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"Wir wollen diesen Unsinn nicht mehr mitmachen"

"Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust hat die Entscheidung des Spiegel-Verlags verteidigt, zur alten Rechtschreibreform zurückkehren zu wollen. Es gebe inzwischen viele verschiedene Schreibweisen, das führe zu Verwirrung. Die Rechtschreibreform sei bürokratischer Zwang.

Moderation: Karin Fischer | 06.08.2004
    DLF: Heute ist, Sie habe es eben in den Nachrichten gehört, richtig, etwas passiert in Sachen Rechtschreibreform. Keine Willensbekundung eines weiteren intellektuellen Kultusministers oder Feuilletonchefs, keine Auflistung von Ungereimtheiten, Sinnentstellungen, Inkohärenzen durch die Reformgegner, nein, es wurden Fakten geschaffen. Die Verlage Springer und Spiegel kehren zur alten Rechtschreibung zurück. Womit die Verleger das Thema aus dem Sommerloch geholt und der Rechtschreibreform mit publizistischer Macht den Kampf angesagt haben. Stefan Aust, den Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" habe ich vor der Sendung gefragt, warum?

    Aust: Wir haben schon damals, als die Rechtschreibreform eingeführt wurde, eine Titelgeschichte gemacht und viele verschiedene Geschichten darüber gemacht, was für ein ausgemachter Unsinn das Ganze ist. Wir haben alle Schriftsteller in Deutschland von Günther Grass über Enzensberger bis Martin Walser, Siegfried Lenz, alle wie sie da sind, waren der Meinung, dass es vollkommen unsinnig ist, irgendwelche neuen Regelungen aufzustellen, die in sich ja auch ziemlich logisch und zum Teil ziemlich absurd waren. Es gab wirklich keinen ernsthaften Zwang, dafür jetzt dort eine Reform einzuführen.

    Wir haben damals im Übrigen auch intensiv mit dem Herausgeber Rudolf Augstein darüber gesprochen und der war der Meinung, warum machen wir diesen Unsinn eigentlich mit, es ist völlig überflüssig. Und es war ja vorauszusehen, dass es zu einer Zweiteilung der deutschen Sprachen führen musste. Denn wenn die Kinder in der Schule die neue Rechtschreibung lernen und auch die Zeitungen dazu übergehen, man kann ja nicht alle Bücher der Weltliteratur und der deutschen Literatur, kann man ja nicht alle neu drucken. Das heißt, es war klar, es wird zwei Formen von Rechtschreibung geben.

    Und es hat sich im Laufe der Zeit herausgestellt, dass selbst diejenigen, die bei uns die Artikel schreiben, die wir dann in der neuen Rechtschreibung veröffentlicht haben, dass die in ihren Computern alle in der alten Rechtschreibung schreiben. Und deswegen haben wir jetzt irgendwann mal gesagt, jetzt ist irgendwie Schluss mit dem ganzen Unsinn, vor allen Dingen, nachdem die Kultusminister das jetzt für verbindlich erklären wollten.

    DLF: Ich muss mal ein bisschen Partei für die Rechtschreibreformer ergreifen, Herr Aust. Natürlich gibt es inzwischen sehr pflegliche Computerprogramme, es gibt auch Zahlen, die nachweisen, dass am Schriftbild der Zeitungen sich genau 0,8 Prozent aller sozusagen zu verhandelnden Wörter sich verändert haben. Und es gab natürlich schon immer die Beweglichkeit und die Veränderbarkeit der Sprache, die bedeutet, wir sind heute den Schriften und Büchern aus dem 19ten Jahrhundert ja auch nicht mehr so ganz nah.

    Aust: Das ist ja klar. Bisher ist es immer so gewesen, Sprache ist ein evolutionärer Prozess und natürlich müssen sich die Regeln irgendwie mit der Zeit ändern. Das ist in diesem Falle aber ja nicht so gewesen. Es sind ja nicht Dinge, die sich sozusagen in der Sprache entwickelt haben und dann in die Regularien eingeflossen sind, sondern es ist eine künstliche Reform gewesen.

    Und das, was Sie eben an Zahlen genannt haben, ist ja richtig, das macht die Sache aber ja nicht besser, sondern eigentlich umso absurder. Wenn eine Reform gemacht wird, die dann ohnehin nur zu einem Bruchteil ausgeführt wird, da kann man sich fragen, was das eigentlich alles noch soll.

    Wissen Sie, wir haben das ja damals auch gemacht. Wir haben uns die neuen Formen vorgenommen, sind die durchgegangen und haben uns überlegt, da, wo es sozusagen Kann-Vorschriften sind, haben wir uns am Dichtesten und am Nähesten nach der alten Rechtschreibung gerichtet. Wir sind also so nahe rangegangen an die Alte, wie es sozusagen mit den neuen Regularien gerade noch möglich war. Das haben übrigens auch alle anderen gemacht.

    Die "Zeit" hat ein großes Konglomerat geschrieben, hat Dieter E. Zimmer ausgearbeitet, die haben praktisch ihre eigene Rechtschreibreform gemacht. Das hat plötzlich dazu geführt, dass es überall unterschiedliche Rechtschreibreformen gab, das ist doch ein absurder Zustand.

    DLF: Das ist ja nun eine geballte publizistische Macht, die Sie da in die Waagschale werfen. Glauben Sie, das ist der Anfang vom Ende der Rechtschreibreform?

    Aust: Ich will gar nichts glauben, ich hätte auch gar nichts dagegen gehabt, wenn nun ganz viele andere Verlage, wir haben ja mit einigen Kollegen gesprochen, sich dieser Sache angeschlossen hätten. Die Reaktion ist allgemein gewesen, eigentlich habt ihr ja Recht, aber man kann ja nicht vorangehen. Und da haben wir uns gesagt, wir gehen jetzt einfach mal voran, wir wollen diesen Unsinn nicht mehr mitmachen. Wenn sich andere anschließen, dann freuen wir uns sehr. Es wird sicherlich bei vielen anderen, ich habe ja jetzt schon gehört, dass einige Verlage sich angeschlossen haben oder anschließen wollen, das Signal sein, umzukehren.

    Ob die Politik sich dann bequemt, auch etwas zu verändern, das wird man sehen. Ich glaube, es ist nicht so ohne weiteres möglich also diese, ja Sie sagen, geballte publizistische Macht, ich sage einfach mal sozusagen, wir erreichen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung mit den Objekten, ignorieren wird man das sicherlich nicht können.