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"Wir hätten auf beiden Seiten Mehrheiten für den Frieden"

Die Politik der Regierung von Benjamin Netanjahu sei für den Friedensprozess nicht förderlich gewesen. Es sei zu befürchten, dass sich das in einer schwachen nächsten Netanjahu-Regierung nicht ändern werde, sagte der Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe Jerzy Montag.

Jerzy Montag im Gespräch mit Jasper Barenberg | 23.01.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Bieten die Neuwahlen in Israel die Chance, dass der Friedensprozess mit den Palästinensern möglicherweise doch wieder in Gang kommt? Der war ja unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu regelrecht zum Stillstand gekommen. Der Chef der konservativen Likud-Partei hat mit seiner kompromisslosen Siedlungspolitik die Palästinenser provoziert und auch seine Partner im Westen brüskiert. Jetzt also die Neuwahlen, und da hat Netanjahu herbe Verluste eingefahren. Er kann wohl noch Ministerpräsident bleiben, doch der Gewinner des Abends, der ist ein anderer.

    Vor dieser Sendung hatte mein Kollege Jasper Barenberg die Gelegenheit, zu sprechen mit Jerzy Montag von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Chef der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. Und seine erste Frage an ihn lautete, wie überraschend denn die starken Verluste für Netanjahu für ihn gewesen sind.

    Jerzy Montag: Sie sind schon sehr beachtlich. Der Likud hat ja, obwohl er sich mit der Lieberman-Partei verbündet hat, 25 Prozent seiner Stimmen verloren und auch die rechnerische rechte Mehrheit von einem Sitz ist alles andere als komfortabel. Wenn man bedenkt, dass diese mögliche theoretische Koalition aus fünf oder sechs Partnern besteht, dann ist das Erpressungspotenzial für die nächste Regierung schon sehr, sehr hoch.

    Jasper Barenberg: Regierungsbildungen sind erfahrungsgemäß in Israel eine Sache für sich, hoch kompliziert meistens, weil auch in der nächsten Knesset ja sehr viele Parteien vertreten sein werden. Der überraschende Erfolg für den früheren Fernsehjournalisten Jair Lapid wird da eine gewichtige Rolle spielen mit seiner liberalen Zukunftspartei. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass sich Netanjahu in diese Richtung, also in Richtung der Mitte, politisch bewegen wird bei dem Versuch, die nächste Regierung auf die Beine zu stellen?

    Montag: Das ist sehr schwer zu sagen. Sie haben selber darauf angesprochen, dass die Regierungsbildungen in Israel sehr komplex und vielschichtig sind, und Benjamin Netanjahu ist für so manche Last Minute Volten auch zu haben. Ausschließen will ich es nicht, aber wahrscheinlicher ist schon, dass Netanjahu sowohl die russische Partei von Lieberman als auch die ultraorthodoxen Laizisten der Siedlerbewegung und die Ultraorthodoxen der religiösen Parteien zu einem Bündnis schmieden wird, und das wird ein sehr anfälliges und schwaches Bündnis sein. Mit einer Stimme Mehrheit regiert es sich nirgendwo gut, aber in Israel ganz besonders schlecht.

    Barenberg: Der Schriftsteller Baram hat dieser Tage gesagt, es ist den Menschen einfach egal geworden, alles was sie wollen ist Ruhe. Was halten Sie von dieser Analyse?

    Montag: Das ist eine Analyse, der ich eine Berechtigung nicht absprechen will. Er hat eine innenpolitische Analyse getroffen. Er ist in dem Land, er lebt in dem Land, er ist ein Israeli. Bei mir kann es ja nur eine außenpolitische und eine Analyse von außen sein, und da sehe ich Gefahren: sowohl für Israel und die jüdische Seite als auch für die zum Frieden und zum Ausgleich bereiten Araber und Palästinenser auf der anderen Seite. Wir hätten in beiden Völkern, auf beiden Seiten breite Mehrheiten für den Frieden, aber weil es nicht den geringsten Anschein gibt, welcher Weg eingeschlagen werden soll, wenden sich die Menschen von diesem Thema ab und sind froh, dass es einen Zaun gibt, sind froh, dass es ein starkes Militär gibt, und wenden sich den Problemen zu, die ihnen unter den Nägeln brennen: Mieten, soziale Fragen, Zukunftsängste – eine ganz verständliche Entwicklung.

    Barenberg: Nun liegt ja das Bekenntnis zur Zweistaatenlösung formal jedenfalls immer noch auf de Tisch. Dafür hat sich ja auch Benjamin Netanjahu ausgesprochen in den letzten Jahren. Nun hat der britische Außenminister William Hague darauf hingewiesen, dass der Friedensprozess seiner Ansicht nach jedenfalls so gut wie tot sei wegen der forcierten Besiedlung in den besetzten Gebieten, die die Regierung in Tel Aviv fortsetzt, und er hat das verbunden mit der Warnung, dass Israel international an Unterstützung verliert. Teilen Sie diese Einschätzung, dass die Regierung Benjamin Netanjahu wesentlich verantwortlich dafür ist, dass eben von einem Friedensprozess im Moment gar nicht zu sprechen ist?

    Montag: Die Politik der Regierungen Netanjahu der letzten Jahre war für den Friedensprozess nicht förderlich und es ist zu befürchten, dass sich in nächster Zeit in einer schwachen nächsten Netanjahu-Regierung keine Änderungen zum Positiven ergeben werden. Dies müssen wir nüchtern und realistisch aus Europa sehen. Das ändert im Übrigen nichts an unserer besonderen Beziehung, die wir zwischen Deutschland und Israel haben, aber dass die Kritik an der Politik der jetzigen Regierung berechtigt ist, daran habe ich persönlich jedenfalls keine Zweifel.

    Barenberg: Barack Obama hat gerade seine zweite Amtszeit begonnen. Kann er in dieser zweiten Amtszeit mit mehr Druck da etwas verändern?

    Montag: Er könnte, wenn er denn wollte. Die Frage ist, ob sich die amerikanische Außenpolitik geopolitisch auf den Nahen und Mittleren Osten zubewegt, oder eher von dort fortbewegt. Und wenn ich mir die erste Amtszeit des amerikanischen Präsidenten anschaue, dann sehe ich eher strategische, weltstrategische Bewegungen der amerikanischen Außenpolitik in den pazifischen und den ostasiatischen Raum und weniger in den Raum im Mittleren und Nahen Osten. Deswegen bin ich da auch verhalten, ich will nicht sagen verhalten pessimistisch, aber optimistisch kann ich es auch nicht formulieren. Ich glaube, dass die Amerikaner auch das Interesse an der Lösung des Konflikts verlieren, und deswegen hat die Europäische Union und inmitten der Europäischen Union Deutschland, aber auch Frankreich und die anderen starken Mächte in Europa eine in den nächsten Jahren wachsende Verantwortung für die Region im Süden Europas, und dazu zählen ganz sicherlich auch der Nahe Osten und Israel.

    Heckmann: Benjamin Netanjahu bleibt wohl Regierungschef in Israel. Mein Kollege Jasper Barenberg hat gesprochen mit Jerzy Montag von Bündnis 90/Die Grünen, er ist Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.