Dirk-Oliver Heckmann: Herr Scholz, Familienpolitik ist neuerdings Domäne der Union. Um Klimapolitik und die Krisenherde dieser Welt kümmert sich die Kanzlerin. Die SPD scheint kaum erkennbar und dümpelt in den jüngsten Meinungsumfragen bei 30 Prozent. Was macht die SPD falsch? Was macht Kurt Beck falsch?
Olaf Scholz: Gar nichts. Wir befinden uns im ruhigen Fahrwasser, das ist ganz wesentlich auch der Verdienst von Kurt Beck, und haben in der Regierung große Dinge voran gebracht. Ich will viele Sachen beschreiben, die normalerweise in Interviews abgefragt worden wären, wie zum Beispiel die Föderalismusreform, kaum noch ein Thema, Sie erinnern sich gar nicht mehr daran, wir haben viele, viele Gesetzesvorhaben zustande gebracht, auch die Gesundheitsreform zum Beispiel. Und jetzt geht es um weitere Themen, die vorangebracht werden, in der Familienpolitik weiterhin um die Umsetzung des SPD-Wahlprogramms. Das ist ja das Wesentliche, was die Regierung in diesem Zusammenhang macht, und wenn ich Debatte richtig verfolge, ist es so, dass die Ministerin immer mal mit Unterstützung der SPD versucht, das gegenüber ihrer eigenen Partei durchzusetzen. Bei der Umweltpolitik macht der Minister Gabriel die Sache gut. Also ich kann Ihrer Einschätzung, so schnell gesprochen sie ist, nicht folgen.
Heckmann: Das heißt, Sie sind mit den 30 Prozent für die SPD ganz zufrieden?
Scholz: Nein, das sind wir nicht. Wer kann das sein? Allerdings ist das die Lage beider Parteien, dass sie in der Koalition gegenwärtig über 30 Prozent in den Umfragen gevotet werden.
Heckmann: Die Union ist wesentlich stärker.
Scholz: Sie ist ein ganz klein wenig stärker, und ich glaube, dass das eine ganz gute Ausgangslage für die nächste Zeit ist. Wer sich von den paar Prozentpunkten unruhig machen lässt, hat gar nicht die Nerven, um Wahlen zu gewinnen, aber das können wir.
Heckmann: Vielleicht liegt es ja auch daran, Herr Scholz, dass nicht erkennbar ist, für welchen Kurs Kurt Beck eigentlich steht. Einerseits möchte er die Reformen fortsetzen, andererseits sagt er, ''Immer langsam mit de Leut'''.
Scholz: Ich glaube, dass er genau das so macht, wie die Menschen das gerne hätten, die SPD, und übrigens wie es auch richtig ist für unser Land. Wir brauchen Reformen, wir müssen sie energisch vorantreiben. Das haben wir in den letzten sieben Jahren der Regierungszeit von Gerhard Schröder bewiesen, dass wir das auch können, übrigens gegen Widerstände unseres heutigen Koalitionspartners, der fast jeden Vorwand benutzt hat, um sich das querzulegen, und selten geholfen hat. Und wir haben auch jetzt weiter einen sehr klaren Reformkurs, ein paar Stichworte habe ich genannt. Aber andererseits geht es ja auch darum, Reformen zu machen, damit es besser wird, und nicht um der Reform Willen. Ich glaube, das ist der kleine Unterschied. Bei manchem Journalisten, ich nehme an, Sie zählen nicht dazu, muss man als Politiker einmal wöchentlich einen kleinen Initiationsritus absolvieren, indem man sagt, wir wollen mal wieder den Leuten was Schlechtes tun, dann bin ich ein Reformer. So geht es nicht, sondern es geht darum, Verbesserungen durchzusetzen. Das haben wir in den letzten Jahren auch gemacht. Das machen wir auch in Zukunft, und insofern teile ich diese Einschätzung nicht.
Heckmann: Herr Scholz, erst gab es die Warnung vor einem neuen angeblichen Wettrüsten durch das geplante amerikanische Raketenschild, dann die Forderung nach Verhandlungen mit gemäßigten Taliban in Afghanistan. Ist es nicht durchsichtig zu versuchen, den Irakcoup von Gerhard Schröder zu wiederholen und die SPD als Friedenspartei zu positionieren?
Scholz: Ich glaube, es ist Journalismus, aber nicht Politik, dass das jetzt immer überall erörtert wird, nämlich dass man zunächst einmal, wenn jemand in der Sache einen Vorschlag macht, diskutiert, was ist der Zweck des Vorschlages, statt worum geht es in der Sache. Also zum Beispiel wenn wir darüber diskutieren, ob man angesichts der Tatsache, dass es die Raketen, vor denen aus dem Iran geschützt werden soll, frühestens in 10 bis 15 Jahren gibt, gesagt wird, welchen Sinn macht es jetzt, Abwehrsysteme zu bauen, und ist das nicht möglicherweise eher ein Problem als eine Hilfe. Darüber nachzudenken, ob das ein Wahlkampfschlager ist, ich glaube, das ist ganz ernsthafte Politik, und es würde der Sache mehr nützen, man würde sich darauf einlassen und das Für und Wider mit erörtern. Da käme man übrigens auf ähnliche Vorstellungen wie der SPD-Chef.
Heckmann: Nützen würde es vielleicht auch darauf hinzuweisen, dass dieser Abwehrschirm gegen russische Raketen überhaupt nicht zur Anwendung kommen kann.
Scholz: Es geht, glaube ich, um ganz klare Punkte. Erstens, die Raketen sollen in Europa stationiert werden, das geht uns was an in Europa. Sie sollen auf NATO-Gebiet stationiert werden, das geht uns auch was an. Und wir haben alle spätestens seit Willy Brandt gelernt, dass Sicherheit nur gemeinsam erobert werden kann in Europa. Gemeinsame Sicherheit ist das große Stichwort, und deshalb kann so etwas nur im Dialog miteinander diskutiert werden und nicht einseitig verkündet. Ich glaube, das sind Prinzipien, die die Politik Deutschlands seit vielen Jahren zu Recht begleiten.
Heckmann: Ein Dialog, der ja auch stattgefunden hat, auch innerhalb der NATO.
Scholz: Davon wissen Sie auch. Der Stand ist, es ist einmal kurz zur Kenntnis genommen worden, und es hat noch niemand diese Frage wirklich debattiert. Das fängt jetzt übrigens demnächst erst an. Dann können Sie darüber auch etwas mehr berichten.
Heckmann: Auf einem anderen innenpolitischen Feld versucht die SPD zu punkten, beim Thema Mindestlohn. Sie haben es gerade eben auch schon selbst angesprochen, Kurt Beck hat jetzt am Wochenende einen gesetzlichen Mindestlohn über alle Branchen hinweg ins Spiel gebracht. Vizekanzler Müntefering hat seit Wochen, seit Monaten gepredigt, dass es ihm um einen branchenspezifischen Mindestlohn gehe. Weiß die linke Hand da nicht, was die rechte tut?
Scholz: Oh, ich kann Ihnen mal den Beschluss der SPD, den der Vizekanzler und der Parteivorsitzende gemeinsam mit gefasst haben, zuschicken. Da steht nämlich drin, wir wollen in verschiedenen Branchen Mindestlöhne, wo das Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam wollen, wie das bereits für die Bauwirtschaft oder jetzt für das Gebäudereinigerhandwerk der Fall ist, und stellen uns vor, dass es auch weitere Branchen gibt, in denen das Sinn macht. Und für alle die Menschen, die davon nicht beschützt werden, glauben wir, brauchen wir darüber hinaus einen gesetzlichen Mindestlohn. Dieser Beschluss, der auf einer Seite beide Punkte zu Recht umfasst, ist ein paar Monate alt und bewegt seit dem das politische Handeln der Sozialdemokraten in der Regierung und in der Partei. Nötig ist das übrigens. Ich glaube, dass wir in unserem erfolgreichen Land nicht mit ansehen sollten, dass Menschen für Löhne arbeiten, wo sie den ganzen Tag berufstätig sind und trotzdem nicht genug haben und doch zum Amt gehen müssen, um sich ergänzende Unterstützung zu holen.
Heckmann: Die Union argumentiert, das kostet Arbeitsplätze.
Scholz: Das ist ein bisschen so, wie vor Galileo Galilei auf der Welt behauptet wurde, dass die Welt eine Scheibe sei. Wenn man sich Europa einmal umguckt, dann gibt es fast nur Mitgliedstaaten, in denen es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Ein sehr erfolgreiches wirtschaftliches Industrieland wie Großbritannien hat erst Ende der neunziger Jahre einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, und man hat gesehen, dass all die Vorhersagen, die man hierzulande jetzt auflesen darf, dort nicht eingetreten sind. Es hat keinen Lohndruck nach unten gegeben, wie die einen befürchtet haben, und es hat auch keine Arbeitsplätze gekostet, wie die anderen behauptet haben. Und so ein großes Land wie die Vereinigten Staaten von Amerika wird in wenigen Tagen durch einen Beschluss von Repräsentantenhaus und Senat festlegen, dass der gesetzliche Mindestlohn für die ganzen USA 7,20 Dollar beträgt. Da gibt es Regionen, die sind nicht viel weiter entwickelt als manche der neuen Mitgliedstaaten in Osteuropa. Insofern, glaube ich, ist das schon eine sehr weitgehende Festlegung, die deutlich macht, dass hier die Debatte ein bisschen eigenwillig ist in Deutschland und viel damit zu tun hat, dass wir uns nicht über unseren Grenzen hinweg umschauen.
Heckmann: Das sind immer diese berühmten Vergleiche mit Großbritannien und USA, die allerdings außer Acht lassen, dass die Sozialsysteme überhaupt nicht vergleichbar sind und in Deutschland Hartz IV, das Arbeitslosengeld II, ja im Prinzip als Mindestlohn gültig ist.
Scholz: Das ist kein Mindestlohn. Das ist das, was der Staat garantiert, was jemand bekommt. Und wenn Sie jetzt zum Beispiel ein Geschäft aufmachen und eine Eigenschaft an den Tag legen würden, die wir beide nicht haben, dann könnten Sie auch mit jemandem vereinbaren, ich bezahle Ihnen 600 Euro für Ihre 40-Stunden-Woche, den Rest holen Sie sich vom Staat. Das ist, glaube ich, weder für die Staatskasse, für unsere Steuerzahler angemessen, noch ist das überhaupt ein angemessenes Verhalten.
Heckmann: Herr Scholz, einen Punkt wollte ich noch ansprechen: Das Wirtschaftswachstum boomt in diesem Jahr. Die Steuerquellen sprudeln. Ist es da nicht Zeit, die Steuern wirklich zu senken für die Bürger, so wie es Wirtschaftsminister Glos angekündigt hat oder gefordert hat?
Scholz: Nein. Wir haben einen riesigen Schuldenberg, und wir machen jedes Jahr neue Schulden. Im Augenblick ist noch niemand dabei zu diskutieren, wie wir die Schulden abtragen sollten. Das wäre eine wichtige Debatte. Vor wenigen Tagen und Wochen noch haben wir darüber diskutiert, ob man jetzt schon sagen kann, wann in etwa in mehreren Jahren einmal der Zeitpunkt erreicht sein wird, dass wir Schulden wieder abtragen können und nicht noch neue auf die vorhandenen oben drauf tun. Die Debatte ist völlig unseriös. Ich glaube, sie ist auch nicht darauf angelegt, jemals Realität zu werden. Wäre es nämlich so, wäre das eine schöne Zeche, aber hinterher hätte man einen schlimmen Kater.
Olaf Scholz: Gar nichts. Wir befinden uns im ruhigen Fahrwasser, das ist ganz wesentlich auch der Verdienst von Kurt Beck, und haben in der Regierung große Dinge voran gebracht. Ich will viele Sachen beschreiben, die normalerweise in Interviews abgefragt worden wären, wie zum Beispiel die Föderalismusreform, kaum noch ein Thema, Sie erinnern sich gar nicht mehr daran, wir haben viele, viele Gesetzesvorhaben zustande gebracht, auch die Gesundheitsreform zum Beispiel. Und jetzt geht es um weitere Themen, die vorangebracht werden, in der Familienpolitik weiterhin um die Umsetzung des SPD-Wahlprogramms. Das ist ja das Wesentliche, was die Regierung in diesem Zusammenhang macht, und wenn ich Debatte richtig verfolge, ist es so, dass die Ministerin immer mal mit Unterstützung der SPD versucht, das gegenüber ihrer eigenen Partei durchzusetzen. Bei der Umweltpolitik macht der Minister Gabriel die Sache gut. Also ich kann Ihrer Einschätzung, so schnell gesprochen sie ist, nicht folgen.
Heckmann: Das heißt, Sie sind mit den 30 Prozent für die SPD ganz zufrieden?
Scholz: Nein, das sind wir nicht. Wer kann das sein? Allerdings ist das die Lage beider Parteien, dass sie in der Koalition gegenwärtig über 30 Prozent in den Umfragen gevotet werden.
Heckmann: Die Union ist wesentlich stärker.
Scholz: Sie ist ein ganz klein wenig stärker, und ich glaube, dass das eine ganz gute Ausgangslage für die nächste Zeit ist. Wer sich von den paar Prozentpunkten unruhig machen lässt, hat gar nicht die Nerven, um Wahlen zu gewinnen, aber das können wir.
Heckmann: Vielleicht liegt es ja auch daran, Herr Scholz, dass nicht erkennbar ist, für welchen Kurs Kurt Beck eigentlich steht. Einerseits möchte er die Reformen fortsetzen, andererseits sagt er, ''Immer langsam mit de Leut'''.
Scholz: Ich glaube, dass er genau das so macht, wie die Menschen das gerne hätten, die SPD, und übrigens wie es auch richtig ist für unser Land. Wir brauchen Reformen, wir müssen sie energisch vorantreiben. Das haben wir in den letzten sieben Jahren der Regierungszeit von Gerhard Schröder bewiesen, dass wir das auch können, übrigens gegen Widerstände unseres heutigen Koalitionspartners, der fast jeden Vorwand benutzt hat, um sich das querzulegen, und selten geholfen hat. Und wir haben auch jetzt weiter einen sehr klaren Reformkurs, ein paar Stichworte habe ich genannt. Aber andererseits geht es ja auch darum, Reformen zu machen, damit es besser wird, und nicht um der Reform Willen. Ich glaube, das ist der kleine Unterschied. Bei manchem Journalisten, ich nehme an, Sie zählen nicht dazu, muss man als Politiker einmal wöchentlich einen kleinen Initiationsritus absolvieren, indem man sagt, wir wollen mal wieder den Leuten was Schlechtes tun, dann bin ich ein Reformer. So geht es nicht, sondern es geht darum, Verbesserungen durchzusetzen. Das haben wir in den letzten Jahren auch gemacht. Das machen wir auch in Zukunft, und insofern teile ich diese Einschätzung nicht.
Heckmann: Herr Scholz, erst gab es die Warnung vor einem neuen angeblichen Wettrüsten durch das geplante amerikanische Raketenschild, dann die Forderung nach Verhandlungen mit gemäßigten Taliban in Afghanistan. Ist es nicht durchsichtig zu versuchen, den Irakcoup von Gerhard Schröder zu wiederholen und die SPD als Friedenspartei zu positionieren?
Scholz: Ich glaube, es ist Journalismus, aber nicht Politik, dass das jetzt immer überall erörtert wird, nämlich dass man zunächst einmal, wenn jemand in der Sache einen Vorschlag macht, diskutiert, was ist der Zweck des Vorschlages, statt worum geht es in der Sache. Also zum Beispiel wenn wir darüber diskutieren, ob man angesichts der Tatsache, dass es die Raketen, vor denen aus dem Iran geschützt werden soll, frühestens in 10 bis 15 Jahren gibt, gesagt wird, welchen Sinn macht es jetzt, Abwehrsysteme zu bauen, und ist das nicht möglicherweise eher ein Problem als eine Hilfe. Darüber nachzudenken, ob das ein Wahlkampfschlager ist, ich glaube, das ist ganz ernsthafte Politik, und es würde der Sache mehr nützen, man würde sich darauf einlassen und das Für und Wider mit erörtern. Da käme man übrigens auf ähnliche Vorstellungen wie der SPD-Chef.
Heckmann: Nützen würde es vielleicht auch darauf hinzuweisen, dass dieser Abwehrschirm gegen russische Raketen überhaupt nicht zur Anwendung kommen kann.
Scholz: Es geht, glaube ich, um ganz klare Punkte. Erstens, die Raketen sollen in Europa stationiert werden, das geht uns was an in Europa. Sie sollen auf NATO-Gebiet stationiert werden, das geht uns auch was an. Und wir haben alle spätestens seit Willy Brandt gelernt, dass Sicherheit nur gemeinsam erobert werden kann in Europa. Gemeinsame Sicherheit ist das große Stichwort, und deshalb kann so etwas nur im Dialog miteinander diskutiert werden und nicht einseitig verkündet. Ich glaube, das sind Prinzipien, die die Politik Deutschlands seit vielen Jahren zu Recht begleiten.
Heckmann: Ein Dialog, der ja auch stattgefunden hat, auch innerhalb der NATO.
Scholz: Davon wissen Sie auch. Der Stand ist, es ist einmal kurz zur Kenntnis genommen worden, und es hat noch niemand diese Frage wirklich debattiert. Das fängt jetzt übrigens demnächst erst an. Dann können Sie darüber auch etwas mehr berichten.
Heckmann: Auf einem anderen innenpolitischen Feld versucht die SPD zu punkten, beim Thema Mindestlohn. Sie haben es gerade eben auch schon selbst angesprochen, Kurt Beck hat jetzt am Wochenende einen gesetzlichen Mindestlohn über alle Branchen hinweg ins Spiel gebracht. Vizekanzler Müntefering hat seit Wochen, seit Monaten gepredigt, dass es ihm um einen branchenspezifischen Mindestlohn gehe. Weiß die linke Hand da nicht, was die rechte tut?
Scholz: Oh, ich kann Ihnen mal den Beschluss der SPD, den der Vizekanzler und der Parteivorsitzende gemeinsam mit gefasst haben, zuschicken. Da steht nämlich drin, wir wollen in verschiedenen Branchen Mindestlöhne, wo das Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam wollen, wie das bereits für die Bauwirtschaft oder jetzt für das Gebäudereinigerhandwerk der Fall ist, und stellen uns vor, dass es auch weitere Branchen gibt, in denen das Sinn macht. Und für alle die Menschen, die davon nicht beschützt werden, glauben wir, brauchen wir darüber hinaus einen gesetzlichen Mindestlohn. Dieser Beschluss, der auf einer Seite beide Punkte zu Recht umfasst, ist ein paar Monate alt und bewegt seit dem das politische Handeln der Sozialdemokraten in der Regierung und in der Partei. Nötig ist das übrigens. Ich glaube, dass wir in unserem erfolgreichen Land nicht mit ansehen sollten, dass Menschen für Löhne arbeiten, wo sie den ganzen Tag berufstätig sind und trotzdem nicht genug haben und doch zum Amt gehen müssen, um sich ergänzende Unterstützung zu holen.
Heckmann: Die Union argumentiert, das kostet Arbeitsplätze.
Scholz: Das ist ein bisschen so, wie vor Galileo Galilei auf der Welt behauptet wurde, dass die Welt eine Scheibe sei. Wenn man sich Europa einmal umguckt, dann gibt es fast nur Mitgliedstaaten, in denen es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Ein sehr erfolgreiches wirtschaftliches Industrieland wie Großbritannien hat erst Ende der neunziger Jahre einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, und man hat gesehen, dass all die Vorhersagen, die man hierzulande jetzt auflesen darf, dort nicht eingetreten sind. Es hat keinen Lohndruck nach unten gegeben, wie die einen befürchtet haben, und es hat auch keine Arbeitsplätze gekostet, wie die anderen behauptet haben. Und so ein großes Land wie die Vereinigten Staaten von Amerika wird in wenigen Tagen durch einen Beschluss von Repräsentantenhaus und Senat festlegen, dass der gesetzliche Mindestlohn für die ganzen USA 7,20 Dollar beträgt. Da gibt es Regionen, die sind nicht viel weiter entwickelt als manche der neuen Mitgliedstaaten in Osteuropa. Insofern, glaube ich, ist das schon eine sehr weitgehende Festlegung, die deutlich macht, dass hier die Debatte ein bisschen eigenwillig ist in Deutschland und viel damit zu tun hat, dass wir uns nicht über unseren Grenzen hinweg umschauen.
Heckmann: Das sind immer diese berühmten Vergleiche mit Großbritannien und USA, die allerdings außer Acht lassen, dass die Sozialsysteme überhaupt nicht vergleichbar sind und in Deutschland Hartz IV, das Arbeitslosengeld II, ja im Prinzip als Mindestlohn gültig ist.
Scholz: Das ist kein Mindestlohn. Das ist das, was der Staat garantiert, was jemand bekommt. Und wenn Sie jetzt zum Beispiel ein Geschäft aufmachen und eine Eigenschaft an den Tag legen würden, die wir beide nicht haben, dann könnten Sie auch mit jemandem vereinbaren, ich bezahle Ihnen 600 Euro für Ihre 40-Stunden-Woche, den Rest holen Sie sich vom Staat. Das ist, glaube ich, weder für die Staatskasse, für unsere Steuerzahler angemessen, noch ist das überhaupt ein angemessenes Verhalten.
Heckmann: Herr Scholz, einen Punkt wollte ich noch ansprechen: Das Wirtschaftswachstum boomt in diesem Jahr. Die Steuerquellen sprudeln. Ist es da nicht Zeit, die Steuern wirklich zu senken für die Bürger, so wie es Wirtschaftsminister Glos angekündigt hat oder gefordert hat?
Scholz: Nein. Wir haben einen riesigen Schuldenberg, und wir machen jedes Jahr neue Schulden. Im Augenblick ist noch niemand dabei zu diskutieren, wie wir die Schulden abtragen sollten. Das wäre eine wichtige Debatte. Vor wenigen Tagen und Wochen noch haben wir darüber diskutiert, ob man jetzt schon sagen kann, wann in etwa in mehreren Jahren einmal der Zeitpunkt erreicht sein wird, dass wir Schulden wieder abtragen können und nicht noch neue auf die vorhandenen oben drauf tun. Die Debatte ist völlig unseriös. Ich glaube, sie ist auch nicht darauf angelegt, jemals Realität zu werden. Wäre es nämlich so, wäre das eine schöne Zeche, aber hinterher hätte man einen schlimmen Kater.