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"Wir haben mehr Ärzte denn je"

Carola Reimann macht für den Ärztemangel in ländlichen Gebieten in allererster Linie die schlechten Arbeitsbedingungen verantwortlich. Da müsse man ansetzen und nicht die Zugangskriterien vereinfachen, wie Gesundheitsminister Rösler vorgeschlagen hatte.

Carola Reimann im Gespräch mit Gerd Breker | 06.04.2010
    Gerd Breker: Die Halbgötter in Weiß werden offenbar zur Mangelware. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler will den Ärztemangel bekämpfen und stößt dabei auch auf Zustimmung seines Koalitionspartners. Wir sollten uns in der Koalition noch vor der Sommerpause auf Eckpunkte einigen, das erklärte der Gesundheitsexperte der Union, Jens Spahn, in der Zeitung "Die Welt". Der FDP-Politiker Rösler hatte unter anderem vorgeschlagen, den Numerus clausus für den Zugang zum Medizinstudium abzuschaffen. Am Telefon bin ich nun verbunden mit der SPD-Politikerin Carola Reimann. Sie ist die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag, Frau Reimann.

    Carola Reimann: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Frau Reimann, stimmt das überhaupt? Haben wir wirklich zu wenig Ärzte, oder sind unsere Ärzte nicht einfach nur falsch verteilt?

    Reimann: Das ist richtig. Wir haben mehr Ärzte denn je, aber sie sind natürlich in der Fläche nicht so in dem Maße vorhanden, weil wir viele in den Ballungszentren haben und zu wenige in der Fläche und im ländlichen Raum, und das muss behoben werden.

    Breker: Wie erklärt sich das? Ist das ein hausgemachtes Problem, oder warum ist es nicht attraktiv, Landarzt zu sein?

    Reimann: Das ist ein Thema, wo die Bedarfsplanung sicher versagt hat, aber es ist natürlich auch ein Thema, das es nicht attraktiv ist, zurzeit Hausarzt zu sein und im ländlichen Raum aktiv zu sein. Das ist sicher auch ein Problem. Arbeitsbelastung ist da eines und ich glaube, dass die Arbeitsorganisation dort ein ganz, ganz zentraler Punkt ist. Die allermeisten Mediziner sind Medizinerinnen und die möchten Job und Familie miteinander verbinden, und da braucht es neue Arbeitsorganisationen und andere Aufteilungen. Da ist es extrem kontraproduktiv, dass zum Beispiel im Koalitionsvertrag drin steht, dass medizinische Versorgungszentren, die eine solche kooperative Arbeitseinteilung zuließen, noch mal auf den Prüfstand gestellt werden.

    Breker: Das heißt, der Verdienst ist nicht der Hauptpunkt? Den Halbgöttern in weiß geht es nicht ums Geld?

    Reimann: Es geht sicher immer auch ums Geld, aber es geht nicht in allererster Linie ums Geld. Es geht auch darum, ob man einen Kindergarten für seine Kinder hat, ob der Lebenspartner arbeiten kann. All diese Dinge müssen mit berücksichtigt werden und das ist nicht alleine eine Sache des Geldes.

    Breker: Nun ist ein Gedanke des Bundesgesundheitsministers Philipp Rösler, dass man sagt, okay, wir erweitern die Zahl derer, die zum Studium zugelassen werden, und knüpfen das an die Bedingung, dass sie zunächst erst mal als Landarzt, oder in unterversorgten Gebieten arbeiten müssen. Ist das überhaupt realistisch? Wie soll das praktisch vor sich gehen?

    Reimann: Ich finde es richtig, über die Kriterien der Zulassung zu sprechen, dass man dort die Hürden vielleicht auch senkt und dass man soziales Engagement, Engagement im medizinisch-pflegerischen Bereich wertschätzt und das mit einem Bonus versieht. Das finde ich richtig. Aber wir müssen nicht so tun, als hätten wir einen Bewerbermangel. Auf jeden Studienplatz – wir haben ungefähr 9900 im Land jedes Jahr – kommen mehr als vier Bewerber und Bewerberinnen, und da ist es eben kein Problem allein der Zulassung, ganz im Gegenteil. Ich glaube, es ist vor allen Dingen eines der Studieninhalte. Allgemeinmedizin ist nur ein Fach unter ferner liefen, die Allgemeinmedizin muss an den medizinischen Hochschulen ganz dringend auch mit mehr Lehrstühlen an der Stelle gestärkt werden. Und man muss dann auch die Mediziner in der Versorgung behalten. Ganz, ganz viele gehen in die Facharztschiene, andere gehen aber ganz aus dem Gesundheitssystem, aus der Versorgung hinaus, und da muss man dafür sorgen, dass der Beruf des Arztes wieder attraktiver wird. Da kann das alte Arztbild sicher nicht das der Zukunft sein.

    Breker: Attraktiv würde wieder heißen nicht unbedingt mehr Geld, aber eine bessere Arbeitsorganisation, wie Sie es zu Beginn schon angesprochen haben?

    Reimann: Die Absolventen thematisieren und alle jungen Mediziner thematisieren, vor allen Dingen die Arbeitsbelastung und die unattraktiven Arbeitsbedingungen in Deutschland, da muss etwas passieren durch eine andere Form der Arbeitsorganisation, durch flexiblere Arbeitsformen, durch Arbeiten im Team. Das wäre angemessener.

    Breker: Nun sagt ja Ärztepräsident Hoppe, es würde überhaupt keinen Sinn machen, junge Mediziner aufs Land zu schicken, er sagt sogar, sie auf die Menschen auf dem Lande los zu lassen. Hat er nicht Recht? Gehört nicht Erfahrung dazu, um ein guter Hausarzt zu sein?

    Reimann: Ja, aber auch jetzt lässt man sich auch mit einer gewissen Ausbildung nieder. Es gibt auch eine entsprechende Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Es ist ja nicht so, als wenn die völlig ohne Ausbildung und völlig unbeleckt in die Praxis gehen. Auch jetzt starten natürlich die in der Praxis auch mit einer entsprechenden Ausbildung, egal wo, ob im ländlichen Bereich oder im städtischen Bereich. Aber ich glaube auch, dass solche Arztpraxen, die mit mehreren Ärzten im Team arbeiten, natürlich die Arbeitsorganisationen der Zukunft sind, wo junge und alte miteinander arbeiten und sich absprechen können, und auch in Kooperation mit den Krankenhäusern, mit Kliniken, mit entsprechenden Ambulatorien an Kliniken.

    Breker: Wer ist denn nun eigentlich gefordert? Ist es Aufgabe der Politik, den Ärztemangel auf dem Lande zu beenden, oder wer ist da in Anspruch genommen, die Krankenkassen vielleicht?

    Reimann: In allererster Linie ist es die KV. Also die Kassenärztlichen Vereinigungen, die für die Sicherstellung und für die Bedarfsplanung zuständig sind, sind da gefordert. Die machen auch erste Pilotprojekte. Ich bin ja selbst Niedersächsin und hier gibt es erste entsprechende Vereinbarungen, auch was die Fortbildung angeht, für Allgemeinmediziner. Aber es ist natürlich auch flankierend von der Politik einiges zu verändern. Zum Beispiel darf man nicht medizinische Versorgungszentren auf den Prüfstand stellen, wie das im Koalitionsvertrag jetzt passiert. Und ich muss sagen, ich wundere mich schon, dass der Minister ausgerechnet die Dinge thematisiert und vor allen Dingen die Zulassungskriterien, die ja gar nicht in seinem Zuständigkeitsbereich liegen. Das sind alles Dinge, die in der Kompetenz und in der Zuständigkeit der Bildungsministerin liegen und der Länder liegen, und natürlich muss da etwas passieren, aber das alleine wird nicht dafür sorgen, dass wir auf dem Land eine ordentliche Versorgung sicherstellen können.

    Breker: Faktum ist ja, Frau Reimann, dass wir derzeit Ärzte exportieren. Viele junge Ärzte gehen in die Schweiz, gehen nach Skandinavien, gehen nach Großbritannien.

    Reimann: Ja und wenn Sie die fragen, warum sie das machen, dann sagen die nicht in allererster Linie wegen des Geldes, sondern in allererster Linie wegen der besseren Arbeitsbedingungen. Deshalb muss man an denen in allererster Linie ansetzen.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages, Carola Reimann. Frau Reimann, danke für dieses Gespräch.

    Reimann: Gerne!