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"Wir müssen die Ökologie in die normale Wirtschaftslogik einbauen"

Dem Klimagipfel in Durban sehen viele Wissenschaftler, Politiker und Klimabeamte mit Skepsis entgegen. Einer, der sich nicht entmutigen lassen will, ist der 81-jährige Emil Salim. "Das Thema hält mich jung. Ich kann mich über all das so empören", sagt er.

Von Gabor Paal | 26.11.2011
    81 Jahre ist er alt, klein, aber drahtig, hellwach und er hat einen Termin nach dem anderen. Der Sachverständigenrat des Präsidenten, den Salim leitet ist eine kleine Behörde unmittelbar neben dem Präsidentenpalast. Hier sind wir verabredet. Emil Salim hat vorher noch eine Besprechung, kaum ist die zu Ende, schießt er aus dem Zimmer, und erklärt, er habe gleich einen Termin außerhalb der Stadt, und weil es dorthin ohnehin einen Stau gebe, sollten wir den ausnutzen und das Interview im Auto führen.

    Der Fehler liegt in der Weltwirtschaft, erklärt er mir auf die Frage, warum es Indonesien nicht gelingt, die Wälder besser zu schützen.

    "Alle Entwicklungsländer, auch Indonesien wollen zunächst die Armut bekämpfen. Beschäftigung schaffen, exportieren, Wachstum fördern. Mein größtes Problem ist: Dass es sich rentiert, die Wälder zu roden, um Kohle zu fördern und Ölpalmen anzupflanzen. Aber wo ist die Umwelt in dieser Gleichung?"

    Die Umwelt ist hier, im Straßengewühl von Jakarta, weit weg. Um größere Regenwaldflächen zu sehen, muss man schon auf die anderen indonesischen Inseln fahren, nach Kalimantan oder Sumatra, wo Emil Salim aufgewachsen ist.

    Im traditionellen Denken Indonesiens sei Ökologie eigentlich sehr wichtig, erklärt er und verweist auf eine Redensart in Sumatra. Die Natur ist mein Lehrer, heißt es dort.

    "Die Balinesische Tradition kennt drei Quellen des Wohlstands: Die Harmonie zwischen Mensch und Gott, zwischen dem Menschen und der Gemeinschaft und zwischen Mensch und Natur. Im Islam ist es ganz ähnlich: Gott, Gesellschaft und Natur, das gehört zusammen."

    Sein Onkel, Agus Salim, war einer der Gründerväter des unabhängigen indonesischen Staates und hat maßgeblich an der Verfassung des Landes mitgewirkt. Emil Salim selbst kam über Umwege in die Politik. Eigentlich ist er Professor für Wirtschaftswissenschaften, hat unter anderem im kalifornischen Berkeley studiert. 1971 wurde er Minister für Infrastruktur. 1978 erster indonesischer Umweltminister – zu einer Zeit, als es in Deutschland dieses Amt noch gar nicht gab. In dieser Funktion wurde er auch Mitglied der internationalen Brundtland-Kommission, die 1983 den Begriff der Nachhaltigkeit in die öffentliche Debatte eingeführt hat.

    "Wir sind damals zwei Jahre lang um die Welt gereist, nach Afrika, Lateinamerika, und da wurde mir klar: Wenn sich die armen Länder entwickeln wollen, entstehen damit auch Umweltprobleme. Bis dahin wurde Umweltschutz als ein isolierter politischer Bereich gesehen, bei dem es um Wasserverschmutzung und so weiter ging. Durch die Arbeit in der Brundtlandkommission wurde mir klar, das Hauptproblem ist, Entwicklung und Umwelt in Einklang zu bringen, seitdem geht es mir nicht primär um die Umwelt als solche, sondern um das, was man heute als nachhaltige Entwicklung bezeichnet."

    Damit knüpft Salim wieder an seinem Ausgangspunkt an. Die Weltwirtschaft laufe falsch, weil die Umwelt nicht als Teil der Wirtschaft behandelt wird.

    "Ihr Europäer sagt: Wir Indonesier dürfen den Wald nicht zerstören wegen CO2. Ich frage: Was bekommen die Menschen in diesem Land, in den Wäldern, dafür? Deshalb lautet mein Plädoyer: Der Wald muss ökonomisch den Wert bekommen, den er hat. Die Wälder halten Substanzen bereit, die in der Medizin Anwendung finden könnten, sie sind wichtige Wasserspeicher, sie verhindern Erosion. Aber das alles hat global keinen Wert, keinen Preis. Das wäre die Aufgabe von Organisationen wie der WTO, dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Aber sorgen sie dafür, dass der Wert der Wälder anerkannt wird? Nein! Wie soll eine nachhaltige Entwicklung funktionieren, solange der Gewinn größer ist, wenn man die Wälder für Kohle oder Plantagen rodet, das macht mich verrückt."

    Wir nähern uns dem Ziel – Salims nächster Termin wartet. Was ihn trotz seines hohen Alters so jung halte, frage ich ihn noch.

    "Das Thema halt mich jung. Ich kann mich über all das so empören. Wir müssen die Ökologie in die normale Wirtschaftslogik einbauen. Und nicht nur auf lineares Wachstum setzen. Wir Entwicklungsländer sollten nicht Japan und die USA als Vorbild nehmen. Darüber diskutiere ich auch immer wieder mit meinem Präsidenten. Das sind Fragen, die ganz Asien betreffen. Wenn die in China davon reden, jede Familie soll bis 2020 ein Auto haben. Denkt da jemand auch an Treibhausgase? Das sind die Dinge, die mich ärgern und auf Trab halten."