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"Wir werden nicht schweigen"

Nayla Tueni ist Redakteurin der größten libanesischen Tageszeitung An-Nahar. Die 23-Jährige bearbeitet die Themen Jugend und Bildung. Am 12. Dezember wurde der Herausgeber ihrer Zeitung ermordet. Gibran Tueni war ihr Vater.

Von Bettina Kaps | 06.02.2006
    " Ich bin Journalistin, ich werde in die Fußstapfen meines Vaters treten. Ich werde so mutig sein wie er. Wir haben keine Angst mehr. Wir haben nicht das Recht, Angst zu haben. Wir werden nicht schweigen. Sie können uns das Schreiben nicht verbieten. Wir werden unser Ziel erreichen und den Traum verwirklichen, für den Gibran Tueni und alle anderen libanesischen Märtyrer gestorben sind. "

    In seinen scharfen Leitartikeln hatte Gibran Tueni regelmäßig das syrische Regime angegriffen, das den Libanon fast 30 Jahre besetzt hielt. Im vergangenen Sommer war er ins Parlament gewählt worden. Tuéni wusste, dass sein Name auf einer Todesliste stand. Deshalb war er im Herbst für zwei Monate nach Frankreich gezogen. Trotz der anhaltenden Gefahr kehrte er nach Beirut zurück. Am Tag nach seiner Ankunft fuhr der 48-Jährige im gepanzerten Wagen in die Redaktion seiner Zeitung. Auf dem Weg explodierte eine 40 Kilo schwere Bombe.

    " Wir wissen genau, wer Gibran Tueni ermordet hat. Oder sagen wir: Wir haben Vermutungen. Er forderte den Abzug der Syrer, er glaubte an Meinungsfreiheit und an Demokratie. Er störte all jene, die vom Libanon profitiert haben. Deshalb haben sie ihn getötet. Es sind Kriminelle, die keine andere Meinung zulassen. Sie wollen uns keinen freien Libanon geben, von dem alle jungen Menschen hier träumen. Ich hoffe, dass wir eines Tages erfahren, wie die Mörder heißen, und dass sie bekommen, was sie verdienen, denn es reicht jetzt. "

    Gibran Tueni war das bislang letzte Opfer in einer Serie von Anschlägen gegen syrienkritische Journalisten. Am 2. Juni war bereits der Journalist und Politikwissenschaftler Samir Kassir ermordet worden. Die Bombe explodierte unter dem Fahrersitz seines Autos. Kassir schrieb ebenfalls in der Zeitung an-Nahar. Die Überschrift seines letzten Artikels lautete "Fehler auf Fehler", darin prangerte Kassir erneut die syrische Hegemonie an.

    Kassirs Frau Gisèle Khoury ist ihrerseits Journalistin des arabischen Satellitenfernsehens "Al Arabia". Sie räumt ein, dass unter den Journalisten des Landes ein Klima der Angst herrscht.

    " Die Journalisten versuchen, solidarisch zu sein. Sie wissen, dass sie völlig grundlos getötet werden können, und dass solche Morde nicht wirklich aufgeklärt werden. Ich glaube, dass viele Angst haben, aber sie machen trotzdem weiter. Schließlich war es schon immer so im Libanon, dass Journalisten zu Martyrern wurden. Auch ich werde meine Arbeit fortsetzen. Ein Teil von mir ist ohnehin mit Samir gestorben. "

    Überraschender als die Anschläge gegen Kassir und Tueni erschien das Attentat gegen die bekannte Fernsehjournalistin May Chidiac. Die 40-Jährige gilt zwar ebenfalls als syrienkritisch. Aber sie ist keine Meinungsmacherin, sondern moderierte eine Frühstücks- und eine Abendsendung.

    May Chidiac überlebte die Explosion einer Autobombe, verlor aber einen Arm und ein Bein. Dieser Tage musste sie zum 21. Mal operiert werden, sagt ihre Schwester, Micheline Chidiac.

    " Anhand von May haben sie auf den ganzen Libanon gezielt. Als Fernsehmoderatorin ist May fast täglich in jedem libanesischen Haus auf dem Bildschirm zu sehen. Deshalb hat der Anschlag das ganze Land getroffen. Vielleicht wollten sie allen Libanesen wehtun. "

    May Chidiac weigert sich, ein Opfer zu sein, sagt ihre Schwester. Sie ist entschlossen, ihre Arbeit wieder aufzunehmen und will außerdem bei den nächsten Wahlen kandidieren. Ihr Programm: ein freier Libanon ohne ausländische Schutzmacht.

    Robert Menard, Vorsitzender der französischen Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen", fordert jetzt eine lückenlose Aufklärung aller Morde durch internationale Ermittler.

    " Die Ermittlungskommission der Vereinten Nationen untersucht nur das Attentat gegen den Premierminister Rafik Hariri. Wir verlangen ausdrücklich, dass diese Kommission alle Morde aufklärt. Der ehemalige Chefermittler, der deutsche Oberstaatsanwalt Detlef Mehlis, hat bereits festgestellt, dass die Indizien in dieselbe Richtung deuten. Deshalb müssen alle Fälle zusammen untersucht werden. Das ist derzeit nicht der Fall. Die UN-Ermittlungskommission muss mit der Aufklärung aller Attentate beauftragt werden. "