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"Wir müssen mehr afghanische Armeesoldaten ausbilden"

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, plädiert für einen begrenzten Einsatz deutscher Militärausbilder in Südafghanistan. Bei der Entwicklung der afghanischen Sicherheitskräfte gebe es große Defizite. Daher sollten deutsche Ausbilder zeitweise in den Süden entsandt werden, falls es die Sicherheitslage zulasse, sagte Arnold.

Moderation: Jochen Spengler | 29.08.2007
    Spengler: Seit gestern gibt es Hoffnung für die vor über einem Monat in Afghanistan entführten 19 Südkoreaner. Die islamistischen Taliban teilten mit, sie würden bereits heute erste Geiseln freilassen, was aber noch nicht geschehen zu sein scheint.

    Am Telefon ist nun Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, der vor wenigen Tagen von einer Afghanistan-Reise zurückgekehrt ist. Guten Morgen Herr Arnold.

    Arnold: Schönen guten Morgen Herr Spengler.

    Spengler: Afghanistans Industrieminister Farhang hat das Nachgeben der südkoreanischen Regierung im Kölner Stadtanzeiger als Beginn einer Kapitulation bezeichnet, als Aufforderung an die Taliban, ihren Weg weiterzugehen. Hat der Minister Recht?

    Arnold: Sicherlich darf man sich von den Taliban nicht erpressen lassen, aber klar ist auch: Die Freilassung der Geiseln hat eine hohe Priorität. Insofern kann ich Südkorea schon verstehen, dass sie alles getan haben, um ihre Staatsbürger wieder nach Südkorea zu bekommen. Ich bin sicher, der deutsche Außenminister versucht für den immer noch gefangenen Deutschen dasselbe.

    Spengler: Lassen Sie uns das einen Moment zurückstellen. Herr Farhang hat gemeint, die Befreiung der deutschen Geisel würde jetzt noch schwieriger.

    Arnold: Kann ich nicht beurteilen. Es ist auch nicht so sehr Sache der Parlamentarier, dies zu beurteilen. Es ist eine Sache, die die Regierung erledigen muss, und ich glaube auch nicht, dass öffentliche Spekulationen, an denen sich viele im politischen Raum beteiligen, dann wirklich helfen. Ich glaube die Dinge müssen weiterhin diskret vorangetrieben werden.

    Spengler: Sie haben ja gesagt Sie seien sicher, dass der deutsche Außenminister sich auch um die deutsche Geisel bemühe. Nun hat der Sohn des 62jährigen Bauingenieurs sich bitter beklagt, die Bundesregierung wolle wohl ein Exempel statuieren und Härte zeigen und nicht auf Lösegeldforderungen eingehen. Wie kommen Sie zu Ihrer Überzeugung?

    Arnold: Bisher hat die Bundesregierung immer erreicht, dass die Geiseln freigekommen sind, und es ist gut, wenn nicht so viel darüber geredet wird, welche Mechanismen letztlich dazu beigetragen haben. Wir sollten hier zuversichtlich bleiben, dass es auch hier gelingt.

    Spengler: Aber warum wird die Bitte der Angehörigen um ein persönliches Gespräch mit dem Außenminister nicht erfüllt?

    Arnold: Das kann ich nicht beurteilen, aber es hat letztendlich sicherlich was damit zu tun, dass solche Operationen, die ja auch von Geheimdiensten teilweise mitorganisiert werden müssen, vor Ort ein hohes Maß an Geheimhaltung bedürfen, damit sie am Ende erfolgreich sind.

    Spengler: Dieses hohe Maß an Geheimhaltung hat jetzt der ZDF-Chefredakteur beklagt. Er hat gesagt, dass Journalisten im Gegensatz zu früheren Fällen, aber auch überhaupt nichts mehr erführen, noch nicht einmal mehr in Hintergrundgesprächen. Was sagt ein Volksvertreter zu einer solchen Geheimpolitik?

    Arnold: Wenn es dem Ziel dient, Menschenleben zu retten, Geiseln freizubekommen, kann ich diese Art der Geheimhaltung akzeptieren. Wenn dies dann abgeschlossen ist, würde ich schon davon ausgehen, dass die zuständigen Gremien im Deutschen Bundestag dann hinter verschlossenen Türen informiert werden, ja.

    Spengler: Herr Arnold, 3500 deutsche Soldaten sind in Afghanistan. Insgesamt sind es 40.000 internationale Soldaten. Zwischen den Regierungsparteien und innerhalb der Regierungsparteien ist derzeit völlig umstritten, ob es mehr oder weniger internationale und deutsche Soldaten in Afghanistan geben sollte. Was braucht aus Ihrer Sicht das Land, mehr oder weniger Soldaten?

    Arnold: Das Land braucht nicht nur mehr Soldaten. Das wäre eine Antwort, die zu einfach ist. Das Land braucht sicherlich eine stärkere Verzahnung aller Akteure im Land, braucht noch stärkere Anstrengungen im zivilen Bereich, vor allen Dingen im Bereich der Polizeiausbildung. Hier gibt es in der Tat Fehlentwicklungen, von denen wir bei unserem Besuch festgestellt haben. Die sind dramatischer, als wir dies von Deutschland aus wahrnehmen.

    Das Land braucht aber auch mehr Soldaten. Ich kann die Generäle verstehen, die im Süden in einer Situation arbeiten müssen, in der tatsächlich Kämpfe stattfinden: Sprengstoffanschläge, Sprengfallen, aber auch organisierte Aufständische, die die ISAF-Truppen organisiert bekämpfen. dass hier ein General sagt, er braucht auch mehr Bodentruppen, dies kann ich verstehen.

    Wir brauchen im Norden nicht wesentlich mehr Soldaten, also im Verantwortungsbereich der Deutschen. Wir sollten aber im Norden noch manches Zusätzliche unternehmen. Ganz oben auf der Agenda muss stehen, mehr afghanische Armeesoldaten auszubilden. Das ist die einzige Chance, eines Tages auch wieder nach Deutschland zurückzukommen, wenn die afghanische Armee selbst für Sicherheit im Land sorgen kann. Hier könnten wir unsere Bemühungen verstärken. Wir könnten so wie wir eine Fahrschule unterhalten auch eine Logistikschule für die afghanische Armee gründen, eine sehr gute Geschichte, und wir sollten die PRTs im Norden jetzt auch mehr in die Fläche schicken, also Außenstellen gründen mit kleinen PRTs.

    Spengler: Was sind PRTs?

    Arnold: PRTs sind diese Wiederaufbauteams, die ja die Verzahnung aller Akteure, die Kommunikation zu den lokalen Behörden, aber auch zu den Stammesfürsten und zu den Mullahs organisieren. Hier sind die Deutschen auch wirklich gut, außerordentlich anerkannt - wir haben das von vielen Afghanen aus der Zivilgesellschaft gehört -, weil sie eben nicht nur die Kultur respektieren, sondern weil sie diese Strukturen der afghanischen Gesellschaft in den Entwicklungsprozess mit einbeziehen, deren Rat, deren Auffassungen, auch deren Abstimmungen suchen. Hier könnte Deutschland noch mehr tun und was mir auch nicht ganz einleuchtet ist: wir haben in Kandahar das größte deutsche Lager. Hier wird die gesamte Logistik für den Norden organisiert. Aber um Kandahar herum sind die Deutschen nicht im Land präsent, weil die Aufteilung so ist, dass dort die Schweden die Verantwortung tragen. Vielleicht müsste man auch über diesen Punkt noch mal neu nachdenken.

    Spengler: Ja. - Herr Arnold, lassen Sie uns einen Punkt herausgreifen. Sie haben gesagt, Schlüsselfunktion ist auf jeden Fall die Ausbildung der afghanischen Streitkräfte. Nun gibt es auch wieder einen Streit hier bei uns zu Hause darum, was sollen denn die deutschen Ausbilder machen. Sollen sie, wie es eigentlich international üblich ist, ihre ausgebildeten Soldaten, die afghanischen Soldaten auch zu Kampfeinsätzen in den Süden begleiten, ja oder nein? Die CDU/CSU - so hieß es bislang - sei durchaus dafür, im Gegensatz zum eigenen Verteidigungsminister, und nun hat heute Herr von Klaeden in der "Süddeutschen Zeitung" dementiert, dass sie dafür sei. Man solle doch nicht in den Süden. - Was sagen Sie dazu?

    Arnold: Daran sieht man ja, dass diese Debatte eben nicht abgeschlossen ist. Finde ich auch nicht tragisch, weil dies wirklich noch eine sorgfältige Erörterung verdient. Wir sind auch in meiner Partei noch nicht am Ende der Diskussion. Meine persönliche Auffassung ist allerdings: Wir sollten dies nicht stringent ausschließen. Ebenso wenig wäre es gut und richtig, wenn wir sagen, grundsätzlich gehen deutsche Ausbilder mit in den Süden. Aber ich glaube schon, wenn der Ausbildungsstand der afghanischen Soldaten auf einem verantwortbaren Niveau ist, wenn der Auftrag der afghanischen Soldaten im Süden mit unserer Vorstellung vom Kampf gegen Terror und Aufbau des Landes übereinstimmt, dann glaube ich könnte man im Einzelfall zumindest für kurze Zeit durchaus akzeptieren, dass deutsche Ausbilder in den Süden gehen. Ich glaube wir sollten in dieser Frage in hohem Maße auch auf den fachlichen Rat der Soldaten vor Ort hören, die das gut beurteilen können. Ich bin dafür, die jetzige Position ein Stückchen auszuweiten ohne eine generelle Erlaubnis.

    Spengler: Ebenso umstritten, Herr Arnold, ist, wie viele deutsche Soldaten sind nötig. 3500 Deutsche sind in der ISAF-Truppe. Nun sagt der Verteidigungsminister, das reicht! Der SPD-Außenminister sagt, wir sollten auf 4000 Soldaten erhöhen. Darauf kommt die Antwort aus der Union, das sagt ihr ja nur von der SPD, damit ihr euch aus dem umstrittenen Anti-Terror-Einsatz Enduring Freedom herausmogeln könnt.

    Arnold: Wir sollten als deutsche Politiker nicht immer den gleichen Fehler bei Auslandseinsätzen wiederholen und zunächst mal über Obergrenzen reden. Wir sollten über Aufgaben reden, die die Soldaten erledigen müssen, und dann sind die militärischen Planer dran auszurechnen, wie viel Personal sie dafür brauchen. Wenn man feststellt, dass es mit 3500 Soldaten eben nicht leistbar ist, dann müssen wir auch den Mut haben, dann mehr zu mandatieren. Dieses Mandat braucht auch für schwierige Zeiten einen Puffer. Wir dürfen es nicht auf Kante nähen.

    Eine ganz andere Frage ist die, die Sie gestellt haben: Soll auch weiterhin Deutschland mit KSK-, also mit Spezialsoldaten sich im Süden an OEF, am Anti-Terror-Kampf beteiligen. Meine Skepsis ist bei meinem Afghanistan-Besuch nicht gewichen. Das hat was damit zu tun, dass wir nicht alles für gut heißen können, was die Amerikaner dort tun, wie sie es tun. Gleichzeitig weiß ich, nur mit dem Finger auf die Vereinigten Staaten zu zeigen, das ist zu billig und auch nicht sachgerecht. Die Amerikaner leisten materiell, vor allen Dingen aber auch personell so viel. Dies alles wäre von den Europäern überhaupt nicht zu übernehmen.

    Spengler: Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch!

    Arnold: Keine Ursache. Schönen Tag!
    Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion
    Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion (Deutscher Bundestag)