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"Wir sollten uns nicht anmaßen, hier eine Entscheidung zu treffen"

Für Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, ist entscheidend, dass der Veränderungsprozess in der Hand von Ägyptern bleibt. Andernfalls könne sich die der Prozess gegen den Westen oder die Umgebung richten.

Werner Hoyer im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 05.02.2011
    Jürgen Zurheide: Ich begrüße am Telefon Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Hoyer!

    Werner Hoyer: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Hoyer, zunächst einmal, wenn Sie so einen Satz von Berlusconi, den wir gerade noch mal eingespielt haben, hören, schämt man sich da eigentlich oder was geht da in einem vor?

    Hoyer: Ja, man ist erst einmal deutlich irritiert, denn man hat das Gefühl, dass nicht nur in Kairo der ein oder andere an wichtiger Position die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Auf der anderen Seite ist ein Punkt, den man Herrn Berlusconi, denke ich, zugutehalten muss: Die Staaten des Westens, einschließlich derer, die jetzt am lautesten nach dem sofortigen Abgang von Mubarak rufen, haben viele, viele Jahre lang auf Ägypten als Partner gesetzt, wenn es darum geht, den Nahen Osten zu stabilisieren, und in dieser Rolle hat Mubarak, insbesondere aber auch sein Vorgänger Sadat Großartiges geleistet. Das darf man in der historischen Würdigung über Jahrzehnte hinweg natürlich nicht vergessen. Nur die Zeit ist vorbei, und diese Erkenntnis scheint noch nicht überall in der Europäischen Union gegriffen zu haben.

    Zurheide: Man kann natürlich auch ganz offen die Frage stellen, in der Tat ist das, was Sie da gerade ansprechen, so wichtig und sind im Übrigen auch die Interessen, die der Westen hat, bezogen auf sichere Energieversorgung und so weiter und so weiter, sind sie so wichtig, dass man dann sagen muss, ja, dann arbeiten wir eben auch mit Diktatoren zusammen. Nur dann gehört das zur Ehrlichkeit dazu, dass man ein paar andere Dinge nicht sagt.

    Hoyer: Ich glaube, zur Ehrlichkeit gehört es dazu, dass eher auch in den Zeiten der neuen Informationsübertragungsmöglichkeiten, die ja ganz neue Optionen bieten, auch nicht völlig umhinkommen, auch mit erfolgreichen autoritären Regimes zu arbeiten. Das ist ja immer wieder der Fall, aber es ist die Frage, wo ist die Grenze, wo man mit seinen eigenen Grundsätzen und Werten sich kompromittiert, und die ist, denke ich, in der Zusammenarbeit mit den autoritären Regimes im Nahen Osten bisweilen überschritten worden. Und das zu korrigieren, ist jetzt unsere Aufgabe. Hinzu kommt, dass natürlich ein Übergang in Ägypten so gestaltet sein muss, aus unserem Interesse heraus, dass dort keine Instabilitäten entstehen, weil sie große Bedeutung ja nicht nur für die Frage der Freiheit der Seewege oder für die Frage von Energiepreisen, sondern insbesondere auch für die Frage der Sicherheit im Nahen Osten unmittelbar und insbesondere auch für Israel haben können.

    Zurheide: Nun hat Verteidigungsminister zu Guttenberg auf der Sicherheitskonferenz, wo wir Sie im Moment auch erreichen, in München, gestern gesagt, der Umgang mit Diktatoren muss überprüft werden. Was kann denn am Ende einer solchen Überprüfung dann stehen?

    Hoyer: Ich glaube, es ist immer richtig, dass man das tun muss, weil man ist ja in einem ständigen Spannungsfeld. Wir haben früher auch mit Leonid Breschnew Kontakte gehabt und intensiv zusammengearbeitet, obwohl wir mit dem System in der Sowjetunion überhaupt nicht einverstanden gewesen sind, und ich könnte jetzt viele andere Beispiele bringen. Das ist eine ständige Abwägung zwischen Realpolitik und der Bewahrung des eigenen Wertekonsenses, und deswegen muss diese Überprüfung ständig und immer wieder stattfinden.

    Zurheide: Ich will an dieser Stelle, Herr Hoyer, noch mal einen kleinen Bericht einspielen. Heute Morgen hat die Kollegin Cornelia Wegerhoff, von der wir gerade den Vorbericht gehört haben, im Korrespondentengespräch darauf hingewiesen, wie in Ägypten das zum Teil ankommt. Sie zitiert da eine Universitätsprofessorin, hören wir uns das mal eben kurz an, wie diese Art von Politik wahrgenommen werden kann:

    "Warum lassen uns die westlichen Staaten im Stich. Wir sind sehr verletzt und sehr angebrannt und sagen, die haben sich doch immer genau da hingestellt, mit dem Grandseigneur des Nahen Ostens, die standen doch immer da, shake hands, lächelnde Miene. Auch Guido Westerwelle war im Mai vergangenen Jahres hier, als nicht angesprochen wurde, dass ein paar Tage vorher die Notstandsgesetzgebung, die ja auch Teil dieses Rechtsregimes waren, dass die verlängert worden waren."

    Zurheide: Das also die Wahrnehmung, die Kollegin Wegerhoff zitiert da Stimmen in Ägypten. Schmerzt so was dann in solchen Momenten?

    Hoyer: Sicherlich sehr schmerzhaft, auf der anderen Seite muss man natürlich sagen, dass ebenfalls jetzt ägyptische Stimmen sagen, der Veränderungsprozess, der in Ägypten selber stattfinden muss, muss aus Ägypten selber heraus kommen. Ich glaube, man macht es sich zu leicht, wenn man sagt, warum verändert die westliche Welt nicht mal eben die Führungsstruktur in Ägypten, so kann es auch nicht gehen. Wir sehen jetzt einen Prozess, der aus Ägypten heraus kommt und deshalb so ermutigend ist, bei dem es deshalb so wichtig ist, dass er in die richtigen Bahnen gelenkt wird und zu einer stabilen, zu Demokratie und Rechtsstaat führende Situation führt.

    Zurheide: Kommen wir dann mal auf das, was da kommen kann - da wird der Rat der Weisen gerade angesprochen. Herr El Baradei spielt eine Rolle, welche Kontakte haben Sie denn in diese Richtung? Gerade El Baradei, von ihm habe ich auch im Ohr, dass er in der vergangenen Woche gesagt hat, ich würde mir mehr Unterstützung wünschen. Muss man nicht fürchten, wenn da eine Veränderung kommt, dass Ihnen das erst mal vorgehalten wird, oder sagen Sie, das werden wir überwinden?

    Hoyer: Ich denke, die meisten westlichen Staaten, einschließlich Deutschland, sind in gutem Kontakt mit verschiedensten Persönlichkeiten in Ägypten, um herauszufinden, was ist möglich. Wir müssten hier nicht den Fehler machen, dass wir Persönlichkeiten, die wir aus der internationalen Politik seit vielen, vielen Jahren kennen und außerordentlich hoch schätzen, nicht verwechseln mit denjenigen, die tief im ägyptischen Volk verankert sind oder verwurzelt sind und jetzt eine Chance hätten, sofort aufgrund der Tatsache, dass sie Herzen und Köpfe der Menschen in Ägypten erreichen, in den Vordergrund zu rücken. Also da müssen wir vorsichtig sein und den Kranz der Personen, die für jetzt infrage kommen, nicht zu eng binden.

    Zurheide: Also das heißt klar, Herr El Baradei hat eher im Westen hohes Ansehen, um das auf Deutsch zu sagen, als vor Ort, das ist Ihre Einschätzung?

    Hoyer: So scheint es zu sein, aber ich glaube, wir sollten uns nicht anmaßen, hier eine Entscheidung zu treffen. Es gibt eine ganze Reihe von anderen Persönlichkeiten, die ebenfalls im Westen sehr hoch verankert sind und in Ägypten zum Beispiel gar nicht verankert sind. Das ist eine schwierige Situation, wo man sehr vorsichtig sein muss. Wichtig ist, dass jetzt auf allen Ebenen, die möglich sind, der Dialog stattfindet, und deswegen begrüße ich es auch so sehr, dass die amerikanischen Freunde ihre Möglichkeiten zum unmittelbaren Dialog mit dem Militär auch nutzen, denn es ist völlig klar, dass der Übergang zu einer rechtsstaatlichen Demokratie in Ägypten nicht funktionieren kann, wenn das Militär diesen Prozess nicht absichert.

    Zurheide: Das heißt aber jetzt, wenn ich das interpretiere, dass die Europäische Union da eher nur eine Randrolle spielt, denn in der Tat, wenn Frau Ashton jetzt losgeschickt wird, einen Maßnahmenkatalog auszuarbeiten, ja, das hört sich nicht so besonders überzeugend an, oder?

    Hoyer: Ich bin der Auffassung, ein höheres Maß an Sichtbarkeit der Europäischen Union ist hier überfällig. Allerdings müssen wir auch zugeben, dass die Kontaktmöglichkeiten in die Kräfte hinein, die jetzt von ganz entscheidender Bedeutung sind, auch zum Beispiel ins Militär hinein, bei den Amerikanern besser organisiert sind bisher als bei uns.

    Zurheide: Müsste man möglicherweise den Druck erhöhen, auch auf Mubarak, wie das Ben Ali in Tunesien möglicherweise zu spät passiert ist, bezogen auf Vermögensteile im Ausland, oder sagen Sie, vorsichtig bei solchen Dingen?

    Hoyer: Ich glaube, das kann man sich so einfach nicht machen. Bei Ben Ali war sozusagen eine weitere rote Grenze schon längst überschritten. Ich will hier gar nichts ausschließen, aber jetzt ist entscheidend, dass der Prozess in der Hand von Ägyptern bleibt, weil sonst wird der Prozess zu leicht gegen den Westen oder die Umgebung gerichtet, indem man sagt, hier ist eine große ausländische Bewegung, die versucht, uns unsere politische Führungsstruktur zu bestimmen, und damit wird etwas ausgelöst, ein Widerstand gegen eine solche Bewegung, was wir überhaupt nicht haben wollen. Das wäre völlig kontraproduktiv.

    Zurheide: Die schwierige Lage in Ägypten und die Reaktionen daraus, von Deutschland, von Europa - das war ein Gespräch mit Werner Hoyer, dem Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Hoyer, ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiederhören!

    Hoyer: Vielen Dank!