Freitag, 19. April 2024

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Wirtschaftshistoriker
Erstarken des Populismus als Folge der Finanzkrise

Es gebe eine klare Linie zwischen dem Ausbruch der Finanzkrise vor zehn Jahren und dem Erstarken des Populismus, sagte Wirtschaftshistoriker Adam Tooze im Dlf. Die Politik habe es nicht geschafft, wirtschaftliche Zusammenhänge zu vermitteln und festzulegen, welche wirtschaftliche Entwicklung gesellschaftlich gewollt sei.

Adam Tooze im Gespräch mit Petra Ensminger | 16.09.2018
    Anzeigetafel mit fallender DAX-Kurve an der Frankfurter Börse | imago stock&people / Xinhua
    Folgen von 2008 nach wie vor spürbar: Börsenhändler in Frankfurt (imago stock&people / Xinhua)
    Zehn Jahre nach dem Beginn der globalen Finanzkrise seien die wirtschaftlichen Folgen noch deutlich sichtbar, sagt der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. Vor allem der Süden Europas leide unter hoher Arbeitslosigkeit.
    Aber auch Deutschland steht nach Ansicht des Wirtschaftshistorikers von der Columbia University weniger gut da, als viele Menschen glauben. Das neue deutsche Wirtschaftswunder sei vor allem ein Effekt der politischen Rhetorik. Langfristig setze man sich mit einer exportorientierten Strategie großen Risiken aus. Im Falle einer Rezession an anderen Märkten - beispielsweise in China, anderen europäischen Ländern oder in den USA - würden diese Exporte wegfallen, warnte Tooze. Zwar habe die Binnennachfrage in den vergangenen fünf Jahren angezogen, er betonte aber zugleich, dass Deutschland keine selbsttragende konjunkturelle Entwicklung habe.
    Politik fehlt es an Volksnähe und Führung
    Wie andere Wissenschaftler erkennt auch Tooze einen Zusammenhang zum Erstarken des Populismus. Es gebe eine klare Linie zwischen der Finanzkrise 2008 und dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2016. Es fehle in der Politik an Volksnähe, Inspiration und an Rhetorik, die komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge auch vermitteln könne und festlege, welche wirtschaftliche Entwicklung gesellschaftlich gewollt sei. Ohne den Mut zu Führung und einer weitsichtigen Politik setze man sich einfach den Strömen der wirtschaftlichen Entwicklung aus.
    Tooze bezeichnete das Ausmaß der Krise als historisch zuvor nie dagewesenes Ereignis. Aus der Erfahrung, dass das globale Wirtschaftssystem am Abgrund stand, habe man aber auch wichtige Lehren gezogen: über das Geschäftsgebaren der großen Banken, deren Regulierung und wie man technisch mit einer akuten Krise umgehen müsse. Es fehle allerdings, bis auf wenige Ausnahmen wie etwa in Frankreich unter Präsident Macron, an einer Politik, die auch bereit sei, diese Instrumente anzuwenden.
    Aktuell keine Anzeichen für erneuten Zusammenbruch
    Einen erneuten Zusammenbruch ähnlichen Ausmaßes wie 2008 wolle Tooze nicht ausschließen, allerdings seien dafür aktuell keinerlei Anzeichen und Strukturen erkennbar. Unter anderem deshalb, weil die europäische Wirtschaft sich nicht mit genügend Dynamik entwickele. Eine zentrale Folge der Krise sei eine geo-politische und geo-ökonomische Machtverschiebung zwischen dem Westen und China. Die Zukunft der Weltwirtschaft hänge deshalb vor allem von der Entwicklung in China ab, das 30 Prozent des globalen Wachstums auf sich vereine, mehr als Europa und USA zusammen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.