Dienstag, 19. März 2024

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Wirkung von Alkohol
Betrunken macht auch das Gehirn, nicht nur die Leber

Für die berauschende Wirkung des Alkohols sind unter anderem Abbauprodukte verantwortlich, die vor allem in der Leber entstehen. Nun haben Wissenschaftler in den USA in Untersuchungen an Mäusen herausgefunden, dass nicht nur die Leber betrunken macht, sondern auch das Gehirn.

Von Magdalena Schmude | 29.03.2021
Weiße Maus auf einer Bierflasche
Das Team der Wissenschaftler in den USA will als nächstes herausfinden, ob sich ihre Ergebnisse aus den Untersuchungen mit Mäusen auch auf den Menschen übertragen lassen (imago / McPHOTO)
Li Zhang ist Neurobiologe und untersucht am National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism in Bethesda die Auswirkungen von Rauschmitteln auf das Nervensystem. Lange Zeit beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Wirkung von Cannabinoiden, doch dann fiel ihm auf, dass wir über die Wirkung von Alkohol auf das Gehirn bisher noch ähnlich wenig bekannt war.
"Wir wissen, dass die Alkoholvergiftung größtenteils durch den Abbau von Alkohol im Körper verursacht wird. Viele Jahre lang hat man sich dabei hauptsächlich auf die Leber konzentriert, die Alkohol verstoffwechselt, weil die Enzyme, die Alkohol abbauen, vor allem dort in großer Menge vorhanden sind. Die Leute haben sich deshalb hauptsächlich auf die Leber konzentriert und den Alkoholstoffwechsel im Gehirn praktisch ignoriert."
Illustration einer liegenden leeren Weinflasche in der ein Mann betrübt sitzt.
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Abbauprodukte verantwortlich für den Kater

In der Leber wird der Alkohol durch diese Enzyme zunächst in Acetaldehyd umgewandelt. Daraus wird anschließend in einem weiteren Schritt Acetat. Das Zwischenprodukt Acetaldehyd ist giftig für die Körperzellen und für den Kater am nächsten Morgen verantwortlich. Es steht auch im Verdacht, krebserregend zu sein. Acetat ist weniger aggressiv und kann vom Körper in den Zellstoffwechsel eingespeist werden. Beide Abbau-Produkte des Alkohols gelangen aus der Leber aber auch in den Blutkreislauf und von dort, so glaubte man bisher, ins Gehirn. Li Zhang verfolgte eine andere Spur.

"Es gab zwar Spekulationen darüber, dass Alkohol auch im Gehirn abgebaut werden kann, aber es war bisher sehr schwierig, das zu untersuchen. Im Gehirn fehlen einige der Enzyme, die Alkohol verstoffwechseln. Und die, die es gibt, sind nur in geringer Menge vorhanden."

Li Zhang wollte es genauer wissen. Im Zentrum seines Interesses: das Enzym ALDH2, das Acetaldehyd zu Acetat umwandelt.

"Als allererstes habe ich in dünnen Schnitten von Hirngewebe die Verteilung dieses Enzyms untersucht. Das war entscheidend, denn zuvor war nicht klar, wo ALDH2 im Gehirn von Menschen vorhanden ist. Mit einer sehr empfindlichen Methode konnte ich das Enzym im Kleinhirn nachweisen und dort vor allem in Zellen, die Astrozyten heißen und nicht in den Nervenzellen."

Im Gehirn von Mäusen waren Abbau-Produkte des Alkohols nachweisbar

Auch bei Mäusen fand Li Zhang diese Verteilung. Doch dass das Enzym im Gehirn vorhanden ist, sagt noch nichts über seine Rolle beim Alkoholabbau aus. Um die zu untersuchen, benutzten Li Zhang und sein Team Mäuse, bei der sie gezielt das ALDH2 in den Astrozyten im Kleinhirn oder das ALDH2 in der Leber ausschalten konnten. Dann spritzten sie diesen Mäusen eine Dosis Alkohol, die den Alkoholspiegel im Blut auf das Niveau eines Vollrausches brachte.

"Wenn im Gehirn der Mäuse das Enzym fehlt, sehen wir dort keinen Abbau von Alkohol in Acetat mehr. Es scheint, dass der Alkohol-Abbau im Gehirn dann blockiert ist. Das war bisher nicht gezeigt worden."

Bei den Mäusen, denen das ALDH2 in der Leber fehlte, fanden die Forschenden dagegen weiterhin die Abbau-Produkte von Alkohol im Gehirn. Aus der Leber können die aber nicht mehr kommen.

"Das Gehirn ist also der dominierende Ort, an dem Alkohol abgebaut wird und an dem die Abbau-Produkte auch nachweisbar waren."

Alkohol und Problem mit dem Gleichgewicht

Li Zhang vermutete außerdem, dass das Acetat, das im Gehirn entsteht, mit dafür verantwortlich ist, dass Betrunkene Probleme mit dem Gleichgewicht bekommen und ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren können. Bisher wurde dieser Effekt hauptsächlich dem Alkohol selbst zugeschrieben. Seine Tests mit den Mäusen bestätigten die Vermutung: Mäuse, denen ALDH2 in den Astrozyten des Kleinhirns fehlte, waren trotz Alkohol im Blut in der Lage, sich ähnlich lange auf einer rotierenden Rolle zu halten wie nüchterne Mäuse. Fehlte das Enzym in der Leber, beeinträchtigten der Alkohol und seine Abbauprodukte weiterhin die motorischen Fähigkeiten der Mäuse.

Wie genau diese Wirkung im Gehirn entsteht, ist noch nicht eindeutig geklärt. Li Zhang und sein Team wollen als nächstes herausfinden, ob sich ihre Ergebnisse aus den Untersuchungen mit Mäusen auch auf den Menschen übertragen lassen.

"Bisher wussten wir nicht besonders viel über den Alkoholstoffwechsel im Gehirn oder die Rolle, die ALDH2 dabei hat. Wir fangen gerade wieder ganz am Anfang an. Wir haben gezeigt, dass es dieses neue Gebiet gibt, das wir bisher ignoriert haben, und auf das wir mehr Aufmerksamkeit richten sollten."