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"Wir werden Herrn Friedrich zur Rede stellen"

Die plötzliche Entlassung des Präsidenten der Bundespolizei durch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sorgt bei Dieter Wiefelspütz für Unverständnis. Der Innenpolitik-Experte der SPD-Bundestagsfraktion fordert eine schnelle Offenlegung der Hintergründe. Seit dem Amtsantritt Friedrichs gebe es im Sicherheitsbereich einen Stillstand, kritisiert Wiefelspütz.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Martin Zagatta | 31.07.2012
    Martin Zagatta: Willkommen zum zweiten Teil der Sendung, in der wir über das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts berichten zu den umstrittenen Flugrouten des neuen, des künftigen Berliner Flughafens – beginnen wollen wir aber mit dem innenpolitischen Streit in Berlin: Dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich den Präsidenten der Bundespolizei, Matthias Seeger, ohne Angabe von Gründen entlassen hat und auch dessen Stellvertreter ablösen lässt, sorgt weiterhin für Unmut. Und darüber können wir jetzt mit Dieter Wiefelspütz sprechen, dem innenpolitischen Experten der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Wiefelspütz!

    Dieter Wiefelspütz: Guten Tag!

    Zagatta: Herr Wiefelspütz, der abgesetzte Polizeipräsident Matthias Seeger wirft dem Innenminister politisches Kalkül vor – Friedrich wolle sich mit seinen eigenen Leuten bei der Polizei einen verlängerten Arm schaffen und Kritik unterdrücken, so sagt er der "Bild"-Zeitung heute. Können Sie das nachvollziehen?

    Wiefelspütz: Nun offenbar ist Herr Seeger, der frühere Präsident der Bundespolizei, tief verletzt und auch tief in seiner Beamtenehre gekränkt. Anders kann man sich diesen sehr ungewöhnlichen Schritt, den er gegangen ist, überhaupt nicht erklären.

    Zagatta: Hat denn ein abgesetzter Polizeipräsident, der mit großzügigen Bezügen in den Ruhestand geschickt wird, hat er das Recht, sich so zu äußern?

    Wiefelspütz: Er hat auf jeden Fall ein Recht, anständig behandelt zu werden. Und nicht nur er, sondern auch seine Stellvertreter. Das Besondere ist ja, dass hier nicht nur und ausschließlich ein Spitzenbeamter ausgewechselt worden ist, sondern – wie es sein Kollege genannt hat – gleichsam die gesamte Spitze der Bundespolizei enthauptet worden ist. Da sind ja gleich drei Führungsleute entfernt worden aus ihren Funktionen, und der Präsident sogar entlassen worden, und das sind Umstände, die extrem ungewöhnlich sind, die ich auch so noch nicht erlebt habe. Es kommt vor, dass mal eine Person, die in einem besonderen Vertrauensverhältnis steht zum Minister, ausgewechselt wird, aber nicht gleich die ganze Spitze einer so wichtigen Sicherheitsbehörde komplett, wie das jetzt geschehen ist.

    Zagatta: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, warum Herr Innenminister Friedrich so reagiert? Was vermuten Sie?

    Wiefelspütz: An Spekulationen beteilige ich mich nicht. Ich wüsste es gerne – ich wüsste gerne, was wirklich vorgefallen ist, und das können wir auch nicht so auf sich beruhen lassen. Mit "wir" meine ich die Parlamentarier, das wird ein parlamentarisches Nachspiel auf jeden Fall haben. Wir vonseiten der SPD wollen Ross und Reiter genannt wissen. Wir wollen wissen: Was ist da eigentlich vorgegangen? Es geht ja um mehr als sozusagen nur um eine wichtige Personalentscheidung, sondern es geht um das Vertrauensverhältnis zwischen dem Minister und der Bundespolizei, und es geht um die Arbeits- und Funktionsfähigkeit einer sehr wichtigen Sicherheitsbehörde – das sind alles Umstände, die von hoher Bedeutung sind, und abgesehen davon: Bei allem, was man tut, es muss auch der menschliche Anstand vorhanden sein, und auch das ist ja ein Thema, über das zu reden sein wird.

    Zagatta: Aber der Innenminister hat offiziell das Recht, Spitzenbeamte zu entlassen ohne Begründung.

    Wiefelspütz: Ja, das ist richtig. Ich betone noch einmal, es kommt ja auch vor hin und wieder. Aber es ist nicht nur ungewöhnlich, sondern noch nie vorgekommen, dass gleich der Leiter der Bundespolizei plus seine beiden Stellvertreter aus dem Amt entfernt worden sind. Das ist sozusagen dieser Enthauptungsschlag, das extrem Ungewöhnliche, und da muss nachgefragt werden, das geht gar nicht anders. Das hat ja auch Folgen, und tiefgreifende Nachwirkungen sind zu befürchten, und deswegen muss der Sache nachgegangen werden.

    Zagatta: In welcher Form wollen Sie das jetzt tun?

    Wiefelspütz: Nun, wir werden von unseren normalen parlamentarischen Rechten als Oppositionsfraktion, als SPD-Fraktion, Gebrauch machen, das heißt, wir werden Herrn Friedrich zur Rede stellen, sowohl im Plenum, wie aber auch vor allem im Innenausschuss des deutschen Bundestages. Er muss uns Abgeordneten Rede und Antwort stehen in dieser Angelegenheit!

    Zagatta: Herr Friedrich galt doch bisher als ein Innenminister, der auch die Opposition zumindest informiert hat. Herr Wiefelspütz, haben Sie da irgendwie eine Erklärung, warum er sich jetzt so anders verhält?

    Wiefelspütz: Ich kenne Herrn Minister Friedrich eigentlich als einen persönlich sehr umgänglichen Menschen. Das meint das Persönliche, ja? Er ist viel umgänglicher, wenn ich so sagen darf, viel netter als alle seine Amtsvorgänger zusammen, aber im Amte, in diesem zugegebenermaßen sehr, sehr schweren Amte eines Bundesinnenministers, in diesem Amt ist er nicht wirklich angekommen – niemals, von Anfang an nicht, und das ist das große Problem. Wir kommen an keiner Stelle wirklich voran. Wir haben im Grunde in Deutschland eine ganz ordentliche Sicherheitsarchitektur, auch auf der Bundesebene. Es werden Fehler gemacht, okay, das ist eben halt unter Menschen so, aber insgesamt gesehen hat die deutsche Polizei ein hohes Niveau - alles in allem. Nur wir haben im Grunde seit dem Amtsantritt von Herrn Friedrich im Sicherheitsbereich gleichsam Stillstand, es gibt keine Weiterentwicklung. Das hat zum Teil auch zu tun mit der Justizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger, aber auch natürlich die persönliche Verantwortung von Herrn Friedrich kommt natürlich entscheidend mit hinzu, die Sicherheitsarchitektur wird nicht weiterentwickelt, wir machen keine Fortschritte, und Stillstand, wie sonst im Leben, ist Rückschritt an dieser Stelle. Das ist das Grundproblem, und das hat auch sehr viel damit zu tun, dass der Minister im Grunde, dass Minister und Amt nicht so richtig zusammenpassen. Er ist da nie in diesem Amt angekommen, das ist das Grundproblem.

    Zagatta: Gehen Sie so weit, diese Forderung gibt es ja, seinen Rücktritt zu fordern?

    Wiefelspütz: Ach, wissen Sie, von diesen rituellen Rücktrittsforderungen halte ich gar nichts. Ich habe Herrn Friedrich nicht in dieses Amt berufen, ich werde ihn auch nicht sozusagen aus diesem Amt entfernen können oder wollen, das ist nicht meine Aufgabe. Aber da, wo Kritik nötig ist, da muss sie geäußert werden. Wissen Sie, bei dieser Personalentscheidung geht es doch letztlich um die Leitung einer außerordentlich wichtigen Sicherheitsbehörde von über 40.000 Mitarbeitern, die dort wichtige Arbeit für uns alle leisten, und an dieser Stelle muss eine gute Personalführung geleistet werden. Das ist eine – wie soll ich sagen – eine Hauptaufgabe, eine Kernaufgabe des Ministers. Und der kommt er nicht nach, wie ich finde, und das macht die Sache sehr schwierig.

    Zagatta: Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Experte der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Wiefelspütz, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Wiefelspütz: Danke sehr!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.