Donnerstag, 28. März 2024

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"Wir sagen nicht, dass mit unserem Modell alle Probleme gelöst werden"

Sie seien zwar keine Gesamtlösung, dennoch könnten Eurobonds "ein ganz wichtiger Baustein" zur Bewältigung der Finanzkrise sein, sagt Jakob von Weizsäcker. Im Moment hafte die EU durch die Rettungsschirme für die Schuldenländer, Eurobonds könnten für mehr Transparenz sorgen.

Jakob von Weizsäcker im Gespräch mit Friedbert Meurer | 15.08.2011
    Friedbert Meurer: Auch Deutschland ist hoch verschuldet, aber das Rating liegt trotzdem bei AAA. Deutschland genießt erstklassige Bonität, weil die Marktteilnehmer und Beobachter glauben, hier bei uns lägen günstige Voraussetzungen vor, dass wir die Schulden auch wieder abbauen könnten. Dafür zahlt Deutschland nur gerade so etwa zweieinhalb Prozent Zinsen für seine Anleihen, Italien zum Beispiel aber um die fünf, Griechenlands Zinsen sind sogar zweistellig. Soll Deutschland diesen schönen Vorteil aufgeben und Euro-Anleihen auflegen? Die Bundesregierung bleibt weiterhin dagegen.

    Jakob von Weizsäcker, Volkswirt, hat vor zwei Jahren in Brüssel gemeinsam mit dem französischen Ökonomen Jacques Delpla ein Modell entworfen für europäische Gemeinschaftsanleihen, also Eurobonds, das heutzutage jetzt wieder diskutiert wird und von dem er damals gesagt hat, es könnte doch funktionieren, ohne dass Deutschland darunter zu leiden hätte. Heute ist von Weizsäcker Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium in Thüringen. In Erfurt bin ich jetzt mit ihm verbunden, guten Tag, Herr von Weizsäcker!

    Jakob von Weizsäcker: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Wollen Sie uns um die schönen 2,4 Prozent Zinsen bringen, die Deutschland nur für die Anleihen bezahlen muss?

    von Weizsäcker: Darum geht es doch gar nicht, sondern es geht darum, dass wir längst in einer Situation sind, wo wir für einen Teil der Staatsschulden der anderen mithaften. Die No-Bailout-Klausel, die ursprünglich vorgesehen war im Vertrag von Maastricht, also dass man unter keinen Umständen für die Schulden der anderen einspringt, die war nicht durchzuhalten, nicht etwa, weil es schön ist, Schulden der anderen zu bezahlen, sondern weil man einen Kollaps an den Finanzmärkten befürchtete. Das heißt also, wir befinden uns in einer Situation der Teilhaftung, so oder so. Heute machen wir das über europäische Rettungsschirme. Die Frage ist, kann man das auch transparenter tun? Denn schauen Sie sich mal an, wie das bei Griechenland gelaufen ist: Am Ende hat man die Banken gefragt, auf wie viel Geld könnte ihr denn verzichten? Dann haben sie gesagt, ja gut, vielleicht können wir auf 20 Prozent verzichten, am Ende hat man tatsächlich einen kleinen Haircut hinbekommen, das war aber noch lange nicht genug, um Griechenland wieder zu helfen, an die Finanzmärkte zu gehen. Unser Vorschlag sieht nun vor zu sagen, wir machen einen Eurobond, aber der Eurobond basiert explizit auf der Idee der Teilkaskoversicherung. Ein Teil, wir sagen, 60 Prozent BIP der Staatsverschuldung, das ist die Maastricht-Grenze, 60 Prozent Bruttoinlandsprodukt Staatsverschuldung sind europäisch abgesichert, und der Rest ist in rein nationaler Verantwortung, und bei diesem Rest wollen wir darauf achten, dass er am Ende nicht bei den Banken landet …

    Meurer: … aber Autofahrer wissen, Teilkasko ist auch nicht ganz schlecht, wenn man sein Auto gestohlen bekommt, dann bekommt man es wieder ersetzt. Machen Sie da eine Tür auf, mit der Sie es anderen Staaten leichter machen, sich zu verschulden, ohne für die Konsequenzen geradezustehen?

    von Weizsäcker: Na ja, das Entscheidende ist ja, dass man, so wie man in vielen Versicherungen eben einen Selbstbehalt hat, bauen wir über das, was wir Red Bond, also den reinen nationalen Bond, den Selbstbehalt institutionell ein. Während Sie in der heutigen Architektur beim europäischen Rettungsschirm das immer individuell aushandeln müssen …

    Meurer: … da es ein bisschen kompliziert ist: Blue Bonds – blaue Anleihen, Red Bonds – rote Anleihen. Was ist der Unterschied in Ihrem Modell?

    von Weizsäcker: Die Blue Bonds, das sind die Eurobonds, das sind die europäisch abgesicherten, das ist der Grundsockel der Schuld, der dann sehr, sehr günstig finanziert werden könnte. Und die Red Bonds, das sind die rein nationalen Verschuldungen, das sind die Bonds, auf denen wir organisieren wollen, dass dort das No-Bailout-Versprechen dann tatsächlich auch realisiert werden könnte. Das ist also, wenn Sie so wollen, der Selbstbehalt der Versicherung.

    Meurer: Also Red Bonds sind nationale Anleihen, dabei soll es dann bleiben.

    von Weizsäcker: Genau, ohne Garantie.

    Meurer: Jetzt liegen ja, Herr von Weizsäcker, im Moment alle Staaten, fast alle Eurostaaten, bei einem Verschuldungsgrad von über 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Passt Ihr Modell in die Zeit?

    von Weizsäcker: Wir sagen nicht, dass mit unserem Modell alle Probleme gelöst werden. Wir haben im Moment eine akute Krise, aber wir sind der Überzeugung, dass das ein ganz wichtiger Baustein wäre, um dieser Krise Herr zu werden.

    Meurer: Aber Eurobonds wollen Sie nur einführen für eine Verschuldung bis 60 Prozent.

    von Weizsäcker: So ist es.

    Meurer: Noch mal die Frage: Im Moment liegen die Staaten bei 80 Prozent plus, teilweise über 100 Prozent. Da greift Ihr Modell doch aktuell gar nicht, oder?

    von Weizsäcker: Na ja, Sie haben ja erlebt: In Griechenland hat man eine Umschuldung geplant. Man kann durchaus sagen, wenn ein Land überschuldet ist wie Griechenland: Wir tauschen jetzt mit einem entsprechenden Abschlag – Haircut, wie das die Fachleute nennen – die Altschulden um in Blue Bonds und Red Bonds, und dann eben einen geeigneten Mix. Das heißt also auch in dem Sinne, im Rahmen einer solchen Umschuldung, die bei Griechenland auch noch mal erforderlich sein wird, denn das, was durch die Banken jetzt herausverhandelt wird, das reicht ja gar nicht, um Griechenland wieder zurück an den Markt zu bringen. Auch im Rahmen eines solchen Umtauschs können die Eurobonds, die wir vorschlagen, eine wichtige Rolle spielen.

    Meurer: Ganz kurz: Hat jemand aus der Bundesregierung schon bei Ihnen angerufen?

    von Weizsäcker: Wir sind immer im Gespräch gewesen, das muss man ja sagen, das ist einer der Vorteile in offenen Gesellschaften, man ist immer im Gespräch, auch schon vor zwei Jahren waren wir mit den entsprechenden nationalen Finanzministerien, zum Teil auch mit den Regierungszentralen im Gespräch. Das heißt, man weiß schon lange um den Vorschlag, die Kritik am Anfang war sehr groß, die Krise hat sich weiterentwickelt. Ich glaube, dass man an der ein oder anderen Stelle merkt: So wie man sich das bisher vorgestellt hat, wird man aus der Krise nicht herauskommen. Deshalb denkt man jetzt auch intensiver über Eurobonds nach, darunter auch über unseren Vorschlag.

    Meurer: Jakob von Weizsäcker mit seinem Modell und das des französischen Ökonomen Jacques Delpla über europäische und nationale Anleihen, blaue und rote Bonds. Danke schön und auf Wiederhören, Herr von Weizsäcker, nach Erfurt!

    von Weizsäcker: Danke auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.