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"Wir müssen Frieden machen"

Trotz der anhaltenden Gewalt durch die Taliban spricht sich der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, Michael Steiner, für eine Aussöhnung mit den Aufständischen aus. Dieser Prozess werde mühsam, aber er sei ohne Alternative.

Michael Steiner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 08.06.2010
    Jasper Barenberg: Einen Wendepunkt soll sie markieren, die neue Strategie der Internationalen Gemeinschaft für Afghanistan: Von einer Brücke sprach Außenminister Guido Westerwelle im Januar nach der Konferenz in London, sie soll letztlich, diese Brücke, zum Abzug auch der Bundeswehrsoldaten vom Hindukusch führen. Im Gegenzug will auch die Bundesregierung mehr afghanische Sicherheitskräfte ausbilden und den zivilen Aufbau verstärken. Auch die Eingliederung von einfachen Kämpfern der Taliban ist Teil des Konzepts. Sind auf diesem Wege bereits Fortschritte zu verzeichnen? Darüber wollen wir jetzt mit Botschafter Michael Steiner sprechen, dem Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan. Einen schönen guten Morgen!

    Michael Steiner: Einen guten Morgen nach Deutschland, Herr Barenberg!

    Barenberg: Sie sind gerade in Madrid, wo sich die Sonderbeauftragten von 30 Nationen, glaube ich, treffen, um über die Lage in Afghanistan, um auch über den Fortgang dieser Strategie zu sprechen. Nun haben wir in den vergangenen Tagen die sogenannte Friedens-Jirga in Kabul erlebt, dort hat Präsident Karsai den Taliban zu Beginn die Hand ausgestreckt und als Antwort ein Bombenattentat, einen Selbstmordanschlag erhalten und Schusswechsel mit Sicherheitskräften. Sieht so die erhoffte und ja offenbar auch notwendige Aussöhnung in Afghanistan aus?

    Steiner: Also, lassen Sie mich zunächst mal sagen: Wir hatten hier doch ein bemerkenswertes Treffen von fast 40 Staaten aus allen fünf Kontinenten inklusive sieben Mitgliedern der Organisation Islamischer Staaten und der afghanischen Regierung, und wir waren uns alle einig: Wir sind jetzt in einem Prozess, der in der Logik steht einer Verantwortungsübernahme durch die Afghanen. Und in diesen Prozess passt eben hinein, dass wir die Peace Jirga, die Friedens-Jirga in Kabul hatten, die doch bemerkenswert war insofern, als wir ja drei Säulen unseres Vorgehens haben: die Sicherheit, der Wiederaufbau – und dazu gehört auch die gute Regierungsführung – und drittens die Politik. Und die Politik wurde bisher so ein bisschen stiefmütterlich behandelt, und wir sind uns alle einig gewesen: Wir müssen jetzt den Versöhnungsprozess einleiten. Und genau dieses haben auf der Friedens-Jirga 1600 Delegierte, davon übrigens 20 Prozent Frauen, genau dieses haben die beschlossen und haben die Regierung beauftragt, einen von der afghanischen Regierung einzuleitenden Friedensprozess jetzt aufzunehmen. Friedens- und Integrationsprozess, der bedeutet, dass man mit dem bisherigen Gegner Frieden schließen will, natürlich unter Bedingungen, unter aufrechter Haltung der Errungenschaften, aber ich glaube, das ist ganz wichtig: Wir müssen Frieden machen und wir müssen dazu auch den politischen Weg gehen.

    Barenberg: Nun haben die Aufständischen selber, die Taliban, Botschafter Steiner, die angebotene Hand ausgeschlagen, ich habe das erwähnt: Sie sind nicht bereit, derzeit in Verhandlungen einzutreten, haben sich auch an der Friedens-Jirga in Kabul ja nicht beteiligt. Wie soll sich das ändern?

    Steiner: Das war ja kein Verhandlungsort, sondern das war jetzt die Konsensfindung übrigens aller ethnischen Gruppen, diesen Friedensweg zu beschreiten. Das war nicht der Ort, wo man schon mit dem Gegner spricht. Die Taliban sind eine heterogene Gruppe, und ich glaube, niemand ist überrascht, dass eine solche Reaktion zunächst mal zu vernehmen ist. Das wird ein mühsamer Prozess und auch die Schüsse und Bomben zu Beginn zeigen, dass wir natürlich in einer schwierigen Situation sind. Es hat keinen Sinn, die schön zu malen, aber das ändert ja nichts daran, dass trotz dieser Attentate diese 1600 Delegierten beisammen geblieben sind und eine konsensuale Linie gefunden haben. Es wird eine Friedenskommission geben, die genau damit beauftragt ist, diese Verhandlungen zu führen. Ich weiß, dass der Prozess mühsam ist, aber er ist ohne Alternative.

    Barenberg: Die Ratsversammlung fordert auch, inhaftierte Aufständische, inhaftierte Taliban aus dem Gefängnis zu entlassen – ein richtiger Weg?

    Steiner: Ich glaube, das ist ein qualifizierter Auftrag gewesen, und zwar diejenigen zu entlassen, von denen die Verdachtsmomente nicht ausreichen, und ich glaube, das ist gedacht gewesen als ein Signal und ich glaube auch richtiges Signal. Ich muss Ihnen sagen, dass die 40 Staatenvertreter, die 40 Kollegen – und ich hatte ja die Ehre, dieser Gruppe gestern in den langen, intensiven Besprechungen vorzusitzen – haben alle diesen Kurs unterstützt. Wichtig ist, glaube ich, dass der Versöhnungsprozess, der jetzt in die Gänge kommen soll und in Kabul, wo wir die große, internationale Konferenz haben, auch induziert werden soll, dass dies ein Prozess ist, der von den Afghanen ausgehen muss.

    Wir als Internationale Gemeinschaft müssen das von außen unterstützen, aber es muss ein Prozess sein, der von innen, von den Afghanen selbst getragen wird. Ich glaube – wenn ich das sagen darf –, das Entscheidende ist neben dem Vorgehen der Sicherheitskräfte, neben dem Wiederaufbau, neben der Infrastruktur, den Schulen, wo wir ja große Erfolge haben, dass wir uns auch bemühen um die dritte notwendige Säule, und das ist, einen Prozess zu schaffen, in dem sich alle ethnischen Gruppen in Afghanistan wiederfinden, denn sie werden nur eine tragfähige Lösung haben, wenn alle sagen: Ja, das ist unsere Lösung, da gehören wir dazu.

    Barenberg: Nun hat Präsident Karsai ein ums andere Mal von Versöhnung gesprochen und Versöhnung versprochen, er hat von guter Regierungsführung gesprochen, davon, die Korruption zu bekämpfen. Die Erfolge sind – zumindest, was man davon erfährt – spärlich. Die Konferenz in Kabul ist im Juli. Was muss Karzai dann liefern, welche Zusagen, welche verbindlichen Zusagen muss er dann machen?

    Steiner: Ich glaube, wir haben in London eine ganze Reihe von Selbstverpflichtungen stipuliert, die auch unterschrieben worden sind von der afghanischen Regierung. Wir hatten gestern drei Minister auf unserer Konferenz, die uns im Detail dargelegt haben, wie die Umsetzung erfolgen soll, und es gab sozusagen ein Leitmotiv über diesen ganzen Verhandlungspunkten, und das war das Leitmotiv der guten Regierungsführung. Das ist ganz entscheidend für uns, denn es ist sozusagen das notwendige Äquivalent für das, was wir hier machen wollen, nämlich den Transport, den Transfer der Verantwortung an die Afghanen, an die afghanische Regierung, also sozusagen den Prozess der Afghanisierung. Der muss natürlich im Gegenzug von guter Regierungsführung begleitet werden, sonst hat das ja keinen Sinn, dass wir uns arrangieren. Und das haben die Regierungsvertreter selbst mit glasklaren Worten auch eingeräumt. Lassen Sie mich noch mal sagen: Ich will hier nicht so klingen, als sei alles auf dem besten Weg. Wir werden Rückschläge haben, weitere Rückschläge haben und der Weg wird schwierig und wir können keine Erfolgsgarantie geben. Aber ich glaube, das, was wir machen können, …

    Natürlich haben wir Fehler gemacht in der Vergangenheit, aber das, was wir jetzt machen können im Sommer 2010, das machen wir und ich glaube das ist auch auf einem guten Weg trotz aller Schwierigkeiten, mit denen wir noch rechnen müssen.

    Barenberg: Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan im Gespräch heute morgen mit dem Deutschlandfunk, danke schön, Michael Steiner!

    Steiner: Ich danke Ihnen!