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"Wir müssen noch viel mehr wissen"

Zur Erforschung des Artenschwundes hat die UN-Vollversammlung die Forschungsplattform für Biodiversität und Ökosysteme gegründet. Professor Reinhold Leinfelder, Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin, sagt sinngemäß, nur was der Mensch wirklich kennt, kann er auch schützen.

Reinhold Leinfelder im Gespräch mit Georg Ehring | 21.12.2010
    Georg Ehring: Weltweit schwindet die Artenvielfalt. Die Zerstörung von Lebensräumen für Pflanzen und Tiere ist die wichtigste Ursache. Doch um gegensteuern zu können, müsste man viel mehr wissen, und zur Erforschung des Artenschwundes hat die UN-Vollversammlung gestern Abend die Forschungsplattform für Biodiversität und Ökosysteme gegründet. Das Gremium orientiert sich am Weltklimarat IPCC und soll in drei Jahren seinen ersten Bericht vorlegen. Was die neue Plattform leisten kann, darüber möchte ich jetzt mit Professor Reinhold Leinfelder sprechen, dem Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin. Ich begrüße ihn in unserem Berliner Studio. Guten Tag, Herr Professor Leinfelder.

    Reinhold Leinfelder: Guten Tag.

    Ehring: Man weiß, dass rund 20 Prozent der Säugetierarten und 30 Prozent der Amphibienarten beispielsweise bedroht sind. Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich denn durch das weltweite Forschungsgremium?

    Leinfelder: Wir müssen noch viel mehr wissen. Nur was wir wirklich kennen – und das können wir eben über Wissenschaft kennen lernen -, das können wir dann wirklich schützen. Es gibt ganz, ganz viele Einzelbefunde, viele Gutachten, aber das alles muss zusammengetragen werden, und zwar auf einer globalen Ebene. Deswegen begrüße ich natürlich sehr diese Einrichtung dieses Weltbiodiversitätrats.

    Ehring: Warum muss man es auf globaler Ebene zusammentragen? Gehandelt werden muss doch hinterher vor Ort.

    Leinfelder: Das ist richtig, aber wir haben eben nur diesen einen Planeten, wir können nicht ausweichen, wenn wir unsere eigenen Lebensgrundlagen nun einfach zu sehr ausrauben. Deswegen muss das Problem global angegangen werden, wir brauchen auch internationale Vereinbarungen dazu, aber das alles muss eben wissensbasiert sein und deswegen ist dieser Weltbiodiversitätsrat so wichtig.

    Ehring: Es gibt immer wieder Berichte über angeblich ausgestorbene Arten, die dann doch irgendwo wiedergefunden werden, die wieder auftauchen. Sind die Mahnungen vor einem weltweiten Artensterben vielleicht übertrieben?

    Leinfelder: Nein. Das zeigt nur, dass wir natürlich noch zu wenig wissen. Wir können durchaus hochrechnen, mit wie vielen Arten wir es zu tun haben könnten, aber es sind eben Hochrechnungen und wir wissen es noch nicht genau. Wir brauchen – das wird, glaube ich, eine wichtige Aufgabe auch dieses neuen Gremiums sein – ein weltweites Monitoring-Netz. Da gibt es schon vieles, was man einbinden kann, aber es muss auch neues dazukommen. Vergleichen wir es mit dem Wetterdatennetz. Wir wissen immer, wie überall das Wetter ist, und das über Jahre, über Jahrzehnte. So etwas brauchen wir auch für die Biodiversität.

    Ehring: Und welche Konsequenzen kann man aus diesen Erkenntnissen dann ziehen? Es gab ja immer wieder Ziele für den Stopp des Artenschwundes. Es sollte zum Beispiel bis 2010 weltweit gebremst werden, aber es wurde nicht gebremst. Welche Konsequenzen kann man dann daraus ziehen?

    Leinfelder: Wir kennen das Ziel, aber der Weg bis dorthin war bislang auch noch nicht klar. Der Weg ist nun doch deutlich klarer geworden, auch durch die Einrichtung dieses neuen Gremiums. Es ist erschreckend, dass wir noch nicht weiter sind auf diesem Weg, aber ich denke doch, dass wir nun die Anstrengungen konzentrieren können und auch die Politik – und das wird eine wichtige Aufgabe dieses Gremiums sein -, die Weltpolitik zu beraten, dass die Sachen dann verbindlicher werden, wenn die Wissenschaft sich hier stärker gebündelt hat.

    Ehring: Der Klimawandel ist weltweit im Bewusstsein angekommen. Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Artenvielfalt?

    Leinfelder: Das ist ein bisschen schwieriger, denn die Artenvielfalt ist so vielfältig, dass sie doch dann im Endeffekt sehr, sehr regional ist und eine kleine Änderung hier natürlich nicht bedeutet, dass dieselbe Änderung anderswo ist. Es gibt nicht diese eine große Schraube wie beim Klimaschutz, wo es das Kohlendioxid ist. Umso wichtiger ist, hier aufzuklären, zu forschen, die Ergebnisse darzustellen, in die Gesellschaft hinein, auch in die Politik, und ich wünsche mir auch, dass wir in diesen Umweltstationen, in diesen Monitoring-Systemen nun auch eine hohe Beteiligung der Bevölkerung haben, etwa mit Schulen.

    Ehring: Wie steht es denn um die Artenvielfalt in Deutschland? Sind wir da besser dran als andere Länder?

    Leinfelder: Das kann man so nicht sagen. Es gibt große Unterschiede. Manche Ziele sind etwas ambitionierter als im Rest der Welt. Es ist erfreulich, dass gerade Deutschland, was Biodiversitätsschutz angeht, doch viele Initiativen ergriffen hat. Selbst die Einrichtung dieses Gremiums geht auf eine Anregung des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung globale Umweltveränderungen aus dem Jahr 1999 zurück, und wir haben ja gerade das internationale UN-Jahr der Biodiversität, welches auch in Deutschland durch die Kanzlerin eröffnet wurde. Deutschland bemüht sich hier sehr, das ist sehr zu begrüßen, aber es ist nicht so, dass wir nicht auch vor der eigenen Tür kehren müssten.

    Ehring: Herzlichen Dank! – Professor Reinhold Leinfelder, der Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin.

    Leinfelder: Ich bedanke mich.