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"Wir wollen den Euro selbst geordnet auflösen"

"Wir sehen das Wählerpotenzial vor allem bei den normalen Steuerzahlern", beschreibt Bernd Lucke, Sprecher der neu gegründeten Partei Alternative für Deutschland. Sofern die CDU und FDP aufgrund ihrer "verfehlten" Europolitik abgewählt würde, "bin ich sehr froh", sagt er.

Bernd Lucke im Gespräch mit Jürgen Liminski | 13.04.2013
    Jürgen Liminski: Ähnlich wie vor zwei, drei Jahren die Piraten ist in den letzten Monaten eine neue Partei in den Umfragen hochkatapultiert worden: die Alternative für Deutschland, AfD. An diesem Wochenende hält sie ihren ersten Bundesparteitag ab und wie bei den etablierten Parteien wird auch der Vorstand neu gewählt: Als gesetzt gilt der jetzige Sprecher und Initiator der Partei, der Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke. Und ähnlich, wie die Piraten lebt die neue Partei vorwiegend von einem Thema, diesmal nicht "das Leben im Netz", sondern "die Gefangenschaft im Netz der Einheitswährung". Aus dieser Dilemmasituation will die neue Partei Deutschland eine Alternative bieten. Was ist, wenn die Eurokrise sich in Wohl oder Missfallen auflöst? Ist die Partei dann am Ende? Gibt es andere alternative Politikfelder? Erreicht die neue Partei nicht genau das Gegenteil, indem sie die Union und die FDP schwächt?

    - Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich den Sprecher der Alternative für Deutschland, Professor Bernd Lucke. Guten Morgen, Herr Lucke!

    Bernd Lucke: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Lucke, wir leben in einer kurzatmigen Mediengesellschaft. Können Sie Ihre Alternative in Sachen Euro in einer knappen Minute darstellen?

    Lucke: Ja, das kann ich. Wir wollen die Rettungsschirmpolitik beenden, die uns mehr als 100 Milliarden Euro kosten wird. Und wir wollen den Euro selbst geordnet auflösen. Stattdessen wollen wir zu nationalen Währungen zurück und zu kleineren, stabileren Währungsverbünden. Geordnete Auflösung heißt, dass wir nicht etwa über Nacht austreten wollen, sondern in einer mehrjährigen Übergangsphase zunächst die Südländer aus dem Euro ausscheiden lassen und dann das Restgebiet auflösen.

    Liminski: Wer gehört alles zu dem Restgebiet?

    Lucke: Zu dem Restgebiet wird sicherlich der Kern der mitteleuropäischen Länder gehören, also natürlich Deutschland, die Beneluxstaaten, Österreich, sicherlich auch Finnland. Ob Frankreich zum Restgebiet gehört, ist wahrscheinlich mehr eine politische Frage. Ökonomisch gehört Frankreich eher zu den Südländern.

    Liminski: Auf Ihrem Bundesparteitag an diesem Wochenende wird auch ein neuer Vorstand gewählt. Es gibt an die 100 Kandidaten für ein gutes Dutzend Plätze. Wie wollen Sie sichergehen, dass nicht doch ein rechtsextremer Wolf im Schafspelz der Alternative an Ihre Seite gespült wird? Vor Linksextremen haben Sie vermutlich wenig zu befürchten.

    Lucke: Ich bin da wenig besorgt. Rechtsextreme, die bei uns Mitglieder werden wollen, liegen irgendwo im Promillebereich. Die meisten finden wir schon bei der Antragsstellung und nehmen sie gar nicht als Mitglied auf. Und wenn doch einer durchkommen sollte: Unsere Mitglieder sind in der überwältigenden Mehrheit völlig vernünftige Bürger, die so jemanden nie wählen würden.

    Liminski: Aber Sie haben ja noch kein ausgefeiltes Programm, das sozusagen als Filter dienen könnte. Nach welchen Kriterien beurteilen Sie denn die Kandidaten?

    Lucke: Nun, wissen Sie, alle Kandidaten stellen sich bei uns schriftlich vor. Das publizieren wir auch im Internet. Die meisten legen dann dabei ihre politischen Anschauungen dar. Und wenn man das liest, dann sieht man sehr schnell, wie einer tickt. Außerdem kennen wir viele schon aus der praktischen Arbeit vor Ort.

    Liminski: Was sehen Sie denn im Moment als Ihr größtes Problem: die Abgrenzung nach rechts, die Auflösung der programmatischen Grundlage?

    Lucke: Nein. Das größte Problem ist, glaube ich, unsere interne Organisation. Wir arbeiten ja zurzeit nur mit ehrenamtlichen Kräften und wir werden – Gott sei Dank – so mit Zuspruch und mit Mitgliedsanträgen und Hilfsangeboten überflutet, dass wir das kaum bewältigen können. Eigentlich bräuchten wir also dringend hauptberufliche Mitarbeiter. Aber dafür fehlt uns halt noch das Geld, denn wir kriegen ja, anders als die großen Parteien, keine Wahlkampfkostenunterstützung.

    Liminski: Haben Sie keine Freunde in der Wirtschaft, die Ihnen da etwas aushelfen würden?

    Lucke: Wir haben Freunde im Bereich der Mittelständler und im Bereich der Familienunternehmer, aber eigentlich nicht in der Industrie, also nicht die Leute, die die großen Spenden lockermachen. Ich glaube, die größte Spende, die wir bislang bekommen haben, war eine Spende über 3000 Euro. Das heißt, richtig klotzen können wir da noch nicht.

    Liminski: Virtuell sind Sie ja schon im Bundestag, jedenfalls nach den Umfragen und der Bewegung an den sozialen Plattformen. Wo sehen Sie denn Ihr Wählerpotenzial: bei den frustrierten Nichtwählern, bei den besserwissenden Akademikern, bei den ängstlichen Sparern?

    Lucke: Nein, wir sehen das Wählerpotenzial vor allem bei den normalen Steuerzahlern. Also bei den Bürgern, die sich Sorgen machen, weil die Steuererhöhungen und Inflation erwarten, wenn die Eurokrise weiter so läuft wie bisher. Natürlich auch bei den Bürgern, die nicht mehr wissen, ob ihre Ersparnisse jetzt noch sicher sind vor staatlichem Zugriff. Und auch bei den Rentnern, die sich Sorgen machen, ob ihre Renten noch so angepasst werden, wie ihnen das ursprünglich mal versprochen worden ist. Wenn die Bundesrepublik Deutschland selbst in einer Überschuldungssituation ist, weil sie für die ganzen südeuropäischen Staaten zahlen muss. Noch sind sie nicht so weit, aber es könnte dahin kommen.

    Liminski: Die drei, vier Prozent, die Sie Union und FDP wahrscheinlich nehmen, könnten Rot-Grün zum Sieg verhelfen. Und dann bekämen wir Eurobonds, genau das Gegenteil, was Sie wollen. Verdrängen Sie dieses Risiko, vielleicht weil Sie selbst frustriert sind über den Euro?

    Lucke: Nein. Ich sehe das gar nicht so sehr als ein Risiko an. Ob man die Hilfe für südeuropäische Staaten nun in Form von Eurobonds gibt oder ob man sie in Form eines europäischen Stabilisierungsmechanismus, also über diese gigantischen Rettungsschirme gibt, das ist eine nur noch graduelle Unterscheidung. Das ist die Unterscheidung, ob man teilschuldnerisch haftet oder gesamtschuldnerisch haftet. Aber es ist eben grundsätzlich falsch, zu haften. Es ist auch ein Bruch der vertraglichen Grundlagen des Maastricht-Vertrages. Und das möchte ich an die Öffentlichkeit tragen und mich dafür einsetzen, dass Recht und Gesetz auch wieder respektiert wird, sogar von unserer Bundesregierung. Und wenn ich dann es erreichen kann, dass Union und FDP aufgrund ihrer verfehlten Politik abgewählt werden, dann, muss ich sagen, bin ich sehr froh.

    Liminski: Eine Möglichkeit, die Fünf-Prozent-Hürde zu unterlaufen, sind drei Direktmandate. Sind Sie im Gespräch mit potenziellen Überläufern aus der CDU, um diese drei Mandate zu bekommen?

    Lucke: Nein, nicht im Mindesten. Wir haben keine Gesprächskontakte mit der CDU. Und wenn wir Direktmandate kriegen wollen, dann wollen wir die auch selber erobern und nicht dadurch, dass uns irgendjemand zuläuft.

    Liminski: Stellen Sie sich irgendwo als Direktkandidaten auf?

    Lucke: Ja, wir werden ganz bestimmt Direktkandidaten aufstellen. Und ich werde auch selbst kandidieren.

    Liminski: Wo?

    Lucke: Wahrscheinlich hier im Wahlkreis Harburg.

    Liminski: Gibt es überhaupt keine Gespräche mit anderen, etablierten Parteien?

    Lucke: Zurzeit gibt es da keine Gespräche, nein.

    Liminski: Noch einmal zum Programmatischen, Herr Lucke: Sie sind im Moment eine Ein-Themen-Partei - Euro. Das ist eine schmale Spur. Sie reicht gerade zum Protest. Welche Schwerpunkte werden Sie im Wahlkampf noch setzen? Irgendwie müssen Sie den bürgerlichen Wählern doch auch etwas Nachhaltiges bieten.

    Lucke: Na, also da sind jetzt aber viele Prämissen in Ihrer Frage falsch. Zum einen wollen wir ja nicht nur bürgerliche Wähler ansprechen, sondern wie ich sagte, wollen wir alle Wähler ansprechen, die der Sozialdemokraten und der Grünen genauso wie die des bürgerlichen Lagers. Und übrigens auch die enttäuschten Nichtwähler. Zweitens ist es so, dass die Eurokrise leider eine sehr, sehr nachhaltige Krise ist, die uns wohl noch auf Jahre und möglicherweise auf Jahrzehnte beschäftigen wird. Und drittens ist es so, dass wir alles andere als eine Ein-Themen-Partei sind, denn zum einen ist schon das, was sich um das Thema Euro herumgruppiert, sehr vielschichtig. Wir setzen uns also auf der einen Seite ein für die Auflösung des Euro-Währungsgebietes und für das Ende der Rettungsschirmpolitik. Auf der anderen Seite setzen wir uns auch für eine Demokratisierung und Entbürokratisierung der Europäischen Union ein. Wir wollen, dass mehr Kompetenzen zurückkommen auf die nationale Ebene. Und wir setzen uns für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, insbesondere auch für direkte Demokratie ein. Dass es auch in Deutschland mal Volksbefragungen beispielsweise zu wesentlichen Themen gibt oder Volksabstimmungen. Und jenseits dieses großen Themenkomplexes, der, glaube ich, viel mehr als nur ein Thema ist, haben wir auch eine ganze Reihe von anderen Positionen, beispielsweise zur Steuerpolitik, wo wir uns für eine Steuervereinfachung einsetzen. Denn unser Steuerrecht ist viel zu kompliziert, das versteht der einfache Bürger gar nicht mehr. Oder wir setzen uns ein für einfachere Energiepreise, indem man die Subventionen, die dort jetzt verdeckt über Strompreise beispielsweise finanziert werden, indem man die dort rausnimmt und ganz normal aus dem Steueraufkommen finanziert. Oder wir setzen uns eben ein dafür, dass die Renten langfristig gesichert werden. Zurzeit ist es leider sehr unsicher wegen unserer demografischen Entwicklung und auch wegen der Tatsache, dass man keine Zinsen mehr bekommt auf Geldanlagen.

    Liminski: Wo sehen Sie denn die größten Überschneidungen mit welcher Partei?

    Lucke: Kann ich nicht wirklich sagen. Wir haben eben massive Schwierigkeiten mit allen etablierten Parteien, weil die in dieser Frage der Europolitik völlig falsch aufgestellt sind. Und da wir uns sonst eigentlich nur an grundlegenden Prinzipien orientieren wie beispielsweise Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und Einfachheit, Transparenz, Verantwortungsbewusstsein und Ähnliches, gibt es dort Überschneidungen mit den programmatischen Positionen von manchen Parteien, sowohl im bürgerlichen Lager als auch im rot-grünen Lager. Wobei es mich ein bisschen überrascht, dass es so wenig Überschneidungen sind, weil das eigentlich ganz natürliche und verständliche Forderungen sind, die wir stellen. Und man erwarten sollte, dass die etablierten Parteien dort ähnliche Positionen einnehmen. Aber das tun sie nicht immer.

    Liminski: Bei Ihrer Aufzählung vorhin, Herr Lucke, fehlte das Thema Familien, das wird ja wohl doch ein Wahlkampfthema werden. Und Sie haben in Ihrem Kreis, in Ihrem Initiatorenkreis einen Herrn namens Konrad Adam, der ja doch bekannt ist als Familienexperte. Lassen Sie das bewusst außen vor?

    Lucke: Nein, überhaupt nicht. Ich habe das nur deshalb nicht erwähnt, weil ich fürchtete, schon viel zu lange geantwortet zu haben. Aber in der Tat: Familie und Bildung haben wir ebenfalls in unserem Wahlprogramm drin. Wir sind sehr dafür, dass die Familien stärker gefördert werden, dass auch Bildungsanstrengungen der Familien stärker unterstützt werden. Dass aber auf der anderen Seite es auch so ist, dass nicht immer nur nach dem Staat und dem Geld des Staates geschrien wird, sondern auch stärker betont wird, dass Bildung und darunter auch frühkindliche Bildung wirklich einfach die Verantwortung der Familien ist. Und man diese Verantwortung nicht einfach auslagern sollte an staatliche Institutionen.

    Liminski: Das war der Sprecher der Alternative für Deutschland, Professor Bernd Lucke, hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Lucke!

    Lucke: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.