Donnerstag, 25. April 2024

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"Wir haben an den Sieg nicht geglaubt"

Der Sechs-Tage-Krieg von 1967 hat die Geschicke Israels geprägt. Damals habe man die Gefahr der Vernichtung Israels gesehen, erklärte der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor. Nach dem Krieg die eroberten Gebiete besetzt zu halten, sei richtig gewesen, sagte Primor. Die Besiedlung hingegen sei ein Fehler gewesen.

Moderation: Friedbert Meurer | 05.06.2007
    Friedbert Meurer: Heute vor 40 Jahren, am 5. Juni 1967, begann der Sechs-Tage-Krieg, ein historisches Ereignis. Das kleine Israel besiegte damals gleich drei arabische Nachbarstaaten und eroberte so viel Land, dass es seine Fläche damals mehr als verdoppelt hat. Aber die Landgewinne von einst werden heute selbst von vielen Israelis eher als eine Belastung angesehen und Frieden hat der Triumph von 1967 auch nicht gebracht.

    Am Telefon begrüße ich den früheren Botschafter in Deutschland Avi Primor. Heute leitet er das Zentrum für europäische Studien an der Universität Herzliya. Guten Morgen Herr Primor!

    Avi Primor: Guten Morgen Herr Meurer!

    Meurer: Ich glaube Sie waren damals, am 5. Juni 1967, schon im Außenministerium in Jerusalem. Wie erinnern Sie sich an diese sechs Tage von damals?

    Primor: Ja. Ich war damals Leiter einer kleinen Abteilung im Auswärtigen Amt. Am Morgen dieses Tages wussten wir gar nicht, was wir mit uns selber anfangen sollten. Das Auswärtige Amt spielte ja keine Rolle mehr. Jetzt sprachen nur noch die Kanonen. Aber dann rief mich der Staatssekretär zu sich und sagte, ich habe eine dringende Bitte an dich, nämlich es befindet sich unterwegs zu uns eine französische parlamentarische Delegation. Die hat Paris verlassen, als man noch nicht ahnen konnte, dass die Feindseligkeiten ausbrechen. Die ist unterwegs. Normalerweise wäre so eine Delegation für uns sehr, sehr wichtig, weil wir damals ausschließlich mit Frankreich verbunden waren und von Frankreich alle unsere Waffen bekommen haben. Das war unser nicht größter, sondern einziger Verbündeter, nicht die Vereinigten Staaten. Nur aber während eines Krieges, was macht man mit solchen Touristen?

    Meurer: Und was haben Sie mit den Parlamentariern aus Paris gemacht?

    Primor: Die wollten, als ich sie am Flughafen empfangen habe, nur eines. Die haben ja verstanden, dass man Gespräche unter solchen Umständen nicht führen kann. Sie wollten den Krieg sehen. Und dann haben wir den Krieg besichtigt mit den Soldaten auf jeder Front so wie Kriegstouristen, grausig, aber unheimlich interessant und die Franzosen waren begeistert.

    Meurer: Sie damals auch begeistert, Herr Primor?

    Primor: Äußerst interessiert und sehr erregt. Ich muss Ihnen sagen, was die Leute heute nicht wissen. Man spricht von dem großen Sieg. Der Sieg war für uns eine unheimlich große Überraschung, weil man ihn überhaupt nicht erwartet hat. Wir haben eine Katastrophe erwartet. Wir waren ängstlich. Wir haben an den Sieg gar nicht geglaubt. Nur die wenigsten Generäle haben daran geglaubt, die Bevölkerung schon gar nicht und die Politiker auch nicht. Der Krieg kam nicht nur als Segen, sondern als eine unheimlich große Überraschung. Das hat natürlich eine emotionale Wirkung auf uns alle gehabt.

    Meurer: Wie hat sich denn die Freude damals vor 40 Jahren ausgedrückt?

    Primor: Vor 40 Jahren dachte man zunächst einmal an die Gefahr der Vernichtung des Staates Israel, was uns alle unsere Nachbarn damals offen versprochen haben. Vergessen Sie nicht: Das war erst 22 Jahre nach dem Holocaust. Man hat noch düstere Gedanken gehabt. Aber mit dem Angriff der israelischen Luftwaffe auf alle Flughäfen der arabischen Länder und mit der Vernichtung der Luftwaffen aller arabischen Länder sah es sofort schon so aus, als würden wir den Krieg gewinnen. Wir haben ja mit Bodentruppen gekämpft, die von der Luft unterstützt waren, während die Gegner keine Luftwaffe mehr hatten. Deshalb ging es auch wie es ging. Aber es war auch die Angst, die uns getrieben hat.

    Nach dem Krieg dachten wir, jetzt würden wir Frieden haben, weil wir ja so viele Gebiete von den Nachbarländern erobert haben und weil unsere Regierung sich sofort bereit erklärt hat, alle Gebiete zurückzugeben, vorausgesetzt wir bekommen dafür den echten, endgültigen, dauerhaften Frieden, mit Sicherheit natürlich. Sicherheitsvorkehrungen waren für uns immer die Hauptsorge.

    Meurer: Aber die Gebiete wurden dann ja nicht zurückgegeben, Herr Primor. Die Sinai-Halbinsel ja, aber nicht das Westjordan-Land, der Gaza-Streifen. War das dann der entscheidende Fehler gewesen, nicht weitsichtig genug zu sein, sondern die besetzten Gebiete weiter besetzt zu halten und sie auch zu besiedeln?

    Primor: Sie zu behalten nicht; sie zu besiedeln ja. Schauen Sie: Wir haben damals gesagt, wir würden die Gebiete, alle Gebiete zurückgeben für den Frieden. Daraufhin kam die Antwort der arabischen Liga, also der Versammlung aller arabischen Staaten, die sich am 1. September 1967 in Khartum im Sudan getroffen haben, und die erklärten drei Prinzipien. Zunächst nie Frieden mit Israel, nie Anerkennung des Staates Israel und nie Verhandlungen mit Israel. Infolgedessen sagten wir wenn es so ist, dann haben wir niemanden, an den wir die Gebiete zurückgeben können. Das wäre nicht der größte Fehler gewesen, wenn man die Gebiete militärisch besetzt, bis wir Frieden und vor allem Sicherheit bekommen, aber in dem Westjordanland begann eine Siedlungsbewegung, eine messianische Siedlungsbewegung die sagte: "Diese Gebiete gehören ja uns, das ist ja eine göttliche Verheißung. Lesen Sie mal die Bibel. Dort befanden sich die israelischen Königreiche. Wir haben zwar 1947, als wir den Teilungsplan der UNO akzeptiert haben, auf diese Teile der historischen Heimat verzichtet, aber nun sind sie in unserer Gewalt. Jetzt werden wir nie wieder darauf mehr verzichten."

    Meurer: War diese religiöse Begründung aber auch die Begründung für die Arbeitspartei, weil ausgerechnet ja die Arbeitspartei und auch Schimon Peres ausgesprochen für die Siedlungen waren?

    Primor: Nicht allzu sehr. Die waren alle unter Druck. Die Siedler und die allgemeine Stimmung hat allmählich die Bevölkerung und vor allem die Politiker eingeschüchtert. Man hat ja nicht sofort mit einer massiven Siedlungsbewegung begonnen. Man hat unter Druck da eine Siedlung genehmigt und dort eine Siedlung genehmigt, umso mehr dort die arabischen Nachbarn von Frieden gar nichts hören wollten. Die massive Siedlungsbewegung, die wir heute kennen, die hat sich erst allmählich mit den Jahren entwickelt. Für mich ist das heute bestimmt der größte Fehler. Das ist unser Hindernis. Deshalb können wir keinen Frieden bekommen. Natürlich haben wir auch die Nachbarn, die es uns nicht immer leicht machen.

    Meurer: Wie wäre alles weiter gegangen - schwierige Frage; ich weiß, Herr Primor -, wenn man damals keine Siedlungen gebaut hätte?

    Primor: Dann wäre es heute viel leichter gewesen, auf die Gebiete zu verzichten. Dennoch muss ich darauf bestehen: Als die Ägypter uns Frieden angeboten haben, mit Sicherheit und Sicherheitsvorkehrungen, da haben wir auf alle ägyptischen Gebiete verzichtet und haben alle Siedlungen auf ägyptischem Boden geräumt. Das darf man nicht vergessen. Genauso war es auch mit Jordanien. Es ist aber viel schwieriger mit den Palästinensern aus zwei Gründen: Erstens, weil die Palästinenser uns nie wirklich Frieden und noch weniger Sicherheit angeboten haben. Die haben ja nie auf Terror verzichtet. Zweitens, weil die Siedlungsbewegung in diesen palästinensischen Gebieten erheblich massiver ist. Dennoch haben wir auf ein palästinensisches Gebiet schon verzichtet: auf den Gazastreifen, wo wir vor zwei Jahren auch die Siedlungen geräumt haben. Also möglich ist es, aber immer schwieriger wegen der massiven Siedlungsbewegung und wegen des arabischen Terrors.

    Meurer: Vor 40 Jahren begann der Sechs-Tage-Krieg. Darüber sprach ich mit Avi Primor, einst Botschafter in Deutschland und jetzt Leiter des Zentrums für europäische Studien in Herzliya. Herr Primor, besten Dank und auf Wiederhören!

    Primor: Ja. Danke, Herr Meurer!