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"Wir wollen und werden mehr investieren"

Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat Verständnis für die Studentenproteste in Deutschland. Bei der Umsetzung der Bildungsreform habe es handwerkliche Fehler gegeben, die nun korrigiert würden. Zudem werde die Bundesregierung in den kommenden vier Jahren zwölf Milliarden Euro in Bildung investieren, die zu einem großen Teil den Hochschulen zugute kämen, betonte die CDU-Politikerin.

Annette Schavan im Gespräch mit Gerwald Herter | 17.11.2009
    Gerwald Herter: Von Aachen über Berlin und Bielefeld bis hin zu München, Tübingen und Würzburg, seit Tagen besetzen Studenten Hörsäle in mehr als 20 deutschen Universitäten. ZehnTausende wollen ihren Protest und ihre Forderungen in die Öffentlichkeit tragen.
    Nun freue ich mich, die Bildungsministerin in der Bundesregierung, Annette Schavan, am Telefon begrüßen zu können. Guten Morgen, Frau Schavan.

    Annette Schavan: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Frau Schavan, schon in der letzten Woche haben Sie deutlich gemacht, dass Sie für die Forderungen der Studenten Verständnis aufbringen. Glauben Sie denn, dass das den Studentinnen und Studenten in irgendeiner Form nützlich sein kann?

    Schavan: Es hilft den Studenten nicht, wenn jetzt nur alle Verständnis haben, das ist schon richtig, aber ich habe ja nicht nur Verständnis, sondern ich habe im Koalitionsvertrag dafür gesorgt, dass Bildung ganz oben steht. Das heißt, die Bundesregierung wird zwölf Milliarden in den nächsten vier Jahren investieren, und die kommen zu einem hohen Prozentsatz auch den Hochschulen zugute, wenn ich nur an den Hochschulpakt denke, der zum Beispiel Verbesserungen in der Lehre vorsieht. Den Punkt teile ich.

    Ich teile nicht alle Forderungen, aber ich teile den Punkt, dass es handwerkliche Fehler bei der Umsetzung gegeben hat. Die sind aufgelistet. Die Wissenschaftsminister der Länder haben dazu einen Beschluss gefasst und jetzt geht es darum, diesen Beschluss zügig umzusetzen.

    Herter: Bildung ist auch Ländersache in Deutschland. Die Koalition hat im Koalitionsvertrag auch festgeschrieben, dass es Steuersenkungen geben soll, und da werden die Länder Einbußen zu verzeichnen haben. Wie wollen Sie sicherstellen, dass das nicht auf Kosten der Bildungsetats geht?

    Schavan: Der Koalitionsvertrag zeigt ja jetzt schon Wirkung, denn in einer Reihe von Ländern ist daraufhin beschlossen worden, dass das Bildungs- und Wissenschaftsressort von den Haushaltskonsolidierungen ausgenommen ist. Es gibt immer Gründe, die man nennen kann, warum jetzt gerade mehr Geld nicht möglich ist, aber der Beschluss ist klar: Auch die Ministerpräsidenten haben schon im Oktober letzten Jahres mit dem Bund gemeinsam beschlossen, dass zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung investiert werden, davon sieben Prozent für die Forschung (es muss richig heißen: Bildung. Hinweis der Pressestelle des Bundesministeriums für Bildung und Forschung). Das ist übrigens mehr, als je in Deutschland investiert worden ist, und es ist übrigens auch ein Beschluss, der gegenläufig ist zu den Entwicklungen in vielen europäischen Ländern, wo im Moment aufgrund der Wirtschaftskrise die Ausgaben stagnieren. Wir gehen einen anderen Weg, wir wollen und werden mehr investieren.

    Herter: Das ist sicher richtig, denn Deutschland liegt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern auch zurück. Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat gesagt, dass das deutsche Bildungssystem im Vergleich zu dem anderer Länder mit 25 Milliarden Euro jährlich unterfinanziert sei. Hat er Recht?

    Schavan: Das sind viele Milliarden. Ob es 25 exakt sind, hängt je nach Rechnung ab. Aber Tatsache ist, dass zwölf von denen jedenfalls schon in den nächsten vier Jahren seitens des Bundes zur Verfügung gestellt werden. Ich glaube, wir müssen uns jetzt konzentrieren. Es geht im Wesentlichen darum, zum Beispiel den akademischen Mittelbau abzusichern, dafür zu sorgen, dass genügend Dozenten da sind, dass genügend Seminarplätze da sind, dass vor allen Dingen Studierende nicht den Eindruck haben, in überspezialisierte Bachelor-Studiengänge zu kommen, also die Mischung aus Korrektur der handwerklichen Fehler, freiem Zugang zum Master-Studium, obwohl nicht jeder in ein Master-Studium gehen wird - es gibt viele, die sind nach dem Bachelor in einen Beruf eingestiegen -, verbunden mit mehr Investitionen und ich finde im Blick auf die Demonstrationen auch das klare Gespräch mit den Studierenden. Sie müssen wissen, dass wir jetzt wirklich dabei sind, die Dinge zu korrigieren, dass wir investieren, und sie müssen spüren, dass es dann auch Verbesserungen vor Ort gibt. Da reichen nicht nur Beschlüsse.

    Herter: Einer Ihrer Parteifreunde – Sie haben die Ministerpräsidenten angesprochen -, Ole von Beust aus Hamburg, warnt vor Steuersenkungen, weil die auf Kosten der Bildung gehen könnten. Wie kommt er denn darauf?

    Schavan: Jeder weiß, dass Steuersenkungen nicht leicht zu verkraften sind im Blick auf die anderen Ausgaben, aber alle, auch die Ministerpräsidenten sprechen davon, dass wir in unserem Land angesichts der Wirtschaftskrise Wachstumskräfte brauchen, und ich sehe zwei Quellen für die Wachstumskräfte. Das eine ist eine Abgabenreduzierung oder Steuersenkung, die dem Bürger mehr Möglichkeiten der Investition gibt, auch mehr Investitionen, wenn es etwa um Studienfinanzierung geht, und andererseits Wachstumskräfte durch mehr Investitionen in die Bildung. Dazu zählt übrigens auch das BAFöG. Die Studenten demonstrieren dagegen, dass wir Stipendien einrichten, und sagen, das ist versus, also gegen BAFöG, gerichtet. Ich sage, im Koalitionsvertrag steht eindeutig, wir tun beides. Wir haben in der letzten Legislaturperiode das BAFöG deutlich erhöht, wir werden es jetzt wieder weiterentwickeln. Stipendien sind eine zusätzliche Investition, die bis zu zehn Prozent der Studierenden auch helfen wird.

    Herter: In Deutschland gibt es ein föderales System, das im Bildungswesen wirkt. Ist es nicht einfach überholt, weil es unkoordinierbar ist?

    Schavan: Es ist koordinierbar. Das hat der Bildungsgipfel gezeigt, das zeigt auch der Koalitionsvertrag, dem ja auch die Ministerpräsidenten, die zum Teil in den Koalitionen beteiligt waren, zugestimmt hat. Der Föderalismus muss sich jetzt erweisen als handlungsfähig und damit werden die Länder auch in einen Wettbewerb kommen um die besten Verhältnisse in ihren Universitäten. Die Studierenden werden sehr genau sehen, wo ist in den Universitäten nun vernünftig korrigiert worden, und werden dann sich am Ende für die Hochschulen entscheiden, wo die Verhältnisse am besten sind.

    Herter: Sie sprechen von handwerklichen Fehlern. Die Kultusminister haben an die Hochschulrektorenkonferenz appelliert, endlich mal Abschlüsse und Zwischenzeugnisse und so weiter gegenseitig anzuerkennen. Es ist eigentlich unglaublich, dass das nicht geschieht. Ganz kurz: Was muss da passieren? Müssen sich die verschiedenen Gremien, die es da gibt, auch verantwortlicher fühlen?

    Schavan: So ist es. Es hat keinen Sinn, dass die Verantwortung von einem auf den anderen geschoben wird. Die Vergleichbarkeit der Studiengänge ist ein essenzieller Teil dieser Bologna-Reform und deshalb ist der wichtigste Schritt, nicht überspezialisierte Studiengänge zu schaffen, bei denen Mobilität verhindert wird.

    Herter: Das war die Bundesbildungsministerin Annette Schavan über die Proteste der Studenten heute und die Kritik am deutschen Bildungssystem. Danke schön, Frau Schavan.

    Schavan: Bitte schön.