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Wirtschaftsexperte: Sarkozys Aktionismus in der Krise gut

Der Chef des deutsch-französischen Institut Ludwigsburg, Frank Baasner, ist der Meinung, dass Frankreichs Wirtschaft über Jahre strukturelle Probleme mit sich herumgetragen habe, die nie angepackt worden seien. Der Vorwurf, Präsident Sarkozy verspiele im Moment sein Ansehen, sehe er nicht, denn "das ist schon geschwunden".

Frank Baasner im Gespräch mit Gerwald Herter | 16.08.2011
    Gerwald Herter: Obwohl wir die Finanzkrise noch längst nicht hinter uns haben, ist zuletzt am Wochenende wieder deutlich geworden, dass der Handlungsspielraum der Bundesregierung hier begrenzt ist. Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU, pocht auf parlamentarische Rechte. Wie sieht das in Frankreich aus? Von was wird Sarkozys Marge de Manœuvre bestimmt? Professor Doktor Frank Baasner kann uns hier Auskunft geben. Er ist Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, und mit ihm bin ich jetzt verbunden. Guten Tag, Herr Basner!

    Frank Baasner: Ja, guten Tag!

    Herter: Die französische Nationalversammlung, die Assemblée nationale, gilt als schwaches Parlament. Bestätigt sich dieses Vorurteil auch jetzt in der Finanzkrise?

    Baasner: Sicherlich ist es richtig, dass die Assemblée im Unterschied zum Bundestag ganz anders aufgestellt ist im institutionellen Gefüge der französischen Republik, und alle erwarten auch von einem Staatspräsidenten und von seinem Premierminister, egal ob der nun eher dem bürgerlichen Lager angehört oder auf der Linken zuhause ist, erwarten einfach entschlossenes Handeln, klare Ansage, in welche Richtung man marschieren muss, und in Frankreich ist es leichter, Gesetzesvorhaben durch die Organe, also die beiden Kammern, zu bringen, als das in Deutschland der Fall ist, das ist sicherlich richtig.

    Herter: Wir erklären vieles, was der französische Präsident Sarkozy derzeit macht, und was er auch in den letzten Monaten gemacht hat, mit Präsidentschaftswahlkampf. Ist das ein Kurzschluss oder verstärkt das sozusagen seinen Drang nach Aktionismus noch?

    Baasner: Wir alle haben ja Sarkozy kennengelernt mit der Zeit, und es ist schon richtig, dass er vom politischen Stil her, von der Persönlichkeit her ein Aktionsmensch ist. Vieles von dem, was er angestoßen hat, ist noch lange nicht am Ende, deswegen ist der Vorwurf des Aktionismus immer wieder richtig gewesen. Aber ich glaube, es stimmt auch, dass er in schwierigen Momenten, wo schnelles entschlossenes Handeln nötig ist, eigentlich eine gute Figur abgibt. Denken wir zurück, als Frankreich EU-Präsidentschaft innehatte, die Georgienkrise, da hat man hinterher sagen müssen, gut gemacht! Also in der Not sozusagen ist entschlossenes Handeln vielleicht gar nicht so verkehrt, und ich würde nicht sagen, dass das, was er jetzt versucht, auch die Sparrunde, die erneute, dass man das jetzt auf den Wahlkampf buchen sollte. Denn bekanntlich ist es ja unpopulär zu sparen. Das würde ich eigentlich eher so sehen, dass er im Moment versucht, in der Rolle des Staatsmanns, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, zu punkten und durchaus dann auch in Richtung Wahl zu punkten.

    Herter: Aber er steht doch sehr stark unter Druck im Präsidentschaftswahlkampf!

    Baasner: Das ist richtig! Das liegt aber nicht daran, dass er heute was falsch macht, sondern dass er über einige Zeit Erwartungen enttäuscht hat, einfach nicht Dinge zu Ende gebracht hat, und eben gleichzeitig den Stil doch etwas gebrochen hat, den in Frankreich die Präsidenten eigentlich haben sollten: Sein Verhältnis zum Geld, der Umgang mit seinem Privatleben, das hat eigentlich viel geschadet, sodass ich eigentlich heute gar nicht so den Punkt sehe, dass er im Moment sein Ansehen verspielt. Das ist schon geschwunden.

    Herter: Aber Frankreich hat Angst, ins Visier der Spekulanten zu geraten. Vor einigen Tagen war das ja sogar mal schon der Fall. Ist es berechtigt, auch deswegen, weil Sarkozy in der Wirtschaftspolitik seine Hausaufgaben nicht gemacht hat?

    Baasner: Es ist richtig, dass Frankreichs Wirtschaft – und das liegt wiederum nicht nur an Sarkozy – über Jahre strukturelle Probleme mit sich herumgetragen hat, die nie angepackt wurden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In zehn Jahren zwischen 2000 und 2010 ist der Industrie-Produktionsanteil am gesamten Bruttoinlandsprodukt von 19 auf 14 Prozent gesunken. Das ist englisches Niveau, und alle Franzosen haben aber gesagt früher: Thatcher verkauft die englische Industrie und gibt sie preis, sozusagen. Da liegt ein strukturelles Problem, das führt halt eben dazu, dass Frankreich jetzt bei den boomenden Schwellenländern eigentlich nichts richtig mitgemacht hat mit seinem Wirtschaftswachstum. Das sind strukturelle Dinge, und da ist schon richtig, dass auf Dauer gekoppelt mit mangelnden Reformen in den großen sozialen Sicherungssystemen schon dazu führt, dass Frankreich ein massives Haushaltsproblem hat – von daher sind diese Sorgen um die Ratingagenturen nicht ganz unbegründet!

    Herter: Also ein massives Haushaltsproblem, trotz der Kontrolle durch die Eurostaaten, die man da eingeführt hat, die Maastricht-Kriterien und so weiter. Man kann die Einführung des Euro selbst letztlich als Zugeständnis Deutschlands an Frankreich betrachten, und Merkel hat sich ja offenbar mit dem Begriff der europäischen Wirtschaftsregierung inzwischen etwas angefreundet. Die Europäische Zentralbank hat ein wenig von ihrer Unabhängigkeit verloren. Muss man bilanzierend sagen, dass sich Frankreich gegenüber Deutschland auf der ganzen Linie durchsetzt?

    Baasner: Wenn das so eine klare Linie wäre, könnte ich die Frage einfach beantworten! Richtig ist, dass dieser merkwürdige deutsche Reflex, jedes Mal, wenn man Wirtschaftsregierung sagt, haben die Deutschen ja immer gedacht, man will die Unabhängigkeit der Zentralbank schwächen. Das ist ja nicht unbedingt der Fall! Schauen Sie nach Japan, schauen sie in die USA, da haben Sie auch eine relativ unabhängige Zentralbank, und trotzdem haben Sie da eine Wirtschaftsregierung; ich glaube, wir brauchen diesen Gesprächspartner, hat jeder eingesehen, eben auch in Deutschland – wir brauchen eine koordinierte Finanz- und Wirtschaftspolitik! Dass die nicht einfach umzusetzen ist, ist, glaube ich, genau so klar. Schauen Sie, in Deutschland können Sie nicht einfach hingehen und so etwas dekretieren. Da wird ihnen das Verfassungsgericht sofort einen Strich durch die Rechnung machen, wenn Souveränitätstransfer weitergeht. Auch andere Länder werden das nicht einfach ohne Verfassungsänderung tun können. Ich denke, wir haben hier einen Weg vor uns, aber die Richtung ist klar. Und wenn das die französische Linie ist, dann haben sich die Franzosen in der Tat durchgesetzt.

    Herter: Das war der Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, Professor Doktor Frank Baasner über die Hintergründe des Treffens zwischen Sarkozy und Merkel. Vielen Dank!

    Baasner: Vielen Dank!


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