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"Wir leben unter dem Diktat der Kurzfristigkeit"

Allzu optimistisch ist der Exekutivdirektor des Institut for Advanced Sustainability Studies in Potsdam, Klaus Töpfer, nicht, was die Ergebnisse des Klimagipfels in Durban angeht. Aufgrund der Atomwende gehöre Deutschland dort aber zu den treibenden Kräften. Dennoch dürfe man sich nicht zurücklehnen - gerade im Hinblick auf die CO2-Emission.

Klaus Töpfer im Gespräch mit Georg Ehring | 27.11.2011
    Georg Ehring: Am Montag beginnt in Südafrika der Klimagipfel, doch dieses Mal schaut die Welt kaum hin. Der Fokus der Öffentlichkeit liegt auf der Finanzkrise. Kann die Weltgemeinschaft angesichts großer kurzfristiger Schwierigkeiten überhaupt ein langfristiges Abkommen zum Dauerproblem "Klimawandel" zustande kriegen?

    Klaus Töpfer: Es ist eine Tragik geradezu und ein Desaster, das wir in der Abfolge von kurzfristigen dramatischen Krisen das, was mittel- und langfristig zwingend notwendig ist, nicht in den Griff bekommen. Wir leben unter dem Diktat der Kurzfristigkeit – in einer Zeit, in dem das, was wir tun, immer längere Auswirkungen in Zeit und Raum hat. Also genau das Gegenteil von dem, was eigentlich gemacht werden müsste - und das trifft sicherlich in die Fragen der Klimapolitik massiv mit hinein. Das betrifft sicherlich nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern viele andere auch, und es wird allerhöchste Zeit, dass wir etwas daran tun, dieses Schema zu ändern und deutlich zu machen, dass diejenigen, die Klimapolitik bewusst betreiben und erfolgreich betreiben, auch eine große Förderung ihrer eigenen Wirtschaft damit verfolgen können.

    Ehring: Über 10.000 Delegierte und Beobachter fahren nach Durban, trotzdem gibt es in der Öffentlichkeit ziemlich geringe Erwartungen an den Klimagipfel. Was muss er bringen?

    Töpfer: Was er bringen müsste, ist ganz klar. Er müsste einen Anschluss bringen an das, was in Kyoto einmal beschlossen wurde. Das Kyoto-Protokoll läuft aus Ende des kommenden Jahres. Insofern ist es mehr als zwingend. Es ist ja schon überfällig, es sollte schon fertig sein. Aber das wird man auch in Durban diesmal nicht bekommen. Was man bekommen kann, ist, dass wir uns darüber weiter einigen können, wie wir technologische Zusammenarbeit im Energiebereich voranbringen, damit diejenigen Länder, die zwingend weitere wirtschaftliche Entwicklung brauchen – gerade auch in den Entwicklungsländern, und dieser Kongress findet in Südafrika statt –, mit besseren Techniken das machen können, und dadurch weniger Belastung für die Umwelt, auch für den Klimawandel bewirken. Wir werden sicherlich weitere Fortschritte machen können in der Zusammenarbeit zur Erhaltung der Wälder. Wir alle wissen, dass die Wälder Senken, also Aufnahmeflächen für Kohlendioxid, für CO2, also den Hauptklimakiller sind. Dort ranzugehen und zu sagen: Wo können wir vermeiden, dass abgeholzt wird und wo können wir sogar zusätzlich aufforsten, um eine stärkere Bindung zu bekommen, ist ein ganz, ganz wichtiges Thema. Ich gehe davon aus, dass man auch dort weiterkommt. Angesichts der gewaltigen finanziellen Krisensituationen, in denen sich gerade auch die hoch entwickelten Industrieländer gegenwärtig befinden – sehen Sie sich die desaströse Verschuldungssituation in den Vereinigten Staaten von Amerika und in vielen europäischen Ländern an –, bin ich wieder einmal skeptisch, ob es gelingen wird, auch die für die Anpassung an den Klimawandel dringend notwendigen finanziellen Mittel von den hoch entwickelten Ländern an die Entwicklungsländer fließen zu lassen. Das ist aber eine zwingende Voraussetzung ebenfalls. Und letztens wird man sich darüber zu unterhalten haben, welche zusätzlichen Maßnahmen möglich sind, damit nicht die Meinung kommt, erst muss das Protokoll verabschiedet werden oder eine solche Regelung erreicht werden, und dann müssen wir handeln. Das wäre die größte Katastrophe, wenn man diese Strategie fährt.
    Ehring: Die Kernfrage bleibt aber unbeantwortet, nämlich die Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes. Die Treibhausgas-Emissionen sind seit Anfang der 90er-Jahre um rund 40 Prozent gestiegen. Wie kann hier die Wende kommen, haben Sie eine Idee?

    Töpfer: Ja, man könnte fast resignieren, Sie haben völlig recht. Im letzten Jahr haben wir einen Rekordanstieg an CO2 gehabt in der Welt, 5,8 Prozent. Man muss ja fast ernüchternd feststellen, dass alles viele Reden noch nicht zu Taten geführt hat. Der CO2-Ausstoß in der Welt ist sehr viel stärker abhängig von der wirtschaftlichen Situation – also haben wir einen Aufschwung oder haben wir eine wirtschaftliche Stagnation, eins von irgendwelchen klimapolitischen Maßnahmen. Bisher ist das leider so der Fall. Und, wie gesagt, 5,8 Prozent im letzten Jahr Anstieg an CO2. Man muss sich das mal vorstellen – wir wollen zumindest eine Stabilisierung haben und in der Tendenz einen deutlichen Rückgang haben, und da steigt das in einem Jahr um 5,8 Prozent an. Das zeigt ja das Ganze Dilemma und zeigt vor allen Dingen auch, wie notwendig es ist, nicht nur darüber zu fragen: Wie kriegen wir weniger CO2 in die Luft, sondern wie können wir uns auch an den jetzt nicht mehr vermeidbaren Klimawandel besser anpassen, wie können wir es also erreichen, dass die Welt gerüstet ist dagegen, dass sich das Klima deutlich verändert?

    Ehring: Das Kyoto-Protokoll ist ja das bisher einzige erfolgreiche Klimaschutz-Abkommen, es läuft Ende nächsten Jahres aus. Gibt es jetzt Jahre ohne verbindliche Grenzen für die Treibhausgas-Emission?

    Töpfer: Also zunächst einmal bin ich nicht so ganz davon überzeugt, dass Kyoto so ein Erfolgsmodell gewesen ist. Es war gut, dass es verhandelt wurde, es ist gut, dass es durchgesetzt wurde, und es wäre hervorragend, wenn es über eine Zeit weiterführen könnte. Aber wie eben schon gesagt: Der Anstieg der CO 2-Emission ist auch in Zeiten des Klimawandels deutlich weitergegangen. Wir haben in Deutschland glücklicherweise unsere Ziele in etwa erreicht, und ich hoffe, dass das auch in der Zukunft so weitergeht, denn wir haben ja sehr anspruchsvolle Ziele in Deutschland uns gesetzt – eben nicht nur 20 Prozent weniger, sondern 30, wenn nicht 40 Prozent weniger in der nächsten Zeit. Ich glaube, wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die Situation so kommt, wie Sie sie genannt haben. Wir werden eine Zeit bekommen, ohne dass wir verbindliche Ziele und verpflichtende Zeiträume, in denen man dieses zu realisieren hat, haben werden. Wir werden sicherlich deswegen nicht eine Inaktivität der Klimapolitik haben dürfen. Deswegen sagte ich ja gerade: Gehen wir doch hin und sagen, gerade diejenigen, die Klimapolitik machen, die Energieeffizienz durchsetzen, die immer weniger Kohlenstoff in ihrer Energieversorgung haben, also immer weniger Kohle, Mineralöl und Gas, das werden auch diejenigen sein, die wirtschaftlich die Gewinner sind. Wenn wir das belegen können, dann erhöhen wir die Attraktivität, die wir mit einer aktiven Klimapolitik haben. Deswegen hat ja Deutschland auch so eine ganz zentrale Aufgabe in diesem Jahr, denn wir haben in diesem Jahr die Energiewende in Deutschland gemacht, etwas, was weltweit enorme Aufmerksamkeit gefunden hat. Man beachtet sehr genau, ob wir aus der Tatsache, dass wir aus der Kernenergie aussteigen, etwa laxer umgehen, also nicht so genau mehr hingucken, wie die CO2-Emission bei uns ist, und ob es uns gelingt, mit erneuerbaren Energien diese Lücke zu füllen und damit auch eine Zukunftsantwort zu haben. Ich gehe davon aus, dass uns das gelingen kann, aber da muss hart dran gearbeitet werden. Und dies wird in Durban ganz ohne jeden Zweifel massiv mit erörtert werden. Ich weiß ja, wie viele Anfragen man selbst bekommen hat, darüber etwas in Durban zu sagen. Aber ich glaube, das macht man dann besser im Vorfeld als an diesem Platz, wo ohnedies so viele Menschen sind, dass der Einzelne sich kaum noch Gehör verschaffen kann.

    Ehring: Der Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro hat das Klimaproblem schon erkannt, hat die Klimarahmen-Konvention abgeschlossen. Aber in den entscheidenden Fragen ist trotzdem recht wenig passiert. Herr Töpfer, Sie sind von Anfang an dabei gewesen. Welche Gefühle beschleichen Sie denn angesichts dieser geringen Erfolge in so langer Zeit?

    Töpfer: Ja wissen Sie, ich habe ja eben schon mal diesen Begriff "Resignation" in den Mund genommen, was ich eigentlich grundsätzlich ablehne, denn Resignation hat noch nie ein Problem gelöst. Aber man muss sich schon wirklich schütteln, wenn man sieht, wie wenig da vorangekommen ist bei all den Bemühungen. Natürlich wissen wir, dass das außerordentlich anspruchsvoll ist. Sehen Sie, als wir dieses Protokoll verabschiedeten in Kyoto, da gab es einige Hundert Millionen Menschen weniger auf dieser Erde. Wir kriegen einen deutlichen weiteren Bevölkerungsanstieg, wir werden sehen, dass immer mehr Menschen in allen Teilen der Welt natürlich das wollen, was wir als selbstverständlich für uns hinnehmen, dass wir einen hohen Wohlstand haben, dass wir alle mobil sind, dass wir mit dem Auto unterwegs sind, dass wir sehr viel Kohlenenergie verbrauchen. Andere wollen auch Armut überwinden, wollen auch eine Perspektive haben. Wir gehen davon aus, dass wir jetzt sieben Milliarden Menschen sind, im Jahre 2050 werden es neun Milliarden sein. Alle die Länder, in denen die Bevölkerung so ansteigt – es ist ja nicht wie bei uns, bei uns sinkt sie, da können Sie mal sehen, welche Spannungen auch in dieser Welt bestehen und wie sie sich dann in solchen Kongressen niederschlagen –, diese Menschen werden in diesen Ländern natürlich sagen: Seid vorsichtig, irgendwelche Abkommen zu machen, die am Ende nur uns belasten. Die anderen haben ihren Entwicklungsprozess hinter sich, haben damals bis heute wirksam die Atmosphäre mit CO2 aufgeladen, also müssen die vorangehen. Das ist ja diese vertrackte Verhandlungssituation. Also, um es noch mal ganz konkret zu sagen: Man kann beim besten Willen nicht zufrieden sein und man darf auch um der Sache willen nicht einfach resignieren und sagen: Wenn es nicht geht, dann muss man hinterher die Folgen tragen. Das wäre unverantwortlich.

    Ehring: Wie zufrieden sind Sie denn mit der deutschen Energiewende und der aktuellen Energiepolitik?

    Töpfer: Also ich glaube, das ist, wie ich eben schon gesagt habe, eine ganz große Chance für uns. Sehen Sie, wir haben die gute Voraussetzung geschaffen vorher bereits, dass wir bei Investitionen in Forschung und Technologien für erneuerbare Energien, für Solar, für Wind, für Biomasse sehr viel gemacht haben. Wir sind dadurch weltweit Technologie-Spitzenreiter geworden in vielen dieser Technologien. Das ist eine große Chance, und dies hat uns in eine andere Situation gebracht als etwa die Franzosen. Wir haben "nur noch" – in Anführungsstrichen – etwas über 20 Prozent Kernenergie gehabt, die Franzosen haben 80 Prozent. Von daher gesehen ist es möglich geworden, nach diesem Weckruf, diesem dramatischen, diesem schrecklichen Ereignis in Japan zu sagen: Diese gut 20 Prozent, die können wir auch innerhalb von zehn Jahren durch erneuerbare Energien und vor allen Dingen durch Energie-Effizienz, also durch das bessere Umgehen mit Energie durch Energiesparen ersetzen. Das ist die große Voraussetzung gewesen, die liegt schon ein Stück zurück. Ohne dass wir uns darum bemüht hätten, auch eine Zukunft ohne Kernenergie zu erfinden, wären wir eigentlich in derselben eigentlich alternativlosen Situation, wie sich das jetzt bei anderen Ländern, die so auf die Kernenergie gesetzt haben, darstellt. Also von daher gesehen ist das sicherlich eine gute Position. Wir müssen aber, ich sage es noch einmal, auch klarmachen, dass der Ausstieg aus der Kernenergie nicht heißt, mehr fossile Energieträger, also mehr CO2-Emission.

    Ehring: Die Bundesregierung hat im Strommarkt 35 Prozent erneuerbare Energien bis 2020 angepeilt und dieses Ziel auch unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima nicht aufgestockt – entgegen den Forderungen beispielsweise aus der Branche und auch von vielen Umweltschützern. Ist das die richtige Politik?

    Töpfer: Also, wer sich das so ein bisschen in der Realität ansieht: Wir haben jetzt 20 Prozent erneuerbare Energien im Strommarkt. Ich bleibe jetzt mal nur beim Strom, nicht so sehr bei der Wärme. Wenn wir dort auf 35 Prozent kommen wollen in weniger als zehn Jahren, dann ist das wirklich eine in der Welt beispiellose Weiterentwicklung, zumindest für ein Land, in dem wir nicht mal nennenswert auf Wasserkraft setzen können. Wenn Sie nach Österreich gehen, das ist eine andere Tatsache, die haben einen Anteil von weit über 40 Prozent erneuerbarer Energie, die aber fast gänzlich aus der Wasserkraft kommt, was bei den landschaftlichen Gegebenheiten dieses Landes sehr erklärbar ist. Das gilt nebenbei auch für die Schweiz. Also, wir sind schon ein Stück gefordert, das zu erreichen. Wenn es uns wirklich gelingt, diese Technologien auf 35 Prozent jetzt zu entscheiden und jedem klarzumachen: Jawohl, da stehen wir dazu, dann werden wir sehen, dass wir dieses Ziel sehr schnell überkompensieren, dass wir weiter sind. Kein Mensch hatte geglaubt, dass wir im letzten Jahr bereits 20 Prozent überschreiten. Wir haben´s gemacht. Wir haben einen Anteil gehabt von etwas über fünf Gigawatt neue Solarenergie im letzten Jahr. Man muss sich das mal vorstellen. Wir haben insgesamt nur acht Gigawatt von den acht Kernkraftwerken weggenommen, die jetzt schon stillgelegt worden sind. Also, das sind gewaltige Veränderungen und ich bin sehr davon überzeugt, wir können dieses dann erreichen, wenn wir es sehr eng gekoppelt sehen mit besserer Energieeffizienz, mit der besseren Isolierung unserer Gebäude, mit der Veränderung unserer Energieeffizienz in den Geräten, die wir nützen. Gucken Sie mal den durchschnittlichen deutschen Heizungskeller an. Da werden Sie noch Heizungen sehen, die geradezu antike Stücke darstellen mit sehr schlechtem Wirkungsgrad. Hier mit anzusetzen, auch durch Förderungsprogramme voranzukommen, um Energie effizient zu machen, dann werden wir sehen, wir kriegen auch diese Prozentsätze, die die einen oder anderen jetzt kritisieren, dass sie zu niedrig sind. Und diese Kritik ist immer anspornend. Ich habe da nichts dagegen, das ist doch prima. Das wird anspornend sein auch für diejenigen, die sie einsetzen. Fahren Sie heute einmal durch Deutschland, dann werden Sie sehen, welche Wirkung Wind und Sonne bereits bei den Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger erreicht hat.

    Ehring: Die Bundesregierung überlegt aber, zum Beispiel bei der Solarförderung die Ausbaumengen zu deckeln.

    Töpfer: Ja, wir müssen ein kleines bisschen auch darauf sehen, dass das alles bezahlt werden muss und dass diejenigen, die das bezahlen, Sie und ich und alle Bürgerinnen und Bürger sind. Ich gehe mal davon aus, dass Sie und ich auch einen entsprechenden Anstieg der Strompreise noch ganz vernünftig verkraften können. Aber fragen Sie einmal bei denen nach, die mit ganz anderen Einkommen das zu bewältigen haben. Und da muss man sehen, wie weit schlägt eine solche Quersubvention im Energiepreisbereich durch auf den Endverbraucher, dass wir uns hier also Gedanken darüber machen müssen, wie ist die Förderung zu verändern und weiter zu entwickeln. Ich glaube, darüber gibt es kaum irgendwo noch eine offene Frage. Ich warne nur davor, dass man diese Einschnitte jetzt zu harsch macht. Man muss das sehr vorsichtig machen, denn ich sage noch einmal, es kann ja nicht sein, dass wir mit sehr viel Geld unserer Bürgerinnen und Bürger dazu beigetragen haben, dass wir führend geworden sind bei diesen Technologien der alternativen Energien, und dann, wenn sie so weit sind, das so zurückfahren, dass sie praktisch verdorren. Wir sind bereits gegenwärtig in der guten Situation, dass über 70 Prozent der Produkte der Windenergie exportiert werden. Man muss sich das einmal vorstellen, welche Bedeutung das für unsere Volkswirtschaft gewonnen hat. In der Solarenergie sehen wir massive technologische Fortschritte.

    Ehring: Im Deutschlandfunk hören Sie das Interview der Woche mit Klaus Töpfer, CDU-Politiker und ehemaliger Chef des UN-Umweltprogramms. Herr Töpfer, ich möchte noch einmal auf die Energieeffizienz zurückkommen. Das ist ja die zweite Säule der Energiewende. Die EU-Kommission setzt auf Einsparungen von 1,5 Prozent pro Jahr, Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler auf Freiwilligkeit. Was ist der richtige Weg?

    Töpfer: Das ist eine der zentralsten Fragen überhaupt. Es ist ja zu bedauern, dass, wenn wir Energiewende sagen, man in Deutschland nur die Frage damit verbindet, welche Quellen liefern uns Energie, also wo kommt sie her, aber nicht, warum haben wir so eine hohe Energienachfrage. Also, wir müssen an die Energieeffizienz heran. Und ich glaube schon, dass wir da nicht nur auf Freiwilligkeit setzen dürfen. Es ist zu viel, was auf dem Spiel steht. Es steht auf dem Spiel die Leistungsfähigkeit einer Politik, die uns über Generationen hinaus wirklich verpflichtet. Was wir heute nicht machen, kann morgen und übermorgen nur sehr schwer wieder eingeholt werden. Es ist gesagt worden, dass wir eine außerordentlich egoistische Generation sind. Dem schließe ich mich an. Wir denken nicht darüber nach, was denn für Konsequenzen unseres Wohlstandes für die kommende Generation da sein werden. Und die sind massiv. Wir sehen es im finanziellen Bereich gegenwärtig mit den riesigen Schuldensummen, die wir immer und immer wieder vorgeführt bekommen mit neuen Hilfspaketen von Milliardengrößen, die vorher gar nicht vorstellbar waren. Aber wir müssen sehen, dass die Schulden, die wir in der Umwelt gemacht haben, mindestens genau so groß sind. Also, ich bin schon der Meinung, hier muss nicht nur die Frage der Freiwilligkeit eine Rolle spielen, sondern hier muss massiv einmal Anreiz gesetzt werden – und das macht staatliche Entscheidung erforderlich – und es muss auch ein ordnungsrechtliches Instrument, also eine rechtliche Fixierung und Begrenzung vorgenommen werden. Das ist auch gar nicht so überraschend, das haben wir überall immer wieder gehabt. Wir geben vor, wie viel CO2 ein Auto pro Kilometer ausstoßen kann. Das ist eine staatliche Entscheidung und das muss eingehalten werden. Wir haben einmal bei dem Kampf gegen Schwefeldioxid natürlich für Kohlekraftwerke gesagt, 400 mg/m3 ist die Grenze. Alle haben aufgeschrien, alle haben sich aber auch hingesetzt und haben ihre Hausarbeiten gemacht und Technologien entwickelt. Also, bei allem Verständnis für den mündigen Bürger und seine hoffentlich auch freiwillig getragenen Entscheidungen, wir müssen in dieser schwierigen Frage auch ordnungsrechtlich mit entscheiden.

    Ehring: Ist die Bundesregierung in der Frage dann zu zögerlich?

    Töpfer: Ich sag noch einmal, wir sind ganz ohne jeden Zweifel diejenigen, die in Durban noch die treibendsten Kräfte sind, ganz ohne Frage. Nicht die Einzigen, es gibt andere. Gehen Sie nach Skandinavien, gehen Sie in andere europäische Staaten. Ich habe eben schon die Schweiz genannt und andere. Aber in dieser wichtigen, wirklich existenziell wichtigen Frage muss man sagen, niemand kann sich zurücklehnen und sagen, wir sind ja die Besten oder sind mit in der Spitzengruppe. Wir müssen mehr machen. Und ich unterstreiche es jetzt, glaube ich, zum dritten Mal, wir müssen auch deswegen mehr machen, weil das bessere und schnellere Handeln im Klimaschutz unserer Wirtschaft entgegen aller Besorgnisse nicht schaden wird, sondern nutzen wird. Wir werden die besten Energieeffizienzprodukte mit anbieten können. Wir sind gegenwärtig bereits dabei, die besten Technologien bei erneuerbaren Energien auf den Markt bringen zu können. Dass wir jetzt bei den Massenprodukten schon wieder von China praktisch überholt werden, weil die das deutlich preiswerter machen können, das sind alles Dinge, die uns dazu führen müssen, immer wieder an der technologischen Spitze zu stehen. Das zu tun heißt, gegen den Klimawandel zu handeln, aber auch die Technologien zu entwickeln, die die Welt mit sieben oder neun Milliarden Menschen in Zukunft dringlich braucht.

    Ehring: Viele sehen den Klimawandel als Teil einer umfassenderen Umweltkrise. Grundnahrungsmittel werden in vielen Ländern teurer, Wasser wird knapp, die Biodiversität schrumpft. Wie kann da eine Gesamtstrategie aussehen?

    Töpfer: Richtig ist, dass wir uns angewöhnen müssen, nicht mehr in einzelnen Sektoren zu denken, sondern in Komplexen zu denken. Vor wenigen Tagen war in Bonn eine große Konferenz auch von der Bundesregierung mit organisiert, die man eine Nexus-Konferenz genannt hat, das Zusammengehen von Wasser, von Energie und Nahrungsmittel, die hängt zusammen. Und man kann sehen, dass das eine bessere Lösung gibt, wenn man die drei zusammen denkt. Und vielleicht hätte man Böden noch dazu nehmen müssen. Ich bin jedenfalls der Meinung. Und das gilt ganz sicherlich auch auf vielen anderen Gebieten, auf den großen Gebieten, die Sie genannt haben. Es hat sicherlich eine solche Entwicklung ihre Vorteile. Man darf aber auch nicht übersehen, uns macht die CO2-Politik, also die Klimapolitik, massive Probleme. Auch dort müssen wir schon verbreitern. Sehen Sie, in dem Institut, in dem ich die Freude gehabt habe, es leitend mit aufzubauen, im Institut für Advanced Sustainability Studies in Potsdam, sind wir gegenwärtig an einer Frage massiv dran, welche andern Faktoren außer CO2 sind denn für den Klimawandel verantwortlich? Wie sieht das eigentlich mit Partikeln aus, mit Rußpartikeln, deren Wirkungen auf Eis und vieles andere, mit Methan, wie sieht es aus mit Ozon? Das sind kurzlebige Schadstoffe und man kann dort hilfreich rangehen, ohne das andere zu vergessen. Das heißt, auch dort ist, wenn man einen Komplex erweitert, es besser zu machen. Der Volksmund kennt ja das schöne Wort: Wenn du ein Problem nicht lösen kannst, vergrößere es, damit man neue Zugänge zu dem Problem hat. Sie können ja die Querverbindung leicht sehen, wenn Sie die Biodiversität mit reinbringen. Dann wissen Sie, das sind auch wieder Hinweise auf die Senken von CO2. Wenn Sie den Ozean mit einbinden in eine solche Diskussion, was ja gemacht wird, haben Sie das Gleiche. Ja, die Tendenz ist richtig, aber bitte nicht es so groß machen, dass man hinterher sagt, da kann man überhaupt keine Lösung mehr finden. Vielleicht ist das, was 20 Jahre nach Rio in dieser Konferenz jetzt im nächsten Jahr vorgesehen ist, ein guter zusammenfassender Punkt. Man spricht dort von der "Green Economy", von der grünen Wirtschaft.

    Ehring: Viele Menschen wollen Wohlstand, verstehen darunter ein großes Auto, Geländewagen vielleicht, eine Flugreise in den Urlaub, eine große Wohnung. Müssen wir uns auf Dauer von solchen Dingen verabschieden, weil es die Umwelt nicht aushält?

    Töpfer: Wissen Sie, wenn Sie etwas sorgfältig in diese Gesellschaft, in der wir leben, hineinblicken, dann sehen Sie ja ganz beeindruckende Veränderungen. Da gibt es immer mehr Menschen, die sich darüber Gedanken machen, ob das alles so weiter gehen kann. Ich habe bisher nur von Effizienz gesprochen. Immer mehr Menschen machen sich Gedanken darüber, ob es nicht auch etwas um Suffizienz geht. Wann ist genug genug? Der Bundestag hat eine neue Enquetekommission eingerichtet, die mal überprüfen soll, ist denn das Bruttosozialprodukt der richtige Indikator für unsere Lebensführung. Unser früherer Bundespräsident Horst Köhler hat in einer fantastischen Rede das auf den Punkt gebracht bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises in Augsburg: Auf was verzichten wir denn heute? Wir verzichten heute auf Ruhe, auf Zeit mit der Familie, auf viele Dinge, die in das Bruttosozialprodukt nie eingehen. Wir verzichten möglicherweise auch darauf, dass wir uns den Kindern nicht hinreichend mehr widmen können – alles Fragen, die im Bruttosozialprodukt keinen Niederschlag mehr finden. Also, das kommt schon aus der Bevölkerung heraus sehr deutlich voran, die Frage, wie lange kann man in einer abnehmenden Gesellschaft noch wirtschaftliches Wachstum als Grundlage von Stabilität ansehen. Ich bin nicht der Meinung, dass das etwas Negatives darstellt, dass man immer wieder jemanden haben wird und viele möglicherweise auch, die sagen, aber ich möchte ein großes Auto haben. Da sollte man dann auch preislich entsprechend zum Ausdruck bringen, dass damit Ressourcen verbraucht werden, Rohstoffe, Energien verbraucht werden, die knapp sind und die die Umwelt wirklich massiv belasten und die Zukunft auch.

    Ehring: Herr Töpfer, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    Töpfer: Danke Ihnen sehr herzlich.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.