Donnerstag, 25. April 2024

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Wirecard-Skandal
Toncar (FDP): Scholz will sich aus der Schusslinie bringen

FDP-Politiker Florian Toncar hat im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal und der Rolle der BaFin Finanzminister Olaf Scholz kritisiert. Jetzt die Reform der Bankenaufsicht in den Vordergrund zu stellen, sei ein Ablenkungsmanöver und führe am Kern des Versagens vorbei, sagte Toncar im Dlf.

Florian Toncar im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 24.07.2020
Berlin, Pressestatements nach der Sitzung des Finanzausschuss Deutschland, Berlin - 01.07.2020: Im Bild ist Florian Toncar
Florian Toncar, Finanzexperte der FDP (mago-images.de/ Christian Spicker)
Die jahrelange Untätigkeit im Zusammenhang mit dem Skandal um den insolventen Finanzdienstleister Wirecard rückt auch die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, in den Fokus. Deswegen müssen sich nicht nur die Aufseher, sondern auch Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier viel Kritik gefallen lassen, eine Sondersitzung des Bundestags-Finanzausschusses in der kommenden Woche inklusive. Als Reaktion auf den Wirecard-Skandal plant Scholz jetzt eine Reform der Finanzaufsicht. Für dessen Vorgehen, diese Reform nun voran zustellen, kritisiert Florian Toncar, Finanzexperte der FDP und Mitglied des Bundestags-Finanzausschusses, den Bundesfinanzminister. Auch für das Verhalten der BaFin und ihre Aussage, sie sei gar nicht zuständig gewesen, findet Toncar klare Worte.
Jörg Münchenberg: Herr Toncar, ganz grundsätzlich: Mehr Macht für die Finanzaufseher, ist das der Schritt in die richtige Richtung?
Florian Toncar: Es ist jetzt erst mal der Versuch von Olaf Scholz, sich aus der Schusslinie zu bringen, indem er versucht, Vorschläge zu machen. Aber es erinnert mich ein bisschen daran, wie wenn die Polizei erfahren hat, es ist eine Geiselnahme geplant, sie beschattet den falschen Täter, und hinterher sagt sie, wenn wir einen schnelleren Streifenwagen gehabt hätten, dann hätten wir den richtigen gefunden. – Ich glaube, dass das am Kern des Versagens der Aufsicht vorbeiführt. Die hatte klare Hinweise auf Unregelmäßigkeiten, auf falsche Bilanzen bei Wirecard und hat es jahrelang nicht geschafft. Übrigens hat sie es am Ende auch nicht aufgedeckt, sondern Ernst & Young hat dann irgendwann gesagt, uns reicht es.
26.06.2020, Hessen, Frankfurt/Main: Schild vor dem Sitz der Bafin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) in Frankfurt am Main. 
Die Bankenaufsicht im Wirecard-Skandal - Was ist die BaFin?
Im Skandal um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard steht auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Fokus. Was sind die Aufgaben der BaFin und was wird ihr vorgeworfen?
Münchenberg: Ernst & Young, die Prüfungsgesellschaft, noch mal zur Klarstellung.
Toncar: Ganz genau. Deswegen ist das auch ein Stück weit ein Ablenkungsmanöver. Fast nichts von dem, was Olaf Scholz da sehr vage, sehr knapp aufgeschrieben hat, hätte wirklich geholfen, im Fall Wirecard schneller ans Ziel zu kommen.
"BaFin hatte starke Eingriffsmöglichkeiten"
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Lassen Sie uns mal die einzelnen Punkte ein bisschen durchgehen. Die BaFin, die Finanzaufsicht sagt ja, sie wäre letztlich gar nicht für Wirecard als Ganzes zuständig gewesen. Insofern ist es doch jetzt eigentlich schon ein guter Schritt zu sagen, ihr werdet gestärkt, eure Stellung wird gestärkt bei der Aufsicht.
Toncar: Die BaFin muss stärker werden. Aber es ist schlichtweg falsch und da widerspreche ich vehement, dass die BaFin nicht zuständig war. Wirecard war ein börsennotiertes Unternehmen und da haben wir im Wertpapier-Handelsgesetz umfangreiche Befugnisse, dass eine Aufsicht beim Verdacht auf Marktmanipulation – und den hatten wir ja hier; den hatte auch die BaFin ausweislich der Unterlagen gegen Wirecard – umfassend ermitteln kann, übrigens viel mehr ermitteln kann, als das ein Wirtschaftsprüfer wie Ernst & Young kann. Der darf das ja gar nicht. Die BaFin ist eine Art Polizeibehörde mit staatlichen Eingriffsmöglichkeiten, und die hatte sie auch in Bezug auf Wirecard. Deswegen ist die entscheidende Frage eigentlich: Warum sind denn die Hinweise, die es über Jahre hinweg gab, nicht so gewertet worden, dass man da mit allem Nachdruck ermittelt hat.
Da ist auch noch interessant zu sehen, wie eng doch auch Wirecard mit der Politik verwoben war. Es gab unterschiedlichste Treffen auf persönlichster Ebene noch im November zwischen dem Finanzstaatssekretär Kukies und dem Vorstand von Wirecard, ohne Protokoll, ohne Zeugen, und da wurde auch über die Vorwürfe gesprochen - das ist sehr, sehr verwunderlich -, bis hin zur Bundeskanzlerin, die sich, trotzdem die Vorwürfe schon in der Zeitung standen, noch im Ausland für das Unternehmen eingesetzt hat, und wir wollen schon wissen, hat Wirecard eine starke politische Lobby gehabt und hat das am Ende vielleicht dazu geführt, dass die Aufsicht nicht alles getan hat, was sie hätte tun können.
Der Sitz der Wirecard AG in Aschheim.
"Die Aufklärung zu 100 Prozent lückenlos vorantreiben"
Die Pläne von Olaf Scholz zur Reform der BaFin deuten in die richtige Richtung, sagte Grünen-Politiker Danyal Bayaz im Dlf. Doch die Basis dafür müsse Aufklärung sein und da zeige die Regierung zu wenig Engagement.
Münchenberg: Herr Toncar, lassen Sie uns trotzdem mal bei der Finanzaufsicht bleiben. Sie sagen, das reicht nicht aus und sie sei sowieso ohnehin zuständig gewesen. Die BaFin sagt, das sei nicht so gewesen. Sei es drum! – Was muss sich aus Ihrer Sicht denn ändern, oder wie weit muss es noch weitergehen als das, was Scholz jetzt vorgeschlagen hat?
Toncar: Na ja, dass die BaFin natürlich ungern Fehler eingesteht, ist ja klar. Aber ich glaube, da hätte ein Blick ins Gesetz geholfen. Was die BaFin wirklich braucht, ist was anderes, nämlich Fokussierung. Die BaFin ist bei jeder kleinen Volksbank jedes Jahr mehrfach auf der Matte. Das verursacht einen irren Aufwand und da werden zum Teil Regeln auch durchgesetzt, die eigentlich für international tätige Großbanken gedacht waren. Da müsste man doch über eine Priorisierung reden, dass man für Großbanken strenge Regeln anwendet, aber auch kleine mal ein bisschen arbeiten lässt und auch das Personal dann entsprechend dahin bringt, wo wirklich die großen Risiken und die komplexen Fälle sind und nicht im kleinen versucht, überall mitzureden. Das ist eine Frage der Prioritätensetzung und da, glaube ich, hapert es bei der BaFin am meisten.
"Auch Ernst & Young muss sich sehr ernsthafte Fragen stellen"
Münchenberg: Sie haben Ernst & Young, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft schon angesprochen, die ja Wirecard zehn Jahre lang immer Seriosität bescheinigt haben. Trifft letztlich nicht der Hauptvorwurf trotzdem die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und nicht die Politik?
Toncar: Nein, das sehe ich genau umgekehrt. Auch Ernst & Young muss sich sehr, sehr ernsthafte Fragen stellen, denn das ist ein Sicherungsnetz gewesen, das offensichtlich nicht gegriffen hat. Aber am Ende hat Ernst & Young gesagt, wir unterschreiben nicht. Die BaFin, die staatliche Finanzaufsicht wäre wahrscheinlich bis heute nicht dahintergekommen, dass dort etwas im Argen liegt.
Es gibt schon einen Unterschied zwischen einem privaten Wirtschaftsprüfer und einer staatlichen Behörde. Die BaFin ist eine Polizeibehörde. Erst mal bekommt sie Whistleblower-Hinweise. Insider dürfen sich an die Aufsicht wenden, vertraulich, und die Aufsicht kann dann diese Tipps auswerten. Das hat ein Wirtschaftsprüfer nicht. Der hat diesen Informationszugang nicht. Das ist der eine Unterschied.
Der andere ist: Die BaFin als Polizeibehörde darf auch mit staatlichen Zwangsmitteln ermitteln. Sie dürfte zum Beispiel auch bei einem Unternehmen, wo der Verdacht auf Marktmanipulation besteht, eine Art Razzia oder Hausdurchsuchung durchführen, die Computer beschlagnahmen, die Festplatten. Das wird auch gemacht. Genau das darf ein Wirtschaftsprüfer nicht und deswegen sehe ich in der Tat bei allen Vorwürfen auch an Ernst & Young und die Wirtschaftsprüfer, ehrlich gesagt, schon einen Unterschied zwischen dem Versagen der staatlichen Behörden und dem der Wirtschaftsprüfer.
"Es nicht so, dass die Aufsicht völlig blind war"
Münchenberg: Die Staatsanwaltschaft München spricht von gewerbsmäßigem Bandenbetrug bei Wirecard. Wir reden hier über einen DAX-Konzern. Das hat sich sicherlich kaum jemand so vorstellen können. Ist es nicht auch ein bisschen wohlfeil, jetzt die Aufsicht zu sehr an den Pranger zu stellen, weil sicherlich mit einem so ungeheuerlichen Vorgang kaum jemand gerechnet hat?
Toncar: Wenn Olaf Scholz genau das, was Sie gerade formuliert haben, so sagen würde, wir haben uns das nicht vorstellen können, dann wären wir schon einen Schritt weiter, weil ich glaube, dass das der Wahrheit näher kommt. Aber Olaf Scholz schreibt in seinem heute vorgelegten Papier, die Aufsicht hat alles richtig gemacht, und genau deshalb stellen wir auch bohrende Fragen.
Im Übrigen muss man aber auch zur Aufsicht sagen: Uns hat der Präsident der BaFin, Herr Hufeld, am 1.7. Im Finanzausschuss des Bundestages ausdrücklich bestätigt, dass seit 2016 in regelmäßigen Abständen sogenannte Whistleblower, sogenannte Hinweisgeber in Bezug auf Wirecard auf die Aufsicht zugekommen sind, dass es der Aufsicht aber am Ende nicht gelungen ist, daraus etwas Greifbares herauszudestillieren.
Insofern ist es nicht so, dass die Aufsicht völlig blind war und überhaupt nicht damit rechnen musste, dass bei Wirecard etwas im Argen liegt. Es gab Presseberichte sogar, die sich im Nachhinein von der Financial Times insbesondere als im Kern zutreffend erwiesen haben. Da hat die BaFin sogar die Journalisten, die diese Artikel verfasst haben über Bilanzprobleme bei Wirecard, angezeigt bei der Staatsanwaltschaft. Deutlicher kann man doch gar nicht sehen, dass die deutsche Finanzaufsicht trotz klarer Hinweise sich sehr stark die Sichtweise von Wirecard, alles falsch, alles Gerüchte zu eigen gemacht hat und sogar Journalisten dafür verfolgt hat, dass sie am Ende die Wahrheit geschrieben haben. Genau daher kommen auch unsere sehr, sehr kritischen Fragen in Richtung Olaf Scholz und die Aufsicht.
Sondersitzung als allerletzte Chance für die Regierung
Münchenberg: Herr Toncar, uns läuft ein bisschen die Zeit davon. Noch eine Frage hätte ich. Nächste Woche ist ja die Sondersitzung des Finanzausschusses. Ein möglicher Untersuchungsausschuss, bleibt das weiter eine Option?
Toncar: Das ist eine sehr, sehr naheliegende Option. Die Sondersitzung des Finanzausschusses ist die allerletzte Chance für die Regierung, reinen Tisch zu machen. Aber wenn sie sich selbst bescheinigt, alles richtig gemacht zu haben, dann glaube ich, dass wir tatsächlich mit den normalen Möglichkeiten nicht weiterkommen, und dann kommt ein Untersuchungsausschuss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.