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"Wir lösen die Blockade der deutschen Politik auf"

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, hat den von Bundeskanzler Schröder gewählten Weg gerechtfertigt, über eine verlorene Vertrauensabstimmung im Bundestag Neuwahlen herbeizuführen. Es sei jetzt die Gewissensentscheidung jedes einzelnen Abgeordneten, durch sein Stimmverhalten die Blockade der deutschen Politik zu beenden, sagte Wiefelspütz.

Moderation: Christine Heuer | 30.06.2005
    Heuer: Mitgehört hat der SPD-Abgeordnete Dieter Wiefelspütz, er ist der innenpolitische Sprecher seiner Fraktion und will dem Kanzler morgen helfen. Guten Tag nach Berlin, Herr Wiefelspütz.

    Wiefelspütz: Guten Tag, Frau Heuer.

    Heuer: Sie enthalten sich bei der Abstimmung morgen. Heißt das nun, dass Sie kein Vertrauen mehr haben zu Gerhard Schröder als Kanzler?

    Wiefelspütz: Das ist eine Gewissensentscheidung, die ich nach reiflicher Überlegung getroffen habe und am Montag auch öffentlich gemacht habe. Ich schätze den Bundeskanzler als Person und als Amtsinhaber sehr und möchte, dass er noch viele Jahre Bundeskanzler ist.

    Heuer: Also vertrauen Sie ihm doch.

    Wiefelspütz: Ich bin der Auffassung, dass ich ihm morgen mit der Stimmenenthaltung keineswegs das Misstrauen ausspreche. Das wäre der Fall, wenn ich mit Nein stimmen würde, sondern ich leiste einen Beitrag dazu, dass wir die Blockade der deutschen Politik, die ja alle Welt spürt, auflösen können durch vorgezogene Bundestagswahlen, die dann allerdings vom Bundespräsidenten entschieden werden, also der Termin und die Auflösung des Bundestages. Das ist meine Sichtweise der Dinge. So richtig es ist, wenn ich gerade mitgehört habe, dass Herr Schulz sagt, wir sind keine Stimmungsdemokratie, es macht natürlich schon auch mal Sinn, hineinzuhorchen ins Volk. Ich bin Volksvertreter, die übergroße Mehrheit unserer Bevölkerung will auch diese Neuwahlen. Und ich denke, es geht um die Interessen dieses Landes, der Menschen in diesem Land, nicht um meine Interessen oder Ihre Interessen, Frau Heuer, sondern um die Interessen unseres Landes. Und das Land kann es nicht aushalten, dass Deutschland gleichsam einen Stillstand von Politik erlebt.

    Heuer: Es geht hier jetzt nicht um die Frage, ob die Bevölkerung Neuwahlen möchte oder nicht, sondern es geht am Tag vor der Entscheidung um das Verfahren, das da angestrebt wird. Kritiker aus Ihren eigenen Reihen, das haben wir gerade gehört, finden die Strategie, die da gerade gewählt wurde, schizophren. Wir haben auch die Empörung von Klaus Kirschner heute früh bei uns im Deutschlandfunk gehört. Sind Leute wie er politisch naiv, weil sie sich und anderen nicht erklären können, dass man dem Kanzler das Vertrauen nicht aussprechen will, aber auch nicht das Misstrauen, wenn er doch die Vertrauensfrage stellt?

    Wiefelspütz: Ich will ganz deutlich sagen, dass ich nicht im geringsten bezweifle, dass Horst Kirschner und andere meiner Freunde, die das anders sehen als ich, respektable Entscheidungen treffen. Es sind Gewissensentscheidungen, die ich achte, aber ich bitte auch um Respekt vor meiner eigenen Gewissensentscheidung, die ich gegenüber der Öffentlichkeit und den Wählern begründe. Und ich sage, ich habe kein Problem damit zu sagen, ich helfe mit dazu beizutragen, dass auf verfassungskonformer Weise vorgezogene Neuwahlen ermöglicht werden. Ich spreche dem Bundeskanzler nicht das Misstrauen aus, ich ermögliche durch mein Abstimmungsverhalten ein bestimmtes Verfahren, das das Ziel hat, Neuwahlen zu ermöglichen. Dafür haben wir ein bekanntes Beispiel. So ist es doch schon einmal 1982 gelaufen hier im Deutschen Bundestag. Und ich habe mich sehr sorgfältig, auch als Verfassungsrechtler mit der Fragestellung auseinander gesetzt und komme zu meiner Überzeugung, dass dieser Weg, den ich persönlich beschreite, erstens verfassungsrechtlich völlig in Ordnung ist, und dass er ein Ziel verfolgt, keineswegs mein Misstrauen auszusprechen, sondern vorgezogene Neuwahlen zu ermöglichen. Wenn jemand das anders sieht, dann habe ich großen Respekt vor einer anderen Gewissensentscheidung. Da will ich nicht gegeneinander aufrechnen. Ich würde niemals jemanden als zu naiv bezeichnen, wenn er das anders sieht als ich.

    Heuer: Nun erinnern Sie selber an 1982. Das Bundesverfassungsgericht hat das Verfahren zwar damals passieren lassen, es hat aber auch mahnend den Finger gehoben und gesagt, so etwas geht nicht noch einmal. Es gäbe ja einen ganz einfachen Weg, die Verfassungsfrage ganz klar zu entscheiden, in dem nämlich Gerhard Schröder, der das Vertrauen nicht mehr zu haben glaubt, schlicht zurücktritt.

    Wiefelspütz: Das ist eine andere Möglichkeit, das ist richtig. Ich kann aber sehr gut verstehen, wenn der Bundeskanzler diesen Weg nicht wählen will. Im Übrigen ist es so, ich habe großen Respekt vor unseren Verfassungsorganen, Bundeskanzler und auch Bundespräsident. Die Einschätzung und die Entscheidung, ob der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt, ist seine Entscheidung. Und es kommt auch auf seine Beurteilung an, ob er eine Mehrheitssituation sieht für die tragenden Gründe seiner Politik. Und das gleiche ist dann an anderer Stelle auch beim Bundespräsidenten, der eine Entscheidung zu treffen hat mit einer großen Freiheit der Beurteilung. Und auch da werde ich mich hüten, mich einzumischen. Die Verfassung sieht vor, dass hier Einschätzungsprerogativen sind, sowohl beim Bundeskanzler wie auch beim Bundespräsidenten. Und diese Entscheidungen bitte ich zu achten. Ich tue das jedenfalls.

    Heuer: Trotzdem wäre es ja möglich gewesen, diese Hängepartie dem Land, um das es ja geht, zu ersparen. Wählt der Kanzler diesen Weg möglicherweise deshalb nicht, weil das im Wahlkampf anschließend einfach nicht gut käme?

    Wiefelspütz: Ich werde den Teufel tun und über Motive des Bundeskanzlers spekulieren. Ich möchte Ihnen und mir zumuten, dass wir noch etwas weniger als 24 Stunden warten, bis der Bundeskanzler sich vor dem deutschen Volke, indem er an die Rednerbühne des Bundestages tritt, erklärt und darlegt, warum er diesen Weg beschritten hat. Dann werden wir es alle ganz genau wissen. Und so ungeduldig wir alle sind - ich bin ja auch gespannt auf die ganz konkreten persönlichen Gründe, die der Bundeskanzler vorträgt - ich meine, das sollten wir uns alle miteinander zumuten, dass wir noch 24 Stunden warten.

    Heuer: Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Ich danke Ihnen.