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"Wir haben auf die internationale Isolierung gesetzt"

Bundesaußenminister Westerwelle sieht das Nein der Bundesregierung zum Kampfeinsatz in Libyen weiterhin als richtige Entscheidung. Daher treffe ihn der Vorwurf des Trittbrettsiegers auch nicht. Es gehe jetzt darum, die Menschen beim Wiederaufbau Libyens zu unterstützen.

Guido Westerwelle im Gespräch mit Peter Kapern | 23.08.2011
    Peter Kapern: Keine Spur von Muammar al-Gaddafi, allerdings heftige Gefechte rund um seinen festungsartigen Palast in Tripolis. Die Aufständischen kontrollieren weite Teile der libyschen Hauptstadt, treffen aber nach wie vor auf Widerstand, und Gaddafi-Sohn Saif al-Islam, von dem man gedacht hatte, er sei in den Händen der Aufständischen, hat einen spektakulären Auftritt im nächtlichen Tripolis.
    Mitgehört hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Guten Morgen, Herr Minister.

    Guido Westerwelle: Schönen guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Westerwelle, David Cameron, der britische Premier, hat gestern gesagt, sein Land könne stolz darauf sein, zum Sturz Gaddafis beigetragen zu haben. Würden Sie das auch gern sagen können?

    Westerwelle: Wir haben ja mit unseren Instrumenten, nämlich auf politischem Weg, unseren Beitrag dazu geleistet, dass sich in Libyen mehr und mehr der Weg in Richtung Demokratie ebnet. Wir haben uns mit eigenen Kampftruppen als Deutsche nicht an dem Krieg in Libyen beteiligt, diese Entscheidung war auch richtig, sondern wir haben auf die internationale Isolierung gesetzt, auf vor allen Dingen die politischen und wirtschaftlichen Sanktionen, und diese Sanktionspolitik war augenscheinlich erfolgreich, denn sie hat das Regime Gaddafi nicht nur isoliert, sondern ihm auch die Nachschubmöglichkeiten abgeschnitten.

    Kapern: Woraus schließen Sie, Herr Minister, dass die Sanktionspolitik das entscheidende Moment beim Sturz Gaddafis war und nicht der Militäreinsatz?

    Westerwelle: Sie sehen ja in den letzten Monaten auch das Hin und Her, auch am heutigen Tage wieder das Hin und Her der jeweiligen Nachrichtenlage, und deswegen rate ich auch dazu, dass wir uns eine gewisse gesunde Distanz bewahren. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, wie ich das gestern bereits auch gesagt habe, dass die Geschichte in Libyen noch nicht zu Ende geschrieben ist, denn unser Ziel ist es ja, dass demokratische Verhältnisse in Libyen einziehen, und nachdem der Nationale Übergangsrat sich klar zu Demokratie und zu Freiheit und zum Aufbau einer vielfältigen Zivilgesellschaft bekannt hat, seitdem haben wir ja auch den Nationalen Übergangsrat in Libyen unterstützt, als Gesprächspartner anerkannt. Gestern haben die Vertreter des Nationalen Übergangsrates und Deutschland in Bengasi ein Abkommen unterzeichnet, wonach wir ein Darlehen für humanitäre und zivile Zwecke in Höhe von 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen, denn es geht ja darum, dass auch die humanitäre Arbeit und die zivile Arbeit tatsächlich erfolgreich fortgesetzt werden kann.

    Kapern: Aber noch mal zurück zu meiner Frage, Herr Minister. Die "Frankfurter Rundschau" schreibt heute von Trittbrettsiegern und meint damit die Bundesregierung. Schmerzt das?

    Westerwelle: Nein!

    Kapern: Warum nicht?

    Westerwelle: ... , weil ich der Überzeugung bin, so wie die Mehrheit ja der europäischen Unions-Mitglieder, oder auch die Mehrheit der NATO-Mitgliedsstaaten, dass es verschiedene Wege gibt, um auch Demokratie und freiheitliche Entwicklungen zu unterstützen, und die Mehrheit der europäischen Unions-Mitgliedsländer hat sich an dem Kampfeinsatz in Libyen nicht beteiligt, auch die Mehrheit der NATO-Mitgliedsstaaten sowie wir auch. Wir haben von Anfang an auf eine politische Lösung gesetzt und Deutschland zählt ja auch zu den Ländern, die sehr früh, übrigens schon früher als viele andere, sich klar gegen das Unrechtsregime von Gaddafi gestellt haben. Und jetzt geht es darum, den Blick nach vorne zu richten, jetzt geht es darum, dass wir vor allen Dingen die Menschen unterstützen beim Wiederaufbau. Das was Deutschland ja besonders in der Welt auch auszeichnet ist unsere Kompetenz beim wirtschaftlichen Aufbau, und der wirtschaftliche Wiederaufbau in Libyen, der muss schnell in die Gänge kommen, denn das wird natürlich auch entscheidend sein dafür, ob es dauerhaft auch demokratische Strukturen gibt. Wir haben eine Transformationspartnerschaft mit den Ländern begründet in der Region, die sich auf den Weg in Richtung Demokratie gemacht haben, Tunesien, Ägypten, und wenn es jetzt hier in Libyen in die richtige Richtung weitergeht, dann wird auch Libyen selbstverständlich von Deutschland aus unterstützt werden.

    Kapern: Gleichwohl, lässt sich der bündnispolitische Kollateralschaden, der aus dem deutschen Nein zu einer militärischen Beteiligung möglicherweise erwachsen ist, schon bemessen, jetzt wo das Regime Gaddafi dem Ende entgegensieht?

    Westerwelle: Ich sehe diesen Schaden, den Sie beschreiben, ausdrücklich nicht. Deutschland ist im Bündnis sehr stark engagiert, wir sind mit mehr als 5000 Soldaten bei dem internationalen Einsatz in Afghanistan dabei, an vielen anderen Stellen der Welt sind deutsche Soldaten dabei und helfen und haben wirklich dort mutige Einsätze. Deutschland muss nicht an jedem Krieg teilnehmen, um im Bündnis akzeptiert zu sein.

    Kapern: Sie sagten eben, die Geschichte in Libyen sei noch nicht zu Ende geschrieben, Herr Westerwelle. Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass Libyen in so etwas wie einer Stammesanarchie versinkt?

    Westerwelle: Das ist eine der ganz wichtigen Fragen. Die Tatsache, dass Saif al-Islam sich in der letzten Nacht auf den Straßen als freier Mann zeigen konnte, ist eine beunruhigende Tatsache, denn er ist ja vom internationalen Strafgerichtshof auch zur Fahndung ausgeschrieben, und wir setzen darauf, dass er so wie auch der Diktator Gaddafi selbst der Gerichtsbarkeit auch überführt werden. Es ist deswegen auch wichtig, weil Libyens Zukunft wird nur dann positiv sein, wenn auch alle Teile der libyschen Gesellschaft integriert werden. Libyen ist eine Stammesgesellschaft, das wird hier sehr oft übersehen. Es ist ein riesiges Land mit einer Stammesgesellschaft, etwa 140 Stämme gibt es in Libyen, davon kann man 30 als bedeutsam und politisch sehr relevant einschätzen. Die sind sehr unterschiedlich aufgestellt, das habe ich selber auch bei meinen Gesprächen in Bengasi noch einmal feststellen können. Und deswegen ist es wichtig, dass alle integriert werden, es ist wichtig, dass die Zukunft Libyens so gestaltet wird, dass alle mitgenommen werden als Teile der Gesellschaft in Richtung einer demokratischen Zukunft und einer friedlichen Zukunft in Libyen.

    Kapern: Um die Geschichte in Libyen nun wenn nicht zu Ende, dann zumindest weiterzuschreiben, könnte dafür der Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Nach-Gaddafi-Libyen notwendig werden?

    Westerwelle: Ich halte eine solche Diskussion erstens für verfrüht und sehe das auch skeptisch, denn es geht jetzt nicht darum, dass wir darüber entscheiden, ob es Soldaten - aus welchen Ländern auch immer - in Libyen gibt. Es geht jetzt darum, dass das libysche Volk über die eigene Zukunft selbst entscheiden muss, denn es ist ein Sieg zu allererst des libyschen Volkes, wenn denn am Schluss alles so kommt, wie wir gemeinsam hoffen, und dieser Sieg des libyschen Volkes, der wird nur dann auch wirklich dauerhaft und nachhaltig sein und übrigens auch verhindern, dass das Land in terroristische Auseinandersetzungen zurückfällt, wenn die gesamte libysche Gesellschaft mitgenommen wird, wenn alle Stämme mitgenommen werden, die unterschiedlichen Teile mitgenommen werden, das heißt, wenn es dann auch einen Prozess der Aussöhnung und der Reintegration in Libyen gibt. Auf den setzen wir! Wir wollen Libyen unterstützen, politisch, zum Beispiel beim Aufbau eines Parteiensystems, oder einer unabhängigen Justiz, oder bei der Ermöglichung von freien und fairen Wahlen, wirtschaftlich - Libyen ist ein sehr reiches Land, die Reichtümer müssen endlich auch in Libyen ankommen - und humanitär, denn wir wollen nicht vergessen, dass viele, viele Menschen, unglaublich viele Menschen im Zuge dieses militärischen Konfliktes getötet oder verletzt wurden.

    Kapern: Wie würden Sie, wie würde die Bundesregierung denn verfahren, wenn eine Anfrage der Vereinten Nationen käme zur Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Libyen?

    Westerwelle: Ich spekuliere darüber nicht, denn ich habe ja gestern eine Telefonkonferenz gehabt mit meinen Amtskollegen, mit Hillary Clinton, mit den Außenministern von Frankreich, von Großbritannien, von Italien und anderen Staaten, die in der libyschen Kontaktgruppe besonders engagiert sind, und wir haben klare Prioritäten, und die Priorität heißt, dass das libysche Volk über die eigene Zukunft jetzt erst einmal selbst entscheiden muss. Und dann, dürfen wir bitte nicht vergessen, sind vor allen Dingen die Vereinten Nationen gefragt. Es ist sehr viel die Rede von Militär, es ist sehr viel die Rede auch vom westlichen militärischen Bündnis NATO, und wir selber sind Mitglied der NATO und betrachten das als ein außerordentlich wichtiges Bündnis. Aber die politischen Organisationen - und dazu zählen insbesondere die Vereinten Nationen -, die sitzen jetzt natürlich in einer ganz besonderen Verantwortung, die sehen wir in einer ganz besonderen Verantwortung, und deswegen begrüße ich auch, dass UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bereits für diese Woche ein erstes Spitzentreffen einberufen hat, denn die Vereinten Nationen, sie haben auch die Autorität, eben nicht nur im Westen, sondern auch bei den Ländern der Region in der Arabischen Liga, in der Afrikanischen Union, und wir reden hier schließlich über ein afrikanisches Land südlich des Mittelmeeres.

    Kapern: Herr Westerwelle, Sie haben eben betont, wie Deutschland sich beteiligen will am Aufbau Libyens. Muss man aus der Tatsache, dass Deutschland am Militäreinsatz nicht beteiligt war, die Schlussfolgerung ziehen, dass die Erwartungen nun besonders hoch an Deutschland sind? Wird es nun besonders teuer?

    Westerwelle: Nein, denn Libyen ist ja ein sehr reiches Land. Alleine wenn wir nur die Konten nehmen, die im Zuge der erfolgreichen Sanktionspolitik in Deutschland eingefroren wurden, dann sind das 7,3 Milliarden Euro. Und es ist mein Ziel und das Ziel der Kollegen, mit denen ich gestern in einer Telefonkonferenz mich ausgetauscht habe, dass diese eingefrorenen, international eingefrorenen Milliarden durch die richtigen und erfolgreichen Sanktionen jetzt möglichst schnell dem libyschen Volk zugute kommen können. Also die finanzielle Frage sehe ich ehrlich gesagt nicht an erster Stelle. Kurzfristig muss es darum gehen, dass der Nationale Übergangsrat seine Aufgaben humanitär und zivil erfüllen kann. Deswegen haben wir gestern diese Darlehensvereinbarung unterzeichnet, die ich ja bereits vor einiger Zeit in Bengasi mit dem Nationalen Übergangsrat vorbesprochen habe. Aber jetzt geht es vor allen Dingen darum, dass die eingefrorenen Gelder frei kommen, damit das libysche Volk eine gute wirtschaftliche Zukunft hat, denn die Menschen müssen ja mal wieder ein normales Leben führen können nach einem solchen Krieg, der monatelang gedauert hat.

    Kapern: Bundesaußenminister Guido Westerwelle heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Westerwelle, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Westerwelle: Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.