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Wissenschaft im Dienste des NS-Staates

Am sogenannten Generalplan Ost der Nationalsozialisten waren hochrangige deutsche Wissenschaftler beteiligt. Mit dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Plan sollte ab 1942 Lebensraum für Millionen Menschen in Polen und dem eroberten Westteil der Sowjetunion geschaffen werden und die dort ansässige Bevölkerung verdrängt werden.

Martin Sander im Gespräch mit Karin Fischer | 18.04.2012
    Karin Fischer: Zunächst aber nach Polen, wo gestern die Ausstellung "Wissenschaft Planung Vertreibung – Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten" eröffnet wurde. Die Ausstellung kommt aus Deutschland, denn am sogenannten "Generalplan Ost" der Nationalsozialisten waren hochrangige deutsche Wissenschaftler beteiligt. Großzügig gefördert von der DFG, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, entwarfen sie im Rahmen dieses Plans Projekte zur "Germanisierung der Ostgebiete". Millionen Deutsche sollten danach in Polen und dem eroberten Westteil der Sowjetunion angesiedelt werden. Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert bei der Eröffnung:

    O-Ton Ulrich Herbert: "Die Planungen waren, was die Modernisierungspolitik angeht, sehr genau. Dort sollten eben deutsche, volksdeutsche Siedler angesiedelt werden, etwa drei Millionen, die dieses Gebiet für die deutsche und europäische Sache sichern sollten. Voraussetzung wie gesagt war, dass die Menschen, die indigene Bevölkerung in diesen Regionen, also Polen, Ukrainer, Weißrussen, Baltikum, Russen, weg wären."

    Fischer: ..., was auch umgesetzt wurde: Die polnische, slawische oder jüdische Bevölkerung wurde versklavt, vertrieben oder ermordet. Viele der Wissenschaftler, die sich in den Dienst der NS-Ideologie gestellt hatten, arbeiteten übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg ungestört in ihren Instituten weiter.
    Diese unrühmliche Geschichte hat die DFG selbst in den vergangenen zehn Jahren aufgearbeitet. Nun also reist eine deutsche Ausstellung dazu durch Polen und also an jene Orte, an denen die horrenden Verbrechen, die auf den "Generalplan Ost" zurückgehen, verübt wurden. Frage an Martin Sander: Was bekommt das polnische Publikum denn jetzt zu sehen?

    Martin Sander: Es bekommt viele Tafeln, Informationen, Dokumente, auch Filmmaterial zu sehen, das noch einmal dieses ganze Wissenschaftsverbrechen des "Generalplans Ost" zeigt. Und unter dem vielen ist mir eins besonders aufgefallen, und das fand ich auch sehr beeindruckend: vergrößert der Briefwechsel zwischen der Deutschen Forschungsgemeinschaft in den 30er- und 40er-Jahren und den betroffenen Wissenschaftlern, genau, wie man heute Anträge schreibt und Antworten erhält, um so und so viele vierstellige oder fünfstellige Summen, nur es geht eben um wissenschaftliche Forschungen, die darauf basieren, dass Millionen Menschen aus diesem Raum zwischen der polnisch-deutschen ehemaligen Grenze und dem Ural eigentlich vertrieben oder ermordet werden sollen.

    Fischer: Damit haben Sie die Antwort auf meine nächste Frage, Herr Sander, fast schon gegeben. Um noch mal die Bedeutung des "Generalplans Ost" als zentrales Verbrechen der Nazis einzuordnen, lautete die nämlich: War das eine Art Auftrag der Nationalsozialisten, oder hat die deutsche Wissenschaft da von sich aus aktiv an diesen Verdrängungs-, Vertreibungsplänen mitgewirkt?

    Sander: Die kurze Antwort darauf muss lauten, leider beides. Es war ein Auftrag der Nationalsozialisten auf der einen Seite und es war die willige Fügung vieler Wissenschaftler, die direkt mit dem NS-Staat nicht unbedingt etwas zu tun hatten, sondern die einfach in ihrem wissenschaftlichen Fach brillieren wollten. Und das ist für die polnische Seite übrigens auch ein interessantes Thema – nicht in Bezug auf den Nationalsozialismus, aber man beschäftigt sich natürlich in Polen auch damit, inwieweit die Wissenschaft, auch die Geschichte und andere Fächer, im kommunistischen Polen involviert waren, inwieweit sie frei waren - und das wurde gestern auch angesprochen, weil ja auch einer der Veranstalter die polnische Gauck-Behörde, also das Institut für nationales Gedenken war, und die interessiert das besonders.

    Fischer: Welchen Stellenwert hat denn dieser "Generalplan Ost" insgesamt für das polnische Geschichtsbewusstsein?

    Sander: Ein sehr großes von den Ergebnissen. Es wurden ja einige Dinge umgesetzt. An der deutsch-polnischen Grenze, also in Westpolen, und auch um die ostpolnische Stadt Samotschin herum kam es zu Massenverbrechen und das ist im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein in Polen. Man wusste aber natürlich nichts über die wissenschaftlichen Grundlagen und natürlich auch nicht über das Engagement der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Insgesamt hat das für Polen eine sehr große Bedeutung, weil die polnische Öffentlichkeit davon ausgeht, dass man in Deutschland die Geschichte des Zweiten Weltkriegs sehr stark auf den Holocaust und die Verbrechen an den Juden zuspitzt, und hier hat man ein Beispiel, wo neben den Verbrechen an den Juden natürlich auch die großen Verbrechen gegen die slawischen Bevölkerungen und darunter auch die Polen geplant wurden. Insofern war man sehr einverstanden und sehr zufrieden mit diesem Projekt.
    Es ist vielleicht ein wenig skurril, wenn ich das zum Abschluss noch erzähle, aber der Einzige, der dagegen war, gegen das Vorhaben, das war ein einzelner deutscher Demonstrant. Der stand vor dem Ausstellungsgebäude, es war ein Absolvent der Agrarwissenschaften in Berlin, und der hat sich darüber beschwert und dagegen protestiert, dass die DFG das Kapitel nicht gründlich genug aufgearbeitet hätte.

    Fischer: Dank an Martin Sander für diesen Bericht aus Polen. Eine Ausstellung zum "Generalplan Ost" wurde jetzt dazu eröffnet.

    Katalog zur DFG-Ausstellung: Wissenschaft, Planung, Vertreibung. Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten (PDF)