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"Wir wollen europäische Lebenswirklichkeiten spiegeln"

"Werkstatt Europa", so heißt die neue Sendereihe im Deutschlandfunk während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Sie ist Bilanz und Ausblick in einem, strittige Fragen werden aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Dieter Jepsen-Föge, Deutschlandfunk-Chefredakteur, über Anlass und Intention der Reihe.

29.01.2007
    Remme: Strittige Fragen - und daran mangelt es ja bei diesem Thema sicher nicht - werden aus ganz unterschiedlichen Perspektiven diskutiert: von Politikern, von Experten, von Hörern. - Dieter Jepsen-Föge, Deutschlandfunk-Chefredakteur, was wollen wir mit diesem Schwerpunkt erreichen?

    Jepsen-Föge: Die Serie wird wirklich bis zum 30. Juni dieses Jahres laufen, nämlich die komplette Zeit der europäischen Ratspräsidentschaft abdecken, und das war ja ein Grund für diesen Europa-Schwerpunkt, denn der Deutschlandfunk hat ja nun nie einen Nachholbedarf bei europapolitischen Themen, wenn wir an die tägliche Sendung "Europa heute" und "Die Gesichter Europas" einmal in der Woche denken. Aber diese europäische Ratspräsidentschaft und der Zeitpunkt 50 Jahre Römische Verträge - es wird ja am 24. und 25. März in Berlin eine so genannte Berliner Erklärung dazu geben - das sind zwei Anlässe für uns, sozusagen den Werkstattkoffer auszupacken und zu gucken, mit welchen Instrumenten denn die europäische Integration vorangebracht werden kann. Wir wollen aber, Herr Remme, keine Institutionenkunde betreiben und wir wollen nicht missionieren - wir sind keine Hochschule -, sondern wir wollen einfach auch europäische Lebenswirklichkeiten spiegeln.

    Remme: Ich wollte gerade sagen. Wenn ich an eine der letzten Serien zurückdenke, wo es um die Immigration und die Flüchtlinge ging, dann war das ja eine Thematik, die geradezu nach Reportagen schrie als Sendeform. Das ist ja bei der Europapolitik eine etwas trockenere Materie. Was haben wir vor? Wie ist die Serie aufgebaut?

    Jepsen-Föge: Ich finde es ist eine Herausforderung einfach auch unter dem Gesichtspunkt, wir alle sind ja als Bürger von den Gesetzen betroffen, die in Brüssel und Straßburg gemacht werden, ob wir sagen das sind 60 Prozent oder 70 Prozent der Gesetze. Jedenfalls ist klar: unsere Lebenswirklichkeit wird auch in Brüssel und Straßburg maßgeblich beeinflusst. Aber als Bürger haben wir nicht das Gefühl. Es ist auch nicht transparent. Es fehlt an Demokratie. Wir wissen nicht genau, wie solche Entscheidungen zu Stande kommen, und das ist natürlich ein Anlass, uns damit zu beschäftigen.

    Wir tun das ja durch die ganzen Sendeplätze. Ich glaube der Deutschlandfunk hat noch nie einen so starken thematischen Schwerpunkt gesetzt. Nach unserem Gespräch werden wir das erste Beispiel einer Reihe "Werkstatt Europa -
    50 Jahre Integration: Fragen an die Zukunft der EU" bis zu diesem Samstag jeden morgen um 8:20 Uhr hören, wo wir einfach wirklich die Stationen nachzeichnen von der Montan-Union, von der Unterzeichnung der Römischen Verträge über die ganze Zeit der Erweiterungsprozesse bis heute zu dieser EU der 27 Länder. Das ist ein Beispiel.

    Wir hatten jetzt gerade am zurückliegenden Samstag die erste Sendung der "Gesichter Europas", wo wir uns mit der Lebenswirklichkeit auseinandergesetzt haben. Das sind gleichsam Querschnittsstücke. Die Hörerinnen und Hörer kennen ja diese Sendung. Wir werden in unserer Sendung "Forschung aktuell", Wirtschaft und Kultur überall versuchen, Lebenswirklichkeiten zu zeigen, sozusagen den Zustand der Europäischen Union zu dokumentieren, auch in Reportagen und in Hintergrundstimmen.

    Remme: Ein Thema, das sich im vergangenen Jahr, aber natürlich auch in den nächsten Monaten während der deutschen Ratspräsidentschaft stellt, ist das Thema Verfassung, ein Thema über das gestritten wird. Da gibt es Pro und Contra (Euroblog) und gewichtige Argumente auf beiden Seiten. Wir haben Experten eingeladen, Thesen zu formulieren unter anderem auch zu diesem Punkt. Wie verhindern wir, dass das eine - es sind ja nun mal Experten - elitäre Diskussion wird?

    Jepsen-Föge: Diese Gefahr ist will ich gestehen ist tatsächlich groß. Das merken wir ja auch. Wir haben diese Pro- und Contra-These zu der Frage "Brauchen wir eine europäische Verfassung ja oder nein?" und es findet ja, Herr Remme wie ich finde, eine hoch interessante Diskussion in unserem Web-Blog statt. Die Hörerinnen und Hörer werden, wenn sie Deutschlandradio.de anklicken, weitergeleitet zu dem Euroblog und können sich auch an dieser Diskussion beteiligen.

    Remme: Das ist ja eine relativ neue Erfahrung zumindest für unser Haus?

    Jepsen-Föge: Das ist eine neue Erfahrung, aber unser Haus ist da ja durchaus führend auch in der Nutzung dieses Verbreitungs- und dieses Diskussionsweges und es ist eine sehr qualifizierte Diskussion. Man merkt, dass das keineswegs nur akademisch ist, obwohl die Äußerungen schon ein relativ hohes Niveau haben. Intern haben wir manchmal gesagt, das ist zwischen Promotion und Habilitation, aber es beteiligen sich auch andere daran, die sehr vehement sagen, entweder -verdammt noch mal - jetzt sollen die Staaten verdammt noch mal endlich begreifen, dass in Frankreich und in den Niederlanden Nein gesagt wurde, dass die Bürger die Verfassung nicht wollen, oder andere schreiben, die Frage stellt sich überhaupt nicht, ob die EU eine Verfassung braucht, sondern nur welche sie braucht. Für andere ist das also völlig klar und dann wird das sehr ausführlich diskutiert.

    Das finde ich überhaupt sehr eindrucksvoll. Wir merken, dass dieses Thema tatsächlich viele interessiert. Und die Frage einer europäischen Verfassung und wie es weitergeht, die haben wir auch zum Beispiel am vergangenen Mittwoch in Brüssel diskutiert und dokumentiert in unserer Sendung "Zur Diskussion (Beitrag zum Nachhören)", und wir werden weitere öffentliche Veranstaltungen organisieren und dann auch ausstrahlen zu unterschiedlichen Themen der EU.

    Remme: "Werkstatt Europa", das klingt nach Mitmachen. Dieser Blog ist sicher ein Instrument, wo jeder mitmachen kann. Wie macht er das, wenn er das möchte?

    Jepsen-Föge: Er macht das, indem er gleichsam dem Wegweiser folgt, wenn er unsere Homepage im Internet anklickt. Dann wird er gleichsam dahingeleitet und kann sich relativ einfach daran beteiligen. Ich glaube jeder der sich dafür interessiert kann das und junge Leute sind das, aber nicht nur junge Leute. Wir werden das ja auch immer widerspiegeln. Wir werden übrigens, Herr Remme, auch am Schluss mit denselben Autoren, die die Pro- und Contra-Beiträge geschrieben haben, die wir ja gesendet haben und senden in der Sendung "Europa heute" Montags, eingehen auf das, was die Hörerinnen und Hörer dazu argumentiert haben.

    Remme: Danach wollte ich gerade fragen. Wenn jemand schreibt, dann macht er sich Gedanken. Er wird sich aber sicher auch fragen was passiert mit dem, was ich geschrieben habe. Versickert das?

    Jepsen-Föge: Nein, es versickert nicht und er wird auch merken, dass es Eingang hat in den Diskussionen. Ich hatte ja zum Beispiel das Privileg, die Diskussion moderieren zu dürfen über die europäische Verfassung in Brüssel, und da hat natürlich eine ganz große Rolle gespielt, was auch die Hörerinnen und Hörer so an Fragen und Anmerkungen hatten. Und noch mal: die Autoren dieser Pro- und Contra-Beiträge werden direkt darauf eingehen. Da werden manche Hörerinnen und Hörer sich gleichsam zitiert fühlen können.

    Remme: Dieter Jepsen-Föge, Chefredakteur im Deutschlandfunk.