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"Wir sehen überall, dass es völlig egal ist, was da mit den Fahrgästen ist"

Es dürfe nicht sein, dass man "die Fahrgäste sich selbst überlässt", sagt der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer, über die zahlreichen Ausfälle an Flughäfen und Bahnhöfen und die damit verbundenen Wartezeiten. Er plädiert für einen stärkeren finanziellen Druck auf die Unternehmen - und nennt Blockierer seiner Vorschläge.

Michael Cramer im Gespräch mit Christian Bremkamp | 22.12.2009
    Jochen Spengler: Die Fahrt in den Weihnachtsurlaub könnte zur Rutschpartie werden. Nach Verkehrsbehinderungen durch Schnee droht jetzt Gefahr durch spiegelglatte Straßen. Ursache: das Tauwetter. Gestern kam es im Bahn- und Flugverkehr wetterbedingt zu Verspätungen aus Ausfällen. Es gibt schon ein gewisses Chaos auf den Bahnhöfen. Rund 700 Menschen mussten in der Nacht von Sonntag auf Montag auf dem Flughafen Düsseldorf verbringen, dessen Betrieb für fast zwölf Stunden eingestellt worden war. Auch in Frankfurt wurden mehr als 80 Starts und Landungen gestrichen. Heute Nacht war Frankfurt mehrere Stunden gesperrt. Besonders schlimm aber traf es diejenigen, die von Frankreich nach England wollten oder umgekehrt. Der Eurostar-Verkehr unter dem Ermelkanal fiel am Wochenende komplett aus. Rund 50.000 Passagiere waren davon betroffen. Heute soll der Betrieb teilweise wieder aufgenommen werden. Mein Kollege Christian Bremkamp hat den Grünen-Europaabgeordneten Michael Cramer gestern Abend zum Thema Verkehrschaos interviewt und ihn gefragt, woran es liegt, dass Winter ist und niemand davon gewusst haben will.

    Michael Cramer: Ja, das ist natürlich die zentrale Frage, weil Winter kommt immer wieder. Der Sozialismus ist eigentlich vorüber, wo man sagte, die größten Feinde des Sozialismus sind die vier, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und plötzlich kommt der Winter und es passiert nichts. Hier in Berlin haben wir ja ein Chaos gehabt, wie wir es im Zweiten Weltkrieg nicht erlebt haben. Ich sage immer, was Bomben und Granaten im Zweiten Weltkrieg nicht geschafft haben, hat die Renditeorientierung der Deutschen Bahn bewirkt. Die haben die Unterhaltung extrem gekürzt, sie haben das Personal eingespart und sobald eine unvorhergesehene Maßnahme kommt, stehen sie da und wissen nicht weiter. Das geht alles zu Lasten der Fahrgäste, das muss sich ändern.

    Bremkamp: Das betrifft jetzt ja eigentlich ganz Europa. Die S-Bahn, die Sie, glaube ich, gerade angesprochen haben, ist die eine Sache. Dass Kälte und Schnee Auswirkungen haben, ist klar. Wirklich dramatisch ist es jetzt ja geworden im Fall des Eurostar unter dem Ärmelkanal. Da stellt man sich unweigerlich die Frage: was wird da auf die Schiene geschickt?

    Cramer: Ich frage mal anders herum. Der Eurostar, der läuft ja nun nicht erst seit gestern, sondern schon seit vielen Jahren. Ich habe nie Unregelmäßigkeiten gehört. Offensichtlich ist da was passiert, was vorher nicht da war. Ob es die schnelle Kälte war, die harte Kälte, ob es der Unterschied war, das muss genau untersucht werden. Das kann passieren, aber was nicht passieren darf, dass man die Fahrgäste sich selbst überlässt, und das sehen wir eben überall, fast überall in Europa, dass es völlig egal ist, was da mit den Fahrgästen ist. Die werden nicht betreut, die kriegen keine Informationen. Es wird jetzt erst der Flugverkehr dann verstärkt zwischen London und Paris, weil die Züge nicht mehr klappen. Wir sind ja froh, dass durch schnelle Züge der Luftverkehr reduziert werden kann, aber im Notfall muss eine übergreifende Strategie da sein, im Interesse der Fahrgäste, und das habe ich vermisst.

    Bremkamp: Aber das sind große Unternehmen. Wie erklären Sie sich, dass solche Strategien nicht vorliegen?

    Cramer: Natürlich spielen immer die Kosten eine Rolle. Wir haben ja im Eisenbahnwesen Gott sei Dank jetzt die Fahrgastrechte. Die Leute kriegen ihr Geld zurück. Im Flugverkehr ist es erst nach fünf Stunden, bei der Bahn ist es schon nach einer Stunde. Hier wird der Flugverkehr bevorzugt. Aber die Kooperation der Unternehmen untereinander, die funktionierte nicht. Im Notfall müssen alle eingreifen und sie müssen insgesamt im Interesse der Fahrgäste handeln.

    Bremkamp: Und wer kann das durchsetzen?

    Cramer: Das kann natürlich die Europäische Union durchsetzen, vor allen Dingen wenn es über grenzüberschreitende Verkehre geht. Wir wollen ja jetzt Fahrgastrechte haben für alle Arten des Transports. Da sind wir am Arbeiten. Im Eisenbahnwesen haben wir es schon, bei Bussen, Fähren und so weiter, im Flugverkehr kommt es auch. Die müssen angepasst werden. Vor allen Dingen muss aber eine Interkooperation durchgesetzt werden. Das heißt, dass man nicht damit zufrieden ist, wir haben einen technischen Schaden, jetzt müsst ihr eben warten. Ich habe vorgestern 100 Minuten auf einen Zug gewartet von Braunschweig nach Berlin und was mich am meisten geärgert hat: ich kriege dann nur stückchenweise Informationen, erst nach zehn Minuten, dann 30, dann 50. Hätte ich es von vornherein gewusst, hätte ich mir Alternativen suchen können.

    Bremkamp: Ich kann mir zumindest vorstellen, dass dann die Unternehmen sagen, auch Stichwort sogenannte Billig-Airlines, wenn wir für mehr Informationen sorgen müssen, das heißt mehr Personal, das steigert die Kosten, das steigert die Ticket-Preise.

    Cramer: Ja, dann müssen die Ticket-Preise steigen. Ich bin dafür, dass die Ticket-Preise auch die Wahrheit sagen. Wir haben ja die Situation gerade beim Flugverkehr und wenn Sie die Billig-Airlines ansprechen, die sind ja deshalb billig, weil ihre Kosten von der Umwelt und von den Steuerzahlern bezahlt werden. Allein die Kerosinsteuerbefreiung - die Bahn zahlt für jeden Diesel Mineralölsteuer - macht in Europa jedes Jahr 14 Milliarden Euro aus. Der deutsche Steuerzahler ist mit sieben Milliarden dabei. Das sind die Brocken, die wir wegräumen müssen, auch um klimapolitisch glaubwürdig zu sein.

    Bremkamp: Wenn Brüssel da was unternehmen will, wann glauben Sie, in welchem Winter, in wie viel Jahren wird es dann nicht mehr zu solch chaotischen Zuständen kommen?

    Cramer: Wenn die Airlines zahlen müssen und wenn die Unternehmen, auch die Eisenbahnunternehmen zahlen müssen, dann wissen sie, dass es billiger ist, wenn man Reserven trifft, dann wissen sie, dass es billiger ist, wenn man ein Flugzeug chartert, wenn die Bahn durch den Tunnel nicht fährt, oder anders herum. Das ist eine Frage der Kosten und solange der Steuerzahler alle Kosten übernimmt und die Folgekosten alle auf den Fahrgast abgewälzt werden, dann gucken die nur auf ihre Bilanzen und die mögen positiv sein. Im Gesamtinteresse des Klimas und im Gesamtinteresse der Fahrgäste sind sie negativ.

    Bremkamp: Wann glauben Sie, dass es zu Verbesserungen kommen wird?

    Cramer: Ich hoffe, dass wir da zu Verbesserungen kommen. Wir arbeiten daran in Europa. Aber es sind drei Instanzen, die dazu bereit sein müssen. Das ist das Parlament, das sind die Kommissionen, die wollen das, aber die Mitgliedsstaaten, die wollen das nicht und die sind die Blockadeinstanzen und die müssen wir bekehren. Da können wir wählen, da müssen wir arbeiten, in Deutschland, in Frankreich, auch in Großbritannien. Das ist möglich und wir werden daran arbeiten. Wir Grünen auf jeden Fall, wir stehen dazu.

    Spengler: Das war der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer im Gespräch mit meinem Kollegen Christian Bremkamp.