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"Wir haben Fehler gemacht"

"Ich glaube, dass das ein sehr viel tiefer liegender Prozess war, der uns hat auf diese Klippe laufen lassen", sagt Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer-Kreises zum schlechten Wahlergebnis der SPD. Er fordert tiefgreifende Diskussionen - und plädiert für eine Trennung von Partei- und Fraktionsvorsitz.

Johannes Kahrs im Gespräch mit Dirk Müller | 29.09.2009
    Dirk Müller: Mitgehört hat Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD. Guten Morgen!

    Johannes Kahrs: Einen wunderschönen guten Morgen!

    Müller: Herr Kahrs, wählen Sie heute Frank-Walter Steinmeier?

    Kahrs: Selbstverständlich!

    Müller: Weil er so gut war?

    Kahrs: Weil ich Frank-Walter Steinmeier schätze. Er war ein guter Spitzenkandidat. Ich glaube, dass er einen fulminanten Wahlkampf gemacht hat, und ich glaube, dass er deswegen auch einen hervorragenden Fraktionsvorsitzenden abgibt.

    Müller: Warum, Herr Kahrs, ist es ein guter Spitzenkandidat, wenn er 23 Prozent für die SPD holt?

    Kahrs: Weil er in einer Situation gestartet ist, die nicht einfach war, weil er es geschafft hat, die Partei zu schließen, hinter sich zu vereinigen, und weil wir einen Wahlkampf gemacht haben, in dem sich die ganze Partei wiedergefunden hat, wo wir aber leider nicht das Ergebnis bekommen haben, das wir gerne gehabt hätten.

    Müller: Kurt Beck hatte bessere Umfragewerte.

    Kahrs: Ich rede ja auch von Wahlergebnissen.

    Müller: Das heißt, Kurt Beck hätte auch so schlecht abgeschnitten?

    Kahrs: Ich gehe mal davon aus. Die Situation war so.

    Müller: Warum ist das denn so gekommen?

    Kahrs: Ich glaube, das ist eine Mischung von Dingen. Ich bin ja nun direkt gewählter Wahlkreisabgeordneter und war die ganze Zeit im Gespräch mit den Menschen bei mir im Wahlkreis. Hätten Sie mich am Freitag gefragt, wie das Wahlergebnis ausgeht, hätte ich gesagt "irgendwas über 30 Prozent". Das war mein gefühlter Wert. Es ist anders gekommen und ich glaube, dass ist fast der ganzen SPD so gegangen, dass keiner mit diesem Wert gerechnet hat, und deswegen muss man jetzt a) das Wahlergebnis sich genau angucken, muss gucken, warum sind die Menschen nicht an die Wahlurne gegangen, warum haben wir es nicht geschafft, ihnen ein Ziel zu geben, weswegen man dann auch an die Wahlurne geht, und dann muss man sich die Inhalte angucken und ich glaube, dass man das nicht heute machen muss und nicht in der nächsten Woche. Die Zeit muss man sich lassen, damit die Partei gemeinsam dann auch entsprechend aufgestellt werden kann.

    Müller: Sie sagen jetzt, wir müssen uns Zeit nehmen. Das ist nachvollziehbar, das ist verständlich. Auf der anderen Seite sind die Umfragewerte ja zumindest für die SPD seit Monaten im Keller. Warum hat es da keiner geschafft, gegenzusteuern?

    Kahrs: Ich glaube, dass das ein sehr viel tiefer liegender Prozess war, der uns hat auf diese Klippe laufen lassen. Zum einen ist es so, dass wir als Sozialdemokraten in elf Jahren Regierung viele Dinge gemacht haben, die richtig für das Land waren, wir aber gleichzeitig vielen unserer eigenen Wähler auf die Füße getreten sind in diesem Prozess, und das in elf Jahren war schwierig. Wir haben Fehler gemacht. Ich halte die Erhöhung der Mehrwertsteuer für einen Fehler. Ich glaube, wir haben das damals gemacht, weil wir koalitionstreu sein wollten, weil wir mit der CDU in den Verhandlungen gesagt haben, okay, wir haben gewonnen beim Kündigungsschutz, beim Atomausstieg und bei anderen Dingen, jetzt muss man irgendwo anders auch nachgeben. Das ist uns bis heute vorgehalten worden und das sind Dinge, die nachwirken. Und die ganze Geschichte und Entwicklung mit Frau Ypsilanti in Hessen hat dazu geführt, dass uns bis zum Wahlabend Menschen gefragt haben, können wir denn wirklich glauben, dass ihr das macht was ihr versprecht, und das ist für eine Partei langfristig schwierig und daran muss man jetzt arbeiten.

    Müller: Jetzt muss ich Sie das auch noch fragen, was ich auch Herrn Böhning gefragt habe. Soll Frank-Walter Steinmeier auch den Parteivorsitz übernehmen?

    Kahrs: Wenn Sie mich ganz persönlich fragen, das sollte man keinem Menschen zumuten, beide Aufgaben gleichzeitig zu übernehmen. Ich glaube, wenn man einen vernünftigen Oppositionsführer im Deutschen Bundestag abgeben will, wenn man es schaffen will, diese Regierung zu treiben, darauf zu pochen, das, was wir für richtig halten, auch umzusetzen, ihre Politik auseinanderzunehmen, dann brauchen wir dort jemand, der das ganz und mit Herz macht. Auf der anderen Seite brauchen sie einen Parteivorsitzenden, der die mühevolle Aufgabe wahrnimmt, jetzt auch von Ortsverein zu Ortsverein zu reisen, überall zu sein, die Partei voranzutreiben. Ich persönlich glaube, dass es wirklich besser wäre, auch für die betroffenen Menschen, wenn das zwei Personen sind.

    Müller: Helmut Schmidt hat ja mal gesagt, es war sein größter Fehler, dass er nicht zugleich auch Parteivorsitzender war. Aber wenn wir jetzt Ihrer Linie folgen, wen haben Sie denn da im Kopf, wer kann das machen?

    Kahrs: Wissen Sie, ich habe im Moment überhaupt keine Vorstellung. Da gibt es viele bei uns, die das könnten. Mir ist wichtig, dass man jetzt nicht in jedes Mikrofon beißt und Namen in die Luft pustet, die danach zerredet werden und kaputt sind, sondern ich finde, es gibt eine Reihenfolge. Die Reihenfolge ist: Wir klären das jetzt erst mal in der Fraktion, dann wird in den Gremien entsprechend geredet. Da muss man relativ gelassen sein und nicht laufend davon reden, dass alles geändert werden muss, sondern man muss gucken, dass man die Partei zusammenhält. Wir haben so viele gefrustete Wahlkämpfer, wir haben so viele Genossinnen und Genossen, die vor Ort gearbeitet haben, die da gestanden haben. Ich hatte an dem Abend eine Wahlparty, wir waren 350 Leute und es war schwierig, den Optimismus zu behalten, mit dem man den ganzen Wahlkampf gemacht hat. Ich glaube, diesen Optimismus muss die SPD als ganzes zurückgewinnen.

    Müller: Johannes Kahrs bei uns im Deutschlandfunk, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD. Vielen Dank.

    Kahrs: Vielen Dank!