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"Wir fühlen uns von der zivilisierten Welt verlassen"

Die Christen im Nahen Osten seien enttäuscht, sagt Ignatius Ephrem. Der Patriarch der der syrisch-katholischen Kirche im Vorderen Orient sagt, dass die Christen nicht nach Schutz oder Privilegien fragen, sondern nach Prinzipien von Demokratie und Freiheit.

Ignatius Ephrem im Gespräch mit Jürgen Liminski | 22.08.2012
    Jürgen Liminski: In Europa und bei den Freunden des Vorderen Orients ist die Befürchtung groß, dass die Kämpfe in Syrien auf den Libanon übergreifen könnten. Das ist immer möglich, weil die Politik im Libanon schon immer auch stark von äußeren Einflüssen bestimmt wurde. Aber gerade im Libanon ist, anders als in den anderen Ländern der Region, der christliche Teil der Bevölkerung mitbestimmend. Oder muss man sagen, mitbestimmend gewesen? Wie steht es um die christliche Präsenz in diesem Raum? - Diese Frage wollen wir jetzt erörtern mit dem Patriarchen der syrisch-katholischen Kirche im Vorderen Orient, seine Seligkeit Ignatius Ephrem Joseph III., der für sein offenes Wort bekannt ist. Guten Morgen, Eminenz!

    Ignatius Ephrem: Guten Morgen, Jürgen! Wie geht's?

    Liminski: Eminenz, wir haben viel gehört über Flüchtlinge aus dem Libanon, über Spannungen in den Grenzgebieten, über Entführungen. Das ist die eine, die aktuelle Seite. Die andere ist die politische Seite der christlichen Präsenz im Libanon und im Nahen Osten. Ist diese Präsenz gefährdet?

    Ephrem: Diejenigen Christen im Nahen Osten, sind wirklich enttäuscht. Wir fühlen uns wie von der zivilisierten Welt verlassen. Eine Gliederung an islamischen Fundamentalismus, der keine Trennung von Religion und Staat anerkennt, ist eine schreckliche Wahl. Wir fragen nicht nach Privilegien oder Schutz. Was wir unbedingt benötigen ist, dass die internationale Familie wie die Europäische Union ihre Prinzipien von Demokratie und Freiheit für alle treu hier behalten und aufrichtig verteidigen. Wir fordern, dass die Charta der Menschenrechte in allen Ländern ohne Vorbehalt, ohne besondere Ausnahme angewendet wird. Das muss auch sein in den Ländern mit muslimischer Mehrheit, besonders für jede Wahl seiner eigenen Religion.

    Liminski: Sie verlangen Gleichheit vor dem Recht und Gesetz und sagen, das gibt es nicht überall. Glauben Sie denn, dass es nur um Rechtsfragen geht, oder wie sieht das praktisch aus?

    Ephrem: Sicher, im praktischen Leben ist das eine Sache, aber auch im Gesetz, weil wenn ein junger Christ ein muslimisches Mädchen heiraten will, dann muss der junge Muslim sein, und das ist nicht richtig in unserer Zeit, im 21. Jahrhundert, auch im Gesetz. So bitte ich die Politiker Ihrer Europäischen Union, aufzuhören mit der politisch korrekten Sprache und der Manipulation des wirtschaftlichen Opportunismus. Bitte seit Freund zu eurer Kultur, die hat euch frei und tolerant gemacht. Und alle Formen von Diskriminierung gegen religiöse Minderheiten, gegen Frauen oder Kulturen zu verurteilen, für uns Christen des Nahen Ostens ist das eine Frage des Überlebens.

    Liminski: Eine Frage zur Aktualität, Eminenz. Stehen Sie auf der Seite von Assad?

    Ephrem: Nein! Wir haben keine Seite, weder für Assad, seine Familie, seinen Clan, noch mit den Revolutionären. Wir zeichnen uns mit dem syrischen Volk, das alle Zuwendungen bekommen kann für einen guten Ausgang. Durch Gewalt kann man kein gutes Ziel erreichen.

    Liminski: Liegt denn die Europäische Union falsch mit ihrer Parteinahme für die Rebellen?

    Ephrem: Es ist wahr: Wir brauchen Reformen, wir brauchen mehr Pluralismus, demokratischen Pluralismus in Syrien. Aber mit dieser Gewalt werden wir Bürgerkrieg erreichen. Das ist wirklich schade.

    Liminski: Die EU spricht sich eindeutig für die Rebellen und gegen Assad aus. Warum, glauben Sie, tut sie das?

    Ephrem: Wenn man sagt, Assad muss gehen, und man glaubt, dass alles wird viel besser sein, das ist eine Utopie.

    Liminski: Glauben Sie, dass es sich in Syrien um eine Art Religionskrieg, oder wenigstens um einen Konfessionskrieg zwischen Sunniten und Schiiten handelt?

    Ephrem: Ja. Wirklich traurig, dass viele unserer Leute aus Irak, aus Syrien herausgehen, auswandern, um eine bessere, wie sagt man, Bedingung des Lebens zu haben. Aber wir bitten die Europäische Union, uns zur Hilfe zu kommen. Wir wollen Freiheit und Integrität. Das ist auch unser Recht.

    Liminski: Das Überleben der Christen im Orient eine Frage der Gleichheit und des Rechts und der Achtung der Menschenwürde, sagt hier im Deutschlandfunk seine Seligkeit Ignatius Ephrem Joseph, Patriarch von Antiochien und der syrisch-katholischen Kirche. Ich danke Ihnen für die offenen Worte, Eminenz.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.