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"Wir sind wütend"

Zwanzig Jahre nach den fremdenfeindlichen Brandanschlägen in Mölln leidet die schleswig-holsteinische Stadt noch immer unter dem schlechten Image. Ausgerechnet kurz vor dem Jahrestag kam es nun zu rassistischen Schmierereien.

Von Dietrich Mohaupt | 22.11.2012
    Zu sehen ist in der beschaulichen Kleinstadt Mölln nichts mehr von den Schmierereien, auch am Stadthaus, dem Sitz der Stadtverwaltung und des Bürgermeisters Jan Wiegels, sind die Sprüche – unter anderem mit der Aufforderung zu rassistisch motivierter Gewalt – längst übertüncht worden. Nur: Aus den Augen, aus dem Sinn, das funktioniert leider nicht so einfach, betont der Bürgermeister.

    "Wir haben es eben hier entdeckt an unserer Eingangstür zum Stadthaus, und wir haben dann unseren Außendienst losgeschickt, und dann wurde eben schnell sichtbar, dass es eben nicht nur hier, sondern auch an 20, 30 anderen Gebäuden war – und das hat uns natürlich schon geschockt."

    Ausgerechnet Mölln – ausgerechnet zwanzig Jahre nach den Brandanschlägen! Ganz Deutschland schaut in diesen Tagen wieder einmal auf die Kleinstadt im Herzogtum Lauenburg, und genau diese Öffentlichkeit wollten die unbekannten Täter nutzen, vermutet Wiegels. Er ist fest davon überzeugt, dass sie nicht aus Mölln stammen – hier gibt es keine sonderlich aktive rechte Szene mehr, beteuert das Stadtoberhaupt.

    "Wir sind wütend, weil wir das natürlich nur als eine gezielte Provokation empfinden können im Vorfeld dieses 20. Gedenktages, wo man uns gezielt dann wieder in ein bestimmtes Licht rücken will, wo man Gegenreaktionen auslösen will. Und all das wollen wir nicht, wir leben hier friedlich zusammen seit vielen, vielen Jahren, auch mit den Einwohnern mit Migrationshintergrund und wollen das ja auch befördern und uns durch solche strafrechtlichen Aktionen nicht abbringen lassen."

    Eine Provokation von Außen – so recht mag daran nicht jeder in Mölln und Umgebung glauben. Volker Hutfils zum Beispiel, Mitglied der Linkspartei im Kreis Herzogtum Lauenburg, zeichnet ein ganz anderes Bild von der aktuellen Situation.

    "Es ist schon merkwürdig, dass der Möllner Bürgermeister fest davon ausgeht, dass die Täter von außerhalb kommen. Ich weiß nicht, wie er darauf kommt, ob er da irgendwelche Informationen hat, die andere Leute nicht haben. Wir kriegen es mit, dass es hier noch eine rechte Szene gibt – zum Beispiel an diesen sogenannten Heldengedenktagen finden immer wieder kleinere Aktionen von Neonazis statt. Also ich gehe davon aus, dass hier eine rechte Szene vorhanden ist."

    Die neuesten Schmierereien in Mölln seien dafür nur ein Beleg – Anfang des Jahres zum Beispiel hatte es bereits im benachbarten Ratzeburg antisemitisches Geschmiere und Morddrohungen gegen den Bürgermeister, die Pröpstin und andere Mitglieder des Bündnisses gegen Rechts gegeben. Ibrahim Arslan ist einer der Überlebenden der türkischen Familie, die in der Möllner Mühlenstraße wohnte – als siebenjähriger Junge war er in der Nacht zum 23. November 1992 aus dem brennenden Haus gerettet worden, schwer verletzt und traumatisiert. Seit Jahren lebt seine Familie inzwischen in Hamburg – Mölln betrachtet er, vor allem nach den jüngsten Vorfällen, mit tiefem Misstrauen.

    "Man sieht, dass sich hier in Mölln nix verändert hat – seit 20 Jahren. Es werden irgendwelche Graffiti an die Wände gemalt – wenn diese paar Nazis, die so was machen, nicht aufgesucht werden und aus dem Weg geräumt werden, dann weiß ich nicht, was hier in Mölln richtig gelaufen ist, ehrlich gesagt."

    Ibrahim Arslan wirft den Möllnern vor, sich ihrer Verantwortung für die Geschehnisse vor 20 Jahren nicht zu stellen – das spiegelt sich seiner Meinung nach auch im Umgang mit den aktuellen Vorfällen wider. Sein Mittel dagegen: lautstarker Protest. Zu einer von der Linkspartei angemeldeten "bundesweiten antifaschistischen Demonstration" waren am vergangenen Sonnabend einige hundert Protestierer überwiegend aus dem linken und autonomen Spektrum angereist – genau diese Instrumentalisierung, die ideologische Vereinnahmung des Gedenkens an die Opfer des Brandanschlags hatte offenbar abschreckende Wirkung: Kaum ein Möllner Bürger nahm an der Demonstration teil. Wir gehen hier anders mit so etwas um, betont Mark Sauer. Er ist Vorsitzender des Vereins "Miteinander leben", der in den Tagen direkt nach den Brandanschlägen 1992 gegründet worden war und sich seither mit den Themen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus befasst. Der Verein setzte dabei aber eben nicht auf lautstarken Protest und Einzelaktionen zu bestimmten Anlässen, unterstreicht Mark Sauer.

    "Er bildet das ab, was wir eigentlich seit 20 Jahren und sehr verstärkt seit zehn Jahren praktizieren – und zwar Projektarbeit in kleineren Schritten, in verschiedenen Bereichen, insbesondere auch ganz stark mit Schulen zusammen, um diese Thematiken, die sich aus den Brandanschlägen ergeben – also sprich Alltagsrassismus, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit – mit Bildungsangeboten zu bearbeiten."

    Was damit inzwischen erreicht wurde, dokumentieren auch die vielen bunten Fotos fröhlicher Kinder an den Wänden der Rathausflure. Miteinander leben – ganz selbstverständlich, für Bürgermeister Jan Wiegels zeigen die Fotos das wahre Mölln.

    "Das ist eben nur eines von ganz vielen Projekten, die wir dieses Jahr gemacht haben. Das ist eine Fotoausstellung, wo sich praktisch alle Schulen und alle Kindergärten beteiligt haben – wir stehen hier gerade vor einem Foto: Die Eulengruppe mit Kindern, deren Familien aus Russland, Afrika, der Türkei, dem Libanon und natürlich aus Deutschland stammen, die hier freundlich fröhlich in die Kamera lächeln, zusammen stehen und wahrscheinlich auch – zumindest vereinzelt – Freundschaft geschlossen haben."

    Ein kleines Beispiel nur für Veränderungen, für einen langsamen Wandel, der auch immer wieder Rückschläge erleben wird – darüber ist Mark Sauer vom Verein "Miteinander Leben" sich im Klaren. Morgen wird in Mölln offiziell der Opfer der Brandanschläge von 1992 gedacht – mit einem Gottesdienst in der Moschee und einer Kranzniederlegung am Brandhaus in der Mühlenstraße. Und danach wird es wieder darum gehen, im Möllner Alltag gegen rechte Gesinnung anzukämpfen – immer und immer wieder, sagt Mark Sauer.

    "Für mich sind es immer nur Etappen, deswegen spreche ich auch immer gerne vom langen Atem, den wir haben müssen. Das Thema Alltagsrassismus und das Thema Rechtsextremismus muss die ganze Zeit bearbeitet werden – wir sind noch lange nicht am Ziel, wo wir sagen können: So, jetzt ist da alles toll hier. Das gilt aber nicht nur für Mölln – das gilt für ganz Deutschland."