Freitag, 19. April 2024

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"Wir lehnen sie nicht im Kern ab, sonst würden wir ja mit Nein stimmen"

Die SPD will sich heute bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm enthalten - angesichts einer schwarz-gelben Mehrheit ein symbolischer Schritt. Grund für die Enthaltung: Die SPD will eine bindende Zusage der Kanzlerin für eine Finanztransaktionssteuer - unabhängig von der Euro-Rettung.

21.05.2010
    Sandra Schulz: Anfang Juni will das Kabinett in Meseberg vertieft in die Spardebatte einsteigen. Erste Pflöcke hat Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) jetzt aber schon eingeschlagen. Insgesamt erwartet er von den Ministerien Einsparungen von bis zu drei Milliarden Euro. Die höchsten absoluten Sparbeträge erwartet er einem Schreiben aus seinem Ministerium zufolge vom Verteidigungsministerium mit mehr als 1,3 Milliarden Euro und vom Verkehrsministerium mit mehr als 620 Millionen Euro. Drastisch gekürzt würde gemessen am bisherigen Etat-Volumen aber auch beim Auswärtigen Amt sowie im Umweltbereich. Dagegen bleiben die Sparforderungen an die Ressorts für Arbeit und Soziales sowie für Gesundheit zunächst vergleichsweise gering. – Darüber hat mein Kollege Tobias Armbrüster mit dem SPD-Haushaltsexperten Carsten Schneider gesprochen. Zuerst hat er ihn gefragt, ob die Strategie der Bundesregierung richtig sei, den Rotstift in einzelnen Ressorts anzusetzen.

    Carsten Schneider: Na ja, es ist jetzt mal wenigstens irgendwie etwas erkennbar. Bisher ist die Bundesregierung ja jede Antwort schuldig geblieben, wie sie denn den Haushalt wieder ausgleichen will. Bis 2016 müssen über 60 Milliarden Euro gespart werden, oder mehr eingenommen werden, und bis zur NRW-Wahl – man kann das ja so klar sagen – hat sie sich gewehrt mit Händen und Füßen, irgendetwas klares zu sagen, und danach kam Herr Koch. Von daher ist es mal ein Anfang einer Strategie, wobei ich noch nicht so richtig weiß, wo sie hinführt, ob sie in Ausgabenkürzungen, oder in Einnahmeerhöhungen führt.

    Tobias Armbrüster: Müssen Sie das jetzt sagen als haushaltspolitischer Sprecher der SPD?

    Schneider: Nein. Ich ärgere mich einfach darüber, weil die Union und FDP sich im Koalitionsvertrag festgelegt hat. Sie wollen ein "Top down"-Prinzip einführen. Das heißt, das Kabinett legt zu Beginn der Haushaltsberatungen – und die waren im Januar – fest, wie viel die Obergrenze ist, und dann haben die Ressorts sich danach zu richten. Das haben sie durchbrochen, das ist nicht klug, ist finanzpolitisch auch nicht klug, und jetzt sind sie in einer sehr schwierigen Situation, binnen vier Wochen eine Planung für vier Jahre zu machen, wo bis zu 50, 60 Milliarden Euro gespart werden müssen, und das macht es einfach sehr, sehr schwierig, das substanziell gut durchzuführen, und das ist einfach meine Sorge.

    Armbrüster: Wo könnte denn Ihrer Meinung nach massiv gespart werden?

    Schneider: Ich glaube, der Ansatz ist falsch. Sie müssen schauen, alleine reines Sparen wird nicht dazu führen, dass die Haushalte ausgeglichen werden. Was wir brauchen ist ein intelligenter Mix aus einer wachstumsfreundlichen Politik, um da auch Impulse zu setzen, dass Wachstum entsteht. Dadurch kommen auch mehr Steuereinnahmen. Der zweite Punkt ist, sie müssen natürlich bei den Ausgaben gucken, wo sie dort sparen können, aber das kann nicht der alleinige Schwerpunkt sein. Um Ihnen ein paar Beispiele zu geben, die da für uns exemplarisch sind: im Landwirtschaftsbereich können sie sicherlich die Subventionen abbauen, generell steuerliche Subventionen sind da auf den Prüfstand zu stellen, es sind viel zu viele. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz ist durch die Koalition noch ausgeweitet worden auf den Hotelbereich, das müssen wir sofort rückgängig machen, das brächte über eine Milliarde Euro. Und dann müssen sie sich auch fragen, ob diejenigen, die eben breite Schultern haben und Mehreinnahmen, in den vergangenen Jahren auch einfach mit Spekulationen erzielt haben, ob die nicht auch ihr Scherflein mit beitragen müssen.

    Armbrüster: Sie sprechen jetzt von Wachstumspolitik. Ist das nicht der Kurs der FDP, Wachstum zu versprechen und dadurch Einsparungen zu vermeiden?

    Schneider: Ich würde es nicht darauf alleine beschränken, aber blind - - Finanzpolitik muss auch immer Wirtschaftspolitik mit sein, sie müssen beides mit im Blick haben. Ansonsten laufen sie Gefahr, einfach nur zu sparen, und die gesamte öffentliche Nachfrage, die in Deutschland schon wichtig ist – das hat man ja an den Konjunkturpaketen gesehen, die wir gemacht haben; dadurch ist die Lage ja auch auf dem Arbeitsmarkt zum Beispiel viel besser als geplant -, das gehört mit dazu. Die Finanzpolitik muss sich da auch schon mit der Wirtschaftspolitik verzahnen.

    Armbrüster: Herr Schneider, anderes großes Thema: der Bundestag wird morgen über einen Rettungsschirm für den Euro abstimmen. Die SPD will sich enthalten, haben wir heute Nachmittag gehört. Warum stimmen Sie nicht dagegen, wenn Ihnen das Gesetz nicht gefällt?

    Schneider: Wir konditionieren das. Wir wollen uns nicht enthalten. Wir würden gerne zustimmen, aber nicht der blanken Gewährleistungsermächtigung über im Saldo 148 Milliarden Euro, sondern wir stellen einen Antrag vorher noch. Da haben wir auch der Koalition die Möglichkeit gegeben, auch schon mit uns einen gemeinsamen Antrag zu stellen, nämlich dass die Aussagen, die Frau Merkel und Herr Schäuble getroffen haben, mündlich getroffen haben, sich für eine Finanztransaktionssteuer einzusetzen auf internationaler wie auf europäischer Ebene, dass sie diese auch durch einen Bundestagsbeschluss legitimieren, weil nur der ist wirklich bindend. Mein Vertrauen in das Wort von Frau Merkel ist leider zerstört. Nur auf Vertrauen kann ich da nicht mehr setzen.

    Armbrüster: Aber wie, schätzen Sie, kommt das im Ausland an, wenn die größte deutsche Oppositionspartei so einer Euro-Rettung Steine in den Weg legt?

    Schneider: Ja, das ist sicherlich nicht unkritisch zu sehen. Deswegen sagen wir ja, wir lehnen sie nicht im Kern ab, sonst würden wir ja mit Nein stimmen, sondern wir enthalten uns, weil wir zum einen die Verhandlungsführung der Koalition dort kritisieren - die hat Deutschland viel Geld gekostet und an den Märkten für Unruhe gesorgt -, und zum anderen eben die klare Unterstützung haben wollen. Der österreichische Bundeskanzler war bei uns in der Fraktion und hat gesagt, unterstützt uns dabei, dass wir die Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene durchbekommen. Bisher war Deutschland da ein Bremser! Und wer sagt mir, dass Frau Merkel nicht in 48 Stunden wieder ihre Meinung ändert. Deswegen nur mit einem klaren Bundestagsbeschluss.

    Schulz: Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte Tobias Armbrüster.