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Wissenschaft im Wahlkampf

Forscher in den USA beklagen, dass die Regierung unverhohlen versucht, die Wissenschaft für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. So wird die Wissenschaftspolitik zum Thema vor den Kongresswahlen. Denn zudem hat die Bush-Regierung mit einer ideologisch geprägten Haltung zu Klimawandel, Stammzellforschung und Evolutionstheorie nicht nur unter Forschern Sympathien verspielt.

Von Ralf Krauter | 02.11.2006
    "In den USA hat die Politik die Wissenschaft vereinnahmt."

    "Es ist besorgniserregend, wenn Politiker Informationen verändern, um die eigene Sichtweise zu bestätigen."

    "Die Beziehung zwischen Wissenschaftlern und Regierung hat bereits ziemlichen Schaden genommen."

    Am kommenden Dienstag finden in den Vereinigten Staaten Kongresswahlen statt. Neben den 435 Sitzen im US-Repräsentantenhaus wird auch ein Drittel der 100 Senatssitze neu vergeben. Für Präsident George W. Bush könnte die Abstimmung zum Menetekel seiner zweiten Amtszeit werden. Denn den Prognosen zufolge ist fraglich, ob die Republikaner ihre Mehrheit in beiden Kongresskammern halten können.

    Der Irak-Krieg, die illegale Einwanderung, das Gesundheits- und Bildungssystem – das sind die zentralen Themen im Wahlkampf. Weil die Regierung nach Ansicht vieler Amerikaner bei keinem davon eine gute Figur macht, wittern die Vertreter der demokratischen Partei Morgenluft.

    In vielen Wahlkreisen dürfte es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen von republikanischen und demokratischen Kandidaten kommen. Eine Konstellation, in der Themen den Ausschlag geben könnten, die sonst oft eher am Rande eine Rolle spielen. Eines dieser Themen, das für einen US-Wahlkampf in den vergangenen Monaten erstaunlich oft bemühte wurde, ist die Wissenschaftspolitik der Regierung. Denn mit ihrer ideologisch geprägten Haltung zu Klimawandel, Stammzellforschung und Evolutionstheorie hat sich die Bush-Administration nicht nur unter Forschern Sympathien verspielt.

    Neun Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verkündete US-Präsident George W. Bush die Einrichtung des Ministeriums für Heimatschutz. Die neue Behörde soll die landesweiten Maßnahmen zur Terrorabwehr koordinieren. Die Konsequenzen für die Forschungslandschaft in den USA waren weitreichend und sind bis heute spürbar, sagt Dr. Alan Leshner, der Chef der amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft.

    "Bioterrorismus zum Beispiel: Das war vor dem 11. September nie ein Thema. Oder Sicherheit im Flugverkehr und der Schutz vor Angriffen aus dem Internet: Diese Themen bekamen auf einmal große Bedeutung für den Schutz der Landesgrenzen. Die Wissenschaft hatte plötzlich eine neue Forschungsagenda."

    Die neuen Prioritäten führten zu einer massiven Aufstockung und Umschichtung der staatlichen Forschungsetats. Von 2002 bis 2004 hat die Regierung die öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung ungewöhnlich stark erhöht. Jährliche Steigerungen von mehr als zehn Prozent ließen die öffentlichen Mittel von knapp 100 Milliarden Dollar im Jahr 2001 auf 135 Milliarden Dollar im aktuellen Steuerjahr anwachsen. 57 Prozent davon entfallen auf Waffen-, Sicherheits- und Rüstungstechnologie.

    Der höchste Anteil seit Ende des Kalten Krieges. Die zusätzlichen Mittel für die Verteidigungsforschung fließen fast ausschließlich in die Entwicklung neuer Waffensysteme und ähnliche geheime Projekte. Ob das enorme Forschungsbudget des neuen Ministeriums für Heimatschutz dabei immer gut angelegt ist, bezweifeln Experten. Insider der Regierungsbehörde berichten von Missmanagement und überforderten Mitarbeitern, die bewilligte Gelder erst mit monatelanger Verzögerung freigaben – zum Leidwesen der darauf angewiesenen Forscher.

    "Ein Teil des Etats des Heimatschutzministeriums waren zusätzliche Mittel. Aber ein Teil kam auch von anderen Einrichtungen - etwa von der für Grundlagenforschung zuständigen National Science Foundation, die seit vielen Jahren erstmals weniger Geld bekam. Einige dieser recht einseitigen finanziellen Umschichtungen werden nun allmählich wieder korrigiert. Es hat sich herumgesprochen, dass eine breit aufgestellte Forschung der beste Weg ist, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten."

    Mit einer Initiative zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit will die Regierung nun wieder die Grundlagenforschung stärker fördern. Der Etat der National Science Foundation soll in den nächsten zehn Jahren verdoppelt werden. Ein deutliches Signal, das sich Alan Leshner schon früher gewünscht hätte. Doch was ihm und anderen Kennern der US-Forschungslandschaft mehr Sorge bereitet, ist etwas anderes: Es ist der erstaunlich unverhohlene Versuch der Regierung, die Wissenschaft für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

    Michael Halpern ist Sprecher der Wissenschaftlervereinigung Union of Concerned Scientists, die der Regierung vorwirft, die Wissenschaft in einem nie dagewesenen Ausmaß missbraucht zu haben.

    "Die politischen Übergriffe reichen von der fragwürdigen Besetzung wissenschaftlicher Beratergremien über die Manipulation von Forschungsergebnissen bis hin zum Maulkorb für Klimaforscher."

    Um die Missstände publik zu machen, unterzeichneten führende Forscher 2004 einen Aufruf zur Wiederherstellung der wissenschaftlichen Integrität in der Politikberatung.

    "Unter den 62 Unterzeichnern waren renommierte Forscher, die auch schon frühere US-Präsidenten beraten hatten. Und die bestätigten alle: So schlimm war es noch nie, und es muss sich etwas ändern."

    Mittlerweile haben mehr als 10.000 Forscher den Appell unterzeichnet. Um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, dokumentiert die Union of Concerned Scientists auf ihrer Internetseite alle politischen Übergriffe der letzten Jahre. Die Liste ist lang und belegt: Die Gängelung unbequemer Wissenschaftler hat offenbar System.

    "Wir haben die Wissenschaftler dreier großer staatlicher Forschungseinrichtungen befragt. Die Antworten waren ziemlich konsistent: Jeder fünfte Forscher, der an der Umfrage teilnahm, wurde schon einmal angehalten, Daten zu manipulieren, Berichte zu fälschen oder irgendetwas ähnliches zu tun, was mit Wissenschaft unvereinbar ist."

    Insbesondere Klimaforscher haben einen schweren Stand. Der republikanische Kongressabgeordnete Joe Barton aus Texas – der Vorsitzende des Ausschusses für Energie und Wirtschaft – inszenierte im Sommer 2005 einen regelrechten Feldzug gegen drei renommierte Klimaforscher und deren Studien zur Erderwärmung. In einem Rundbrief verlangte Joe Barton von den Wissenschaftlern, innerhalb von drei Wochen die Daten, Methoden und Finanzierungsquellen ihrer gesamten Forscherkarriere offenzulegen. Dieser Spießrutenlauf für Wissenschaftler sorgte seinerzeit für eine Menge Wirbel, bevor er schließlich vom Vorsitzenden des Wissenschaftsausschusses gestoppt wurde. Seine Begründung: Joe Barton ginge es nicht um wissenschaftliche Klarheit, sondern um politische Einschüchterung.

    "In den USA hat die Politik die Wissenschaft vereinnahmt."

    "Die Beziehung zwischen Wissenschaftlern und Regierung hat bereits ziemlichen Schaden genommen."

    "Es ist besorgniserregend, wenn Politiker Informationen verändern, um die eigene Sichtweise zu bestätigen."

    Und wie reagiert das Weiße Haus auf die wachsende Kritik aus der Wissenschaft? Bagatellisieren und abwiegeln - das ist die Strategie von John Marburger, dem Wissenschaftsberater des Präsidenten, dessen Einfluss auf die Regierungspolitik die meisten Experten ohnehin für gering halten. Michael Halpern:

    "Die Regierung hat bis heute nicht angemessen auf die Vorwürfe reagiert. Das Gegenargument war immer dasselbe: 'Wir stecken mehr Geld in die Forschung, als jede andere Regierung vor uns.' Aber Geld allein genügt nicht. Man muss den Wissenschaftlern auch zuhören und ihre Empfehlungen ernstnehmen."

    Für Alan Leshner von der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft sind die Konflikte der letzten Jahre symptomatisch für einen grundlegenden Wandel im Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Er hat beobachtet, dass Forschungsergebnisse immer häufiger von Laien in Frage gestellt werden.

    "Ich habe Politiker sagen hören: Erderwärmung? Ja, da gibt es Klimastudien, die belegen, dass die stattfindet. Aber das sind keine guten Studien.
    Da sagen wir Wissenschaftler: Aber wie wollen sie beurteilen, ob eine Studie schlecht ist? Schließlich hat die Wissenschaft doch sehr zuverlässige eigene Mechanismen, um die Qualität einer Studie zu bewerten."

    Dass die etablierten wissenschaftlichen Qualitätsstandards in der politischen Arena immer öfter unter die Räder kommen, hat auch Tony Fainberg am eigenen Leib erfahren. Der Physiker hat bis vor kurzem als Wissenschaftler für Regierungseinrichtungen gearbeitet, unter anderem mehrere Jahre im Pentagon und zuletzt im Ministerium für Heimatschutz.

    "Wissenschaftliche Ergebnisse, die nicht auf Regierungslinie sind, werden sehr oft zensiert oder verzerrt - und zwar häufig von Führungskräften, die keinerlei wissenschaftliche Ausbildung haben."

    Mögliche Gründe dafür sieht Tony Fainberg nicht nur in der engen Verflechtung der Bush-Administration mit der Öl- und Rüstungsindustrie, sondern auch in ihrem tiefen Misstrauen gegenüber der Wissenschaft und ihren Erkenntnissen im allgemeinen.

    "Viele Mitglieder unserer Regierung sehen Wissenschaft sehr kritisch. Das hängt damit zusammen, dass ein Großteil von Bushs Wählern aus konservativ-fundamentalistischen religiösen Kreisen stammt, die bestimmte Ansichten über Gott und die Welt vertreten. Und manche davon haben eben auch Auswirkungen auf die Forschung und den wissenschaftlichen Schulunterricht. Das wichtigste Beispiel ist natürlich die Frage: Was soll man den Schülern in Biologie beibringen? Die meisten Biologen sagen: Das Prinzip der Evolution ist ein Grundpfeiler unserer Wissenschaft und gehört deshalb unbedingt auf den Lehrplan. Aber protestantische Fundamentalisten, die an eine wörtliche Auslegung der Bibel glauben, sehen das anders."

    Unter dem wissenschaftlichen Deckmäntelchen "Intelligent Design" hat der Kreationismus in manchem Bundesstaat Einzug in die Lehrpläne gehalten. Die Verfechter dieser religiös inspirierten Lehre glauben, die Vielfalt des Lebens sei allein durch das Wirken eines allmächtigen Schöpfers zu erklären. Urknall und Evolution sind mit dieser Überzeugung unvereinbar. Die Kontroverse erhitzt seit Jahren die Gemüter und spaltet die Nation.

    Die Einmischung des Präsidenten hat sie zusätzlich angeheizt: Im Sommer 2005 sprach sich George W. Bush dafür aus, die beiden Theorien zur Entstehung des Lebens im Unterricht gleichwertig zu behandeln. Eine aktuelle Studie belegt: Nur 40 Prozent der US-Bürger akzeptieren die Evolutionstheorie. 1985 waren es noch 45 Prozent. Eine bedenkliche Entwicklung, findet Alan Leshner.

    "Wissenschaft und Technologie bilden die Grundlage unseres Wohlstandes und sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Deshalb brauchen junge Menschen nicht nur ein grundlegendes Verständnis zentraler wissenschaftlicher Konzepte. Sie müssen auch unterscheiden können zwischen dem, was Wissenschaft ist, und dem, was nur vorgibt, Wissenschaft zu sein. Wenn wir den Kreationisten oder irgend jemandem sonst erlauben, Wissenschaft in ihrem Sinne neu zu definieren, leidet die Bildung – und unsere Kinder laufen Gefahr, international den Anschluss zu verlieren."

    Das hat sich mittlerweile auch unter den Republikanern herumgesprochen - weshalb sich mancher ihrer Volksvertreter, der um den Wiedereinzug in den Kongress bangen muss, gezwungen sah, auf Distanz zur Politik des Parteifreundes und Präsidenten George W. Bush zu gehen. Der Kampf um die Köpfe in den Klassenzimmern ist dabei nur ein Beispiel für die Bedeutung wissenschaftlicher Themen im Wahlkampf. Ein mindestens ebenso kontrovers diskutiertes Feld ist die staatliche Förderung der Forschung mit embryonalen Stammzellen.

    Einen im Sommer vorgelegten Gesetzesentwurf, der eine Lockerung der restriktiven Förderkriterien für die umstrittene Stammzellforschung vorsah, hat George Bush per Veto gestoppt. Begründung: Die verbrauchende Embryonenforschung sei mit dem Schutz des Lebens unvereinbar.

    Nancy Reagan und andere prominente Republikaner sehen das anders. Genau wie die republikanische Abgeordnete Heather Wilson aus New Mexico. Wilson distanzierte sich im Wahlkampf öffentlich von der Position des Präsidenten – vermutlich auch in der Hoffnung, mit einer liberaleren Forschungspolitik bei den Wählern zu punkten. Die Analysen von Rick Borchelt, Experte für Bioethik an der renommierten Johns Hopkins Universität in Washington DC sprechen für dieses Kalkül.

    "Die Position des Präsidenten spiegelt nicht die öffentliche Meinung wieder. Selbst in jenen religiös-konservativen Bevölkerungsgruppen, die der embryonalen Stammzellforschung am kritischsten gegenüberstehen, ist eine knappe Mehrheit dafür, diese Forschung voranzutreiben."

    Um die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu übernehmen, müssten die Demokraten 15 Sitze dazu gewinnen. Für die Mehrheit im Senat benötigen sie sechs zusätzliche Mandate. Der geschickte wahltaktische Einsatz von Wissenschaftsthemen könnte sich also durchaus auszahlen.

    Reichlich Angriffspunkte dafür bietet auch die wirklichkeitsferne Klimapolitik der Regierung, gegen die sich längst landesweit Widerstand formiert hat. Der republikanische Gouverneur Arnold Schwarzenegger zum Beispiel hat eine Öko-Allianz mit Großbritannien geschmiedet und plant nun einen gemeinsamen Markt zum Handel von Emissionsrechten für Treibhausgase, an dem neben der EU auch sieben US-Bundesstaaten beteiligt sein sollen.

    Während George W. Bush die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls weiter ablehnt, wird regional also auch in den USA längst an seiner Umsetzung gearbeitet. Der stärkere Ausbau regenerativer Energien gilt dabei als schlagkräftiges Argument, um Wähler zu mobilisieren - weshalb sich zum Beispiel auch der kalifornische Windkraftexperte Jerry McNerney gute Chancen ausrechnen darf, seinen republikanischen Konkurrenten aus dem Abgeordnetenhaus zu verjagen. Ob der Widerstand gegen die unpopuläre Forschungspolitik der Regierung tatsächlich im einen oder anderen Wahlkreis den Ausschlag geben wird, ist ungewiss. Wer sich mit Wissenschaftlern und Forschungsmanagern in Washington unterhält, bekommt aber den Eindruck, dass sich hier viele über einen Denkzettel für die Republikaner freuen würden. Nicht zuletzt auch, weil das liberalen Kräften in der Partei den Rücken stärken und so auch die Regierung zwingen könnte, strittige Positionen zu überdenken.