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"Wir werden eine neue Krise möglicherweise anzetteln"

Der Reformdruck auf die EU-Staaten sei nicht besonders hoch, sagt Ansgar Belke, Professor für Geldpolitik. Weil die Anleger zudem wegen der geringen Zinsen auf sichere Anleihen nun wieder mehr Risiko suchten, könnte eine neue Krise bevorstehen.

Ansgar Belke im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.05.2013
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Ansgar Belke, Professor für Volkswirtschaft und Geldpolitik an der Universität Duisburg-Essen, guten Tag!

    Ansgar Belke: Schönen guten Tag!

    Heinemann: Professor Belke, ist es richtig, den frisch verschärften Stabilitätspakt bei der ersten besten Gelegenheit gleich aufzulockern?

    Belke: Ich denke, da muss man zwischen den Ländern differenzieren. Grundsätzlich würde ich es für nicht richtig halten, denn hierdurch sollte ja Glaubwürdigkeit erzeugt werden, und hierdurch geringere Zinsen, die Erwartung geringerer Steuern für die Länder und dadurch wieder Wachstum erzeugt werden. Aber sicherlich müssen wir unterscheiden: Die Niederlande zum Beispiel haben ihre Hausaufgaben gemacht, die haben Reformen eingeleitet, das strukturelle Defizit stark reduziert, und bei den anderen Ländern, Frankreich, Spanien, wäre ich durchaus ein Zweifelnder, denn die Franzosen leiden unter wachsender Wettbewerbsunfähigkeit, unter höheren Steuern, die Unternehmen wandern ab, und auch Spanien hat Probleme. Und wir haben gesehen, dass eine Rückführung des Zwanges, sich zu disziplinieren bei den Haushalten, zu steigenden Zinsen auf Staatsanleihen für die Länder führt.

    Heinemann: Die genannten Staaten, können die nicht besser oder wollen sie nicht anders?

    Belke: Nun, das hat zu tun mit Wahlergebnissen, mit der Ausrichtung der Regierungen vor Ort und auch damit, dass man ja weiß, dass der Reformdruck gar nicht so hoch ist. Reformen tun immer weh im Rahmen der sozialen Sicherung, auf dem Arbeitsmarkt mehr Flexibilität herbeizuführen, und man weiß, dass die Europäische Zentralbank jederzeit bereitsteht, um zu retten. Und dann ist der Zwang zu Reformen eben nicht groß. Und politische Ideologie ist natürlich auch dabei.

    Heinemann: Professor Welke, was ist gefährlicher - auch für die Demokratie gefährlicher – hohe Arbeitslosigkeit oder hohe Defizite?

    Belke: Die Arbeitslosigkeit selber ist wohl die politisch sichtbare Variable, weil es die Leute unmittelbar fühlen, und eine höhere Staatsverschuldung erst in der Zukunft ihre Folgen hat, und die zukünftigen Generationen belastet. Deshalb würde ich sagen, die höhere Arbeitslosigkeit. Die kann man aber nicht reduzieren durch Geldspritzen der EZB, durch Zinssenkungen und auch nicht durch laxeres Haushaltsgebaren. Die Länder müssen durch eine Rezession hindurch, die wir Anpassungsrezession nennen, um wieder für Kapitalanleger Vertrauen zu schaffen, die dann wieder für Arbeitsplätze in dem Land sorgen. Sie werden mit Sicherheit nicht investieren in Ländern, die zu lasch bei der Umsetzung von Reformen sind, und das schadet dem Arbeitsmarkt.

    Heinemann: Olli Rehn hat das Ungleichgewicht betont: 27 Prozent Arbeitslosigkeit in Spanien, 5 Prozent geschätzt in Österreich und auch in Deutschland. Gibt es überhaupt noch einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum?

    Belke: Ich sehe auch erste Anzeichen des Splittens in einen Norden und einen Süden. Das wird noch verstärkt dadurch, dass die Kreditzinsen für Mittelständler in Norditalien wesentlich höher sind und mehrere Prozentpunkte höher sind als in Österreich zum Beispiel. Wir sehen bei Zypern ein Land, das Kapitalverkehrskontrollen einführen muss, damit das Kapital das Land nicht verlässt. Das ist häufig der Anfang vom Austritt eines Landes aus der Eurozone, wir kennen das aus dem Zusammenbrechen der Tschechoslowakei, wo die Slowakei auch benachteiligt war und die versuchten, die Region noch zusammenzuhalten und einheitliche Währung zu halten, und Kapitalverkehrskontrollen verstärken die Flucht. Also ich sehe ein Aufbrechen in Nord und Süd allmählich, struktureller Natur, und das ist nicht etwas, das es dem einen Land mal schlechter geht und mal dem anderen, sondern die hohen Arbeitslosenraten strukturell sehen wir in Spanien schon seit Ende der 80er-Jahre mit 20 Prozent.

    Heinemann: Und was heißt das für eine gemeinsame Politik, kann man ein Rennpferd und ein Brauereipferd mit denselben Methoden trainieren?

    Belke: Das kann man durchaus nicht, denn die Geldpolitik müsste eigentlich, wenn weiter die Geldpolitik es sein soll, die retten soll, und danach sieht es aus, weil nach wie vor ein Konzept, ein gemeinsames für die Eurozone im realwirtschaftlichen Bereich fehlt, müsste auf die Länder einzeln eingehen. Und da gibt es ja auch schon erste Überlegungen, entlang nationaler Linien einzuschreiten. Man hat das bei Griechenland gemacht, man denkt jetzt drüber nach, die kleinen und mittleren Unternehmen gerade im Süden zu stärken, indem man Mittelstandsanleihen ankauft oder diese als Pfand seitens der EZB annimmt. Nur geht dieser Schritt in die falsche Richtung, man wollte eigentlich eine gemeinsame Geldpolitik für alle Regionen haben. Und auch hier sieht man, dass wir in Nationalismen zurückgehen.

    Heinemann: Vorgelegt hat gestern die Europäische Zentralbank, der Leitzins wurde von 0,75 auf 0,5 Prozent gesenkt. Wieso waren die ohnehin niedrigen Zinsen nicht niedrig genug?

    Belke: Nun, zunächst einmal glaube ich, dass es sich eher um eine symbolische Handlung hier handelt. Man wird sicherlich keinerlei wirtschaftspolitische Aktivität hier erzeugen, dass das Wachstum hierdurch begünstigt wird, sondern man will zeigen, dass man auf die Gesamtlage in der Eurozone Rücksicht nimmt, denn auch Deutschland wird vom Wirtschaftspessimismus erfasst mittlerweile, wie auch Kommission ja zugibt, denn Deutschland exportiert in die Südländer und wird hierdurch erfasst, insofern wollte man hier vielleicht noch mal einen kleinen konjunkturellen Impuls setzen. Mit Sicherheit wird man hierdurch nicht die strukturellen Probleme lösen, die höheren Zinsen für kleine und mittlere Unternehmen in Italien, als in Österreich zum Beispiel, das liegt ganz klar daran, dass in Italien andere Umstände herrschen als in Österreich: mangelnde institutionelle Performance, mangelnde Qualität des Regierungshandelns und deshalb auch schlechtere Konjunkturprognosen und deshalb eben auch mehr Risiko bei der Vergabe an Unternehmen, das ist ganz klar.

    Heinemann: Die Kanzlerin hatte ja für höhere Zinsen geworben. Sind niedrigere Zinsen, also ist die Entscheidung von gestern, für Deutschland schädlich?

    Belke: Das Problem für Deutschland ist – ich war zufällig in Dresden dabei beim Sparkassentag, wo sie das gesagt hat, ich hatte dort mit Herrn Steinbrück über die Finanzmarktregulierung diskutiert –, dass sie adressiert hat, ist sicherlich, dass die Niedrigzinsumgebung in Deutschland massiv den Pensionskassen schadet, den Sparern, den deutschen, denn Olli Rehn hat es ja heute gesagt, die Inflationserwartung liegt bei 1,5 Prozent nicht sonderlich hoch, aber der Zins, der Anlagezins für die Investoren und die Sparer, liegt nur noch bei 0,5, und hier gibt es massive Verluste. Und bei so niedrigen Zinsen kann es auch sein, dass Investoren Geld bekommen, die in waghalsige Geschäfte investieren, denn wir haben einen Anlagenotstand durch die niedrigen Zinsen, das kann …

    Heinemann: Einen was?

    Belke: … zu mehr Risiko führen.

    Heinemann: Was für einen Notstand? Das habe ich nicht verstanden, Entschuldigung.

    Belke: Einen Anlagenotstand – man weiß nicht mehr, wo man anlegen soll. Und wenn man in sichere Anlagen wie deutsche Staatsanleihen geht, bekommt man einen sehr niedrigen Zins – wir haben gestern Rekordniedrigzinsen gesehen –, und insofern überlegen sich die Investoren, die Vermögen verwalten von ehrlichen Sparern, durchaus in riskantere Anlagen zu gehen, die dann einen höheren Zins tragen. Das heißt, die Flucht in das Risiko wird sich verstärken, und wir werden eine neue Krise möglicherweise anzetteln. Das ist das, glaube ich, was die Kanzlerin meinte.

    Heinemann: Oder aber, wenn sich das Anlegen nicht mehr lohnt, geben die Leute das Geld aus, und das wäre ja durchaus erwünscht.

    Belke: Warum sollen sie es ausgeben, wenn sie wissen, dass die Eurozone am Rand steht, am Rand der Auflösung, dass einzelne Länder austreten? Hierdurch kann man keinen Zwangskonsum auslösen. Ich denke eher, dass selbst dann, wenn der Niedrigzins soweit vorliegt, dass die Leute eher sparen und sich beim Kauf zurückhalten.

    Heinemann: Sie erwarten, dass einzelne Länder aus der Eurozone austreten werden?

    Belke: Ich würde es nicht mehr ausschließen im Falle Zyperns, die Kapitalverkehrskontrollen, die da sind, sind das erste Zeichen, dass wir keinen einheitlichen Euroraum mehr vorfinden. Wir werden durchaus noch öfter Länder im Risiko sehen – Slowenien ist für mich ein Fall, wo faule Kredite schlummern im Bankensystem, wo auch möglicherweise weitere Rettungsaktionen der Notenbank erfolgen werden. Ich sage nicht, dass die Eurozone zusammenbricht, aber dass immer unzulässigere Maßnahmen getroffen werden, um die Länder in der Eurozone zu halten. Denn jeder weiß, dass die Europäische Zentralbank schwankenden Ländern beiseite springt, denn sie hält deren Anleihen, die durchaus toxisch sind, und will den Wertverfall verhindern. Also die Eurozone wird weiter bestehen, aber aus den vielleicht falschen Gründen, ist meine Aussage.

    Heinemann: Ansgar Belke, Professor für Volkswirtschaft und Geldpolitik an der Universität Duisburg-Essen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Belke: Danke schön auch!


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