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"Wir müssen uns von der Diktatur der Finanzmärkte befreien"

Anlässlich des Parteitags der Linken in Erfurt nennt der saarländische Fraktionsführer Oskar Lafontaine als zentrales Thema seiner Partei die Bewältigung der Finanzkrise. Ob er Anfang November für das Amt des Bundesvorstands kandidieren wird, lässt er offen.

Oskar Lafontaine im Gespräch mit Peter Kapern | 21.10.2011
    Peter Kapern: In Erfurt beginnt heute der Bundesparteitag der Linken. Er soll gewissermaßen das Dasein einer Partei im Übergang beenden. 2007 hat sich die Linke als Zusammenschluss aus PDS und WASG gebildet, bis heute aber leistet sie sich gewissermaßen den Luxus, eine Partei ohne Programm zu sein. Das soll sich jetzt in Erfurt ändern.
    Mitgehört hat Oskar Lafontaine, der frühere Vorsitzende der Partei Die Linke und der heutige Fraktionschef der Linken im saarländischen Landtag. Guten Morgen, Herr Lafontaine!

    Oskar Lafontaine: Guten Morgen.

    Kapern: Herr Lafontaine, findet Ihre Partei mit dem Programm die Wege zum Kommunismus, die die Vorsitzende Gesine Lötzsch noch vor kurzem gesucht hat?

    Lafontaine: Mit Sicherheit nicht in dem Sinne, wie Sie jetzt die Frage gestellt haben. Es geht uns darum, einen Gesellschaftsentwurf in diesem Programm aufzuzeigen, der zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse führt, und da ist dann immer wieder das Wort vom Systemwechsel ein Schlüsselwort und viele meinen, wer einen Systemwechsel fordert, der sei vielleicht nicht politisch akzeptabel. Ich glaube, wer angesichts der heutigen Bankenwelt den Systemwechsel nicht fordert, der hat nichts verstanden, denn die heutige Bankenwelt ist so aufgebaut, dass sie eben zu millionenfacher Arbeitslosigkeit führt bis hin auch zum Hungertod, und man muss eben den Systemwechsel durchführen. Ohne dass wir ein anderes Geldsystem errichten in der Welt, werden wir die gegenwärtigen Probleme nicht lösen können. Wir sind verpflichtet, eine andere Finanzwelt zu errichten, eine demokratische Finanzwelt, und deswegen heißt unsere Parole, Sparkassen statt Zockerbuden.

    Kapern: Sahra Wagenknecht hat gestern in einem Interview mit der "Welt" die Finanzwirtschaft pauschal als Finanzmafia bezeichnet. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Lafontaine: Ein Bundespräsident hat sie mal als Monster bezeichnet, der Vorgänger des jetzigen Bundespräsidenten. Man kann schon ein solches Wort benutzen, denn das, was jetzt in der Finanzwelt geschieht, spottet ja jeder Beschreibung. Es werden schamlose Geschäfte gemacht, es werden riesige Boni und Gewinne kassiert, und sobald irgendetwas schiefgeht, bürdet man all die Lasten, Milliardenlasten den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auf. Dieses grässliche Spiel, dieses grausame Spiel muss beendet werden und wir können nicht stolz darauf sein als Mitglieder der Partei die Linke, dass die Partei die Linke als einzige Partei erstens einmal keinen Dreck am Stecken hat, was die Finanzkrise angeht. Sie hat weder Hedgefonds den Weg bereitet wie die anderen Parteien, noch hat sie Giftpapiere zugelassen wie die anderen Parteien. Sie hat funktionierende Rezepte angeboten, wie diese Krise zu lösen ist. Ein Vorschlag, der jetzt ganz zentral ist, ist der, dass wir die Staaten, die europäischen Staaten, um die es jetzt geht, aber auch andere von der Finanzmafia abkoppeln müssen. Wir müssen dazu kommen, dass die Kredite an die Staaten direkt von der Europäischen Zentralbank vergeben werden.

    Kapern: Sie haben eben auf das hingewiesen, was Horst Köhler als Bundespräsident mal gesagt hat, nämlich die Finanzmärkte seien ein Monster. Das ist ja noch kein strafrechtlich relevanter Vorwurf. Mafia ist allerdings gesetzlich verboten, oder?

    Lafontaine: Wenn Sie hier das Strafrecht bemühen, so kann ich einen amerikanischen Vizepräsidenten zitieren, der einmal gesagt hat, die meisten Wallstreet-Banker gehören eigentlich hinter Schloss und Riegel. Das heißt, viele Politiker erkennen das, dass was manche Vorstände in der Finanzwelt machen, dass dies tatsächlich auch strafrechtlich verfolgt werden müsste.

    Kapern: Herr Lafontaine, bringt das neue Programm Ihrer Partei ein Ende der Flügelkämpfe?

    Lafontaine: Das, glaube ich, wäre kühn, das zu behaupten. Politische Parteien haben immer eine lebendige Diskussion, das soll ja auch so sein, und es gibt immer unterschiedliche Akzentsetzungen. Wir wollen keine politische Partei, in der alle jeden Tag dasselbe meinen und denken, das wäre ziemlich langweilig.

    Kapern: Ist das, was sich in den letzten Monaten in Ihrer Partei abgespielt hat, noch richtig gekennzeichnet mit dem Begriff "lebendige Diskussion"? Waren das nicht doch schon erbitterte Kämpfe?

    Lafontaine: Erbitterte Kämpfe waren es nicht, aber es waren überflüssige Diskussionen. Vor allen Dingen waren es Diskussionen um Themen, die die Wählerinnen und Wähler nicht interessieren. Deshalb sind wir ja auch in der öffentlichen Resonanz zurückgefallen. Wir hatten ja ein hervorragendes Bundestagswahl-Ergebnis von fast zwölf Prozent, jetzt sagen die Umfragen uns, dass wir deutlich an Zustimmung verloren haben, und Aufgabe ist es jetzt, diese Zustimmung wieder zurückzugewinnen. Das gelingt eben nicht, wenn man sich mit Nebenthemen beschäftigt, sondern mit dem zentralen Thema überhaupt, und das ist die Bewältigung der Finanzkrise und damit die Bewältigung der Demokratiekrise. Wir haben ja eine große Krise der Demokratie. Die Parlamente hinken den Finanzmärkten immer noch hilflos hinterher, die Regierungen finden kein Konzept, die Finanzindustrie zu bändigen, und die Linke sagt klar, wir müssen uns von der Diktatur der Finanzmärkte befreien. Und deshalb noch einmal der Vorschlag: der erste entscheidende Schritt wäre, dass die Finanzmärkte nicht mehr die Staaten am Gängelband führen, sondern dass die Zentralbanken direkt Kredite an die Staaten vergeben und sie damit aus dieser Diktatur im ersten Schritt befreien.

    Kapern: Noch mal zurück zum Programm, Herr Lafontaine. Darin sind ja sogenannte Haltelinien definiert, also Bedingungen für Koalitionen, Bedingungen, unter denen Ihre Partei bereit ist, solche Koalitionen einzugehen, und wenn man die durchliest, dann hat man den Eindruck, solche Koalitionen mit der Linken wird es nicht geben, außer es finden sich Parteien, die bereit sind, sich programmatisch Ihrer Partei zu unterwerfen.

    Lafontaine: Nun, bei Koalitionen ist es immer so, dass man Kompromisse schließen muss. Das weiß ja jeder. Dazu ist auch die Linke bereit. Aber die Kompromisse müssen immer so sein, dass eben die Handschrift der jeweiligen Partei in der Regierungsarbeit erkennbar ist. Das ist das, was wir mit den Haltelinien zum Ausdruck gebracht haben. Ich nehme mal die Forderung "keine weitere Privatisierung". Dass man über diese Forderung überhaupt noch diskutiert, ist verwunderlich in der heutigen Zeit, wo also alle neoliberalen Parteien gezwungen waren, im Bankensektor Verstaatlichungen durchzuführen, weil es nicht mehr anders ging. Die Antwort auf die totale Privatisierung der letzten Jahrzehnte ist, dass wir wieder mehr Gemeinschaftseigentum brauchen, und das heißt eben, im Schlüsselbereich der Banken brauchen wir Sparkassen, die solide alte Sparkasse, die viel besser ist als die Zockerbuden, oder wir brauchen Stadtwerke, also eine Rekommunalisierung der Stromwirtschaft. Das waren viel bessere auch Preissituationen, die wir damals hatten, als heute, wo Monopole die Bürgerinnen und Bürger abkassieren.

    Kapern: Die Partei die Linke braucht auch einen neuen Fraktionsvorstand. Anfang November soll der gewählt werden. Sollte Sahra Wagenknecht Co-Fraktionsvorsitzende werden?

    Lafontaine: Die Fraktion hat sich vorgenommen, nach dem Parteitag zu entscheiden, ob sie dabei bleibt, dass es zwei Doppelspitzen gibt. Diese Entscheidung muss zunächst abgewartet werden. Und es wäre ja recht schlecht, wenn ich jetzt von außen Vorschläge machen würde, wer welches Amt übernimmt.

    Kapern: Aber Sie könnten jetzt von außen den Vorschlag machen, dass Sie selbst wieder 2013 zur Bundestagswahl als Kandidat der Linken antreten.

    Lafontaine: Dann wäre ich ein ziemlicher Trottel, wenn ich jetzt mit einem solchen Personalvorschlag rauskäme. Dafür bin ich zu lange im politischen Geschäft. Wir haben vereinbart, gerade damit auch die Öffentlichkeit unsere inhaltlichen Vorschläge zur Kenntnis nimmt, jetzt nicht über Personal zu spekulieren.

    Kapern: Aber ein Dementi hört sich anders an, Herr Lafontaine?

    Lafontaine: Sie können daraus heraushören was Sie wollen. Ich habe klar gesagt, es ist jetzt überhaupt keine Zeit für Personalspekulationen.

    Kapern: Oskar Lafontaine war das, der Fraktionschef der Linken im saarländischen Landtag. Danke für das Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk.

    Lafontaine: Bitte sehr.

    Kapern: Schönen Tag, Herr Lafontaine.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.