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Wirtschaftsweiser: "Da wird mit Trippelschritten vorgegangen"

Die Bundesregierung weist Warnungen von Wirtschaftsexperten zum Umgang mit der Euro-Krise als überzogen zurück. Lars P. Feld, Mitglied im Sachverständigenrat, hält einen Schuldentilgungsfonds für unabdingbar - zumal er eben nicht eine komplette Vergemeinschaftung der Staatsschulden bedeuten würde.

Lars P. Feld im Gespräch mit Dirk Müller | 26.07.2012
    Dirk Müller: Der Vorwurf ist deutlich, unmissverständlich, drastisch: "Wir glauben, dass Europa schlafwandelnd auf eine Katastrophe mit unkalkulierbarem Ausmaß zusteuert", schreiben 17 Wirtschaftswissenschaftler aus Europa den Regierungschefs und Finanzministern der EU ins Stammbuch. Zu zögerlich, zu kleinlich, zu wenig zielführend, wieder einmal Fachleute, die die Handelnden auf dem Kontinent aufrufen, endlich entschieden und vor allem richtig zu handeln.

    - Einer der Autoren ist der Wirtschaftsweise Professor Lars Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts an der Universität in Freiburg, zugleich Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Lars P. Feld: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Feld, warum hören die Politiker nicht auf Sie?

    Feld: Das weiß ich nicht ganz genau. Aber ich gehe davon aus, dass die Politik große Zweifel hat, mit wirklich umfassenden Maßnahmen gegen die Euro-Krise vorzugehen. Sie könnten sagen, da wird mit Trippelschritten vorgegangen, man versucht also, immer wieder dann, wenn ein neues Problem auftritt, die Probleme aus dem Weg zu räumen. Eine umfassende Lösung ist dabei nicht in Sicht – vor allen Dingen auch, weil die Bundesregierung befürchtet, dass sie zu sehr in Haftung genommen wird.

    Müller: Und hat sie damit Recht, die Bundesregierung?

    Feld: Auf der einen Seite hat sie damit Recht, dass sie vorsichtig ist, denn man muss ja bei diesen umfassenden Lösungen immer auch aufpassen, was von der Gegenseite an Sicherheiten geliefert wird, also was die Länder, die bei einer gemeinschaftlichen Haftung vor allen Dingen profitieren, bieten können, damit sichergestellt ist, dass die Bundesregierung ihr Geld wieder zurückbekommt. Aber auf der anderen Seite löst das nicht die Probleme auf den Finanzmärkten und die Anleger werden nun immer nervöser.

    Müller: Sie sind ja Mitunterzeichner dieser Petition, deswegen reden wir über diese Petition. Warum zögern denn die führenden, die handelnden Politiker, einen Schritt weiter nach vorne zu gehen? Das heißt, Ihre Kritik geht ja vor allem auch dahin, zu sagen, wir brauchen unbedingt diesen Schuldentilgungsfonds, um zunächst einmal Zeit zu gewinnen, um schnell reagieren zu können, um dann die Sanierung vorbereiten zu können.

    Feld: Die Politik unterschätzt das systemische Element, die systemische Eigenschaft dieser Krise. Sie sieht unzureichend, dass die Anleger auf den Finanzmärkten befürchten, ihr Geld nicht mehr wiederzubekommen, wenn es in Euro angelegt ist. Im Moment ist es tatsächlich so, dass viele Anleger das Auseinanderbrechen der Euro-Zone befürchten. Und wenn immer mehr Anleger sich aus Europa verabschieden, dann steigen die Zinsen insbesondere der südeuropäischen Länder, die dann ganz große Schwierigkeiten haben, sich weiter zu refinanzieren. Das ist ganz genau der Kern des Problems, der zu wenig erkannt wird von der deutschen Bundesregierung.

    Müller: Schuldentilgungsfonds ist ein Stichwort. Wir haben heute Morgen darüber auch vor gut einer Stunde hier im Deutschlandfunk mit dem bayrischen Finanzminister Markus Söder gesprochen. Wir hören mal zu:

    O-Ton Markus Söder: "Ich halte das für einen völligen Irrweg. Wir haben doch die letzten eineinhalb Jahre nichts anderes gemacht, Rettungsschirme zu vergrößern, Hebelwirkungen zu machen. Zurückgekommen auch im Sinne von Reformschritten ist nichts. Wenn wir jetzt weitergehen und beispielsweise die griechischen Schulden komplett übernehmen, was de facto solche Eurobonds und der Schuldentilgungsfonds sind, dann wird nicht nur das deutsche Risiko und das Risiko der deutschen Steuerzahler verzigfacht, sondern glauben Sie im Ernst, dass dort in den Ländern das Bemühen um Sparen stärker, oder geringer wird, wenn man weiß, dass wir von vornherein alles übernehmen."

    Müller: Soweit Markus Söder (CSU). – Was halten Sie, Herr Feld, Herrn Söder gegenüber?

    Feld: Nun, ich würde ihm raten, unser Konzept einmal genauer durchzulesen, denn Programmländer wie Griechenland, Portugal, Irland, Zypern werden gar nicht als wählbar für diesen Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen, sie sind außen vor. Insofern geht es gar nicht um Griechenland. Zum Zweiten würde ich ihm auch raten, sich genau anzuschauen, was in den betroffenen Ländern an Reformen durchgeführt worden ist. Der Fall Griechenland mag etwas schwieriger sein, aber in den anderen Ländern, in Irland, in Portugal, in Spanien, auch in Italien, sind umfangreiche Reformen durchgeführt worden. Spanien spart im Moment hinter der Konjunktur hinterher – etwas, was Ökonomen normalerweise als völlig falsch ansehen würden. Man muss schon sehen, dass in den Ländern einiges gemacht wird. Man muss aber auch sehen, dass diese Anstrengungen angesichts der immer weiter steigenden Zinsen zum Scheitern verurteilt sind, wenn man nicht auf der anderen Seite mit einem langfristigen Mechanismus den Fortbestand der Euro-Zone sichert und damit dafür sorgt, dass die Refinanzierungsbedingungen günstiger werden.

    Müller: Hat Markus Söder nicht doch ein wenig Recht damit, wenn er sagt, ein Schuldentilgungsfonds - das ist das, was Sie ja fordern, was die 17 Ökonomen fordern, was der Sachverständigenrat der Bundesregierung seit vielen Monaten fordert -, dass dieser Schuldentilgungsfonds gleichzusetzen ist mit der Vergemeinschaftung der Schulden?

    Feld: Was wir da vorschlagen, ist eine teilweise Vergemeinschaftung für eine gewisse Zeit. Teilweise ist sie nur, weil Länder, die wie eben schon gesagt keine Programmländer sind und deren Schuld über 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes geht, diesen Betrag, der über 60 Prozent geht, in Anleihen dieses Schuldentilgungsfonds, also Anleihen mit gemeinschaftlicher Haftung, tauschen können. Wir haben auf diese Art und Weise eine Möglichkeit, sich über den Fonds zu refinanzieren. Das ist das Vergemeinschaftungselement. Aber der Fonds sieht andererseits vor, mit einer Vielzahl von Maßnahmen ein relativ striktes Korsett zu bieten, damit die Länder sich an die Tilgungsvorgaben halten, damit sie die Schulden tatsächlich auch zurückführen. Und nur über den Fonds ist es dann überhaupt möglich, einen Konsolidierungserfolg in dem vorgesehenen Zeitraum zu haben und die Strukturreformen auch zum Erfolg zu führen. In der gegenwärtigen Situation mit Zinsen von über sieben Prozent werden es Länder wie Italien und Spanien nicht schaffen können, in den nächsten 20 Jahren Regeln wie den Fiskalpakt überhaupt einzuhalten.

    Müller: Haben Sie denn auch als Sachverständiger, als Wirtschaftsweiser den Spareffekt am Beispiel Griechenland auch unterschätzt im Vorfeld, mit all diesen negativen Folgen?

    Feld: Beim Falle Griechenland muss man einfach sagen, da geht es nicht nur um den Spareffekt und um die Frage, inwiefern die Konsolidierungsmaßnahmen dort negative Rückwirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt gehabt haben. Griechenland hat eine Wirtschaftsstruktur, die dann doch deutlich entfernt ist von den modernen Wirtschaftsstrukturen, die wir ansonsten in den Ländern der Euro-Zone sehen. Mit vielerlei Hinsicht handelt es sich dabei um eine Wirtschaftsstruktur, die denen der Schwellenländer ähnelt. Was man in Griechenland dringend braucht, das ist das, was die Weltbank "State Building" nennt. Investoren werden nicht in ein Land investieren, bei dem sie einerseits fürchten müssen, dass die existierende Währung irgendwann nicht mehr in dem Land gültig ist, und auf der anderen Seite investieren sie aber auch nicht, wenn sie sich nicht sicher sein können, dass die Investitionen wieder zurückgebracht werden ins Heimatland. Das hat damit zu tun, dass Eigentumsrechte in Griechenland nicht hinreichend gesichert sind. Wenn man dort ein Grundstück kauft, weiß man nachher nicht, ob es einem gehört oder nicht gehört. Also die grundsätzlichen Voraussetzungen für Investitionen, Rechtssicherheit, die sind in Griechenland nicht in hinreichendem Maße vorhanden, und dann bricht die Wirtschaft halt entsprechend ein.

    Müller: Immer wieder Griechenland, Sie sagen das auch. Alles ist anders als Griechenland. Portugal, Italien, Spanien, überhaupt nicht vergleichbar mit Griechenland. Soll Griechenland endlich gehen?

    Feld: Ich bin da sehr vorsichtig. Man muss einerseits sagen, wenn Griechenland aus der Euro-Zone ausscheidet, dann tritt ja genau diese Prophezeiung der Finanzmärkte, der Investoren ein, dass die Euro-Zone nicht mehr in der Art und Weise bestehen wird, wie man sie im Moment sieht. Das ist sozusagen der erste Domino, der rausgebrochen wird, und dann werden die Befürchtungen kommen, dass die nächsten Dominos umfallen. Auf der anderen Seite muss man auch sagen: Wenn Griechenland es jetzt nicht schafft, die Auflagen einzuhalten, wenn also der Troika-Bericht Ende August negativ ausfallen sollte, dann würde ich dafür plädieren, nun nicht einfach die Zeit, die man Griechenland lässt, um die Anpassungsprogramme zu erfüllen und die Anpassungsprogramme durchzuführen, zu verlängern, also nicht einfach ein, zwei Jahre draufzulegen, sondern dann wird man sich um eine umfassendere Lösung kümmern müssen, und die schließt vermutlich auch einen weiteren Schuldenschnitt ein. Dabei ist dann auch die Bundesrepublik Deutschland als Gläubiger betroffen.

    Müller: Mit 80 Milliarden möglicherweise, so wie das ifo-Institut errechnet hat?

    Feld: Nein, das wird dann in dem Falle weniger sein, wenn Griechenland im Euro verbleibt, weil bei diesem Verbleib im Euro eben die Risiken, die in der EZB-Bilanz bestehen, die sogenannten Tage-II-Kredite, die werden nicht fällig. Sie sind ja nur betroffen, wenn ein Land aus der Euro-Zone ausscheidet, und dann müsste Deutschland seinen Teil an diesen Tage-II-Krediten tragen. Insofern wäre ein neues Programm mit Umstrukturierung für Griechenland günstiger als der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone.

    Müller: Um da noch mal nachzufragen, Herr Feld. Die 80 Milliarden bezogen sich ja auf einen potenziellen Austritt. Ist das eine realistische Zahl, 80 Milliarden Belastung für die Steuerzahler?

    Feld: Es ist ein bisschen mehr. Das ifo-Institut errechnet 82 Milliarden, glaube ich, wenn ich es richtig gelesen habe. Wir gehen da vom Sachverständigenrat aus, dass es 83, 84 Milliarden sind. Man muss ja dann auch noch die Bargeldbestände im Grunde als Forderung mitberechnen, deswegen kommt man auf diese Beträge über 80 Milliarden.

    Müller: Kommen wir zum Schluss noch einmal auf die Ausgangsposition zurück. Wenn wir Sie alle hier richtig verstanden haben, auch mit dem Thesenpapier gestern, heißt das, Sie sagen ganz klar: Wenn in Zukunft weiter gekleckert und nicht geklotzt wird, dann ist die Katastrophe unvermeidlich?

    Feld: Wir fürchten, dass dann die Euro-Zone auseinanderbrechen könnte, und das wäre für Deutschland sehr, sehr teuer.

    Müller: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Wirtschaftsweise Professor Lars Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts an der Universität in Freiburg. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Feld: Gerne. Auf Wiederhören, Herr Müller.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.