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"Wir sollten nicht naiv sein"

Die Amerikaner und andere Staaten würden auch in Zukunft alle technischen Möglichkeiten der Spionage nutzen, meint der ehemalige Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Davor müsse sich Deutschland schützen und mit der EU eine gemeinsame Strategie entwickeln.

Friedrich Merz im Gespräch mit Bettina Klein | 28.10.2013
    Bettina Klein: Hat Barack Obama am Telefon gelogen, als er der Kanzlerin angeblich versicherte, von der ganzen Ausspäh-Aktion nichts gewusst zu haben? Ein weiterer Aufreger gestern. Genau dies, Obama sei länger darüber informiert gewesen, dementierte nun gestern Abend eine NSA-Sprecherin.

    Seit 2002 also soll nach Medienberichten Angela Merkel abgehört worden sein, zu einer Zeit also, als kurz nach Nine Eleven die USA im Alarmzustand waren, Gerhard Schröder Kanzler, das Verhältnis zu Deutschland im Vorfeld des Irak-Krieges angespannt und Friedrich Merz Unions-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag. Heute ist er Vorsitzender der "Atlantik-Brücke", eine Organisation, die sich intensiv der Kontaktpflege zwischen Deutschland und den USA verschrieben hat, und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Merz.

    Friedrich Merz: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Ausspähen unter Freunden geht gar nicht, sagt die Kanzlerin. Stimmen Sie uneingeschränkt zu?

    Merz: Ja.

    Klein: Klare Antwort! – Vertrauensbruch, Enttäuschung, Wut, Empörung – man spürt, wie angefasst deutsche Regierungspolitiker sich im Augenblick geben. Können Sie das also komplett nachvollziehen?

    Merz: Frau Klein, ich glaube, man muss unterscheiden zwischen der Terrorabwehr, und die hat ja seit dem Jahr 2001 in den Vereinigten Staaten eine hohe Priorität bekommen, mit allen technischen Möglichkeiten, die es dafür gibt, und davon haben auch wir profitiert, und zum anderen dem Ausspähen von Regierungsmitgliedern, von wirklich Freunden über die technischen Möglichkeiten, die es dazu auch gibt. Ich kann mich daran erinnern, wir haben damals ganz unabhängig von diesem Thema, das uns ja gar nicht bekannt war, schon abhörsichere Handys benutzt. Ich hatte damals als Oppositionsführer auch ein solches Handy und habe es benutzt, allerdings sehr eingeschränkt, weil auch der Gesprächspartner ein solches abhörsicheres Handy brauchte, und ganz offensichtlich ist die Technik bis heute nicht viel weitergekommen. Also man kann nur raten, erstens: Wir sollten nicht naiv sein, das findet statt und auch in Zukunft. Zweitens: Wir sollten uns, soweit es geht, dagegen schützen, und zwar nicht nur gegenüber den Amerikanern, sondern gegenüber allen anderen, die über solche technischen Möglichkeiten auch verfügen.

    Klein: Sie haben gerade ganz klar gesagt, Herr Merz, natürlich: Ausspähen unter Freunden geht gar nicht. Sie sagen gleichzeitig, Sie waren überrascht. Sind Sie auch wütend auf die amerikanischen Partner, mit denen Sie ja Zusammenarbeit qua Ihres Amtes quasi pflegen müssen?

    Merz: Wütend ist der falsche Ausdruck. Ich bin erstaunt über das Maß, oder um es anders und besser zu sagen, die Maßlosigkeit dieser Abhöraktionen. Ich weiß auch ehrlich gesagt gar nicht, was das alles soll. Wenn Obama von Frau Merkel etwas will, dann soll er sie anrufen, und ich weiß ja, wie Angela Merkel zu Barack Obama steht. Ich glaube, er wird von ihr am Telefon mehr erfahren, als wenn er sie abhören lässt.
    Ich verstehe aber auch nicht, was sie mit diesen ganzen Datenmengen eigentlich machen. Das muss ja nicht nur abgeschöpft, das muss ja auch ausgewertet werden. Kann man das eigentlich?

    Das zweite ist: Die Amerikaner müssten eigentlich besser verstehen, welcher Vertrauensverlust da bei ihren wichtigsten Verbündeten auf dieser Seite des Atlantiks entsteht, und vielleicht auch diesen Vertrauensverlust etwas ernster nehmen. Ich habe nicht den Eindruck, dass das in Washington wirklich verstanden wird.

    Klein: Haben Sie den Eindruck, dass Sie auch mit Hilfe Ihrer Organisation da für Verständnis werben können und da auf offene Ohren stoßen werden in den nächsten Tagen und Wochen?

    Merz: Ja. Ich war selber vor zwei Wochen das letzte Mal in Washington. Die Gesprächspartner dort verstehen das. Aber ich glaube, sie werden noch etwas mehr verstehen müssen, welche Dimension dieses Thema in Europa und den anderen Ländern der Welt außerhalb Amerikas erreicht hat. Wenn sie das verstehen, dann werden sie möglicherweise auch wieder zu etwas maßvollerem Handeln zurückkehren. Ich würde uns auf dieser Seite aber auch raten, wir sollten nicht naiv sein. Die Amerikaner und auch andere Staaten und Organisationen auf dieser Welt werden weiter von allen Möglichkeiten Gebrauch machen, die es gibt. Also müssen wir uns auch dagegen schützen, und vor allen Dingen: Die Europäer müssen eine einheitliche gemeinsame Linie finden, um mit diesem Thema umzugehen.

    Klein: Eine Frage war ja, die in den letzten Tagen für Aufregung gesorgt hat: Wusste der Präsident eigentlich bescheid? Erst hieß es laut Medienberichten, er habe der Kanzlerin versichert, er wusste nichts, dann kam die "Bild am Sonntag" gestern mit verschiedenen Details, aus denen die Zeitung den Schluss gezogen hat, er hat es gewusst, das wiederum hat die NSA dementiert. Viele fragen sich hier und wohl auch in Washington: Ist es denn möglich, dass das Ausspionieren einer befreundeten Regierungschefin nicht auf Obamas Schreibtisch landet, und vielleicht ist es da gelandet, aber er hat es nicht zur Kenntnis genommen?

    Merz: Na ja, der amerikanische Präsident bekommt, wie wir ja aus vielen Medienberichten und seit vielen Jahren wissen, jeden Tag ein Briefing seiner Nachrichtenorganisationen und dort stehen wichtige Erkenntnisse auf dem Papier, und der amerikanische Präsident wird nicht so naiv sein zu glauben, dass das nur Presseauswertungen sind.

    Klein: Das heißt, Sie gehen davon aus, er wusste bescheid?

    Merz: Zumindest hätte er wissen können, das ist jedenfalls meine Vermutung. Es ist nicht mehr als eine Vermutung. Am besten wäre es, wenn der amerikanische Präsident sich selbst einmal hinstellt und sagt, so war das und das bedauere ich und in Zukunft mache ich das anders. Das wäre die beste Lösung dieses ganzen Themas. Denn immer nur die Sprecher, bei allem Respekt, auftreten zu lassen, mal von der einen Seite, mal von der anderen Seite, bringt uns ja nicht wirklich weiter.

    Klein: Sie würden auch mit 76 Prozent der Deutschen laut neuester Umfrage und mit einigen Spitzenpolitikern – einen haben wir gerade gehört, Hans-Peter Friedrich von der CSU -, Sie würden auch verlangen vom amerikanischen Präsidenten, sich zu entschuldigen?

    Merz: Es wäre jedenfalls gut, wenn der amerikanische Präsident selbst in aller Öffentlichkeit dazu einmal Stellung nimmt und auch sagt, was hier eigentlich war. Diese Ungewissheit und dieses Unwissen auch großer Teile der Öffentlichkeit – und ich zähle mich dazu – ist ja schlimmer als die ganzen Spekulationen, die da jetzt ins Kraut schießen. Der amerikanische Präsident selbst muss die Angelegenheit klären, erklären, und wenn es möglich ist, auch mit einem guten Ende abschließen. Dann kann man das Thema in die Zukunft gerichtet anpacken, und hier gibt es ja ein Thema. Die Deutschen und die Amerikaner verhandeln zurzeit über die Ausweitung eines gemeinsamen Abkommens, das es ja schon seit Jahrzehnten zwischen den USA und Großbritannien gibt. Es wäre gut, wenn Deutschland und auch andere Staaten Europas an diesem Abkommen beteiligt würden, und das wäre der Blick nach vorne, den wir jetzt gemeinsam nach vorne richten müssen.

    Klein: Sie wären dafür, die Gespräche darüber auszusetzen oder zu nutzen, um an der Stelle weiterzukommen?

    Merz: Sie meinen das Handelsabkommen?

    Klein: Ja.

    Merz: Auch da sollte man das eine von dem anderen sorgfältig trennen. Es macht überhaupt keinen Sinn, die Gespräche über dieses ohnehin sehr schwierige Abkommen jetzt mit einem Thema zu belasten, das da nicht hingehört. Noch einmal: Ich unterschätze das nicht. Ich sage aber auch, dieses Abkommen über eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit – und das ist ja nicht nur ein Handelsabkommen, das geht weit darüber hinaus – ist ein strategisches Abkommen zwischen den USA und Europa, nicht Deutschland, sondern ganz Europa, das in seiner politischen Bedeutung im 21. Jahrhundert dem NATO-Abkommen des letzten Jahrhunderts in nichts nachstehen wird. Und wir wären schlecht beraten, dieses Abkommen jetzt sozusagen zum Vehikel zu nutzen, um die Amerikaner zu irgendetwas zu zwingen. Das werden sie auf diesem Wege sicher nicht machen. Wir haben an diesem Abkommen ein mindestens genauso großes Interesse wie die amerikanische Seite. Ich kann jeden nur bitten, hier sorgfältig zu trennen zwischen diesen Themen. Das eine hat mit dem anderen wenig, ich sage aus meiner Sicht, gar nichts zu tun.

    Klein: Herr Merz, ich würde gerne noch mal so ein bisschen allgemeiner auf die Debatte schauen. Sie haben davon gesprochen, Sie waren selber überrascht. Das Wort "Naivität" fiel auch ein paar Mal. Sind Sie denn in Ihrer Zeit als aktiver Politiker nicht davon ausgegangen, dass Sie von allen abgehört werden, meinetwegen von den Russen, von den Chinesen, ich sage das mal in der Theorie, vielleicht auch von den Amerikanern und auch von anderen durchaus befreundeten Staaten? Auf die Idee sind Sie selbst nie gekommen?

    Merz: Ich bin immer davon ausgegangen, dass der Datenverkehr nicht sicher ist. Ich bin immer davon ausgegangen, dass ungeschützte Handys nicht sicher sind. Ich habe eben schon gesagt, auch ich hatte ein solches geschütztes Handy, aber eben nur eingeschränkt nutzbar. Die Schlussfolgerung, die ich heute daraus ziehe, ist ganz einfach: Ich nutze Handys auch im Geschäftsverkehr nur, soweit es dringend notwendig ist, gehe lieber aufs Festnetz. Und ich sage auch, auch meinem beruflichen Umfeld, wir müssen versuchen, so wenig wie möglich über amerikanische Server zu arbeiten. Wir wissen, dass die amerikanischen Server längst nicht so sicher sind wie andere. Ich bin in einem Unternehmen tätig, in dem wir den gesamten Schriftverkehr des Aufsichtsrates über ein elektronisches System abwickeln. Diese Server stehen nicht in den USA, sondern in Kanada und Großbritannien. Wir haben das prüfen lassen und sind uns sicher, dass die Daten nicht abgehört werden. Aber wir wissen eben auch, dass es an anderer Stelle ganz unsichere Datentransfers gibt, und das muss man einfach einkalkulieren und da darf man dann wirklich nicht naiv sein.

    Klein: Abschließend, Herr Merz. Wir haben ungefähr noch eine Minute Zeit. Wir haben nur interne Dokumente und Informationen von den Geheimdiensten der USA, weil dort ein Mitarbeiter sozusagen geflohen ist und das alles an die Öffentlichkeit bringt. Wir haben sie nicht mit Blick auf Geheimdienste anderer Staaten. Gehen Sie davon aus, dass der BND, die Geheimdienste Englands, Frankreichs, anderer Staaten nicht Mobiltelefone befreundeter Regierungschefs abhören?

    Merz: Ja, aber so ganz sicher bin ich mir nicht, denn es ist ja technisch heute wirklich sehr, sehr leicht, Mobiltelefone abzuhören, wenn sie nicht geschützt sind.

    Klein: Würde das einen Unterschied bedeuten, würde das die Empörung hierzulande in einem anderen Licht erscheinen lassen, wenn es alle machen würden?

    Merz: Ich glaube nicht. Ich glaube, die Öffentlichkeit ist gut beraten, einfach zu akzeptieren, dass Handys nicht sicher sind, unabhängig davon, von wem sie möglicherweise angegriffen werden. Der beste Rat ist, den eigenen Schutz zu erhöhen. Das gilt für das Internet, das gilt fürs Handy, das gilt für E-Mail-Verkehr, das gilt im Grunde genommen für den gesamten elektronischen Datenverkehr.

    Klein: Friedrich Merz, der Vorsitzende der "Atlantik-Brücke", heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Merz, danke für das Gespräch.

    Merz: Sehr gerne, Frau Klein.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.