an Lebensentwürfen scheitern. Aber deswegen dürfen wir von dem, was hier im Naturrecht auch noch mal an großem Denken Gottes vom Menschen zum Ausdruck gebracht wird, nicht rütteln. Im Gegenteil, wir müssen deutlicher herausheben, welcher Segen damit verbunden ist, wenn wir uns diesen Lebensentwurf aus der Kraft des Glaubens zu eigen machen. Verlässlichkeit, Treue, lebenslange Bindung, das sind doch so große Werte, von denen eine Gesellschaft lebt. Sie sind nicht antiquiert, ich würde eher sagen, sie zeigen, was uns morgen trägt. Insofern sind sie zukunftsgewandt. Sie haben auch etwas Avantgardistisches insofern, als dass wir, glaube ich, neu lernen müssen, dass gelebte Treue Orientierung gibt, Stabilität gibt, Zufriedenheit gibt, Sinn gibt.

    Liminski: Dass wird vermutlich nicht von allen Bürgern so gesehen. Was sagen Sie denn jemandem, der von sich behauptet, er sei so stark, dass er Gott und Glaube nicht braucht?

    Tebartz van Elst: Ich würde mit ihm gerne länger reden und ihn einmal fragen, wie er umgeht mit großem Glück, das er erfährt und auch mit Leid. Aus den vielen seelsorglichen Gesprächen, die ich als Priester geführt habe, die ich als Bischof führe fast jeden Tag, erlebe ich, wenn ich mit Menschen da in der Tiefe ins Gespräch komme, dass sie doch auch zugeben dann, dass, wenn man keinen Glauben hat, man ganz schön einsam sein kann, im größten Glück wie auch im Leid.
    Der Glaube gibt doch mal eine eigene Lebensqualität, die ich aber erst erfahre wo ich mit Gott ins Gespräch komme. Insofern würde ich als zweites dann einem Menschen dann im Gespräch empfehlen, probiere es einmal mit dem Beten. Sprich Gott an, sag du zu ihm, dann wirst du erleben, dass er dir auch antwortet. Denn wer anfängt zu beten, findet den Glauben, und wer aufhört zu beten, verliert den Glauben. Der Mensch findet zu einer größeren Lebensqualität, Lebensfreude, wenn er im Bund mit Gott ist.

    Liminski: Das sind persönliche Implikationen. Worin besteht denn der Mehrwert der Kirche für die Gesellschaft?

    Tebartz van Elst: Die Kirche hat unserer Gesellschaft vieles zu geben. Vielleicht darf ich es einmal mit einem Beispiel zum Ausdruck bringen, wo mir das sehr bewusst geworden ist. Als die Finanzkrise sich so sehr wie Blei auf das Lebensgefühl der Menschen in unserem Land gelegt hatte Ende 2008, 2009, war ich von Studierenden der Bankenakademie in Frankfurt einmal eingeladen, weil sie wissen wollten, was hat Kirche uns zu sagen in dieser momentanen Herausforderung, wo ja bei vielen Menschen in unserem Land Lebensentwürfe wie Kartenhäuser zusammenbrachen. Und ich merkte die deutliche Erwartung von Seiten dieser jungen Menschen, dass Kirche doch aus dem, was sie aus der katholischen Soziallehre zur Wertebindung, zur Nachhaltigkeit, zur Gerechtigkeit zu sagen hat, dass sie das mit deutlicher Stimme tut.
    Die Wertebildung, auch im Bereich der Wirtschaft, ist etwas ganz Zentrales. Das gilt genau so im Bereich des Arbeitslebens, dass wir uns zum Anwalt der Menschen machen, die schlechte Arbeitsbedingungen haben. Ich möchte das in alle Richtungen ausdenken.

    Und da, meine ich, sind wir als Kirche sehr wohl auch im Blick, auch wenn wir nicht selten kritisiert werden, wenn manche uns aufgrund unserer Überzeugungen nicht mehr für up to date halten. Unsere Botschaft, das macht ja die große Geschichte unseres Glaubens deutlich, ist immer auf Zukunft hin angelegt. Und insofern, meine ich, müssen wir auch den Mut haben, die Dinge anzusprechen, die zu einer gerechteren Gesellschaftsordnung führen. Aus dem Evangelium heraus haben wir dazu den Auftrag, aus dem großen Fundus der katholischen Soziallehre verfügen wir über Erfahrungen. Wir müssen den Mut haben, das anzusprechen, was Menschen dazu verhilft, Werte auszuprägen, sich zu binden. Ich glaube, dann tun wir unserer Gesellschaft einen ganz großen Dienst, die nämlich selbst nicht weiß, wie sie Solidarität schaffen kann. Die Politik kann sie durch Gesetze nicht verordnen. Sie gibt uns mehr und mehr auch das Signal, dass sie angewiesen ist darauf, dass wir als Kirche in der Verkündigung, in der Gemeindearbeit, im Religionsunterricht hier nachhaltig zur Wertebildung beitragen.

    Liminski: Ich würde gerne das Stichwort Gesellschaftsform aufgreifen. Man wirft der Kirche oft vor, sie sei demokratiefeindlich. Was sagen Sie dazu?

    Tebartz van Elst: Die Kirche ist von ihren Strukturen her eine Communio des Glaubens. Über die Wahrheit kann man nicht abstimmen. Die kann man nicht demokratisch ermitteln. Die Wahrheit unseres Glaubens ist uns von Gott gegeben. Da, wo wir sie annehmen, merken wir, dass wir Menschen werden, die zur Kommunikation umso mehr befähigt sind, die dialogfreudig sind. Und das ist etwas, was wir in unserer Kirche pflegen wollen. Wir haben gerade noch mal im Licht dessen, wie das Zweite Vatikanische Konzil Kirche auch versteht, deutlich vor Augen, es geht da um Treue zum Ursprung unseres Glaubens, der nicht zur Disposition stehen darf. Darüber kann man nicht abstimmen. Aber immer wieder auch die Einladung, den Glauben durch das Gespräch in die unterschiedlichsten Bereiche unserer Gesellschaft, in die unterschiedlichsten Personengruppen, die es gibt, hinein zu tragen.

    Wir haben als Kirche ja in der Verfasstheit der Ortskirchen Prinzipien auch der Beteiligung. Die vielen Laien, die in unseren Pfarrgemeinderäten, in den Diözesanräten, bei uns im Bistum Limburg im Bezirkssynodalrat, im Diözesansynodalrat engagiert sind, tragen dazu bei, dass wir miteinander im Dialog über den Glauben sind. Zweifelsohne ist es wichtig, und nur dann kann man Dialog im Glauben führen, wenn man auch im eigenen Glauben kundig ist, zuhause ist. Und da sehe ich die Notwendigkeit, dass wir doch verstärkt Initiativen starten, dass wir profund im Glauben miteinander reden und nicht nur darüber.

    Liminski: Nun ist die katholische Kirche nicht die einzige Institution, die den Glauben an Gott in gewisser Weise in Deutschland verkörpert. Der Bundestag hat am Freitag eine Resolution zur Religionsfreiheit verabschiedet und der Papst hat sich in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag ebenfalls diesem Thema gewidmet unter der Überschrift "Religionsfreiheit - ein Weg für den Frieden". Ist Ihrer Meinung nach die Religionsfreiheit in unserem Kulturkreis gefährdet?
    Tebartz van Elst: In unserem Kulturkreis hier in Europa sehe ich sie nicht gefährdet. Ich bin dankbar, dass wir in einer Demokratie leben, die ja gerade auch noch mal in ihren Verfassungen das Recht auf Religionsfreiheit ausdrücklich heraushebt. Ich sehe wohl, dass die Religionsfreiheit in der Welt längst nicht überall so gewährleistet und garantiert ist. Wenn wir derzeit erleben, wie groß die Christenverfolgungen im Irak sind, dann sehe ich uns auch als Kirche herausgefordert, immer wieder darauf hinzuweisen und auch in der Politik dieses Anliegen geltend zu machen, dass es darum geht, überall für das Recht auf eine freie Religionsausübung einzutreten.

    Liminski: Wenn Sie einen Wunsch zu Weihnachten an die Politik frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

    Tebartz van Elst: Ich würde mir wünschen, dass diese große Botschaft von Weihnachten, dass Gott Mensch wird in einer Familie, dass wir uns das in der ganzen Breite dieser Bedeutung zu eigen machen. Das heißt der Schutz von Ehe und Familie in unserer Gesellschaft. Das heißt, alles dafür zu tun, dass Beziehungen in Treue gelebt werden können in Ehe und Familie. Das heißt, alles dafür zu tun, dass Kinder Chancen haben, in dieses Leben hinein zu wachsen, dass sie ihre Gaben entfalten können, dass es nicht nur einigen möglich ist, Bildung zu bekommen und andere abgehängt sind.

    Ich glaube, in dieser Botschaft von Weihnachten, dass Gott Mensch wird in einer Familie, ist so viel an Ermutigung, an Trost, an Initiative auch grundgelegt, die wir uns zu eigen machen sollten. Ich glaube, wenn wir die Botschaft von Weihnachten in diesem Sinne in der ganzen Bandbreite ernst nehmen, dann ist es um den Frieden im Zusammenleben unserer Gesellschaft besser bestellt.

    Liminski: Das war hier im Deutschlandfunk Franz-Peter Tebartz van Elst, Bischof von Limburg. Besten Dank für das Gespräch und frohe Weihnachten.

    Tebartz van Elst: Danke schön.