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"Wir haben schon immer Schwierigkeiten mit dem Bundesverfassungsschutz"

Bei allen vergangenen Regierungen sei es immer ein Problem gewesen, dass die Parlamentarischen Kontrollkommission den Verfassungsschutz "nicht so wirklich" kontrollieren konnte, sagt Burkhard Hirsch. Der FDP-Politiker fordert, dass der Verfassungsschutz bei Verdacht einer Straftat gezwungen werde, Sachverhalte der Staatsanwaltschaft zu übertragen.

Burkhard Hirsch im Gespräch mit Anne Raith | 03.07.2012
    Anne Raith: Personelle Konsequenzen sind häufig der letzte Schritt, die letzte Etappe einer sehr langen Debatte, bei der am Ende dann einer die Verantwortung übernehmen, einer für das Geschehene geradestehen muss. Im Falle der Pannenserie bei den Ermittlungen rund um die NSU-Terrorzelle hat Heinz Fromm gestern nun personelle Konsequenzen gezogen, indem er früher in den Ruhestand geht als geplant. Doch die Diskussion ist damit noch lange nicht beendet, weder für die Regierung, noch für die Opposition, die den Verfassungsschutz nun als Ganzes auf den Prüfstand stellen will. Doch er ist nicht das einzige Problem.

    Und auch wir wollen in den kommenden Minuten über etwaige Konsequenzen und Umstrukturierungen sprechen. Am Telefon ist nun der FDP-Politiker und ehemalige nordrhein-westfälische Innenminister Burkhard Hirsch. Ich grüße Sie, Herr Hirsch.

    Burkhard Hirsch: Schönen guten Tag.

    Raith: Herr Hirsch, Gerhart Baum - wir haben es eben gehört - erinnert sich mit Grausen an das Koordinationschaos. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht in Ihrer Amtszeit?

    Hirsch: Ja nicht ganz. In Nordrhein-Westfalen ist der Verfassungsschutz eine Abteilung des Innenministeriums, also keine selbstständige Behörde. Das heißt, ich habe mich intensiv mit den Problemen jeweils befasst, bin auch mit dem Leiter dieser Abteilung ständig in engem Kontakt gewesen, und ich glaube, dass wir jedenfalls derartige Pannen in Nordrhein-Westfalen selber nicht gehabt haben, obwohl es manche Dinge gab, die mich auch mit Unbehagen erfüllt haben. Ein solcher Inlandsnachrichtendienst ist immer eine problematische Geschichte, die man sehr sorgfältig prüfen und überwachen muss.

    Raith: Aber auch in Nordrhein-Westfalen hat es ja Morde dieser Mordserie gegeben und was Gerhart Baum meinte, war auch die Abstimmung zwischen den einzelnen Verfassungsschutzämtern. Können Sie da seine Einschätzung teilen, dass da einfach vieles im Argen liegt?

    Hirsch: Es gab immer ein Problem dann, wenn Verfassungsschutz und polizeiliche Tätigkeit sich überschneiden. Das haben wir auch im Zusammenhang mit der RAF damals erlebt, dass der Verfassungsschutz über einzelne Vorgänge Kenntnisse hatte, die nicht in vollem Umfang und nicht ordnungsgemäß an die Polizei gelangten. Ich halte das für einen schweren Fehler und habe es immer für einen schweren organisatorischen Fehler gehalten, wenn der Verfassungsschutz beteiligt wird an der Aufklärung von Straftaten. Das heißt, in demselben Augenblick, wo der Verdacht einer Straftat besteht, muss der Verfassungsschutz veranlasst und gezwungen werden, den Sachverhalt der Polizei und der Staatsanwaltschaft vollkommen zu übertragen. Das ist leider bisher nicht geschehen, halte ich für einen schweren Fehler und das Zweite, was ich für einen auch wirklich schweren Fehler halte: Ich glaube nicht, dass ein Innenminister heute sagen kann, jetzt warten wir mal in Ruhe ab.

    Das Erste, was dringend geschehen muss, ist doch zu erreichen, dass Aktenvernichtungen, dass Schreddern, dass Löschen von Daten nicht von derselben Abteilung geschieht, die die Akten führt, sondern es muss innerhalb der Ämter dafür gesorgt werden, dass die politisch verantwortliche Leitung des Hauses vorher erfährt, welche Akten vernichtet werden sollen, wenn überhaupt, und das mitverantwortet. Das muss sofort geschehen, damit sich Vorgänge der Art, wie sie nun aufgedeckt worden sind, nicht wiederholen können.

    Raith: Sie sprechen die Aktenvernichtung an, wegen der ja auch Heinz Fromm nun zurückgetreten ist. Was sagt das denn über die Zustände im Verfassungsschutz derzeit aus, wenn so etwas passieren kann?

    Hirsch: Also ich bedauere, dass es Herrn Fromm erwischt. Er ist ein ordentlicher und geschätzter Mann, der sehr wohl gesehen hat, dass von den Rechtsextremisten eine erhebliche Gefahr ausgehen kann. Aber man muss schon sagen, offenbar ist der Geist des Hauses und die tägliche Arbeit nicht so kontrolliert worden - von wem auch immer - wie man das von einem Geheimdienst erwarten muss. Wir haben schon immer Schwierigkeiten mit dem Bundesverfassungsschutz in verschiedenster Weise gehabt, dass nämlich von dort auch Informationen in die Politik hineingegangen sind, die dann politisch ausgewertet wurden, und der Verfassungsschutz kann sehr leicht seine eigentliche Aufgabe aus den Augen verlieren, dass er nicht die jeweilige Regierung zu schützen hat, sondern die Verfassung, und das kann ein ganz großer Unterschied sein.

    Raith: Die Schwierigkeiten haben wir schon immer gehabt, sagen Sie. Warum tun dann eigentlich im Moment alle so überrascht, da müssen wir jetzt prüfen, das müssen wir jetzt unter die Lupe nehmen? Warum ist da in den vergangenen 20 Jahren nichts geschehen?

    Hirsch: Ja also ich glaube, dass man sich zu sehr auch auf die parlamentarische Kontrolle verlassen hat, und auch da haben wir in der Parlamentarischen Kontrollkommission immer wieder erlebt, dass diese Kontrolle nur so weit funktionierte - das war bei allen Bundesregierungen so -, wie die Dienste selber bereit sind, sich diesem Gremium gegenüber zu offenbaren.

    Und auch dazugehört die Verstärkung nicht nur der Rechte dieser Ausschüsse, sondern auch ihre personellen Möglichkeiten, dass sie tatsächlich unangemeldet in Behörden reingehen und dort die Akten selber prüfen können. Das liegt im Argen, das haben wir immer wieder beklagt, und ja, das war bei allen vergangenen Bundesregierungen immer ein wesentliches Problem, dass die Parlamentarische Kontrollkommission nicht so wirklich kontrollieren kann, wie man das eigentlich politisch erwartet und wie es notwendig wäre. Warum das nicht verbessert worden ist - das hat Haushaltsgründe, das hat politische Gründe, natürlich, weil keine Regierung sehr glücklich ist, wenn andere, die nicht zur Regierung gehören, sozusagen in diesen Dienst hineingucken können. Das ist das übliche Spiel.

    Raith: Vom Parlamentarischen Kontrollgremium, das Sie ansprechen, kommt jetzt die Forderung, dass die Sicherheitsbehörden jetzt verstärkt aufklären müssen. Aber wie soll das gehen, wenn es ja gerade die Sicherheitsbehörden sind, in denen es ja offenbar mehr als eine Ungereimtheit gegeben hat?

    Hirsch: Die Parlamentarischen Kontrollgremien, die müssen die Möglichkeit haben, verstärkt aufzuklären, was eigentlich in den Diensten tatsächlich passiert, und das geht eben mit dem vorhandenen Personal nicht, sondern da braucht man wirklich auch die finanziellen Möglichkeiten, jemanden zu beauftragen, speziell ein Problem durch Akteneinsicht vor Ort aufzuklären, ohne dass das groß vorher angekündigt und angemeldet wird. Also ich denke, man sollte nicht so sehr darauf vertrauen, dass ein Dienst sich selber kontrolliert, sondern man muss darauf achten, wie man ihn von außen her kontrollieren kann. Damals in Nordrhein-Westfalen - auch heute noch - ist das insofern anders, was dieses Land angeht, weil dort der Verfassungsschutz eine Abteilung des Innenministeriums ist, sodass man sofort den Durchgriff in alle Vorgänge hat, ohne jemanden groß fragen zu müssen. Da bestaune ich etwas die Bemerkung, die Sie vorhin gesendet haben, von Herrn Friedrich, dass er sagt, nun wollen wir erst mal in Ruhe abwarten, was der Untersuchungsausschuss herausbekommt. Ich hätte keine Sekunde Ruhe in dieser Frage.

    Raith: Keine Sekunde Ruhe hat ja auch im Moment die Opposition, die direkt ruft nach der Abschaffung der ganzen Behörde, dass man komplett den Bundesverfassungsschutz auf den Prüfstand stellen soll. Wäre der Sache denn damit gedient in Ihren Augen?

    Hirsch: Nein. Die Abschaffung halte ich, das wäre wirklich ein Fehler, weil wir dann eine politische Polizei kriegen würden. Früher wurden ja solche Beobachtungen von einer politischen Polizei wahrgenommen und die Auslagerung dieses Teils der Arbeit auf eine andere Behörde halte ich für ganz wichtig, weil wir die Polizei nicht politisch haben wollen. Wir brauchen eine Behörde in der Tat, die eben politische Entwicklungen beobachten kann. Nun war der Verfassungsschutz ja ein legitimes Kind des Kalten Krieges. Der Kalte Krieg ist beendet und es gibt innenpolitische Vorgänge - Sie haben recht: Wir haben Rechtsextremismus, wir haben auch Trümmer des Linksextremismus -, die man schon beobachten sollte. Aber ich meine, dass der bisherige Umfang des Apparates, der sich aus dem Kalten Krieg ergab, dass der übersetzt ist, und ich denke, dass man den Verfassungsschutz auf seine wirkliche Aufgabe zurückführen muss, nämlich nicht kriminelle Vorgänge zu beobachten, sondern zu sehen, haben wir in unserem politischen Spektrum Leute, die Grundwerte unserer Verfassung umstürzen wollen. Das ist eine andere Aufgabe, die ich unverändert für nötig halte, aber nicht polizeilich.

    Raith: Pardon, Herr Hirsch. Es ist ja nicht allein ein Problem des Umfangs, was jetzt alles schief gegangen ist. Wie wollen Sie in Zukunft verhindern, dass das, was geschehen ist, zum Beispiel jetzt auch ganz aktuell mit dem Stichwort Aktenvernichtung, dass das in Zukunft nicht wieder geschieht, wenn Sie am Bundesverfassungsschutz festhalten?

    Hirsch: Man muss dafür sorgen, dass jede Löschung von Daten oder jede Vernichtung von Akten erst von der Leitung der Behörde selber genehmigt werden muss, oder dass sie jedenfalls davon rechtzeitig vorher informiert wird. Man muss sofort dafür sorgen, dass solche Vorgänge sich nicht wiederholen können. Auch in anderen Ländern gibt es ja das Problem und dann gibt es eben auch Kommissionen, die nicht zu der Behörde selber gehören, also die zum Archiv gehören oder sonst was, die mit entscheiden müssen, ob ein Vorgang vernichtet werden kann oder nicht. Da gibt es Vorbilder, nach denen man verfahren kann. Aber wie gesagt, da würde ich nun wirklich nicht lange warten, sondern da muss eigentlich schnell etwas geschehen.

    Raith: ... , sagt der FDP-Politiker und ehemalige NRW-Innenminister Burkhard Hirsch im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank, Herr Hirsch.

    Hirsch: Keine Ursache! Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.