Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Wirtschaft und Tourismus
Der Brexit wirft seinen Schatten auf Londonderry

Im nordirische Londonderry haben beim Brexit-Referendum fast 80 Prozent für den Verbleib in der EU gestimmt. Sollte es im Zuge des Austritts wieder eine Grenze zur Republik Irland geben, drohen Zölle die ohnehin schwache Wirtschaft zu belasten. Und die Menschen haben Angst, dass neue Grenzanlagen den einst so blutigen Nordirland-Konflikt wiederbeleben könnten.

Von Friedbert Meurer | 14.12.2016
    Die Gemeinden der Region protestieren mit einem Plakat dagegen, dass die Grenzanlagen zurückkehren
    Die Gemeinden der Region protestieren mit einem Plakat dagegen, dass die Grenzanlagen zurückkehren (Deutschlandradio / Friedbert Meurer)
    Es herrscht viel Verkehr an der Grenze zwischen dem nordirischen Londonderry und der Republik Irland. Ein Verkehrsschild weist daraufhin, dass in Irland jetzt Tempo 100 km/h gilt – und nicht mehr 60 Meilen wie in Nordirland. George Fleming hat seinen Regenschirm aufgespannt und erinnert sich, wie er täglich hier früher von der Republik aus über die Grenze nach Londonderry zur Schule fuhr.
    "Unser Schulbus hielt erst an der Seite der Republik an, wir bekamen einen Stempel in ein Buch, jeden Tag einen. In Derry mussten wir dann durchs Katholikenviertel zu meiner protestantischen Schule. Und nach der Schule dann das gleiche noch einmal."
    Es fällt heute kaum mehr auf, dass hier eine Staatsgrenze verläuft - wenn da nicht das gelbe Plakat wäre. "Grenzgemeinden gegen den Brexit" steht darauf und "Respektiert unser Votum für Remain", also für die EU. Fast 80 Prozent in Derry, wie es die meisten Katholiken nennen, haben gegen den Brexit gestimmt.
    Eine Grenze wäre schlecht fürs Geschäft
    "Meine Mitarbeiter fahren heute jeden Tag über die Grenze", erzählt Fleming, der heute auf nordirischer Seite landwirtschaftliche Maschinen verkauft. "Wenn es hier wieder eine harte Grenze geben sollte, müssen wir mit täglich zwei Stunden Wartezeit rechnen. Das ist schlecht für meine Leute und für unser Geschäft über die Grenze hinweg."
    Ein Café in Londonderry. Jennifer McKeever ist gebürtige Kanadierin und mit einem Nordiren verheiratet. Ihr gehört ein Busunternehmen, das Geschäftsleute und Touristen stündlich von den beiden Flughäfen Belfasts hierher befördert. Londonderry ist mit seiner hübschen Altstadt nach den "Troubles", den blutigen Unruhen, ein lohnendes und attraktives Ziel für Touristen geworden.
    "Die Fahrt dauert eineinhalb Stunden. Von hier sind es dann weiter nur ein Stunde zum Giant`s Causeway", der großen Touristenattraktion mit den Basaltsäulen am Meer. "In Donegal nebenan hinter der Grenze sind die großen Golfplätze. In dem Moment, in dem sie das trennen, kommen weniger Touristen."
    Die Regierung in London beschwört immer wieder, dass die Grenze hier auf keinen Fall wieder hochgefahren werden soll, wenn sie nach einem Brexit zur EU-Außengrenze wird. Man finde da eine Lösung. Jennifer McKeever glaubt nicht daran.
    "Wie soll es denn keine harte Grenze geben, wenn es in dem Referendum rhetorisch so viel um die Kontrolle von Einwanderung ging? Wir verstehen nicht, wie man dann einfach über die Grenze gehen kann wie Sie vor 15 Minuten, ohne es zu merken."
    Im Zentrum befindet sich das Büro der Handelskammer. Einige Mitglieder unterhalten sich gerade über die Folgen des Brexit. Gareth Patterson hat seinen Betrieb in Irland, er verkauft Saatgut und Futtermittel. Er fürchtet nicht, dass es wieder zu Personenkontrollen kommt – aber zu Stichproben wegen der Zölle.
    Iren fürchten die Erhebung von Zöllen
    "An der Grenze wären Zölle von 20 bis 50 Prozent natürlich ein Handelshemmnis Unsere Margen sind sehr gering, das wäre das Ende des grenzüberschreitenden Handels."
    Auch hier beteuert London, man wolle mit dem Brexit keine Zölle gegenüber Irland einführen. Wenn aber Großbritannien nach dem Brexit eigene Handelsabkommen mit anderen Ländern abschließt, würde es auf jeden Fall schwierig werden mit Produkten aus genau diesen Drittländern. Bliebe als Trost, dass das Pfund jetzt ein Fünftel weniger wert ist.
    "Wir hatten den besten Sommer überhaupt, Einzelhandel und Tourismus", meint Gavin Killeen, seine Firma druckt Labels für Lebensmittel. "Aber das korrigiert sich von selbst wieder nach einiger Zeit. Das ist nicht von Dauer."
    Neben der Handelskammer liegen die 400 Jahre alte und komplett erhaltene Stadtmauer von Londonderry und die "Peace Lines", die sogenannten Friedensmauern. Hinter dem River Foyle sieht man die katholische Bogside. Eine Garage ist schwarz angemalt mit weißem Schriftzug: "Wir geben nicht auf, wir werden weiter belagert."
    "Heute leben wir friedlich nebeneinander"
    "Früher war auf der Mauer Stacheldraht. Es flogen Steine und mit Benzin gefüllte Flaschen. Und da unten auf der Bogside, da ereignete sich der Bloody Sunday", der Blutsonntag von 1972. Sinead McLaughlin, Chefin der Handelskammer, und George Fleming, dessen Schule direkt vor uns liegt, betonen, wie viel sich geändert hat gegenüber früher. "99 Prozent der Zeit leben beide Seiten friedlich miteinander. Ärger gibt es nur noch im Sommer während der Paraden."
    Ein Wandgemälde an einem Haus erinnert an die Opfer des "Bloody Sunday", den Blutsonntag von Londonderry am 30. Januar 1972, als eine irisch-nationalistischen Demonstration durch britische Sicherheitskräfte niedergeschlagen wurde.
    Ein Wandgemälde an einem Haus erinnert an die Opfer des "Bloody Sunday", den Blutsonntag von Londonderry am 30. Januar 1972, als eine irisch-nationalistischen Demonstration durch britische Sicherheitskräfte niedergeschlagen wurde. (picture-alliance/ ZB )
    Londonderry, einst ein Zentrum der Gewalt, blüht wieder auf. Der Brexit aber wirft einen Schatten auf die Zukunft der Stadt. George Fleming hat während seiner Schulzeit x-mal einen Bombenalarm erlebt, die Schule wurde immer wieder evakuiert. Dass es jetzt so friedlich sei, halte man für selbstverständlich. Aber das könne sich ändern – wegen des Brexit. Davor warnen fast alle hier.
    "Wenn wieder Polizisten an der Grenze stehen, dann sehen das bestimmte Elemente als sektiererisch an. Checkpoints würden das Überqueren der Grenze schwermachen. Und am Ende fangen die Unruhen wieder an."