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"Wir müssen sicherlich mit ihm arbeiten"

Michael Gahler (CDU), Außenpolitiker des EU-Parlaments, ist nicht begeistert von der Bestätigung Mahmud Ahmadinedschads als Präsident Irans. Man müsse mit ihm arbeiten, sagt Gahler - und fordert einen konsequenten Kurs.

Michael Gahler im Gespräch mit Bettina Klein | 05.08.2009
    Bettina Klein: Am Montag hatte der oberste geistliche Führer im Iran, Khamenei, dem neuen alten Präsidenten Ahmadinedschad seinen Segen erteilt. Heute folgte gewissermaßen der weltliche Teil der Zeremonie. Ahmadinedschad wurde vor dem Parlament vereidigt. Er hat jetzt zwei Wochen Zeit, sein Kabinett zu bilden.
    Am Telefon ist jetzt Michael Gahler, er ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments und gehört der CDU an. Ich grüße Sie, Herr Gahler.

    Michael Gahler: Guten Tag, Frau Klein.

    Klein: Ahmadinedschad ist nun offiziell im Amt, auch wenn es im Iran und anderswo vielen nicht gefällt. Muss die Strategie jetzt sein, ungeachtet der Tatsache, wie unglaubwürdig vielleicht der Weg war, über den er ins Amt gelangt ist, wir behandeln ihn jetzt als gewählten und amtierenden Politiker ohne jeden Abstrich?

    Gahler: Ich denke, wir müssen sicherlich mit ihm arbeiten. Er ist faktisch dort im Amt. Aber ich halte es schon für falsch und auch bedauerlich, dass viele EU-Botschafter, leider nicht nur die schwedische Präsidentschaft, anwesend waren bei der Amtseinführung. Ich denke, das war unnötig. Wir haben schließlich eine Neuauszählung als Europäische Union verlangt, wir haben auch die Niederschlagung der Demonstrationen verurteilt und in den letzten Tagen sind wir ja auch von Herrn Ahmadinedschad ausführlich beschimpft worden, wir hätten die Demonstrationen verursacht. Ich glaube, das ist infam, da brauchen die Menschen im Iran nicht den Westen für. Ich hätte mir eine einheitliche Haltung der EU gewünscht. Die deutsche Haltung war eigentlich okay: der Botschafter war nicht im Land, der Stellvertreter in Urlaub und dann sind wir entsprechend rangniedrig vertreten gewesen. Wenn das alle getan hätten, wäre das, glaube ich, ein besseres Signal gewesen.

    Klein: Weshalb gab es wieder einmal keine einheitliche Linie in der EU?

    Gahler: Ich weiß es nicht. Man hat mich ja nicht vorher gefragt. Ich denke, dass die schwedische Präsidentschaft gedacht hat, sie müsste auf diese Art und Weise unsere Gesprächsbereitschaft auch über andere Fragen zum Ausdruck bringen. Die besteht weiterhin in der Atomfrage, in der Nuklearfrage. Da ist unsere Haltung ja unverändert und da ist auch Gesprächsbedarf, denke ich, aber auch in den anderen Fragen, die jetzt die Menschenrechte betreffen, und auch das Verhalten des Iran in der Region insgesamt.

    Klein: Darauf kommen wir gleich noch. – Herr Gahler, lassen Sie mich noch mal nachfragen. Sie sagen, es war falsch und unnötig, dass mehr als nur der schwedische Botschafter anwesend waren. Inwiefern wird das Schaden anrichten?

    Gahler: Das wird jetzt dauerhaft keinen Schaden anrichten. Ich glaube, Ahmadinedschad – das ist ja auch eben in dem Bericht angeklungen – hat uns ja auch deutlich gesagt, er braucht unsere Glückwünsche nicht. Das wird weder Schaden, noch Nutzen bewirken. Aber aus meiner Sicht ist es auch gegenüber den Menschen im Iran, die ja auch darauf hoffen, dass Signale von außen kommen, sicherlich ein falsches Signal, dass wir wieder einmal keine einheitliche Haltung hatten.

    Klein: Es ist ja offensichtlich schwierig, den Mittelweg zu finden zwischen Ignorieren und hofieren. Der Weg, der jetzt beschritten wurde, stimmt Ihrer Meinung nach auch nicht. Was wären denn die besten richtigen Schritte in den kommenden Wochen und Monaten dann von Seiten der EU?

    Gahler: Ich sagte ja, dass wir ihn als Faktum akzeptieren, ohne dass wir mit ihm feiern müssen, wenn er ins Amt eingeführt wird. Unsere Agenda, die bleibt bestehen, und da ist neben den innenpolitischen Fragen natürlich die Nuklearfrage weiterhin brennend. Es besteht ein Angebot schon aus dem letzten Jahr der Europäischen Union, das ja auch im Rahmen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sogar unterstützt wird. Es besteht eine gemeinsame Haltung der Weltgemeinschaft in der Atomfrage, dass der Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen geraten soll, und da müssen wir als Weltgemeinschaft weiterarbeiten. Und ich würde auch einen Schritt weitergehen: Wenn wir aufgrund von Russland und China, deren Vorbehalte nicht zu schärferen Sanktionen kommen, denke ich, sollten wir als Gleichgesinnte, als EU und USA und weitere, weitere Schritte in dem Bereich unternehmen.

    Klein: Was heißt "weitere Schritte"?

    Gahler: Weitere Schritte heißt aus meiner Sicht zum Beispiel, dass man überlegen sollte, dass man einen Boykott raffinierten verarbeiteten Rohöls in Erwägung ziehen sollte. Sie wissen, dass der Iran zwar viel Öl produziert, aber nicht genügend Raffineriekapazität hat und dort einführen muss. Ich glaube, das wäre sicherlich ein schmerzhafter Schritt. Und auch, wenn ich mir bewusst bin, dass gerade die deutsche Industrie darunter leiden würde, würde ich auch weitere Wirtschaftssanktionen in Erwägung ziehen.

    Klein: Sehen Sie denn Mehrheiten für Sanktionen, wenn es so schwierig ist, schon allein in der Europäischen Union zu einer gemeinsamen Linie zu kommen?

    Gahler: Auf der UNO-Ebene wären ja die westlichen Staaten weitergegangen, als es mit Russland und China möglich war. Es ist zunächst mal ein richtiges Bild, dass die Weltgemeinschaft sich einig ist, dass der Iran eben keine Atomwaffen erhalten soll, aber es ist dann die Frage, wie man, um das Ziel zu erreichen, eben weitergeht. Und wenn man dann auf die Dauer eben sieht, dass andere Partner, also Russland und China, im Weltsicherheitsrat nicht dort mitziehen, dann wäre es zumindest wichtig, dass die westliche Staatengemeinschaft – und da, glaube ich, in dieser Frage ist die EU wirklich einer Meinung – selber einen Schritt weitergeht.

    Klein: Aber Russland und China bleiben, was die UNO angeht, ja weiter im Boot und möglicherweise auch weiter bei ihrer Meinung. Das heißt, da ist überhaupt kein Fortschritt erkennbar.

    Gahler: Na ja, auch diese beiden Länder haben nicht wirklich ein Interesse, dass der Iran an Atomwaffen gerät. Ich bin sicher, dass Russland, weder Präsident noch Ministerpräsident, an seiner Südflanke eine neue Atommacht dieser Gestalt sehen möchte. Aber sie sehen eben im operativen Bereich andere Prioritäten und wollen eben nicht den Weg von Sanktionen schärferen Ausmaßes gehen. Im Ziel sind wir uns, bleiben wir uns, denke ich, einig, aber nur bei den Mitteln, und deswegen glaube ich, wenn wir vorangehen würden, dass Russland und China nicht aktiv dagegen arbeiten würden.

    Klein: Lassen Sie uns noch mal auf die Situation im Land selbst schauen. Sie haben gesagt, es ist auch eine Enttäuschung für viele Menschen, die sich der Reformbewegung, der Protestbewegung angeschlossen haben, dass jetzt Botschafter aus der EU zur Zeremonie gekommen sind. Welche Möglichkeiten gibt es denn, diese Reformbemühungen im Iran selbst von westlicher Seite noch zu unterstützen, wenn man gleichzeitig sagt, wir müssen mit Ahmadinedschad zusammenarbeiten?

    Gahler: Wir wissen ja, dass der Iran selbst eine sehr lebendige Zivilgesellschaft hat. Es sind dort so viele Menschen und Gruppen aktiv, deswegen erleben wir ja auch laufend Verbote von Zeitungen oder von Vereinigungen, eben weil es so viel Aktivität innerhalb der Gesellschaft gibt. Ich denke, wir sollten auch gerade als Europäische Union das Instrument – und da haben wir ein spezielles Instrument, nämlich das europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte – nutzen. Das ist ein Instrument, das wir nutzen auch ohne die Einwilligung der betreffenden Regierung, weil wenn es um Demokratie und Menschenrechte geht, ist ja in entsprechenden Ländern die Regierung oftmals Teil oder zentraler Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Das heißt konkret, wir sollten uns überlegen, wie wir diese Mittel einsetzen. Da kann man Rechtsanwälte unterstützen, die Verhaftete vertreten, da kann man in anderen Bereichen gezielt demokratische oder für Pluralität eintretende Gruppen unterstützen. Da ist, glaube ich, viel Kreativität möglich. Da sollten wir auch mit den Vertretern der Zivilgesellschaft in einen Dialog treten, um auf die Art gezielt Unterstützung zu leisten.

    Klein: Es wird jetzt etlichen Regime-Gegnern der Prozess gemacht. Die Rede ist von Schauprozessen, die nicht wirklich mit rechtsstaatlichen Mitteln vonstatten gehen werden. Welche Möglichkeiten hat die Europäische Union, in dieser Hinsicht einzuwirken?

    Gahler: Ich denke, da könnte man überlegen, neben der Tatsache, dass man Öffentlichkeit verlangt und dass man Zutritt auch für internationale Vertreter verlangt, damit der Prozess verfolgt werden kann; da sollte man, wenn es denn erforderlich ist, auch vielleicht den Einsatz von Rechtsanwälten unterstützen. Es gibt ja die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi, die zum Beispiel auch die seit über einem Jahr inhaftierten geistlichen Führer der Bahai-Religion dort versucht, zu unterstützen. Also bekannte Menschen, die sich dort im Sinne von Demokratie und Pluralität engagieren, sollten wir unterstützen durch entsprechende finanzielle Möglichkeiten und gerade bei diesen Prozessen wirklich darauf achten, dass Öffentlichkeit vorhanden ist.

    Klein: Der Europaparlamentarier Michael Gahler war das zur heutigen Vereidigung von Präsident Ahmadinedschad im Iran und zur Rolle der westlichen Staaten und der Europäischen Union. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Gahler.

    Gahler: Bitte sehr!