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Wirtschaftsbeziehungen
"China greift auch zu unfairen Maßnahmen"

Ausländische Investoren in China dürften nicht auf dieselbe Weise agieren, wie es umgekehrt chinesische Unternehmen hier tun könnten, kritisiert Volker Treier, Außenwirtschaftsleiter beim DIHK. China sei längst noch keine hunderprozentige Marktwirtschaft, führte er im DLF aus.

Volker Treier im Gespräch mit Thielko Grieß | 11.06.2016
    Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier
    Volker Treier, Außenwirtschaftsleiter des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (picture-alliance / dpa/Hannibal Hanschk)
    Thielko Grieß: Chinas Investitionen in Deutschland und umgekehrt, das ist jetzt unser Thema in den nächsten Minuten mit dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer und Fachmann für Außenhandel vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Guten Morgen, Volker Treier!
    Volker Treier: Guten Morgen, Herr Grieß!
    Grieß: Verhält sich China unfair?
    Treier: China ist in einer schwierigen Situation. Es muss sein ganzes Geschäftsmodell im Moment ändern und einen riesigen Transformationsprozess bewältigen, und dabei greift es wieder zu Maßnahmen oder wieder verstärkt zu Maßnahmen, die auch unfair sind.
    Grieß: Und Sie haben Verständnis dafür, weil der Transformationsprozess einfach so schwierig ist?
    Treier: Ich verstehe, was vielleicht die Intention ist. Also sie ist erklärbar, aber das macht es dann auch nicht besser, weil ich auch denke, dass der Transformationsprozess, den das Land vor sich hat, nämlich von einer exportgetriebenen Billigproduktion, durch vielfach staatliche Investitionen, ein angeschobenes Wirtschaftswachstum mit hohen Kapazitäten hin zu stärker konsumgeprägt, umweltorientiert, stärker auch auf Dienstleistungsunternehmen orientiertes Modell, dass das kein leichtes Unterfangen ist. Und dass man dabei jetzt versucht, zumindest die Teile sehr zu schützen, die man mühsam aufgebaut hat.
    Grieß: Was kritisieren Sie genau, Herr Treier, als unfair?
    Treier: Ja, wenn ausländische Investoren, die in China auch mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten möchten beziehungsweise auch Unternehmen, die mittlerweise auch interessant sind, die technologisch auch wertvoll sind, diese Zusammenschlüsse nicht so durchführen können wie umgekehrt chinesische Unternehmen in Europa, dann ist das anzugehen.
    Offenlegungspflicht von Technologie
    Grieß: Also Sie meinen konkret, dass man sich als deutsche Firma immer noch in China ein Joint Venture, einen Partner suchen muss, um überhaupt dort tätig zu sein?
    Treier: Das ist richtig, das ist in vielen Sektoren der Fall. Und das gilt auch im Automobilbereich oder im Schienenfahrzeugbereich, also in Bereichen, in denen die deutsche Industrie stark ist. Es sind aber auch andere Sachverhalte vorzulegen – und vielleicht kann die Bundeskanzlerin sie ansprechen bei ihrer Reise. Wenn es nämlich für Investitionsgenehmigungen vor Ort zu einer Offenlegungspflicht von Technologie kommt, das ist regional unterschiedlich, aber durchaus der Fall. Und bei öffentlichen Ausschreibungen verlangt die chinesische Seite, dass man bis zu teilweise 80 Prozent lokal dort fertigen muss, nachweisen muss, dass alles aus China kommt. Das ist ganz schwierig, und das sind nicht die normalen Bedingungen, unter denen Marktwirtschaften agieren.
    Grieß: Ist China eine Marktwirtschaft?
    Treier: China ist sicherlich in dem jetzigen Zustand noch keine hundertprozentige Marktwirtschaft. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass damals, als China in die WTO gekommen ist, man China avisiert hat, dass sie den Marktwirtschaftsstatus im Jahr 2016 erhalten werden.
    Grieß: Im Dezember.
    Treier: Ja, insofern plädieren wir dafür, die einzelnen Sektoren anzusehen, wo China schon den Grad einer Marktwirtschaft hat, und das ist durchaus der Fall, und die anderen Sektoren, wo das noch nicht der Fall ist, klar zu benennen.
    Dialog über Chinas Marktwirtschaftsstatus erwünscht
    Grieß: Das wird eine Entscheidung sein, die die Europäische Union zu treffen hat, insbesondere im Europäischen Parlament. Sollte es so sein – das nur zum Hintergrund, Sie wissen das, Herr Treier, aber vielleicht nicht jeder unserer Hörerinnen und Hörer –,dass China als Marktwirtschaft eingestuft werden wird, dann wird es auch schwieriger, zum Beispiel gegen Dumpingvorwürfe vorzugehen. Etwa gegen den Vorwurf, China überschwemme die Welt etwa mit Stahl, dessen Preise staatlich gestützt und staatlich niedrig gehalten werden. Sie sagen also, China ist keine Marktwirtschaft, die Europäische Union darf diesen Status nicht gewähren.
    Treier: Ich sage, wir müssen mit den Chinesen in den Dialog treten, an welcher Stelle sie schon auch Marktwirtschaftsstatus haben, also in welchen Branchen, in welchen Sektoren und in welchen anderen nicht und woran es noch hapert. Also die ganz pauschale Ablehnung, da bin ich auch dagegen, weil China natürlich sich über die Jahrzehnte aufgemacht hat, immer mehr marktwirtschaftliche Elemente einzuführen. Jetzt kommt es zugegebenermaßen zu einem Rückschritt im Moment, und das müssen wir deutlich machen. Also ich bin gegen eine pauschale Ablehnung, aber auch gegen eine pauschale Zuerkennung.
    Grieß: Würden Sie einen Sektor nennen, Herr Treier, in dem China marktwirtschaftlich agiert?
    Treier: Die Unternehmen schätzen die Situation ein, dass zum Beispiel im Handel ist es vielfach möglich, auch tätig zu sein, es ist vielfach möglich, in Unternehmensberatungssektoren, -branchen tätig zu sein, ohne dass es zur staatlichen Einflussnahme kommt. Es sind so klassische Industriebranchen, in denen China ganz vehement nach wie vor ihre eigenen Unternehmen unterstützt, staatlich subventioniert und gleichermaßen von ausländischen Konkurrenten Dinge verlangt, die wir so nicht tun.
    Staatlicher Einfluss in klassischen Industriezweigen
    Grieß: Also zum Beispiel die Maschinenindustrie?
    Treier: Maschinenindustrie, Stahlbau, Hochöfen, auch Fahrzeugbau, Schienenfahrzeuge, große Infrastrukturprojekte, auch in der chemischen Industrie kommt es zu Einflüssen, die nicht einer Marktwirtschaft würdig sind.
    Grieß: Und dabei muss man bleiben, auch wenn man den Ärger Chinas fürchten muss und möglicherweise den Ärger derjenigen, die in diesem großen Markt das Sagen haben.
    Treier: Ja, China ist für uns ein riesiger Markt, es ist für uns der wichtigste Importmarkt Deutschlands und vom Exportmarkt an fünfter Stelle mit einem hohen Potenzial. Deutsche Unternehmen haben Kapitalstöcke, das heißt Produktionsanlagen aufgebaut im Wert von mittlerweile fast 60 Milliarden Euro. Chinesen wiederum in Deutschland, wenn man die Wertgegenstände der chinesischen Beteiligungen heute bewertet, liegt das bei nicht viel mehr als bei zwei bis drei Milliarden Euro. Das heißt, von unserer Seite ist ein großes Interesse, dass China uns als Wirtschaftspartner nicht abhandenkommt. Deswegen müssen wir die Probleme benennen, dürfen dabei aber auch nicht die Tür des Dialoges zuschlagen.
    Grieß: Sprechen wir über einen Fall, der in den letzten Tagen Aufsehen erregt hat: das chinesische Interesse an einem deutschen Roboterhersteller, Kuka, mit Sitz in Augsburg. Sollte es so kommen, wie die Chinesen sich das wünschen, dann wäre das der größte Einstieg, was die Eurosumme angeht, in den deutschen Markt – es soll da um 4,5 Milliarden Euro gehen. Das alles ist noch nicht unter Dach und Fach, aber die Sorgenfalten sind schon groß bei jenen, die den Ausverkauf von Technologie fürchten nach China. Zählen Sie auch zu dieser Gruppe?
    Treier: Also der Verkauf dieses Unternehmens ist zunächst eine marktwirtschaftliche, private Entscheidung, insofern müssen das die deutschen Anteilseigner entscheiden, und es ist hier weniger der Ratschlag der Politik oder die Einflussnahme der Politik gefragt und insofern auch nicht meine Kommentierung. Wenn das Unternehmen, die heutigen Anteilseigner meinen, dass sie das verkaufen, und wenn anderweitig auch keine deutschen oder westliche Interessenten an Kuka da sind, dann spricht nichts dagegen, das auch zu verkaufen. Aber man sollte diesen Fall dann auch nutzen, um zu sagen: Wenn das bei uns möglich ist, dann muss das Gleiche in China möglich sein. Und da sind wir eben noch nicht so weit.
    China ist wichtig für die deutsche Wirtschaft
    Grieß: Also vorher sozusagen, das als Bedingung möglicherweise zu machen. Aber Herr Treier, das gilt ja auch als ein Symbol, nämlich als ein Symbol, dass die deutsche Industrie womöglich eine ihrer Stärken dabei ist zu verlieren, weil sie nicht aufpasst, wer da was kauft. Können Sie das nachvollziehen?
    Treier: Das kann ich sehr wohl nachvollziehen, wir müssen aber die Proportionen uns auch ansehen. China ist für uns als Investitionsmarkt heute schon viel wichtiger und viel stärker und dementsprechend für Außenhandel, aber letztlich auch für Arbeitsplätze in Deutschland wichtiger als Deutschland für China. Und deshalb müssen wir achten, dass wir nicht hier eine Tür zuschlagen und unsere eigenen Kriterien, nämlich wie Unternehmensaufkäufe oder wie sich Unternehmensbeteiligen abfolgen lassen, dass wir die jetzt hier nicht ändern, nur weil wir es hier mit einem anderen Land zu tun haben. Aber wir sollten es nutzen und gleichzeitig verdeutlichen, dass China selbst sich aufmachen muss, diese Kriterien, die wir ihnen gewähren, auch auf sich selbst dann beziehen lassen zu können.
    Grieß: Die deutsche Industrie braucht also in Ihren Augen keinen politischen Schutz?
    Treier: Die deutsche Industrie braucht eine politische Ansprache auf der angemessenen Ebene zu anderen politischen Akteuren, die das Regulierungsumfeld setzen. Und das ist die chinesische Regierung, und die Reise der Bundeskanzlerin bietet jetzt im Moment da einen wunderbaren Anlass. Natürlich steht dieser Fall Kuka und die Beteiligung der Chinesen an diesem Unternehmen jetzt im Raum, und dadurch kann man auch die Regulierungsfrage möglicherweise ganz konkret ansprechen und von den Chinesen das Gleiche fordern, was wir ihnen prinzipiell gewähren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.