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"Wir wollen 2019 auf eigenen wirtschaftlichen Füßen stehen"

Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat die CDU aufgerufen, sich klar zur weiteren Unterstützung für den Osten Deutschlands zu bekennen. Tillich sagte, die Menschen in den neuen Ländern wünschten sich die Teilhabe am Wohlstand. Hier müsse die Partei Antworten finden. Eine Verlängerung des Solidarpakts II über 2019 hinaus lehnte der CDU-Politiker ab. Bis dahin wolle Sachsen zu den Geberländern gehören.

Stanislaw Tillich im Gespräch mit Elke Durak | 10.10.2008
    Elke Durak: Die Union wird die Bundestagswahl entweder im Osten gewinnen oder verlieren, sagt Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und hat damit dem Perspektiv-Kongress der Bundes-CDU heute in Dresden so etwas wie eine Marschrichtung aufgezeigt. Kümmere du, CDU, dich, du, CDU-Vorsitzende und Ostdeutsche Angela Merkel, kümmere du dich um uns, den Osten, oder es geht bei der Bundestagswahl 2009 schlecht aus für dich und für uns. Angesichts der CSU-Schwäche brauche die CDU den Osten wie nie zuvor. - Das ist ganz schön mutig, denn man könnte das auch als sehr deutliche Warnung verstehen. - Guten Morgen, Herr Tillich.

    Stanislaw Tillich: Guten Morgen!

    Durak: Weshalb warnen Sie denn so?

    Tillich: Ich glaube, dass gerade die Ergebnisse der letzten Bundestagswahlen gezeigt haben, dass mehr und mehr der Osten in der Tat das Zünglein an der Wage ist, wenn es um den Wahlausgang geht. Und hierbei geht es insbesondere darum, dass die Menschen in Ostdeutschland, auch in Sachsen, für ihre Lebensleistung sowohl vor, aber auch nach der politischen Wende nach 1989 Anerkennung haben wollen, auch von der gesamtdeutschen CDU.

    Durak: Was hat das aber mit der Bundeskanzlerin zu tun und der Wahl 2009?

    Tillich: Ich habe mich ja an die Partei gewandt und nicht explizit an die Bundeskanzlerin. Das heißt, die CDU muss letztendlich akzeptieren, was sie zum Beispiel 2004 und 2005 in dem Maße nicht berücksichtigt hat, dass es eben einen Unterschied ausmacht, ob sie wie in Augsburg zwei Prozent Arbeitslose haben und in Sachsen oder in Sachsen-Anhalt eben noch weit über 10, 15 Prozent, stellenweise 20 Prozent. Hier brauchen Sie andere Antworten, und hier brauchen wir letztendlich auch eigene Konzepte.

    Durak: Ist das sozusagen, Herr Tillich, als Gegengeschäft zu verstehen? Helft ihr uns, dann helfen wir euch wieder ins Kanzleramt, an die Regierung?

    Tillich: Wenn wir es schaffen, den wirtschaftlichen Erfolg, den es ja nach der politischen Wende im Osten Deutschlands gibt, letztendlich mit dem Leben der Menschen zu verbinden, das heißt also auch als CDU das glaubhaft zu machen, werden uns die Menschen auch das Vertrauen schenken. Momentan ist es so, dass der Eindruck eher entsteht, dass wir über zum Beispiel die noch Notwendigkeit des Soli II streiten und jeder doch an und für sich vor fünf Jahren anerkannt hat, dass es den Bedarf gibt. Ich glaube, dazu muss es ein klares Bekenntnis geben. Es muss ein klares Bekenntnis geben, dass es weiterhin einer Unterstützung auch für den Osten bedarf, um eben das wichtigste Problem der Arbeitslosigkeit lösen zu können.

    Durak: Was heißt, Herr Tillich, "weiterhin"? Da schrillen garantiert bei zig Tausenden Westdeutschen sämtliche Alarmglocken. Den Solidarpakt II doch über 2019 hinaus verlängern oder nur umbenennen und trotzdem weiterzahlen oder wie?

    Tillich: Das habe ich nicht gesagt, sondern die Situation ist eine andere. Momentan haben wir ja eine Diskussion, wo manche darüber nachdenken, ob nicht der Soli II überhaupt aufgehoben werden sollte. Es kommt die Forderung, uns geht es ja genauso schlecht wie dem Osten, wir brauchen jetzt also entweder auch das Geld, oder warum soll das eigentlich noch in den Osten gezahlt werden - also nach dem Motto: Baut die Straßen mit Schlaglöchern, damit das bei euch genauso schlecht aussieht wie bei uns. Das kann nicht die Forderung sein.

    Durak: Soll er denn verlängert werden, der Solidarpakt?

    Tillich: Nein. Ich habe mich eindeutig in der Vergangenheit dazu ausgesprochen bis 2019. Wir in Sachsen haben uns selbst das Ziel gestellt und das ist für uns Motivation, dass wir gerne 2019 nicht mehr Nehmerland sein wollen, sondern Geberland sein wollen. Wir wollen dann auf eigenen wirtschaftlichen Füßen stehen.

    Durak: Und trotzdem fordern Sie ja im gleichen Atemzug, wie Sie auf die Bundestagswahl hinweisen, einen zweiten Schub für den Aufbau Ost. Können Sie das ein bisschen konkretisieren, was Sie damit meinen?

    Tillich: Ja, kann ich sehr gerne. Wir haben zum Beispiel einen wirtschaftlichen Erfolg, der darauf basiert, dass wir in vielen Fällen Zwischenprodukte fertigen, dass wir kaum eine Wertschöpfungskette haben von der Forschung bis zum Endprodukt. Ich habe mich eindeutig ausgesprochen für die steuerliche Förderung der Forschung und Entwicklung, um eben diesen Teil, der bei uns marginal nur ausgebildet ist, in den Betrieben, in den Unternehmen wesentlich zu verbessern, damit wir dann auch auf eigenen Füßen stehen bei der Produktentwicklung bis hin zur Produktfertigung und damit letztendlich auch eine Zukunftsperspektive haben und nicht davon abhängig sind, ob eine Konzernmutter darüber entscheidet, ob ihre Niederlassung in Sachsen entweder überlebt oder geschlossen wird.

    Durak: Noch mal zum Perspektiv-Kongress der Bundes-CDU, der heute in Dresden stattfindet. Die Bundeskanzlerin soll eine Grundsatzrede halten - oder die CDU-Vorsitzende in dem Fall, das ist ja dann die wichtigere Position vielleicht. Was soll das Ziel dieses Kongresses sein? Irgendwie riecht das nach: wieder Trennung einführen.

    Tillich: Nein. Es geht nicht um Trennung, sondern es geht um die Berücksichtigung, die objektive Berücksichtigung und letztendlich auch die objektive Behandlung von tatsächlich unterschiedlichen Entwicklungen. Auf unterschiedliche Entwicklungen reagiert man ja auch mit verschiedenen Konzepten. Und ich glaube das ist das, was das Signal sein soll. Gleichwohl gibt es natürlich auch in der ostdeutschen Bevölkerung den Wunsch, genauso wie es das im Westen ist, am Wohlstand zu partizipieren und dementsprechend auch teilzuhaben. Da muss ich Antworten finden, die mir dieses ermöglichen. Das sind zum Beispiel auch Regelungen, die wir in der Föko II, in der Föko I schon verlangt haben.

    Durak: Was ist Föko?

    Tillich: Das sind zum Beispiel Regelungen, die wir in der Föderalismuskommission I oder II eingefordert haben. Was nutzt mir ein Wohnbauförderprogramm, wo ich in Sachsen 300.000 leerstehende Wohnungen habe? Was nutzt mir ein Mietrecht, was die Mieter schützt, wo der letzte Mieter in einem abzureißenden Block im Prinzip das verhindert und ich dementsprechend nicht die Infrastruktur anpassen kann und damit die Kommune vor überschüssigen Kosten retten kann?

    Durak: Sie könnten ja, Herr Tillich - Entschuldigung, dass ich unterbreche -, das Geld geben an Gelsenkirchen, Essen oder andere westdeutsche Städte und Kommunen, denen es deutlich schlechter geht als manchen in Ostdeutschland.

    Tillich: Frau Durak, Sie haben jetzt die Frage so gestellt, um mich ein wenig zu provozieren. - Nein, ich will mit dem Geld ja etwas Vernünftiges tun, und ich brauche es in Sachsen auch oder in den ostdeutschen Ländern. Nur ich habe gesagt, ich habe gesamtdeutsche Regelungen, die sich von den tatsächlichen Situationen, wie wir sie in Ostdeutschland haben, unterscheiden. Ich habe es ja gerade am Wohnungsmarkt deutlich gemacht.

    Durak: Herr Tillich, zurück zur CDU wieder und zu speziellen Problemen auch in Ostdeutschland. So wird es jedenfalls im Westen gesehen. Es gibt unterschiedliche Auffassungen innerhalb der CDU von Bund und Ländern über den Umgang mit der Partei "Die Linken". Welche Auffassung haben Sie?

    Tillich: Wir haben ja in Sachsen mit der Diskussion, die mein Kollege Flath angestoßen hat, glaube ich, eine klare Position bezogen. Die Linken - und da hilft keine Rote-Socken-Kampagne, sondern die Auseinandersetzung, programmatische Auseinandersetzung mit der Partei - verspricht das Blaue vom Himmel, versucht, mit der Vision einer Gleichmacherei die Menschen davon zu begeistern, dass es allen gleich gut geht. Das sind die Theorien von vorgestern, die nicht eine Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft bedeuten.

    Durak: Und deshalb darf auch die CDU um keinen Preis nirgendwo auf kommunaler, städtischer oder sonst welcher Ebene mit den Linken zusammenarbeiten?

    Tillich: Frau Durak, wir haben aus der Vergangenheit ja letztendlich alle, die hier gelebt haben, auch gelernt, was eine Diktatur ist. Die einen haben das vor 1945 erlebt und die anderen nach 1945, die einen länger und die einen kürzer. Ich glaube, da gibt es Erfahrungen, die einen letztendlich auch für das Leben prägen. Deswegen ist natürlich jetzt richtig, dass man sagt, mit denen, die einen zurück zu dieser Situation holen wollen, kann man nicht zusammenarbeiten.

    Darüber hinaus auch inhaltlich eine politische Zusammenarbeit - das war ja auch die Aussage vom Kollegen Flath und ist auch unsere Aussage -, eine politische Zusammenarbeit gerade in den Bereichen, wo eben diese Partei auf Populismus setzt und nicht auf die Redlichkeit der Politik, glaube ich, ist auch selbstredend.

    Durak: Die CDU will sich jetzt, so Generalsekretär Pofalla, kritischer mit der DDR-Verstrickung der CDU, sofern es sie gab, in die SED-Herrschaft auseinandersetzen. Gibt es Anlass?

    Tillich: Da wird ja Bezug genommen auf das Papier. Es hat gerade auch hier in Sachsen ja in der Vergangenheit, das heißt Anfang der 90er Jahre, dazu die Beschlüsse gegeben. Es hat eine Auseinandersetzung gegeben auch mit der Alt-CDU. Ich halte das nach wie vor nicht für falsch, wenn man auch über die Zeit der CDU vor 1989 spricht.

    Durak: Weshalb?

    Tillich: Weil ich glaube, dass das auch zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte beziehungsweise der Geschichte der DDR gehört, dass es seinerzeit Parteien gegeben hat, die namensgleich mit den Parteien heute sind. Es ist, glaube ich, aber trotzdem keiner ein besserer Demokrat, der 1989 aus der SED ausgetreten ist und dann 1991 wieder in die PDS eingetreten ist.

    Durak: Sie selbst sind ja 1987 in die DDR-CDU eingetreten, nach der Wende dann Mitglied der sozusagen gesamtdeutschen CDU geworden. Hat Sie, Herr Tillich, damals mal irgendjemand vor der Übernahme in die gesamtdeutsche CDU nach Ihrer ostdeutschen CDU-Vergangenheit gefragt und nach möglicher Verstrickung womöglich?

    Tillich: Wenn Sie mich so direkt fragen, nein. Ich kann mich zumindest daran nicht erinnern.

    Durak: Schade! Und dabei hatte es doch geheißen, man solle sich einander die Geschichten des Lebens erzählen.

    Tillich: Das kann man ja auch ungefragt tun.

    Durak: Wenn das die CDU aber jetzt erst tut, im Jahr 2009, ist das nicht etwas spät?

    Tillich: Die CDU hat ja nicht gesagt, dass sie eine Auseinandersetzung per se will, sondern sie - und das ist das, was der Generalsekretär in den letzten Tagen zum Ausdruck gebracht hat - sie wird sich auch zu dem bekennen, dass es eine ostdeutsche CDU gegeben hat vor 1990 und dass sie das auch nicht bestreitet. Das hat Generalsekretär Pofalla dazu gesagt.

    Durak: Gelegenheit wird es auf dem Perspektiv-Kongress der CDU heute in Dresden geben, auch vielleicht darüber zu sprechen. Stanislaw Tillich war am Telefon, Ministerpräsident in Sachsen und Landesvorsitzender der CDU dort. Herr Tillich, danke für das Gespräch.

    Tillich: Danke Ihnen, Frau Durak.