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"Wir haben eine Menge gute Leute"

Trotz der Verluste in Berlin sieht Hannelore Kraft die SPD gestärkt. Sie zählt Klaus Wowereit zum Kreis der möglichen Kanzlerkandidaten. Neuwahlen in ihrem Bundesland plant sie nicht, denn die rot-grüne Minderheitsregierung laufe "ganz gut".

Hannelore Kraft im Gespräch mit Silvia Engels | 19.09.2011
    Silvia Engels: Klaus Wowereit hat es geschafft, er kann eine dritte Amtszeit als Regierender Bürgermeister von Berlin antreten. Seine SPD brachte es mit leichten Verlusten, aber immerhin auf 28,3 Prozent. – Am Telefon begrüße ich die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Hannelore Kraft, sie ist natürlich auch Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Frau Kraft.

    Hannelore Kraft: Guten Morgen, Frau Dr. Engels.

    Engels: Viele Beobachter sehen den Sieg der Person Wowereit, nicht so sehr den Sieg der SPD. Wollen Sie dem als stellvertretende Bundesvorsitzende der Sozialdemokraten widersprechen?

    Kraft: Bei Wahlen, insbesondere bei Landtagswahlen, geht es immer um beides. Beides ist wichtig. Und wir freuen uns als SPD, dass Klaus Wowereit zum dritten Mal gewählt worden ist.

    Engels: Aber auf den Berliner SPD-Wahlplakaten war kaum das SPD-Logo zu sehen, dafür aber übergroß Klaus Wowereit.

    Kraft: Nein. Das letzte Plakat, was ich gestern noch gesehen habe, große Plakate, wo überall plakatiert war: "Wer SPD will, muss Klaus Wowereit wählen".

    Engels: Wie schafft es denn Klaus Wowereit, in Wahlen besser abzuschneiden als die SPD im bundesweiten Trend? Das war jetzt nicht ganz der Fall, denn das scheint sich da im Moment ähnlich einzuspielen, aber es galt für die letzten Jahre.

    Kraft: Ich glaube, man muss eine gute Politik machen in seinem Bundesland, das hat er für Berlin getan und die Bürgerinnen und Bürger dort vertrauen ihm und vertrauen auch der SPD, und das hat sich jetzt in dieser Wahl wieder bestätigt.

    Engels: Ist nun Klaus Wowereit nach der dritten Wiederwahl auch einer der Spitzenkandidaten der SPD für das Bundeskanzleramt?

    Kraft: Wissen Sie, die Frage der Kanzlerkandidatur, da sind wir uns einig in der SPD-Spitze, steht im Moment überhaupt nicht an. Wir bereiten uns vor auf den Bundesparteitag im Dezember, wir haben gestern eine lange Sitzung gehabt, heute weitere Sitzungen, um inhaltlich unser Profil zu schärfen. Da sind wir mitten drin und das ist jetzt erst mal das, was ansteht.

    Engels: Klaus Wowereit selbst hat gestern eigene Ambitionen aufs Bundeskanzleramt nicht ausgeschlossen. Wenn man dazuzählt den Parteichef Gabriel, dann die Herren Steinmeier und Steinbrück, wäre er der vierte. Sie sagen, man soll sich noch nicht festlegen. Aber kann man vielleicht das Feld ein wenig ausdünnen?

    Kraft: Na ja, wir haben eine Menge gute Leute in der Partei und darüber freuen wir uns erst mal.

    Engels: Nun wissen wir ja, dass es an Klaus Wowereit ist, nun die Grünen oder die CDU als Koalitionspartner auszuwählen. Aber, Frau Kraft, würden Sie denn nach Ihren NRW-Erfahrungen ganz klar die Grünen empfehlen?

    Kraft: Das muss man immer vor Ort beurteilen. Das habe ich damals in Nordrhein-Westfalen gesagt und getan und das gilt jetzt auch für Berlin. Ich bin sicher, Klaus Wowereit wird Sondierungsgespräche führen, und es geht am Ende darum, mit wem kann ich am meisten sozialdemokratische Politik umsetzen, denn das ist das, was die Bürgerinnen und Bürger wollten.

    Engels: Sind Sie irgendwo nicht ein bisschen neidisch auf Klaus Wowereit, der ja mit Rot-Grün zumindest nun die Chance auf eine Mehrheitsregierung hat und nicht eine Minderheitsregierung durch den Alltag tragen muss wie Sie in Nordrhein-Westfalen?

    Kraft: Na ja, die Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen läuft ja ganz gut. Wir haben vor der Sommerpause noch den historischen Schulkonsens hinbekommen, das war ein ganz, ganz wichtiger Schritt. Wir regieren stabil, wir sind handlungsfähig, das ist der Gradmesser. Natürlich sind Minderheitsregierungen nicht einfach, es erfordert auch andere Prozesse im Regieren, man muss viel mehr miteinander reden. Aber im Moment läuft es ganz gut.

    Engels: Aber gibt Ihnen jetzt das Berliner Ergebnis und der allgemeine SPD-Umfragetrend nicht langsam Mut, auch selber in NRW Neuwahlen anzustrengen, damit die rot-grüne Minderheitsregierung vielleicht zur Mehrheitsregierung wird?

    Kraft: Ich bin und war immer der Meinung, dass man nicht einfach sagen kann, liebe Wählerinnen und Wähler, wir wählen jetzt mal neu, weil die Umfragen gut sind, oder weil die Lage für SPD und Grüne gut ist. So kann man das nicht machen. Wir sind handlungsfähig, die Bürgerinnen und Bürger sind mit dem, was wir verändert haben in Nordrhein-Westfalen, offensichtlich sehr zufrieden, das zeigen auch die Umfragen, Zufriedenheit, wie ist eigentlich die Zukunftsperspektive, das sind alles sehr gute Daten, darüber freuen wir uns. Und solange wir handlungsfähig sind, machen wir erst mal weiter.

    Engels: … machen Sie erst mal weiter. Aber mit dem Beschluss des nächsten Haushalts wird es ja schwierig. Könnten dann Neuwahlen kommen, wenn dieser Haushalt nicht durchkommt in Nordrhein-Westfalen?

    Kraft: Na ja, wir werden einen Haushalt aufstellen, der verfassungskonform ist, für 2012 und wir werden unseren Kurs weiterfahren, nämlich die Schulden abzubauen, zu konsolidieren und gleichzeitig aber auch an den richtigen Stellen zu investieren, nämlich in Kinder und in Bildung, und wir wollen natürlich auch die kommunale Lage verbessern. Das, was da an Finanzsituation in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen ist, das darf nicht so bleiben, und deshalb werden wir weiterhin eine verantwortungsvolle Politik machen.

    Engels: Das klingt ja so optimistisch, dass Sie eigentlich Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr ausschließen könnten, oder?

    Kraft: Ausschließen kann man das als Minderheitsregierung nie. Nur der Gradmesser ist die Handlungsfähigkeit.

    Engels: Dann schauen wir von Nordrhein-Westfalen wieder zurück auf die Bundesebene. Die SPD ist zwar in Umfragen wieder im Aufwind, aber es gibt da jetzt in Berlin eine neue Partei, die Piratenpartei, die auch von der SPD Wähler gezogen hat. Macht Ihnen das zu schaffen?

    Kraft: Ich habe mich ein bisschen darüber gefreut, dass sie die Nichtwähler mobilisieren konnten, und das wollen wir uns auch genau anschauen. Wir werden uns auch die Wählerströme genau anschauen. Das ist ja eine Partei, die bewusst anders auftritt und sozusagen suggeriert, sie würde jetzt gegen den normalen Politikbetrieb arbeiten. Ich bin sehr gespannt darauf, wie sich das jetzt im Abgeordnetenhaus dann wirklich in der Realität darstellt. Das ist sicherlich auch interessant für die Wählerinnen und Wähler nicht nur in Berlin.

    Engels: Die Piraten haben klar gewonnen und die SPD feiert, dass zumindest der Negativtrend gebrochen scheint. Aber man darf nicht vergessen: über 30 Prozent kommt die Partei in Umfragen auch bundesweit nicht und auch Klaus Wowereit hat verloren in Berlin. Muss die SPD sich inhaltlich nicht da noch schärfer profilieren?

    Kraft: Da sind wir ja mitten im Prozess. Deshalb haben wir ja auch den Parteitag Ende des Jahres. Wir sind in allen Themenfeldern dabei, unsere Position zu schärfen. Sie kennen unsere letzten Positionen, die ja in der Öffentlichkeit diskutiert worden sind, unser Finanzkonzept, was gekoppelt ist mit Investitionen insbesondere in den Bildungsbereich. Wir wollen ein klares Profil und wir werden ein klares Profil haben.

    Engels: Auch die Wahlbeteiligung in Berlin war – Sie haben es zwar angesprochen, die Piraten konnten mehr mobilisieren – insgesamt nur kaum höher als letztes Mal. Wie kann die SPD sich da so einen starken Rückhalt von ableiten?

    Kraft: Die Wahlbeteiligung ist leider in allen Landtagswahlen nicht gut gewesen in der letzten Zeit, zum Teil ja dramatisch schlecht auch, und hieran müssen wir arbeiten, wir müssen eine gute Politik machen. Aber eine Bundesregierung, die dermaßen zerstritten auftritt, kann man schon sagen, die die Menschen auch verwirrt in ihrer Handlungsfähigkeit und die letztlich auch ihnen die Sorgen nicht nehmen kann, was Euro, was Geldwertstabilität angeht, das ist natürlich auch fatal. Die Bürgerinnen und Bürger, glaube ich, erwarten, dass jetzt vernünftig regiert wird in Deutschland, und man kann sehen, dass CDU und FDP hier nicht an einem Strang ziehen, und das führt sicherlich nicht zu höheren Wahlbeteiligungen.

    Engels: Frau Kraft, eine Schätzfrage: Was kommt zuerst, Neuwahlen im Bund oder in Nordrhein-Westfalen?

    Kraft: Ach, das warten wir mal ganz gelassen ab.

    Engels: Hannelore Kraft, die SPD-Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen und stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei. Vielen Dank für das Gespräch.

    Kraft: Danke schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.