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"Wir wollen damit die vierte industrielle Revolution auslösen"

IT.- Der Begriff "Industrie 4.0" bezeichnet das autonome Vernetzen verschiedener Maschinen untereinander. Professor Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz erläutert im Interview, wie es derzeit um dieses sogenannte "Internet der Dinge" bestellt ist.

10.03.2012
    Manfred Kloiber: In Halle 26, der Forschungshalle, dort, wo Universitäten und wissenschaftliche Organisationen ausstellen, war Cloud-Computing natürlich auch ein Thema. Doch über das banale Speichern von Daten in der und das Mieten von Software aus der Wolke sind die Wissenschaftler schon ein bisschen weiter hinaus. Sie denken an die globale Vernetzung der Dinge, an das Internet der Dinge. In der Industrie 4.0 sollen die Dinge bestimmen, was mit Ihnen geschieht. Das hat mir Professor Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz so erklärt:

    Wolfgang Wahlster: Das ist eine ganz neue Art, sogenannte intelligente Fabriken, Smart-Factorys aufzubauen. Wir wollen damit die vierte industrielle Revolution auslösen. Und das Neue bei der Industrie 4.0 ist jetzt, dass die Maschinen sich untereinander vernetzen – sogenannte Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, und dass das Ganze nicht mehr zentral passiert, sondern völlig autonom.

    Kloiber: Nun gibt es ja autonome Roboter, autonome Fertigungssystem schon seit Langem. Was ist die neue Qualität von Industrie 4.0?

    Wahlster: Ich will mal ein einfaches Beispiel geben. Wenn Sie heute ein Auto herstellen, dann sagt das zentrale Fertigungssystem: Also dieses Auto soll jetzt bitte rot markiert werden beispielsweise. Und es soll diese Stereoanlage eingebaut bekommen. Jetzt haben wir das bei Industrie 4.0 ganz anders organisiert: Das Chassis sagt, bitteschön, lieber Roboter, ich möchte jetzt mal so lackiert werden. Das heißt, der Rohling fordert praktisch von der Fabrik gewisse Dienste an. Das ist also wirklich ein Paradigmenwechsel, so kann man sagen. Das hängt damit zusammen, dass wir in den letzten Jahren festgestellt haben, wir brauchen noch höhere Flexibilität in der Produktion. Die Losgrößen, das heißt also die Anzahl der Objekte, die vom gleichen Typ sind, schrumpfen immer weiter zusammen. Man kann bei Autos heute schon sagen: Jedes Auto, was vom Fließband kommt, ist ein Unikat. Und dann lohnt es sich nicht, das zentral zu steuern. Sondern jetzt meldet sich der Rohling praktisch bei den einzelnen Geräten und macht das. Das geht nur durch ganz neue IT-Systeme, sogenannte Cyberphysische Systeme. Das bedeutet – ein Internet der Dinge –, dass jedes einzelne Objekt eigene Sensoren hat, ein kleines Gedächtnis hat, so dass wir auch den gesamten Produktionsprozess jetzt nicht mehr zentral, sondern an dem Objekt selbst verfolgen können. Und wenn das Auto beispielsweise fertig ist, dann weiß es, welche Teile in diesem Auto verbaut wurden und hat aus deren einzelnen Produktgedächtnissen bis hin zur Batterie das alles in einem gesammelten Gedächtnis geladen. Und dies Fabriken haben auch noch einen großen Vorteil – sie sind absolut Ressourcen schonend. Wir sprechen von urbaner Produktion. Was wir mit Industrie 4.0 bewirken wollen, ist nämlich, dass letztendlich die Fabriken wieder in die Ballungszentren zurückkehren und wir sozusagen so Ressourcen schonend sind. Das heißt, keine Geruchsbelästigung, keine Geräuschbelästigung und natürlich keine Immissionen, sodass die Mitarbeiter im Idealfall direkt neben der Fabrik wohnen.

    Kloiber: Gehen wir nochmal konkret zurück auf ein Stück Blech, das mal ein schönes Auto werden will. Was braucht dieses Stück Blech an Intelligenz oder elektronischer Ausstattung?

    Wahlster: Auf dieses Blech haben wir jetzt einen sogenannten Funksensorchip, der in der Lage ist, aktiv zu kommunizieren... die melden sich. Die haben sozusagen in ihrem Gedächtnis das Programm drin. Dort steht, was der Kunde wünscht, vereinfacht gesagt, und welche Schritte jetzt erforderlich sind. Sie haben aber auch Kontrollfunktionen, sodass sie wissen, wo sie sich gerade befinden. Und zweitens: sie können auch Temperatur, andere Dinge, Schockeinwirkung – und melden das ihrer Umwelt.

    Kloiber: Wenn man jetzt in den Fabrikhallen das Paradigma ändert und sagt: Okay, die Dinge sollen kommunizieren, sollen sagen, was sie wollen – dann muss man ja auch dafür sorgen, dass sie erstens vernünftig sprechen können, dass sie zweitens integer sind und drittens auch ein ausreichendes Sicherheitsniveau haben.

    Wahlster: Ja, auf jeden Fall. Das ist nachher auch das A und O bei der Akzeptanz. Aber zuerst mal zu dem Sprechen: Wenn die Dinge untereinander kommunizieren, müssen sie natürlich kein Kauderwelsch sprechen, sondern wir müssen uns da schon an Standards halten. Und wir haben in der Tat in Deutschland ein Standardisierungsvorschlag mit der Industrie entwickelt. Das nennt sich OMM – Object Memory Model. Das ist eine Sprache, in der solche kleinen Einheiten ihre Gedächtnisse untereinander austauschen können. Das ist auch schon beim W3C-Konsortium. Es ist also ein Standard, der auf XML aufsetzt. Jetzt aber zur Sicherheit: Das Kommunizieren ist schön, aber es muss sicher passieren – da gebe ich ihnen völlig Recht. Da haben wir natürlich ganz große Anstrengungen. Ein Teilbereich beschäftigt sich ganz speziell mit der technologischen Infrastruktur, um vernetzte, eingebettete Funksysteme sicher zu machen. Gerade gegen so etwas wie wir mit Stuxnet erlebt haben. Ein Vorteil ist allerdings, dass der Programmcode, der auf den einzelnen Prozessoren läuft, doch erheblich kleiner ist, so dass wir dort Methoden – wo Deutschland ja sehr gut ist – der formalen Verifikation, also Sicherheitsprotokolle, nun wirklich mathematisch abnehmbar zu machen. Das geht ja bei ganz großen SAP-ähnlichen Systemen nicht. Aber bei diesen kleinen Prozessoren gelingt das.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.